“Geistermauern”: Architektur – Redewendung – Weltbild

Die in der traditionellen chinesischen Architektur unmittelbar hinter dem Eingangstor eines Anwesens platzierte kurze Mauer wird im Deutschen “Schattenmauer” (eine wörtliche Übersetzung des dafür gängigen Begriffs yingbi 影壁) oder auch “Geistermauer” genannt.[1]. Befindet sich eine solche Mauer vor dem Eingangstor eines traditionellen chinesischen Gebäudes, wird sie  zhaobi 照壁 (“Spiegelmauer”) oder zhaoqiang 照墻 (“Spiegelwand”) genannt – diese Wände konnten auch aus Holz gefertigt sein.

yingbi 影壁

Eine “Geistermauer” auf dem Gelände des “Neuen Sommerpalastes” (Yiheyuan 頤和園), Beijing – Foto: Georg Lehner 

Der Zweck einer solchen Wand liegt auf der Hand:

“Sie verhindert, daß böse Geister ins Haus eindringen, weil Geister nur schnurgeradeaus gehen und nicht den Bogen um die Schattenmauer machen können.”[2]

Wohl auf diesen Aspekt spielt auch die chinesische Redewendung zhuan yingbi 轉影壁 (“sich um die Geistermauer herumdrehen”) an, was nichts anderes bedeutet als “wie die Katze um den heißen Brei herum gehen”, also “es zu vermeiden, die Wahrheit zu sagen”[3]

Was mit den “bösen Geistern” gemeint ist, erläuterte bereits der Architekt Ernst Boerschmann (1873-1949) im ersten Band seines Werkes Die Baukunst und religiöse Kultur der Chinesen:

“[...] gewissermaßen die negative Bestimmung jener Geistermauer, nämlich der Abschluß gegen fremde Einflüsse, daher der Name Yin pi, Schattenmauer. Das Volk, das alle feinen Gedanken vergröbert und versinnlicht, bezeichnet diese Einflüsse als böse Geister, und im Hinblick darauf haben wir fremden bisher ein Recht gehabt, von einer Geistermauer zu reden, die den bösen Geistern verbietet, schnurstracks ins Innere zu gelangen.”[4]

Die “positive Seite” dieser Abschirmungswand strich Boerschmann jedoch ebenfalls hervor:

“ist die Offenbarung der Weltidee, wie man sie sich heimisch wünscht im Hause oder im Tempel. Die Mauer, die darum auch, wie wohl seltener Chao pi, Spiegelmauer, genannt ist, soll den Gedanken des Ewigen wiederspiegeln, konzentriert wie in den Zauberspiegel des Lao tsze, in dem man die Geheimnisse der Natur erkennt, wie in einem Brennpunkt. Deshalb sind auf dieser Mauer [...] als dem Spiegel, entsprechende Darstellungen angebracht, die jene Weltanschauung widerspiegeln sollen. Umgekehrt wird auch der Weltgedanke von diesem Spiegel wieder zurückstrahlen und in die Anlage, in die Herzen der Bewohner verstärkt eindringen. Es ist die gleiche Vorstellung, wie von dem Zauberspiegel unserer Märchen, in denen auch etwas aus dem Spiegel heraus ersehen wird, was nicht nur rückstrahlend ist.”[5]

  1. Weitere gängige Übersetzungen: Schutzmauer, Schutzwand (gegen böse Geister).
  2. Wolfram Eberhard: Lexikon chinesischer Symbole. Die Bildsprache der Chinesen (München, 5. Aufl., 1996) 250. Vgl. dazu auch Walter Böttger: Kultur im Alten China (Leipzig 1977) 116. sowie Hochschule Ludwigshafen am Rhein: Ostasienlexikon, Stichwort “Geistermauer”.
  3. Grand Dictionnaire Ricci, Bd. 2, S. 163 (Nr. 2599).
  4. Ernst Boerschmann: Die Baukunst und religiöse Kultur der Chinesen. Bd. 1: Pu t’o shan. Die heilige Insel der Kuan yin, der Göttin der Barmherzigkeit (Berlin 1911) 42.
  5. Ebd.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/1182

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Rückenkratzer und Zepter – und (doch kein) Kulturtransfer (II): Das ruyi-Zepter

Nach Bemerkungen zum Rückenkratzer[1] folgt nun Kulturgeschichtliches zum ruyi-Zepter.

Der Begriff ruyi 如意 bedeutet “nach Wunsch”.  Diese Bedeutung wurde im Buddhismus in der Bezeichnung mehrerer Objekte  verwendet: “Auch das Szepter, das der buddhistische Abt als Zeichen seiner Würde handhabt, wird ju i genannt, wohl als Symbol der alle Wünsche befriedigenden buddhistischen Lehre.”[2].

