re:publica 2013 – In / Side / Out und Open Open Open

re:publica

“Bei Wikipedia kann man keine Schweinehälften bestellen” – bei diesem Zitat aus dem Munde von Pavel Richter, einem der Vorsitzenden von Wikimedia Deutschland, könnte man durchaus vermuten, dass Internet sei noch immer nur ein Tummelplatz für Technikbegeisterte. 5ooo Internet-Faszinierte, zahlreiche Vertreter der klassischen Medien und auch einige der Politik, über 28o Sessions, Vorträge und Workshops, unzählige Tweets – die Zahlen machen klar, dass die re:publica längst für ein breitgefächertes Publikum das Highlight des Frühjahrs ist. Mit dem Motto “In / Side / Out of Science und Culture” im Gepäck, besuchte ich drei Tage Veranstaltungen zu Themen aus Kultur, Wissenschaft, Verlagen und E-Learning. Das Fazit vorweg: die digitale Revolution greift zunehmend auch auf diese Bereiche über, die Handlungsmöglichkeiten sind aber noch längst nicht ausgeschöpft. Und: neben Open Data oder Open Access treten nun auch Schlagwörter wie Open Expertise, Open Science, Open Culture oder Open Learning zunehmend in den Vordergrund.

Tag I – Von Ängsten und Möglichkeiten

Mein erster Tag auf der re:publica war bereits prall gefüllt mit lauter interessanten Projekten rund um die Sammlung, die Anwendbarkeit und den offenen Umgang mit Daten in Kultur und Wissenschaft. Ihrer Sammlung sind derzeit unzählige Projekte gewidmet, die Bücher (wie die Deutsche Digitale Bibliothek), museale Sammlungen (wie Open GLAM und Europeana) oder analoges Geschichtswissen (wie DigIt) digitalisieren. Und sie alle haben große Ziele.

Das WDR-Crowdsourcing Geschichts-Projekt DIGIT will kein Geld, sondern Wissen sourcen in Form von Zeitzeugen der Neuzeit wie Bildern und Videos. Der Erfolg seit Beginn der Kampagne im Dezember 2o12 ist groß, über 5ooo Fotos und 7oo Videos konnten gesammelt werden, um “analoge Erinnerung in die digitale Zukunft zu retten”. Eine solche Idee könnte für jeden Historiker ein faszinierendes und vielfältiges Archiv zugänglich machen. Gerade im Netz hat sie aber noch hohe Hürden zu überwinden, wie die hier angewandte rechtliche Basis zeigt. Da sich der WDR zu CC-Lizenzen für das zusammengetragene Material nicht durchringen konnte, wurde dieses unter nicht-exklusive Nutzungsrechte gestellt. Damit ist es zwar für den WDR weiterverwendbar, aber für Historiker, Interessierte, Blogger oder gar bloggende Historiker eben nicht.

Davon etwas ernüchtert, war ich umso begeisterter von dem Projekt OPEN GLAM (Galleries, Libraries, Archives, Museums) der Open Knowledge Foundation, das sich mehr Aufmerksamkeit und mehr Möglichkeiten der Nutzung des kulturellen Erbes zur Mission gemacht hat. Dabei soll vor allem die Öffentlichkeit eine große Rolle spielen, da sie als Finanzier einen Anspruch auf das von ihr finanzierte Wissen hat. Sehr gut fand ich neben dem prinzipiellen Anspruch der Open Knowledge Foundation ihre Zusammenarbeit mit Europeana, einem ähnlichen Projekt der EU, dass die Gemeinschaft Europas durch dessen gemeinsame Kultur und Geschichte betonen möchte. Hier werden Sammlungen unter Europeana als gemeinsamem Deckmantel digitalisiert, der die Verbindungspunkte der Länder verdeutlichen soll. Dies ist besonders wichtig, weil auch eine Vielzahl von Datenbanken für verschiedene Sammlungen nicht die gewünschten Ergebnisse bringen kann, wenn alle getrennt arbeiten und sich als unabhängig voneinander verstehen. Open GLAM und Europeana haben zusammen bereits mehr als 4o Millionen Daten gesammelt und mit CC-Lizensen online gestellt. Auch der nächste Schritt, ihre Anwendbarkeit, wurde in Form von Tools wie textus, timeliner oder crowdcrafting bereits in die Wege geleitet.

Bei einer Session, die im Namen der Deutschen Digitalen Bibliothek (DDB) das Ende des Buches verkündete, stand jedoch wieder die Sammlung im Mittelpunkt, diesmal sogenannter gemeinfreier Bücher, die sich in den deutschen Bibliotheken und im Netz finden lassen. Auch wenn keineswegs das Ende des gedruckten Buches ausgerufen werden sollte, da die heutigen Bücher durch ihre Inhalte und Formen die Geschichtsquellen der Zukunft sind, geht es auch bei der DDB noch nicht primär um die Anwendbarkeit der Daten. Dies bedeutet nicht, dass es für nicht löblich wäre, für 12o Millionen Euro alle gemeinfreien Bücher in deutschen Bibliotheken zu digitalisieren, anstatt von demselben Geld einen Eurofighter zu kaufen. Aber gerade in Bezug auf die Anwendbarkeit von Open Data, die der eigentliche Kern der Forschung sein sollte, ist Open GLAM derzeit europaweit ein Vorbild für Projekte, die weiterhin im Status der reinen Digitalisierung verbleiben.

