Quelle: http://faz-community.faz.net/blogs/antike/archive/2012/07/23/heute-einmal-tapas.aspx
Roman Herzog: Der ökonomische Putsch
"Der ökonomische Putsch oder: Was hinter den Finanzkrisen steckt". Gezielte Spekulationsattacken auf ganze Volkswirtschaften, unantastbare Finanzagenturen, die Regierungen in die Knie zwingen, und ohnmächtige Politiker, die gebetsmühlenartig wiederholen, es gäbe keine Alternative: Europa befindet sich im Wirtschaftskrieg. Feature von Roman Herzog (SWR/SR/DLF 2012)
"Wir haben seit einigen Jahren das Schlagwort Postdemokratie, die Steuerung des politischen Systems durch den Finanzmarkt und damit die die faktische Abschaffung von Demokratie", meint der Münchner Juraprofessor und Experte für Wirtschaftskriminalität Bernd Schünemann. "Und man sieht auch schon, wie sozusagen die Regierungen von den Finanzakteuren vor sich hergetrieben werden. Und immer wieder treffen wir die Parole, die ich inzwischen fast nicht mehr hören mag, 'das ist alternativlos', und damit peitscht man es durch. Und offenbar begreift in unseren Herrschaftskonglomeraten in Deutschland und Europa niemand, dass das an die Fundamente unserer parlamentarischen Demokratie rührt, so wie wir sie aus dem totalen Zusammenbruch und Untergang in den 50er Jahren aufgebaut haben."
Keine Krise der Demokratie also, sondern die Abschaffung der Demokratie, das ist das erste Zwischenergebnis der Finanzkrise 2011/2012, dem zweiten Kapitel der Schuldenkrise der Banken, die 2007 begann. Die Macht übernommen haben Akteure aus der Finanzwelt, die an dieser wie an vorhergehenden Krisen Milliarden verdienen. Sie nutzen die Krisen, um den neoliberalen Umbau unserer Gesellschaften zu forcieren und lassen den Bevölkerungen über die Politiker verkünden, sie müssten sparen, da gäbe es keine Alternative. Denn sie müssen immer wieder gerettet werden mit Milliardensummen, die Banken - heute dieselben wie vor vier Jahren.
Michel Foucault sah den Wandel voraus
Paris 1979: Der Philosoph Michel Foucault hält seine Vorlesung "Die Geburt der Biopolitik", eine Geschichte der Kunst des Regierens. Foucault merkt, dass ein grundlegender Wandel in der Welt vor sich geht, eine Machtergreifung, der viele erst dreißig Jahre später gewahr werden.
Michel Foucault, Philosoph
"Die Freiheit des Marktes macht eine aktive und äußerst wachsame Politik notwendig. Und ich glaube, wir können in diesem permanenten Eingreifen des Staates das Spezifische des Neoliberalismus erkennen."
Die frei entfesselte, keinen Regeln obliegende Wirtschaft, die Politik und Gesellschaft nach ihren Vorstellungen formt, das ist die neoliberale Machtergreifung, von der Foucault sprach. Er zeigte, dass der Neoliberalismus ein Herrschaftsmodell ist, das alle Institutionen der Politik und Gesellschaft umformt. Denn der Neoliberalismus ist ein Spiel zwischen Ungleichheiten, bei dem wenige gewinnen und die meisten verlieren.
Sozialabbau in ganz Europa
Durch die neoliberale Machtergreifung seit den 80er Jahren gehorchen heute fast alle Lebensbereiche den Regeln des freien Wettbewerbs und jeder ist in diesem Spiel seines eigenen Glückes Schmied, trägt privat die Risiken. Wappnet er sich nicht genügend gegen die Unwägbarkeiten des Lebens, ist er selbst schuld an seinem Untergang.
Der Neoliberalismus, den Foucault so früh als grundlegend weltverändernd erkannte, hat ab den 80er Jahren in fast allen Ländern der Welt seinen Siegeszug angetreten. Ronald Reagan in den USA, Margaret Thatcher in Großbritannien und Helmut Kohl in der Bundesrepublik haben mit ihrer antisozialen Politik nachhaltig die Gesellschaften verändert und Hunger und Armut verursacht, nicht nur in der Dritten Welt.