Wu Zetian 武則天, die einzige Frau, die in der Geschichte des kaiserlichen China auch formell die Herrschaft übernommen hatte (684-705), verwendete den Begriff ruyi 如意 auch als nianhao (Devise) für ein Jahr (692) ihrer Herrschaft.  Im Zusammenhang mit Wu Zetian und dem Begriff ruyi erwähnt Eberhard in seinem Lexikon chinesischer Symbole ein weiteres Detail:  “Der Liebhaber der berüchtigten Kaiserin Wu aus der T’ang-Dynastie wurde Ju-i chün [also ruyi jun 如意君] (‘Herr, dem alles nach Wunsch geht’) genannt, was sich zweifelsohne auf seine sexuellen Fähigkeiten bezog.”[3] Dieser “Stoff” rund um Xue Aocao 薛敖曹 und die Kaiserin erfuhr vermutlich im frühen 16. Jahrhundert in der “Geschichte vom Herrn, dem alles nach Wunsch geht” (Ruyi jun zhuan  如意君傳) seine literarische Verarbeitung.[4]

Das ruyi- oder Wunsch-Zepter  steht in keinerlei Zusammenhang mit herrscherlichen Insignien: es ist ein länglicher Gegenstand, meist aus Holz oder auch aus Bambus gefertigt, der Form nach gebogen und an einem Ende mit einem Kopf oder Knauf versehen.[5] Für luxuriösere Ausführungen griff man auf Materialien wie Jade, Elfenbein, Rhinozeroshorn[6], Koralle und Achat zurück, auch Gold, Silber, Porzellan und Kristall wurden dafür verwendet. Vom Kopf oder Knauf des ruyi sagt man bisweilen, dass er dem daoistischen Pilz der Unsterblichkeit (lingzhi 靈芝) nachempfunden wäre. [7] Daher wurden solche Stücke vor allem zur Zeit der Qing-Dynastie (1644-1911) bei Anlässen wie Geburtstagen oder Hochzeiten dem Kaiser präsentiert oder von diesem an ranghohe Beamte verschenkt.[8]

  1. Vgl. dazu übrigens auch Hochschule Ludwigshafen am Rhein/Ostasieninstitut Ostasienlexikon, Art. ‘Rückenkratzer’.
  2. Heinrich Hackmann: Erklärendes Wörterbuch zum chinesischen Buddhismus: chinesisch-Sanskrit-deutsch. Nach seinem handschriftlichen Nachlaß überarbeitet von Johannes Nobel. Herausgegeben von der Religionskundlichen Sammlung der Universität Marburg/Lahn, Lieferung 5 (Leiden: Brill, 1954) 288 (Art. “如意 Ju i.”).  Zum ruyi allgemein vgl. John Kieschnick: The Impact of Buddhism on Chinese Material Culture (Princeton 2003) 138-152 (‘The Ruyi Scepter’.
  3. Wolfram Eberhard: Lexikon chinesischer Symbole. Die Bildsprache der Chinesen (München, 5. Aufl. 1996) 311 (“Zepter”).
  4. Vgl. dazu Thomas Zimmer: Der chinesische Roman der ausgehenden Kaiserzeit. Bd. 2/1 (Geschichte der chinesischen Literatur, Bd. 2; München 2002) 415-417; Robert Hans von Gulik: Erotic Colour Prints of the Ming Period with an Essay on Chinese Sex Life from the Han to the Ch’ing Dynasty, B.C. 206 – A.D. 1644. Authorized reprint. With introductions by James Cahill, Wilt L. Idema and Sören Edgren. Vol. I (Leiden 2004) liii.
  5. Abbildungen eines Rotlack-ruyi: “Cinnabar lacquer ruyi sceptre” in Art World. Online resources for teaching and learning in World Art.
  6. Vgl. dazu auch Natasha Heller: “Why Has the Rhinoceros Come from the West? An Excursus into the Religious, Literary, and Environmental History of the Tang Dynasty.” Journal of the American Oriental Society 131,3 (2011) 358.
  7. Ronald G. Knapp, Michael Freeman: Things Chinese. Antiques – Crafts – Collectibles (Singapore 2011) 133. Weitere Beispiele für den reichen Symbolgehalt des Gegenstandes bietet Patricia Bjaaland Welch: Chinese Art. A Guide to Motifs and visual imagery (Singapore 2008) 259 (‘Scepter’).
  8. Vgl. dazu Lothar Ledderose (Hg.): Palastmuseum Peking. Schätze aus der Verbotenen Stadt (Frankfurt a. M. 1985) 133 (Kat.-Nr. 17) und ebd. Abb. 80).