Vortrag_SaschaLobo

Das Ende des ersten Tages markierte für viele re:publica-Besucher der Vortrag von Sascha Lobo. Auch er sprach von Ängsten und Möglichkeiten, von der Netzgemeinde als Hobbylobby und Wut und Pathos als den Rezepten für ein freies, offenes und sicheres Netz. Die Drosselkom wurde nach diesem Vortrag nicht umsonst der meist-getwitterte Begriff der re:publica. Während Sascha Lobo die Netzpolitik als das schlimmste aller Orchideenfächer betitelte, war der Abschluss des Tages für mich vor allem der Blick über die unzähligen Reihen dieses buntgemischten und keineswegs nerdigen Publikums, das diesem Blogger lauschte, während die CDU noch immer glaubt, die Netzgemeinde sei eine eigenartige und etwas weltfremde Parallelgesellschaft.

Tag II – der Tag des Phönix

Während Open Data und Open Culture meinen ersten re:publica-Tag bestimmten, war der zweite geprägt von Open Expertise, Wissenschaftsjournalismus, Büchern und dem Ruf nach Open Open Open.

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Leider ist das Social des Social Web auch im Journalismus noch nicht überall endgültig angekommen, wie die ersten beiden Sessions meines zweiten re:publica-Tages zeigten. So bleibt es weiterhin schwierig, die Menschen zu Teilnahme am journalistischen Diskurs zu bewegen, obwohl das öffentliche Interesse an wissenschaftlicher Aufklärung weiter ungebrochen ist. Hierfür spielen zwei Gründe eine Rolle. Zum einen bieten die großen Medien auch auf ihren Online-Plattformen nur suboptimale Diskussionsmöglichkeiten. Meist findet man eine Aneinanderreihung zahlreicher Kommentare mit nur wenig Bezug zueinander, kaum argumentative Sortierungen oder gar die Option zu direkten Bezugnahme auf einen bestimmten Absatz. Zum zweiten halten auch diejenigen Privatpersonen, die z.B. aufgrund von Hobbys wirkliche Ahnung haben, mit ihrem Wissen noch sehr oft hinterm Baum. Beides könnte dazu dienen, die Teilnahme an Open Expertise zu fördern und Lesern wie Journalisten neue Ideen und Betrachtungsweisen zu eröffnen. Auf der Suche nach der Wiedergeburt der Zeitung eröffnen sich so neue Wege, sich mit den Bedürfnissen und Fragen der Menschen direkter zu befassen. DER JOURNALISMUS IST TOD. ES LEBE DER JOURNALISMUS!

Ähnliches galt an Tag II für das Buch. Wie der Musikindustrie und dem Printjournalismus, reicht nun auch den geisteswissenschaftlichen und belletristischen Verlagen das Wasser der Gewohnheit bis an den Hals. Ein Damm der Innovationen muss gebaut und der Frage nachgegangen werden, was eigentlich noch Buch ist, auch wenn es noch scheint, als bleibe das gedruckte Buch weiterhin ein heiliger Gral, ein mythisches Ding mit geheimnisvoller Anziehungskraft. Denn definiert sich ein Buch über die Form, so sind weder Hör- noch E-Bücher Bücher. Definiert es sich über den Inhalt, ist alles Geschriebene Buch. Aber nur das gedruckte Buch riecht nach Buch, fühlt sich an wie Buch und ist dekorativ, wie nur Bücher es sein können. Trotzdem steigt die Beliebtheit von E-Books und Readern mit ihren Ideen von Offenheit, Teilbarkeit und wiederum Socialbarkeit. Wie die Platte in der MP3, wird also auch das Buch wiedergeboren. DAS BUCH IST TOD. ES LEBE DAS BUCH!

Die Digital Humanities versuchten am zweiten re:publica-Tag erneut, den Phönix aus der Asche zu erwecken. Was für die Humanities das Buch, ist für die Digital Humanities die Datenbank. Auch die EU machte Open Access in ihrer Agenda 2o2o zur Bedingung für öffentlich finanzierte Projekte. Doch leider scheint es, als wären die DH zwar ihrer Aufgabe entsprechend sehr stark digital geworden, hätten dabei aber viel ihres Humanities-Daseins verloren. Die TOOLIFICATION steht im Mittelpunkt, während die Forschung und wiederum der Aspekt des Social noch fehlen, den die reine Zugänglichmachung von Erkenntnissen in Form von Daten nicht abdecken kann. Kommunikation wird noch nicht groß geschrieben und das obwohl die Erwartungen der Öffentlichkeit an die Forschung und der Forschung an die Forschung sich teilweise sehr stark unterscheide. Die Kernfrage ist: was kann man vermitteln, was will man vermitteln und wer trägt die Kosten? Von der Beantwortung ist Open Science jedoch nicht weit entfernt und so ist der Phönix gerade erst zu Asche geworden.