Ihre sozialdemokratischen Nachfolger Tony Blair und Gerhard Schröder haben das Modell weiter vertieft und insbesondere den Finanzmarkt dereguliert. Den nutzen die neoliberalen Akteure heute, um ihre Politik durchzusetzen, ein Markt, auf dem Tausende erfundener Produkte gehandelt werden, swpas, futures und allerlei Derivate, die kaum noch mit der Realwirtschaft zu tun haben.
"Kriminelles" System
Edzard Reuter, Finanzchef bei Daimler-Benz von 1987 bis 1995
Als Reuter Finanzchef war, musste Geld noch "mündelsicher" angelegt werden. Heute sind die "mündelsicheren Papiere" nicht mehr gefragt.
"Im Spielcasino spielt man mit seinem eigenen Geld, und, wenn Sie Dostojewski lesen, am Ende erschießt man sich, wenn man's verspekuliert hat", sagt Bernd Schünemann, Münchner Professor für Wirtschaftsstrafrecht. "Heutzutage spielt man mit fremdem Geld. Die kurzfristigen Gewinne streicht man zu einem großen Teil ein - gucken Sie die Boni, die bei Goldmann Sachs usw. gezahlt werden - und wenn man verliert, haben die anderen Pech gehabt, dann springt die öffentliche Hand ein. (...) Das System ist kriminell. Und man muss dann natürlich fragen, inwieweit die Akteure das durchschaut haben."
Bernd Schünemann, Professor für Wirtschaftsstrafrecht
Bernd Schünemann verfolgt die Finanzkrisen seit vielen Jahrzehnten. Für ihn ist das Gebaren der Banker und Spekulanten ein typisches Zeichen organisierter Kriminalität.
Verschärfung des neoliberalen Modells
Die weltweit vernetzten Finanzakteure bestimmen mittlerweile so direkt die Politik, dass sie der Allgemeinheit die enormen Kosten ihrer Risiken und Skrupellosigkeit aufbürden können, unvorstellbare Milliardensummen. Nach der Bankenrettung ist vor der Bankenrettung, und vor allem, so zeigt die permanent gewordene Krise in Europa, kein Anlass zum Umdenken, sondern zur Verschärfung des neoliberalen Modells: Privatisierungen, Entlassungen, Sozialabbau, so die Rezepte für Spanien, Griechenland oder Italien. Per Verfassungsänderungen versuchen die Regierungen dabei das neoliberale Umverteilungsmodell festzuschreiben.
"Die Politik sagt, wir haben keine Alternative dazu, wir müssen die Banken retten", sagt Bernd Schünemann. "Nun gibt es natürlich immer Alternativen. Also, wenn ein Politiker sagt, es gibt keine Alternativen, werde ich immer gleich misstrauisch, denn jede Erfahrung lehrt, dass es in allen Bereichen Alternativen gibt. Also wird dann womöglich eine Parole ausgegeben, mit der man versucht, die Diskussion und die Analyse von vornherein zu ersticken und zu blockieren. (...) Das Strafrecht hat natürlich das Problem, dass der Brunnen erst untersucht wird, wenn das Kind bereits darin ertrunken ist. Also, (lacht) wir brauchen bildlich gesprochen immer Leichen, um anschließend nachzuforschen, wer ist dafür verantwortlich. (...) Man muss zunächst objektive Verdachtsmomente haben. Aber wenn Hunderte von Milliarden weg sind, das ist so ähnlich, als wenn man zehntausend Leichen findet, dann wird doch wohl ein Staatsanwalt mal untersuchen dürfen, wer sie buchstäblich auf dem Gewissen hat."
Ein Déjà-vu in der Kunsthalle Karlsruhe
Ich hatte gestern in der Karlsruher Kunsthalle ein Déjà-vu-Erlebnis, als ich die gleichnamige Ausstellung besuchte. Ich sah zwei Bilder der Kreuznagelung Christi, die beide sehr ähnlich zueinander waren. Eines davon hatte ich schon einmal gesehen, da war ich mir sicher. Dann fiel der Groschen: Ich hatte eines beim ARTigo-Spielen getaggt. Ein Blick auf die Informationen zum Bild zeigte, dass es das Bild des Meisters der Karlsruher Passion (1450/55) gewesen sein musste, weil sich dieses in der Kunsthalle Karlsruhe befindet und Bilder von dort im Datenbestand von ARTigo vorhanden sind.