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/1167

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Rückenkratzer und Zepter – und (doch kein) Kulturtransfer (I)

Lange Zeit ging man davon aus, dass sich das chinesische ruyi 如意-Zepter aus dem Rückenkratzer buddhistischer Mönche, die es aus Indien mitgebracht hätten, entwickelt hatte. Mittlerweile gibt es zahlreiche Belege, die auf eine zwar parallele aber doch unabhängige Entwicklung des Zepters in China hindeuten.[1]

Hinweise auf einen – nach neueren Belegen nun doch nicht stattgefundenen – Kulturtransfer – gab Wolfram Eberhard in seinem Lexikon chinesischer Symbole:

“In vielen Folkloresammlungen findet man einen Rückenkratzer. Er ist meist aus einem Bambusstock, an dem der eigentliche Kratzer, der wie eine Klaue oder Hand aussieht, befestigt ist. Dieses Instrument scheint aber noch eine andere Bedeutung gehabt zu haben, nämlich als ‘Diskussionsstab’ (t’an-chu): ein Stab, manchmal auch nur ein Kiefernzweig und nicht selten ein Zepter, den der Lehrer vor sich aufstellte; ein Schüler, der eine Diskussion beginnen wollte, nahm ihn heraus und sprach dann. Dieser Stab scheint schon ziemlich früh mit dem Buddhismus nach China gekommen zu sein.”[2]

Im Zusammenhang mit dem möglichen Ursprung des Rückenkratzers und dessen anschließender Verbreitung in China weist Eberhard auch auf eine Legende hin, in derem Mittelpunkt die Göttin Magu 麻姑 steht. Legenden zufolge lebte Magu im 2. Jh. n. Chr. Am Rande eines Banketts habe sich der Kaiser Huan 桓  (147-168 n. Chr.) vorgestellt, wie schön es sein müsse, von diesen langen Fingernägeln gekratzt zu werden, wenn einem der Rücken jucke. Wiewohl der Kaiser “für solchen frevlerischen Gedanken mit einer unsichtbaren Peitsche gestraft worden” wäre, wurde Magu seither stets mit Wohlergehen und Langlebigkeit assoziiert.[3]

Lesen Sie nächste Woche: Rückenkratzer und Zepter – und (doch kein) Kulturtransfer (II): Das ruyi-Zepter

  1. Vgl. dazu Ronald G. Knapp, Michael Freeman: Things Chinese. Antiques – Crafts – Collectibles (Singapore 2011) 133.
  2. Wolfram Eberhard: Lexikon chinesischer Symbole. Die Bildsprache der Chinesen (München, 5. Aufl. 1996) 246 f. (“Rückenkratzer, sao-chang 搔杖”).
  3. Eberhard: Lexikon, 185 f. (“Ma-ku”; zum Zitat ebd., 186 f.) vgl. dazu auch Patricia Bjaaland Welch: Chinese Art. A Guide to Motifs and Visual Imagery (Singapore 2008) 206 f. (“Magu”) sowie das Glossar in Sun Yaoting: Der letzte Eunuch des Kaisers Puyi. Autobiographie. Aus dem Chinesischen von Uwe Frankenhauser (München 1993) 676 (“Fee Tante Ma”).

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/1161

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Zum Ursprung der chinesischen Zahlzeichen

Im Zusammenhang mit der Frage nach den möglichen Ursprüngen der Zahlzeichen im Chinesischen begegnet man in Darstellungen zur Geschichte der Schrift zahlreichen mehr oder weniger wahrscheinlichen Deutungen.

In seiner Universalgeschichte der Schrift leitet Harald Haarmann den Ursprung der chinesischen Zahlzeichen “aus Positionen des Fingerzählens” ab.[1] Bei Cecilia Lindqvist finden wir die Bemerkung, dass die Form der Zahlzeichen eins (yi 一), zwei (er 二) und drei (san 三), die sich seit dem zweiten vorchristlichen Jahrtausend nicht verändert haben, “sicher mit den alten Rechenstäben zusammen”[2] hängt.

Das Zeichen für vier wurde in frühester Zeit mit vier horizontalen Strichen geschrieben, um etwa 200 v. Chr. “durch ein viereckiges Zeichen ersetzt.”[3]. Haarmann deutet dieses somit kurz nach der Gründung des Einheitsreiches (221 v. Chr.) in Gebrauch gekommene Zeichen (si 四) wie folgt: das “Kästchen” steht für die Handfläche, der linke Strich im Kästchen für die Stellung der vier Finger und das rechte Häkchen stehe für den gebogenen Daumen. (Haarmann, 143). Den wahrscheinlichsten Grund für die Veränderung des Zeichens ‘vier’ erklärte Georges Ifrah in seiner Universalgeschichte der Zahlen wie folgt: “Die Chinesen haben wie alle Völker, die sich einer solchen Zahlschrift bedienten, bei der Vier einen Einschnitt gemacht, da es kaum möglich ist, ohne zu zählen eine Abfolge von mehr als vier aneinandergereihten Elementen zahlenmäßig zu erfassen.”[4]