Tag III – Lernen Lernen Lernen

Mein dritter re:publica-Tag stand unter dem Motto RE:LEARNING. Dabei wurde schnell deutlich, dass die digitale Revolution auch hier weder für die Kinder- noch für die Erwachsenenbildung ihr schöpferisches Potential bisher voll ausgenutzt hat. Dies liegt anscheinend daran, dass die herkömmlichen Herangehensweisen noch immer sehr stark sind und nur schwer zugunsten neuer Optionen aufgegeben werden wollen. Die Hoffnung war ein aktives, selbstbestimmtes, individuelles, kreatives Lernen durch Tools, die sich an die Bedürfnisse der Schüler, gleich welchen Alters, anpassen lassen. Tatsächliche bieten sie dafür bisher aber nur wenig Optionen. Dies gilt für digitale Schulbücher ebenso, wie für MOOCs. Die meisten Materialien lassen sich zwar downloaden, aber nicht verändern, die Hierarchie zwischen Lernenden und Lehrenden wird noch nicht überwunden und auch die Lernziele sind noch zu unflexibel. Inwieweit dies alles erstrebenswert ist, mag diskutabel sein, trotzdem ändert sich zurzeit primär das Lehren anstatt das Lernen.

Gerade Gamification ist hier ein interessanter Ansatz, der sich auch auf die Vermittlung von Geschichte und Kultur sehr gut übertragen lässt. Eine der Sessions widmete sich dem EDUCACHING, das in einem Berliner Projekt das beliebte Geocaching mit der Suche nach historischen Orten und Geschehnissen innerhalb der Stadt verbindet. Eine virtuelle Schnipseljagd mit Rätseln und Abenteuern, ein Tripventure, digitale Inhalte an realen Orten. Eine Form des Lernens also, die nicht nur in Berlin funktionieren kann und Kompetenz anstatt nur Qualifikation vermittelt.

Während zurzeit vor allem die Schulen noch mit der Angst vor Kontrollverlust durch das Internet zu kämpfen haben und ein wenig die Hoffnung zu schüren scheinen, es gäbe eine Rückkehr zu der Zeit vor dem Netz, übertragen die Universitäten zwar Kurse ins Netz, nutzen aber auch nur selten hierfür wirklich innovative Methoden. Online-Vorlesungen, gepaart mit Tests und Abschlussklausuren, wie sie udacity oder coursera mit Universitätspartnern wie Berkeley, Harvard und dem MIT bieten, sind dieselbe Form des Lehrens in einem anderen Medium und versprechen nur bedingt eine Verbesserung der Lern-Situation. Auch hier herrscht noch ein gewisses Maß an Unflexibilität. Zwar sind die Themen vielfältig und auch zukunftsträchtig, die wirkliche Nutzbarkeit für jeden ist durch technische, sprachliche und zeitliche Voraussetzungen jedoch weiterhin eingeschränkt. Zudem stehen die Materialien nicht frei zur Verfügung, sondern gehören den jeweiligen Universitäten. Es verwundert demnach nicht, dass die Mehrheit der Teilnehmer nach wie vor Akademiker sind.

re:publica_1913Die Ideen des re:learning mögen demnach noch nicht ideal umgesetzt sein, digitale Schulmaterialien, virtuelle Diskussionsräume und eine verstärkte Ausrichtung auf den Social-Aspekt des Web 2.o zeigen aber das Licht am Ende des Tunnels. Insgesamt versprachen trotz noch offener Möglichkeiten und einem gewissen Festhalten an der Gewohnheit alle von mir besuchten Sessions, egal ob Open Culture und Open Science, Open Book oder Social Learning, denn auch neue Optionen, mit den Problemen der Welt umzugehen und mit innovativen Methoden durch die Zugänglichkeit von Wissen Lösungen zu schaffen. Denn nicht jeder hat, wie ich wortwörtlich am Ende der re:publica 2013 noch lernen durfte “the right mindset to study .. let’s say ancient history”..

Quelle: http://kristinoswald.hypotheses.org/828

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Fundstücke

Von Stefan Sasse

- Ian Kershaw wurde 70, die FAZ gratuliert. 
- Ein britischer Historiker hat die Kulturseiten des Völkischen Beobachters ausgewertet und interessante Rückschlüsse gezogen (englisch)
- Eine Postkarte von einem Kriegsgefangenen aus dem Ersten Weltkrieg ist aufgetaucht.  
- Warum entschieden Schlachten nicht den Amerikanischen Bürgerkrieg oder den Deutsch-Französischen Krieg? (englisch)

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2013/05/fundstucke.html

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Call4Papers “3. Tagung Deutsche Polenforschung: Wissen, Verstehen, Übersetzen: Nachbarn im Dialog”

Gute Nachbarschaft ist anspruchsvoll: Sie erfordert Wahrnehmung, Respekt, Verständnis und Verständigung, gemeinsame Regeln, Normen und vielfältiges Wissen voneinander. Werden Befindlichkeiten und Bedürfnisse des Anderen nicht bemerkt, mangelt es an Wissen, Verstehen, Übersetzen, so entstehen Missverständnisse und Konflikte. Polens Nachbarschaftsbeziehungen verdeutlichen … Weiterlesen

Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/4917

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C4P: 3. Tagung Deutsche Polenforschung: Wissen, Verstehen, Übersetzen: Nachbarn im Dialog

Gute Nachbarschaft ist anspruchsvoll: Sie erfordert Wahrnehmung, Respekt, Verständnis und Verständigung, gemeinsame Regeln, Normen und vielfältiges Wissen voneinander. Werden Befindlichkeiten und Bedürfnisse des Anderen nicht bemerkt, mangelt es an Wissen, Verstehen, Übersetzen, so entstehen Missverständnisse und Konflikte. Polens Nachbarschaftsbeziehungen verdeutlichen … Weiterlesen

Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/4917

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Klares Denken im Delirium. 500 Jahre Ekstase in Religion und Literatur

 

Ekstase fördert tiefe Einsichten. Zwei neue Beiträge von Deutschlandradio Kultur erklären, dass das Delirium in der Literaturgeschichte sowohl als Thema sowie als Produktionsmittel eine wichtige Rolle spielt. In einer Rezension wird Robert Feuchtels Monografie “Grenzgänge” besprochen. Dabei handelt es sich um eine Kulturgeschichte des Rausches, die weit über den simplen Drogenkonsum der Neuzeit hinausgeht. Eine wunderbares Essay widmet sich der Rolle von Drogen und vor allem deren Folgen für Schriftsteller der Neuzeit. Ernst Jünger etwa experimentierte mit der damals neuen Droge LSD. Für viele Autoren waren und sind Drogen Mittel zum Zweck eines umfassenderen Bewusstseins, tieferer Erkenntis und neuer, nie zuvor getaner Einsichten. Genau darauf haben sich auch Religionen spezialisiert. Ich dachte beim Hören gleich an die Derwische islamischer Sufiorden. Türkische Derwische praktizieren die bekannten Tänze, durch die sie in Ekstase geraten und sich eine direktere Gotteserfahrung erhoffen. Andere Derwische trommeln oder meditieren, um in außerweltliche Erfahrungsstadien zu gelangen. Diese Funktionsanalogie zwischen Literaten und Religiösen verblüffte mich. Kurz zuvor war ich bei Recherchen in der Bibliothèque Mazarine in Paris auf eine Flugschrift von Jean Gacy, einem ehrenwerten Genfer Franziskaner, aus dem frühen 16. Jahrhundert gestoßen. Auch in diesem Text spielt das Delirium als Erkenntnisraum eine zentrale Rolle. Leider wissen nicht nicht viel mehr [...]

 

 

Quelle: http://catholiccultures.hypotheses.org/990

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Gamification der Lehrinhalte… und Sie? #dhiha5

gamification ALL

Gamification, Ludification, Lubrification oder auch Ludicisation der Lehre… ja, ja, das sind echte Begriffe die in echt im echten Leben existieren. Grob gesagt geht es darum, die Lehrinhalte attraktiver, motivierender, bekömmlicher zu gestalten, indem man als Schmiermittel ein Spielelement hinzufügt. Um ein Bild zu verwenden: Es ist ein bisschen, als ob man dem Katzenfutter eine Pille untermischen würde. Ist Gamification nützlich, notwendig, sogar unerlässlich, um die Aufmerksamkeit der Erstsemester zu gewinnen? Verwenden Sie Spiele in Ihren Lehrveranstaltungen, auf welche Weise und mit welchem Ziel, außer dem, nicht selbst einzuschlafen? Soll die Fähigkeit, die Lehre mit Spielen anzureichern, als neue Kompetenz für akademische Dozenten betrachtet werden?

__________

Text und Zeichnung von Tis, aus dem Französischen übersetzt von Anne Baillot und Mareike König. Der Originalbeitrag ist auf dem Blog PHDelirium von Tis veröffentlicht.

Quelle: http://dhdhi.hypotheses.org/1685

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Gamification der Lehrinhalte… und Sie? #dhiha5

gamification ALL

Gamification, Ludification, Lubrification oder auch Ludicisation der Lehre… ja, ja, das sind echte Begriffe die in echt im echten Leben existieren. Grob gesagt geht es darum, die Lehrinhalte attraktiver, motivierender, bekömmlicher zu gestalten, indem man als Schmiermittel ein Spielelement hinzufügt. Um ein Bild zu verwenden: Es ist ein bisschen, als ob man dem Katzenfutter eine Pille untermischen würde. Ist Gamification nützlich, notwendig, sogar unerlässlich, um die Aufmerksamkeit der Erstsemester zu gewinnen? Verwenden Sie Spiele in Ihren Lehrveranstaltungen, auf welche Weise und mit welchem Ziel, außer dem, nicht selbst einzuschlafen? Soll die Fähigkeit, die Lehre mit Spielen anzureichern, als neue Kompetenz für akademische Dozenten betrachtet werden?

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Text und Zeichnung von Tis, aus dem Französischen übersetzt von Anne Baillot und Mareike König. Der Originalbeitrag ist auf dem Blog PHDelirium von Tis veröffentlicht.