Jetzt hing es im Original vor mir! Das hat mich sehr gefreut und ich habe mit den zwei Bildern, dem des Karlsruher Meisters und dem des Straßburger Meisters (1490/1500), etwas Zeit verbracht. Das menschliche Bildgedächtnis ist zwar sehr gut, aber ich hatte es bereits vor ein paar Monaten getaggt und aufgrund der kleinen Unterschiede konnte ich nicht ausmachen, welches von beiden ich kannte. Erinnert habe ich mich an die Komposition, wie die diagonal im Bild liegende Christusfigur, die vielen Menschen darum herum, die martialischen Waffen im Hintergrund sowie die kräftige Farbgebung.
Beim Bild des Straßburger Meisters hingegen ist die Figur des Mannes unten rechts im Bild nicht so wohlproportioniert dargestellt und der Spaten, auf den er sich stützt, wird von einer weiteren Figur verdeckt. Auch zählt dieses Bild ein paar Soldaten im Hintergrund weniger und auf Pflanzenmotive am Horizont wurde ebenfalls verzichtet. Außerdem weicht der Gesichtsausdruck der abgebildeten Personen von denen des anderen Bildes ab.
Zum Vergleich hätte ich neben das Bild des Karlsruher Meisters (s.o.), das man über Google oder ARTigo finden kann, gerne das Bild des Straßburger Meisters gestellt, um die Unterschiede noch einmal nachvollziehen zu können. Das Bild des Straßburger Meisters befindet sich im Hessischen Landesmuseum Darmstadt und ich habe es weder über Google noch über Prometheus gefunden, was sehr schade ist. Deshalb ist die Beschäftigung mit dem Vergleich für mich an dieser Stelle zwangsläufig definitiv zu Ende.
Was ich wiederum schade finde, denn ich könnte mir eine anregende Diskussion über die Déjà-vu-Ausstellung sehr gut vorstellen und habe auf der Homepage der Kunsthalle Karlsruhe danach gesucht. Vergebens. Dabei gibt das Thema dieser gelungenen Ausstellung dazu genug her. Solch eine Diskussion – vielleicht in Form eines Blogs – könnte die Besucher neugierig machen. Vielleicht kommen dann mehr? Anmerkungen der Besucher könnten hier gesammelt und ausgewertet werden. Wer weiß, welche Möglichkeiten darin noch liegen? So was muss man ausprobieren. Mein persönlicher Eindruck ist, trotz eigener Unkenntnis und einer nur vagen Ahnung der angesprochenen Möglichkeiten: Die Begleitung einer Ausstellung mit digitalen interaktiven Mitteln bietet neue Chancen der Kommunikation (und Forschung?), und zwar für Fachleute und für Laien. Es heißt, diese Chancen zunächst zu finden und dann zu nutzen, damit die Institution Museum auch morgen noch Bestand hat.
Quelle: http://games.hypotheses.org/345
Matthew Hannah zum Volkszählungsboykott in der BRD
Hannah, Matthew: Dark Territory in the Information Age: Learning from the West German Census Controversies of the 1980s. Surrey: Ashgate, 2010.
Besonders aufschlussreich ist Frohmans Rekapitulation von Hannahs Schlusskapitel, das u.a. den "harten Boykott" der VolkszählungsgegnerInnen behandelt und in diesem Lehrreiches für einen Umgang mit heutigen, zumeist privaten DatensammlerInnen findet:
The final chapter recounts the ultimately successful efforts of state officials to take back their territory by deploying all of the weapons at their disposal to repress a boycott that they regarded as an essentially criminal, unconstitutional enterprise (p. 157). Here, Hannah focuses on the Berlin variant of the hard boycott strategy, that is, the strategy by which protesters were to accept the census forms from the enumerators, clip off the identifying code, and return the anonymized forms to central collection points, where a constantly growing running total would, the protesters believed, encourage those who opposed the census, but who feared the consequences, to join in in ever greater numbers until the entire census collapsed. On the one hand, Hannah agrees with those contemporary critics who argued that this strategy ultimately made it easier for officials to identify and pick off isolated protesters. On the other hand, however, Hannah arguesand in so doing he moves in the conclusion from a historical account of the boycotts to political theorizing about what we can learn from themthat such a strategy may well offer a model for contesting the collection and use of personal information in the age of the Internet. Hannah argues with a certain degree of plausibility that the central collection agency, by interposing itself as an anonymizing institution between the citizen and the information bureaucracy, represented an archetype of those companies that allow people to browse the Internet and send e-mail anonymously. He then goes on to suggest that such agencies might evolve into the institutional basis for the collection of personal information, for the active, participatory representation of these alternative forms of social knowledge, and, ultimately, for new forms of informational citizenship.