Auch die Ursprünge des Zahlzeichens für fünf (wu 五) werden äußerst unterschiedlich gedeutet: Lindqvist (336) schreibt: “Auch das Zeichen fünf schrieb man auf den Orakelknochen mit waagerechten Strichen, doch begann man schon damals, die mittleren drei Striche zu einem Kreuz zusammenzufassen – so entstand eine Form wie die lateinische Zahl zehn -, und aus diesem Kreuz entwickelte sich die endgültige Form des Zeichens für fünf.” Haarmann (143) dagegen schreibt kurz und bündig: “die Drei-Finger-Stellung gekreuzt mit der schrägen Zwei-Finger-Stellung.”

Bei den übrigen Zahlzeichen äußert sich Lindqvist sehr vorsichtig zu deren Ursprung:

“Zur Form der Zahlworte sechs, sieben, acht, neun und zehn besteht derzeit noch keine allgemein anerkannte Erklärung. Es liegt natürlich nahe zu vermuten, daß sie ebenso wie die Zeichen eins bis fünf von den Rechenstäbchen ausgehen, und die Zeichen für sechs, sieben und zehn schrieb man anfangs mit geraden Strichen, im Prinzip wie bei dem Zeichen für fünf – ein klarer Hinweis darauf, daß derselbe Ursprung zugrunde liegt.”[5]

Ifrah schreibt, dass die Chinesen den Zahlen von fünf bis neun

“fünf gesonderte Zeichen zugeordnet [haben], die jeder sinnlichen Anschauung beraubt sind. So wurde die Zahl fünf durch ein oben und unten geschlossenes X dargestellt, die Zahl sechs durch ein großes, auf dem Kopf stehendes V oder durch ein Zeichen mit dem Umriß einer Pagode, die 7 durch ein Kreuz, die 8 durch zwei kleine einander den Rücken zukehrende Kreisbogen und die 9 durch ein Zeichen, das einem Angelhaken gleicht.”[6]

Dagegen scheint bei Haarmann die Sache im wahrsten Sinne des Wortes “auf der Hand” zu liegen. Das Zeichen für sechs (liu 六) stellt demnach einen ausgestreckten Daumen (d.i. der kleine Punkt bzw. Strich oben), die aus den gebogenen vier Fingern geformte Faust (d. i. der horizontale Strich) und das Handgelenk (also die beiden unteren Striche) dar. Analog dazu wäre das Zahlzeichen für sieben (qi 七) zu deuten – in diesem Fall sind Daumen und Zeigefinger gestreckt (Haarmann, 143).

Die Zeichen für acht (ba 八) und neun (jiu 九) werden von Lindqvist (337) als die “wirklichen Problemzeichen” bezeichnet. Sie meint:

“In beiden Zeichen sind die ursprünglichen Formen weiche gekrümmte Linien, die kaum etwas mit den Rechenstäbchen zu tun haben können, die, soweit wir wissen, alle gerade und von gleicher Länge waren. Man muß also auf neue archäologische Funde warten.”

Nach der von Haarmann (143) präsentierten Version läßt sich das Zeichen für ‘acht’ darauf zurückführen, dass der Daumen und der kleine Finger ausgestreckt und Zeige-, Mittel- und Ringfinger angewinkelt wurden. Zur Deutung der Zahlzeichen für neun zu Grunde liegenden Form bemüht Haarmann das Bild eines angewinkelten Armes. Beim Zahlzeichen für zehn (shi 十) vermerkt er lapidar “zwei gekreuzte Arme.” Wang Hongyuan verweist darauf, dass dieses Zahlzeichen zunächst nur aus einem vertikalen Strich bestand, ein horizontaler Strich wurde erst später hinzugefügt.[7]

  1. Vgl. Harald Haarmann: Universalgeschichte der Schrift (Frankfurt/New York, 2., durchges. Aufl. 1991) 143 (Abb. 68: “Die chinesischen Zahlzeichen und ihr bildhafter Ursprung aus Positionen des Fingerzählens”).
  2. Cecilia Lindqvist: Eine Welt aus Zeichen. Über die Chinesen und ihre Schrift (München 1990) 336.
  3. Lindqvist: Eine Welt aus Zeichen, 336. Vgl. dazu auch Qiu Xigui: Chinese Writing, übers. v. Gilbert L. Mattos und Jerry Norman (Early China Special Monograph Series 4; Berkeley 2000) 174.
  4. Georges Ifrah: Universalgeschichte der Zahlen (Frankfurt/New York, 2. Aufl., 1991) 392. Ähnlich dazu auch Wang Hongyuan: Vom Ursprung der chinesischen Schrift (Beijing 1997) 192.
  5. Lindqvist: Eine Welt aus Zeichen, 337).
  6. Ifrah: Universalgeschichte der Schrift, 392.
  7. Wang: Vom Ursprung der chinesischen Schrift, 193.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/1144