Quelle: http://dhdhi.hypotheses.org/1685

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07. Žižek und die Geschichte mit bestimmtem Artikel

In Großbuchstaben

„Die Geschichte“ ist einfach nicht totzukriegen. Und das muss der Historiker in mir doch sehr bedauern. Dabei meine ich tatsächlich „Die Geschichte“ mit bestimmtem Artikel und möglichst vielen Großbuchstaben, diesen monolithischen Block, der sich durch die Zeit schiebt, dieses unheimliche Ding aus einer suprahumanen Sphäre, dieses alles überragende Superraumschiff, das sich wie in einem Star-Wars-Film aus dem Hintergrund über die Köpfe der machtlosen Zuschauer in die Leinwand hineinschiebt – „Die Geschichte“ also, die mit uns all die schrecklichen Dinge tut, die uns im Lauf der Zeit eben so zustoßen.

Diese „Geschichte“ erhebt eigentlich tagtäglich und tausendfach ihr Haupt. Zumeist fällt es gar nicht auf, weil es so häufig geschieht. Zum Beispiel in einem Interview, das Slavoj Žižek der Süddeutschen Zeitung vor einiger Zeit gegeben hat. Dort plumpst sie immer wieder mit deutlich zu vernehmendem Gepolter zwischen die Sätze. Žižek meint zum Beispiel: „Wenn ich mir anschaue, wohin die Geschichte gerade steuert, bin ich einfach ein bisschen besorgt.“ Abgesehen davon, dass man fast immer Grund hat, auch ein bisschen mehr als nur ein bisschen besorgt zu sein, muss man sich schon fragen, wer oder was denn da am Steuerruder sitzt, um „Die Geschichte“ zu lenken. Oder wenn er behauptet, „die Geschichte ist nicht unbegreiflich. Unbegreiflich ist nur, welche Rolle wir selber darin spielen.“ Dann ist es diese so alltäglich verwendete, aber doch mehr als seltsame Raummetapher, dass „wir“ eine Rolle „in“ der Geschichte spielen, die eigentlich verwundern muss. Es ist immer noch das große geschichtsphilosophische Welttheater, das hier aufgeführt wird, in dem wir zwar die Schauspieler sind, in dem aber ein anderer den Text und die Regieanweisungen verfasst hat. Nur wer? Žižeks Antwort: „Auch wenn kein großer Anderer unser Leben kontrolliert – kein Gott, kein Schicksal und keine Kapitalisten –, dann heißt das noch lange nicht, dass wir es deshalb selbst kontrollieren.“ Schließlich haben wir noch „Die Geschichte“, die als Gottersatz herhalten kann und in die sich all das Unerklärliche, Undurchschaubare und Verstörende der eigenen Gegenwart abschieben lässt. Probleme können auf diese Weise temporalisiert werden. Man ist ihnen immer noch ausgeliefert, weiß aber, dass sie im „historischen Prozess“ einen Ort haben, der zwar nichts erklärt, einem aber der Verantwortung abnimmt. Man muss dann nur noch die Zeit abwarten, um verstehen zu können, was man zuvor (noch) nicht begriffen hat. (Es sei denn, man verfügt über einen großen Geschichtsdurchschauer – das wäre Žižeks stalinistische Variante –, dann hätte man dank einer solchen Ausnahmegestalt auch den historischen Prozess mit seinen Konsequenzen zumindest kurzzeitig im Griff.)

Natürlich lugt hier Hegel überall durch die argumentativen Kulissen. Er ist für Žižek der mehrfach zitierte Souffleur, der die geschichtsphilosophischen Stichworte vorgibt. All das kennt man schon, wenn man den einen oder anderen Text von Žižek gelesen hat, nicht nur das Hegelianische, sondern vor allem das Großspurige, Provozierende, mit groben Pinseln Kleisternde, auf Differenzierungen möglichst wenig Rücksicht Nehmende (auch wenn er es schafft, diese Nuancierungen doch immer wieder auf unnachahmliche Art durchscheinen zu lassen). Und gerade deswegen lese ich Žižeks Texte mit Vergnügen und Gewinn, weil sie irritierend und erfrischend sind. Ich bin mir aber nie ganz sicher, ob Žižek deswegen so viel gelesen und zitiert wird, weil er wirklich gute Ideen hat oder weil er als irritierender Provokateur gute philosophische Unterhaltung darstellt. Wird er irgendwann als clownesker Philosoph oder als philosophierender Clown in Erinnerung bleiben?

Eine geschichtsphilosophische Hängematte

Bei einer Sache bin ich mir allerdings sicher: Als innovativer Erneuer der Geschichtsphilosophie taugt er kaum. An diesem Žižek-Interview interessiert mich auch offen gestanden nicht die geschichtsphilosophische Komponente. Es ist vielmehr ein sprechendes Indiz für eine weit verbreitete Auffassung von „Der Geschichte“, die aus der einstigen Geschichtsphilosophie längst ihren Weg in den Alltag gefunden hat – oder war es umgekehrt? Gerade deswegen erscheint Žižeks Auffassung von Geschichte zunächst so selbstverständlich und völlig unproblematisch, weil sie so alltäglich ist. Natürlich hat das nicht erst Hegel erfunden, da war der liebe Gott dann doch ein bisschen schneller. Die heilsgeschichtliche Basis dieses aufgeblähten Geschichtsmonstrums ist nicht zu übersehen. Und ich bin mir fast sicher, dass auch Žižek nur der vorletzte Vertreter Hegelscher Geschichtsphilosophie sein wird. Denn immer wenn man denkt, es gäbe keine Hegelinaer mehr, kommt von irgendwo ein neuer her.