Hannah (Aberystwyth University) verwendet auch anscheinend recht spannende Stasi-Akten zum Thema; die vom BND dürfte es ja wohl für einige Zeit für die Forschung noch nicht geben, wenn sie überhaupt erhalten bleiben und nicht geschreddert werden ;-)
Was Frohmann leider nicht thematisiert, ist die absurde Preisgestaltung des 276-seitigen Buchs, das nur in einer Papierversion erhältlich ist: Knapp 125 Dollar für die von ihm besprochene Fassung, bei Amazon.de ist es immer noch um etwas mehr als 80 Euro zu haben, auf der Verlagshomepage um 58,50 Pfund; für eine weite Verbreitung ist dies nicht gerade förderlich.
Codex Austriacus online
Bd.1 (1704)
http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/codexaustriacus1704bd1
Bd.2 (1704)
http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/codexaustriacus1704bd2
Bd.3 1704-1720
http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10487835_00007.html
http://books.google.at/books?id=hANGAAAAcAAJ
Bd.4 1721-1740
http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10487836_00007.html
http://books.google.at/books?id=BQJGAAAAcAAJ
Bd.5 1740-1758
http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10487837_00007.html
http://books.google.at/books?id=5fRFAAAAcAAJ
Bd.6 1759-1770
http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10487838_00007.html
http://books.google.at/books?id=QvVFAAAAcAAJ
Nun, da schauen wir uns doch gleich mal das Volkszählungs- und Hausnummerierungspatent vom 10.3.1770 an:
Und die das Fragamt betreffende Passage im Versatzamtspatent vom 14.3.1707 möchte ich auch niemanden vorenthalten:
Für sonstige habsburgische Gesetze ist ja Alex zuständig, und wer näheres zu all diesen wissen will, der oder die konsultiere:
Pauser, Josef: Landesfürstliche Gesetzgebung (Policey-, Malefiz und Landesordnungen), in: Ders./Scheutz, Martin/Winkelbauer, Thomas (Hg.): Quellenkunde der Habsburgermonarchie (16.18. Jahrhundert). Ein exemplarisches Handbuch (=Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung; Ergänzungsband 44). Wien/München: Oldenbourg, 2004, S. 216256, http://homepage.univie.ac.at/josef.pauser/php/downloads/pauserquellenkunde.pdf
ViFa Geschichte Nr. 07 (2012): Zeitgeschichte-online. Themenportal für die Zeitgeschichte im Internet
Robben Island, Prisoner Number 466/64
[via Perlentaucher]
FAZ zur "Roten Kapelle"
Die Geschichte des "Supreme Court of the United States", Teil 1/3
Wappen des Supreme Court of the United States |
Bevor die eigentliche Geschichte besprochen werden soll, einige Worte zur Funktionsweise des Supreme Court. Aktuell besteht er aus neun Richtern, darunter ein Vorsitzender. Entscheidungen werden mit einfacher Mehrheit gefällt. Die Richter werden vom Präsidenten ernannt (und vom Senat bestätigt) und dienen auf Lebenszeit oder bis sie zurücktreten (theoretisch können sie wie Präsidenten in einem ordentlichen Verfahren ihres Amtes enthoben werden, aber das passierte bisher nicht). Ein geflügeltes Wort besagt daher, dass die Ernennung von Richtern an den Supreme Court die dauerhafteste Maßnahme darstellt, die ein Präsident durchführen kann. Die Richter bleiben für gewöhnlich eine lange Zeit im Amt. Gegen Entscheidungen des Supreme Court kann keine Berufung eingelegt werden. Oftmals wirken ihre Entscheidungen über Jahrzehnte nach und stellen Präzedenzfälle dar, anhand derer sich die nachgeordneten Gerichte orientieren.
John Marshall, 1831 |
William Marbury |
Der Sitz des Kongresses, das Kapitol, 1841 |
Roger B. Taney |
Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2012/07/die-geschichte-des-supreme-court-of.html