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Biyong 辟雍 – die kaiserliche “Lehrhalle”

In unmittelbarer Nachbarschaft zum Pekinger Konfuziustempel (Kongmiao 孔廟) befinden sich die Gebäude der wechselweise als “Akademie” oder “Universität betitelten kaiserlichen Lehranstalt (Guozijian 國子監)[1]

Eine aus dem frühen 19. Jahrhundert stammende russische Beschreibung Pekings wies auch darauf hin, dass sich in dieser Einrichtung unter anderem eine Halle befand, die der Kaiser einmal jährlich aufsuchte:

135. Ko-tseu-kian, die Universität. Unter den Gebäuden, aus denen dieses Institut besteht, ist der im Jahre 1785 erbaute Palast zu bemerken, der an vier Seiten mit einem breiten Graben umgeben ist, über welchen vier Brücken gespannt sind. [...] Am ersten Tage des zweiten Mondes besucht der Kaiser die sogenannte kaiserliche Schule (134), um dem Philosophen Khung-tseu seine Huldigungen darzubringen, und demnächst begibt er sich in den Universitätspalast, um die heiligen Bücher zu erklären. Die alten Cypressen, welche diesen Ort beschatten, wurden von einem Rektor gepflanzt, der unter der mongolischen Dynastie (1295-1341) lebte.[2]

Biyong

Biyong – die kaiserliche “Lehrhalle” – Foto: Georg Lehner

Das hier als “Universitätspalast” bezeichnete Gebäude trägt den Namen Biyong 辟雍[3]. In de Groots Beschreibung des konfuzianischen “Staatskults” wird dieser “Predigtsaal” wie folgt beschrieben:

[...] auf einer quadratischen Insel erbaut, die genau in der Mitte eines kreisrunden Teiches liegt. [...] Er ist gänzlich mit Marmorquadern gemauert und hat genau im Norden, Osten, Süden und Westen eine Steinbrücke [...] die ebenso wie der Teich beiderseits mit schweren Marmorgeländern versehen sind. Insel und Brücken sind auch mit Marmorsteinen gepflastert, gleichwie der umliegende Hof. Der Saal trägt ein doppeltes Dach mit gelbglasierten Ziegeln und hat gegenüber jeder Brücke einen Eingang; der südlichste ist der vornehmste und über ihm hängt eine Holztafel mit der Inschrift 辟雍 Pi’ Jung, dem Namen des Saales.”[4]

Im Inneren ist die Halle ganz im Sinne der ältesten kosmologischen Vorstellungen gestaltet. So wird er durch die 16 Pfeiler, die die Dachkonstruktion tragen, “in neun viereckige Fächer, welche die neun Hauptgegenden der Erde versinnbildlichen”[5] geteilt. Für den Kaiser ist der Platz in der Mitte der Halle vorgesehen. Für den kaiserlichen Lehrvortrag wird ein besonders günstiger Tag bestimmt und der Kaiser hält eine kurze Lesung von je einem Text aus den “vier heiligen Büchern” (sishu 四書) und aus den “fünf kanonischen Schriften” (wujing 五經), den wichtigsten Textgruppen des Konfuzianismus. [6]

 

  1. Bei J.J.M. de Groot: Universismus. Die Grundlage der Religion und Ethik, des Staatswesens und der Wissenschaften Chinas (Berlin 1918) 263 übersetzt mit “Institut für die Söhne der Dynastie.”
  2. “Beschreibung der Stadt Peking.” In: Allgemeine Bauzeitung, Jg. 1859, S. 335 f.
  3. Zum Begriff vgl. Charles O. Hucker: Dictionary of Official Titles in Imperial China (Stanford 1985) 378 (Nr. 4604) „lit. to withdraw and be at peace [..] (2) Throughout imperial history an archaic reference to the National University [...] where men were prepared to become officials.“
  4. De Groot: Universismus, 264.
  5. Ebd.
  6. Zum Ablauf dieser kaiserlichen Lesung vgl. ebd., 264-267.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/1137

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Das 18. Jahrhundert und die Kulturgeschichte Chinas

Bei der diesjährigen Ausgabe der Ringvorlesung “Kulturgeschichte des euro-atlantischen Raumes im globalen Kontext”, die jedes Sommersemester am Institut für Geschichte der Universität Wien angeboten wird[1], habe ich für die China gewidmete Vorlesungseinheit am 13. Mai das 18. Jahrhundert in den Mittelpunkt meiner Ausführungen gestellt.