Das ist es, was mich ernsthaft zur Verzweiflung bringen kann, dass wir Heilsgeschichte und Hegels „Geschichte“ einfach nicht loswerden, dass wir es uns in dieser geschichtsphilosophischen Hängematte bequem gemacht haben, um uns aus der historischen Verantwortung stehlen zu können. Damit will ich noch nicht einmal die aufklärerische Perspektive angesprochen haben, dass der Mensch für sein historisches Handeln selbst verantwortlich sei. Denn unter einem solchen Blickwinkel kommt immer noch das Drama mit dem Titel „Die Geschichte“ zur Aufführung – nur der Regisseur hat gewechselt. Nein, es geht nicht nur darum, dass wir „Die Geschichte“ selbst machen, sondern dass wir aus diesem Gemachten wiederum eine Erzählung formen, der wir den Namen „Die Geschichte“ geben. Und diese Erzählung macht sich irgendwann selbstständig, tritt ihren Schöpfern entgegen, die ob dieses hochkomplexen Wunderwerks in basses Erstaunen verfallen und sich (wie Žižek) fragen: Wohin soll das alles noch führen? Aber vergessen wir nicht: Dieses Star-Wars-Superraumschiff, auf dem in riesigen Lettern „Die Geschichte“ steht und das sich mit dumpfem Grollen wie eine gigantomanische Gewitterwolke in die Leinwand unsers Lebens hineinzuschieben scheint, ist nicht nur das Ergebnis menschlicher (und nicht extraterrestrischer) Anstrengungen – es ist vor allem Bestandteil eines Films.

[Slavoj Žižek/Jan Füchtjohann: „Dies ist eine gute Zeit für Philosophen“, in: Süddeutsche Zeitung, 6. März 2013, S. 12


Einsortiert unter:Geschichtstheorie Tagged: Geschichtsphilosophie, Hegelianismus, Slavoj Žižek

Quelle: https://achimlandwehr.wordpress.com/2013/05/19/07-zizek-und-die-geschichte-mit-bestimmtem-artikel/

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Die drei Ordnungen. Das Weltbild der Digital Humanities #dhiha5

Aus dem Französischen übersetzt von Laura Roos, Anne Baillot und Mareike König (Originalfassung).

Wer sind nun die Digital Humanists? Ohne Zweifel eine komplexe und in Entwicklung befindliche Gemeinschaft, wie es fraglos die Panels des Kolloquiums DHIHA5 und unter ihnen besonders jene zur Ausbildung, zu den Formen digitaler Kultur und zu den Karrieremöglichkeiten vor Augen führen werden. Die kulturelle Vielfalt in den Digital Humanities, die ihren Ausdruck vor allem in der Mehrsprachigkeit findet, ist  im Übrigen  in Frankreich und Italien ein Thema von aktueller Bedeutung.

Doch auch über die Sprachen hinaus scheint es mir noch andere Möglichkeiten zu geben, die Bruchlinien innerhalb der Gemeinschaft derer, die sich zu den Digital Humanities bekennen, zu deuten. Vor langer Zeit wurde mir bewusst, dass die Digital Humanists in der Gemeinschaft, in der ich mich bewege, ein anderes Profil haben, als diejenigen, denen ich in anderen Bereichen begegnet bin, unabhängig von ihrem sprachlichen und kulturellen Hintergrund. Zum besseren Verständnis dieser Unterschiede verzeihen mir die Mediävisten (die meines Wissens hier zahlreich sind und denen ich selbst angehöre) hoffentlich den schelmischen Rückgriff auf ein berühmtes Werk von Georges Duby.

Oratores, bellatores, laboratores: jene, die beten, jene, die kämpfen, jene, die arbeiten. So könnte man in aller Kürze die drei von G. Duby unterschiedenen Stände zusammenfassen, die, wie es scheint, auch einen Schlüssel für das Verständnis der Gemeinschaft in den Digital Humanities darstellen könnten.

Jene, die arbeiten, übernehmen in der Dreiteilung von G. Dumézil die Produktion. In den Digital Humanities übernehmen diese Funktion diejenigen, die  sich praktischen Aspekten und konkreten Umsetzungen widmen. Manchmal handelt es sich um Informatiker, die sich den Geisteswissenschaften geöffnet haben. Oft sind es passionierte Geisteswissenschaftler, die sich die Mühe machten, den Umgang mit den neuen Werkzeugen und Konzepten zu erlernen.