Die einleitenden Bemerkungen galten neben dem “Kulturbegriff im Chinesischen” auch der Unterscheidung der Begriffe “China” und “Chinesisches Reich” bei der Beschäftigung mit der Geschichte der Qing-Dynastie (1644-1912)[2].

Ein Überblick über die drei “großen” Kaiser der Qing, die von 1662-1796 über das Reich herrschten[3] orientierte sich in diesem Rahmen naturgemäß an den in dieser Zeit realisierten kulturellen (und hier vor allem literarischen) Großprojekten: Wörterbücher, Enzyklopädien, Kompilationsprojekte. Die Südreisen des Kangxi- und des Qianlong-Kaisers[4] und die dichterischen Ambitionen des letzteren kamen dabei ebenso zur Sprache wie die Förderung des Lamaismus durch den kaiserlichen Hof[5].

Das im Verlauf dieses Semesters bei der Ringvorlesung wiederholt aufgegriffene und für verschiedene Zeiten und Kulturen betrachtete Thema Chronologie und Kalender wurde im Falle Chinas im Zusammenhang mit Aspekten des konfuzianischen Staatskults beleuchtet. Neben dem chinesischen Tierkreis (2014 ist ein Jahr des Pferdes) und dem Sexagesimalzyklus[6] habe ich auch auf die Bedeutung von Glocken- und Trommeltürmen für die Zeitsignale (in Beijing beispielsweise bis ins Jahr 1924) hingewiesen. Im Zusammenhang mit dem konfuzianischen “Staatskult” rückte das Opfergelände des Himmels[7] in das Zentrum der Betrachtung.

Zur Veranschaulichung kaiserlicher Macht und Repräsentation folgten zunächst Bemerkungen zur mit dem Drachen verknüpften Symbolik (der fünfklauige Drache war bis zum Ende des Kaiserreiches allein dem Kaiser vorbehalten) und andererseits Einblicke in die Architektur der “Verbotenen Stadt”[8]. Bemerkungen zum System der Beamtenprüfungen[9]  standen am Ende dieser Vorlesungseinheit.

Yuanmingyuan

In den Ruinen der “Gebäude im westlichen Stil” auf dem Gelände des Yuanmingyuan – Foto: Georg Lehner 

Eine der Fragen im Anschluss an die Vorlesung galt dem Ausmass der chinesisch-westlichen Kulturkontakte und Kulturtransfers im 18. Jahrhundert. Am sichtbarsten wurde die Aufnahme europäischer Stilelemente wohl in den sogenannten “Gebäuden im westlichen Stil” auf dem Areal des Yuanmingyuan 圓明園 (heute auch als “Alter Sommerpalast” bezeichnet).

Etwas mehr als ein Jahrhundert nachdem diese Gebäude durch die Jesuitenmissionare errichtet worden waren, zerstörten im Herbst 1860 britische und französische Truppen dieses Ensemble – die heute zu sehenden Ruinen lassen die einstige Pracht nur noch erahnen …

  1. Zu den beiden von mir im Sommersemester 2013 gestalteten Vorträgen vgl. “Transkulturalität und Kulturgeschichte. Zum Auftakt einer Ringvorlesung” sowie  “2500 Jahre in 90 Minuten? Kulturgeschichte Chinas” in einer Ringvorlesung”.
  2. Vgl. dazu “Kultur und Raum – Überlegungen zum “Kulturraum” China”.
  3. Kangxi 1662-1722, Yongzheng 1723-1735 und Qianlong 1736-1795/96.
  4. Vgl. dazu “nanxun 南巡 – Kaiserliche Reisen in den Süden”,
  5. Vgl. dazu “Die Qing-Kaiser und der Lamaismus”.
  6. Vgl. dazu “Der 60-Jahr-Zyklus der chinesischen Chronologie”.
  7. Vgl. dazu “Das Opfergelände des Himmels und der konfuzianische Staatskult”
  8. Vgl. dazu “Zur chinesischen Bezeichnung der Verbotenen Stadt”, “Das Mittagstor – der Eingang zum Kaiserpalast” und “Qianqinggong – der ‘Palast der Himmlischen Reinheit’”
  9. Auf De rebus sinicis dazu bisher: “Kostspieliges Studium – mit Beharrlichkeit zum Erfolg – zwei Legenden” und “Karpfen und Karriere”.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/1125

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Das Opfergelände für die Götter des Bodens und der Feldfrüchte (Shejitan 社稷墰)

Gemeinsam mit den Opfern für Himmel, Erde und die kaiserlichen Ahnen zählten die Opfer für die Götter des Landes und der Feldfrüchte (sheji 社稷, eigentlich: “die Götter des Erdbodens und die der Hirse”)[1] zur Gruppe der “großen Opferrituale” im Rahmen des konfuzianischen “Staatskults”. Auf dem dafür vorgesehenen Opfergelände wurde diesen Göttern zweimal jährlich, einmal im zweiten Frühlingsmonat, das zweite Mal im zweiten Herbstmonat geopfert.[2]

Shejitan - Foto: Georg Lehner

“Altar” auf dem Opfergelände der Götter des Landes und der Feldfrüchte – Foto: Georg Lehner

Eine in diesem Blog schon wiederholt herangezogene Beschreibung Pekings aus dem 19. Jahrhundert geht sehr ausführlich auf dieses Opfergelände ein:

Sche-tsi-tan, der Altar, wo man die Geister Sche und Tsi anbetet, westlich von dem ‘Thor der Grundsätze’ [Duanmen] gelegen. Der Altar ist vierseitig, der Vordertheil sieht nach Norden; er bildet zwei übereinander stehende Carre’s, jedes von fünf Fuß Höhe. Der obere Theil hat 50 Fuß und der untere Theil 53 Fuß im Durchmesser. Die Perrons haben vier Rampen, jede mit 4 Stufen, und das Ganze ist von weißem Marmor. Der Fußboden des Altars besteht aus geschlagener Erde mit fünf Farben, welche die fünf Weltgegenden symbolisch darstellen. Die Mauer, welche die innere Umschließung bildet, hat 764 Fuß Länge, 4 Fuß Höhe und 2 Fuß Stärke. Sie ist mit glasirten Ziegeln mit vier Farben bekleidet, wovon jede an eine besondere Weltgegend erinnert und die Krone ist ebenfalls mit vierfarbigen Dachziegeln gedeckt. Die Umfassungsmauer hat vier zweisäulige Thore. Säulen, Schwellen und Stürze sind von weißem Marmor; die Flügel sind von Holz und zinnoberroth angestrichen. [...].[3]

Seit Herbst 1914 ist das Areal für die Öffentlichkeit zugänglich. In der nördlich des Altars gelegenen Halle des Gebets wurde der als ‘Vater des Landes’ (guofu 國父) verehrte Republiksgründer Sun Yatsen (Sun Zhongshan 孫中山) nach seinem Tod im März 1925 aufgebahrt. 1928 erfolgte schließlich auch die Umbenennung des Geländes in Sun Yatsen-Park (Zhongshan gongyuan 中山公園).[4]

Vgl. auch: Das Opfergelände des Himmels und der konfuzianische Staatskult

  1. Vgl. Charles O. Hucker: Dictionary of Official Titles in Imperial China (Stanford 1985) 416 (no. 5133: “‘she-chi t’an [...] Altar of the Soil and Grain [...].” sowie Frank-Rainer Scheck (Hg.) Volksrepublik China. Kunstreisen durch das Reich der Mitte (Köln, 3., überarb. Aufl., 1988) 213: “Altar der Erdgötter und der Fruchtbarkeit”.
  2. Vgl. dazu H. S. Brunnert, V. V. Hagelstrom: Present Day Political Organization of China. Revised by N. Th. Kolessoff (Shanghai 1911) 204 sowie J. J. M. de Groot: Universismus. Die Grundlage der Religion und Ethik, des Staatswesens und der Wissenschaften Chinas (Berlin 1918) 223.
  3. “Beschreibung der Stadt Peking”, Allgemeine Bau-Zeitung, Jg. 1859, S. 330. Digitalisat: ANNO. Vgl. auch de Groot: Universismus, 221 f.
  4. Vgl. Scheck (Hg.): China, 213.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/1099

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Drei Gehorsamspflichten, vier Tugenden und sieben Scheidungsgründe

Im konfuzianisch geprägten China nahmen Frauen – nicht zuletzt durch die “drei Gehorsamspflichen und die vier Tugenden” (sancong side 三從四德) – im gesellschaftlichen Leben eine sehr untergeordnete Rolle ein. Die “drei Gehorsamspflichten” bestanden gegenüber dem Vater vor der Ehe, gegenüber dem Mann in der Ehe und gegenüber dem Sohn nach dem Tode des Mannes. Unter den “vier Tugenden” verstand man Sittsamkeit, geziemende Sprache und Fleiß.

Im allgemeinen gab es sieben Gründe (qichu 七出), die eine Scheidung rechtfertigten – diese waren seit der Tang-Zeit (618-906) gesetzlich festgelegt[1]:

  • kein männlicher Nachkomme (wu zi 無子)
  • Ehebruch (yinyi 淫佚)
  • Ungehorsam gegenüber den Schwiegereltern (bu shi jiu gu 不事舅姑)
  • Zank, Zwietracht (koushe 口舌) beziehungsweise Geschwätzigkeit (duoyan 多言)
  • Diebstahl (daoqie 盜竊)
  • Neid (duji 妒忌)
  • ansteckende Krankheit (eji 惡疾)