Es ist dies, befürchte ich, der Bereich, der für die Digital Humanities der unerlässlichste ist und in Hinsicht auf Karrieremanagement und akademische Anerkennung gleichzeitig auch der fragilste. In der akademischen Welt erfahren solche konkreten Leistungen die geringste Wertschätzung (unter “konkret” verstehe ich nicht nur die reine Implementierungsarbeit, sondern auch Aspekte wie Modellierung, Design, Ergonomie…). Zudem ergibt sich ein Teufelskreis: Beginnt ein junger Geisteswissenschaftler, sich in die Erstellung von DH-Ressourcen einzubringen und Kompetenzen in dieser Domäne zu entwickeln, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man vor allen anderen diese Fähigkeiten in Anspruch nimmt (da sie seltener sind) und den jungen Menschen schleichend in einen Karriereweg drängt, den man mit bewundernswertem Optimismus “alternative academy” nennt: Techniker (ingénieur de recherche), digitale Bibliothekare etc.

Jene, die kämpfen, nehmen sich der Verteidigung der Digital Humanities an, auf politischer und intellektueller Ebene. Oft kämpfen sie dafür, den Digital Humanities den Status einer eigenständigen Disziplin zu geben. Haben die DH diesen Status verdient? Aus persönlicher Sicht und auf einer rein intellektuellen Ebene zweifle ich stark daran. Aber es sind nicht nur intellektuelle Debatten hier im Spiel, denn: Nur die Anerkennung der Digital Humanities als akademische Disziplin kann jenen, die arbeiten den Weg zu einer tatsächlich akademischen Karriere öffnen. Der Kampf hat meines Erachtens mehr mit den sozialen Umständen zu tun als mit einer Wesensbestimmung. Ich bin im Grunde überzeugt, dass die neuen Methoden und Technologien sich dort, wo sie für die einzelnen Disziplinen nützlich sind, derzeit von selbst durchsetzen oder durchsetzen werden. Ich möchte glauben, dass durch eine Art “Darwinismus”, das, was einen Vorteil besitzt, natürlich in der Evolution sowohl der Lebewesen als auch der Forschungspraktiken ausgewählt wird.

Jene, die beten, formen die letzte Kategorie, die größtenteils diejenigen versammelt, die ich als “nicht praktizierende Gläubige” bezeichnen würde. Enthusiastisch und vom Phänomen der Digital Humanities angetan, sind sie jedoch in die konkrete Umsetzung selbst nicht einbezogen. Paradoxerweise habe ich den Eindruck, dass diese Position einer akademischen Laufbahn unter Umständen erheblich dienlicher ist als jene des laborator. Der Diskurs über die Digital Humanities kann sich für die Karriere als wertvoller erweisen als ihre praktische Umsetzung.

Diese Kategorien sind glücklicherweise nicht undurchlässig. Vor allem jene, die kämpfen entstammen häufig den beiden anderen Ständen. Am wenigsten intensiv scheint der Austausch zwischen jenen, die arbeiten und jenen, die beten, zu sein. Es ist, als würden diese beiden Kategorien immer weiter auseinander driften, was mir äußerst bedauerlich erscheint. Könnte es sein, dass in den kommenden Jahren – wenn nicht die Abschaffung –  so doch die Vermeidung der weiteren Ausprägung einer Ständegesellschaft die zentrale Herausforderung für unsere Gemeinschaft ist?

______________

Literatur

Georges Duby, Les trois ordres ou L’imaginaire du féodalisme, Paris, Gallimard, 1978. (deutsch: Die drei Ordnungen. Das Weltbild des Feudalismus, Frankfurt a.M. 1986.)

Georges Dumézil, Mythe et Épopée (I – L’Idéologie des trois fonctions dans les épopées des peuples indo-européens, 1968; II – Types épiques indo-européens : un héros, un sorcier, un roi, 1971; III – Histoires romaines, 1973), Paris, Gallimard, rééd. 1995. (deutsch: Mythos und Epos; 1. Die Ideologie der 3 Funktionen in den Epen der indoeuropäischen Völker, Frankfurt/Main [u.a.] 1989.)

Quelle: http://dhdhi.hypotheses.org/1666

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Die drei Ordnungen. Das Weltbild der Digital Humanities #dhiha5

Aus dem Französischen übersetzt von Laura Roos, Anne Baillot und Mareike König (Originalfassung).

Wer sind nun die Digital Humanists? Ohne Zweifel eine komplexe und in Entwicklung befindliche Gemeinschaft, wie es fraglos die Panels des Kolloquiums DHIHA5 und unter ihnen besonders jene zur Ausbildung, zu den Formen digitaler Kultur und zu den Karrieremöglichkeiten vor Augen führen werden. Die kulturelle Vielfalt in den Digital Humanities, die ihren Ausdruck vor allem in der Mehrsprachigkeit findet, ist  im Übrigen  in Frankreich und Italien ein Thema von aktueller Bedeutung.

Doch auch über die Sprachen hinaus scheint es mir noch andere Möglichkeiten zu geben, die Bruchlinien innerhalb der Gemeinschaft derer, die sich zu den Digital Humanities bekennen, zu deuten. Vor langer Zeit wurde mir bewusst, dass die Digital Humanists in der Gemeinschaft, in der ich mich bewege, ein anderes Profil haben, als diejenigen, denen ich in anderen Bereichen begegnet bin, unabhängig von ihrem sprachlichen und kulturellen Hintergrund. Zum besseren Verständnis dieser Unterschiede verzeihen mir die Mediävisten (die meines Wissens hier zahlreich sind und denen ich selbst angehöre) hoffentlich den schelmischen Rückgriff auf ein berühmtes Werk von Georges Duby.

Oratores, bellatores, laboratores: jene, die beten, jene, die kämpfen, jene, die arbeiten. So könnte man in aller Kürze die drei von G. Duby unterschiedenen Stände zusammenfassen, die, wie es scheint, auch einen Schlüssel für das Verständnis der Gemeinschaft in den Digital Humanities darstellen könnten.

Jene, die arbeiten, übernehmen in der Dreiteilung von G. Dumézil die Produktion. In den Digital Humanities übernehmen diese Funktion diejenigen, die  sich praktischen Aspekten und konkreten Umsetzungen widmen. Manchmal handelt es sich um Informatiker, die sich den Geisteswissenschaften geöffnet haben. Oft sind es passionierte Geisteswissenschaftler, die sich die Mühe machten, den Umgang mit den neuen Werkzeugen und Konzepten zu erlernen.

Es ist dies, befürchte ich, der Bereich, der für die Digital Humanities der unerlässlichste ist und in Hinsicht auf Karrieremanagement und akademische Anerkennung gleichzeitig auch der fragilste. In der akademischen Welt erfahren solche konkreten Leistungen die geringste Wertschätzung (unter “konkret” verstehe ich nicht nur die reine Implementierungsarbeit, sondern auch Aspekte wie Modellierung, Design, Ergonomie…). Zudem ergibt sich ein Teufelskreis: Beginnt ein junger Geisteswissenschaftler, sich in die Erstellung von DH-Ressourcen einzubringen und Kompetenzen in dieser Domäne zu entwickeln, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man vor allen anderen diese Fähigkeiten in Anspruch nimmt (da sie seltener sind) und den jungen Menschen schleichend in einen Karriereweg drängt, den man mit bewundernswertem Optimismus “alternative academy” nennt: Techniker (ingénieur de recherche), digitale Bibliothekare etc.

Jene, die kämpfen, nehmen sich der Verteidigung der Digital Humanities an, auf politischer und intellektueller Ebene. Oft kämpfen sie dafür, den Digital Humanities den Status einer eigenständigen Disziplin zu geben. Haben die DH diesen Status verdient? Aus persönlicher Sicht und auf einer rein intellektuellen Ebene zweifle ich stark daran. Aber es sind nicht nur intellektuelle Debatten hier im Spiel, denn: Nur die Anerkennung der Digital Humanities als akademische Disziplin kann jenen, die arbeiten den Weg zu einer tatsächlich akademischen Karriere öffnen. Der Kampf hat meines Erachtens mehr mit den sozialen Umständen zu tun als mit einer Wesensbestimmung. Ich bin im Grunde überzeugt, dass die neuen Methoden und Technologien sich dort, wo sie für die einzelnen Disziplinen nützlich sind, derzeit von selbst durchsetzen oder durchsetzen werden. Ich möchte glauben, dass durch eine Art “Darwinismus”, das, was einen Vorteil besitzt, natürlich in der Evolution sowohl der Lebewesen als auch der Forschungspraktiken ausgewählt wird.

Jene, die beten, formen die letzte Kategorie, die größtenteils diejenigen versammelt, die ich als “nicht praktizierende Gläubige” bezeichnen würde. Enthusiastisch und vom Phänomen der Digital Humanities angetan, sind sie jedoch in die konkrete Umsetzung selbst nicht einbezogen. Paradoxerweise habe ich den Eindruck, dass diese Position einer akademischen Laufbahn unter Umständen erheblich dienlicher ist als jene des laborator. Der Diskurs über die Digital Humanities kann sich für die Karriere als wertvoller erweisen als ihre praktische Umsetzung.

Diese Kategorien sind glücklicherweise nicht undurchlässig. Vor allem jene, die kämpfen entstammen häufig den beiden anderen Ständen. Am wenigsten intensiv scheint der Austausch zwischen jenen, die arbeiten und jenen, die beten, zu sein. Es ist, als würden diese beiden Kategorien immer weiter auseinander driften, was mir äußerst bedauerlich erscheint. Könnte es sein, dass in den kommenden Jahren – wenn nicht die Abschaffung –  so doch die Vermeidung der weiteren Ausprägung einer Ständegesellschaft die zentrale Herausforderung für unsere Gemeinschaft ist?

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Literatur

Georges Duby, Les trois ordres ou L’imaginaire du féodalisme, Paris, Gallimard, 1978. (deutsch: Die drei Ordnungen. Das Weltbild des Feudalismus, Frankfurt a.M. 1986.)

Georges Dumézil, Mythe et Épopée (I – L’Idéologie des trois fonctions dans les épopées des peuples indo-européens, 1968; II – Types épiques indo-européens : un héros, un sorcier, un roi, 1971; III – Histoires romaines, 1973), Paris, Gallimard, rééd. 1995. (deutsch: Mythos und Epos; 1. Die Ideologie der 3 Funktionen in den Epen der indoeuropäischen Völker, Frankfurt/Main [u.a.] 1989.)

Quelle: http://dhdhi.hypotheses.org/1666

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