Im Herbst 1900, als die Welt noch ganz im Banne des Entsatzes der während des “Boxeraufstands” belagerten Gesandtschaften in Peking stand, hieß es in der im australischen Perth erscheinenden Zeitung The Inquirer and Commercial News zum ersten dieser sieben Gründe:

In a country where the avowed end of marriage is to raise up a posterity to burn incense at the ancestral graves, it is not strange that ‘childlessness’ should rank first among the grounds for divorce.[2]

Lag keiner dieser sieben Gründe vor, war dem Mann die Scheidung nicht erlaubt. Frauen konnten sich dann scheiden lassen, “wenn ihr Mann ihre Ahnen beschimpft oder ein Mitglied ihrer Sippe ermordet hatte.”[3]

  1. Die “westliche” Sinologie hat sich dieser sieben Gründe früh angenommen; vgl. etwa: William Frederick Mayers: The Chinese Reader’s Manual. A handbook of biographical, historical, mythological, and general literary reference. Reprinted from the Edition of 1874 (London: Probsthain | Shanghai: American Presbyterian Mission Press, 1910) 350 (Nr. 220).
  2. “Seven Grounds for Divorce.” The Inquirer and Commercial News (Perth), Vol. LVIII. No. 3.353, 19 October 1900, S. 1.
  3. Wolfram Eberhard: Lexikon chinesischer Symbole. Die Bildsprache der Chinesen (München, 5. Aufl., 1996) 251 (“Scheidung”).

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/1095

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Farben machen Leute (II): Masken auf der Bühne

Im traditionellen chinesischen Singspiel (“Oper”) erlauben die Farben der Masken Rückschlüsse auf den den einzelnen Rollen zugeschriebenen Charakter. Die folgenden Notizen geben lediglich einen ersten Überblick[1], bedürfen aber wohl noch der Ergänzung und gegebenenfalls mancher Präzisierung und Korrektur.[2].

Ist das Gesicht des Darstellers hinter einer roten Maske verborgen, so wird damit die Rolle des positiven Helden assoziiert, oft ist dies ein Hinweis auf den Kriegsgott Guandi.[3]. Die Farbe Purpur steht einerseits für Pietät, andererseits aber auch für “ruhige, loyale Beamte”.[4]

Blau kennzeichnet die Darsteller “ruchloser und verbrecherischer Personen”[5], es kann aber auch ein Gespenst symbolisieren.[6]

Ein mattes Weiß lässt auf “eine verbrecherische, gerissene, aber in angesehener Stellung befindliche Person”[7] schließen.  Die so dargestellten Charaktere gelten als besonders hinterlistig und werden als “Tofugesichter” bezeichnet – in Anspielung auf die weißgelbe Farbe, die dem “Bohnenkäse” eigen ist.[8]. Die Farbe Schwarz hingegen steht für eine “grobe, aber ehrliche Person.”[9]

Die Farbsymbolik der Masken hat auch Niederschlag in einigen Redewendungen gefunden: so bezeichnet bai bizi 白鼻子 (d. i. “weiße Nase”) eine hinterlistige Person. Ähnliche Beispiele sind chang heilian 唱黑臉 (“eine schwarze Maske tragen”, d.i. “ungeachtet der freundschaftlichen Beziehungen offen und aufrichtig reden”) und chang honglian 唱紅臉 (“eine rote Maske tragen”, d.i. “den Großzügigen und Wohlgesinnten spielen”).[10]

  1. Der Artikel “Pekingoper” des am Ostasieninstituts der Hochschule Ludwigshafen am Rhein erstellten  Ostasienlexikons fällt hinsichtlich unseres Aspekts – und auch nach Korrektur der Wortstellung – eher dürftig aus: “Ein ganz weißes Gesicht besagt, dass die Figur böse ist. Ein rotes Gesicht soll den Mut der Person hervorheben. Ein schwarzes Gesicht ist ein normales [?] Gesicht. Ein weißer Fleck auf der Nase bedeutet, dass die Person komisch ist.”
  2. Kurze Überblicke auch bei Ronald G. Knapp, Michael Freeman: Things Chinese. Antiques – crafts – collectibles (Tokyo/Rutland VT/Singapore 2011) 118 f. (‘Opera Masks’
  3. Vgl. Wolfram Eberhard: Lexikon chinesischer Symbole. Die Bildsprache der Chinesen (München, 5. Aufl. 1996) 245 (“Rot”).
  4. Ebd., 177 („Lila“ [zi 紫]).
  5. Djin Ping Meh. Schlehenblüte in goldener Vase. Ein Sittenroman aus der Ming-Zeit. Herausgegeben und eingeleitet von Herbert Franke. Bd. 6: Kommentare (Berlin/Frankfurt a. M. 1987) 141 f. (53a).
  6. Eberhard: Lexikon chinesischer Symbole, 40 („Blau“).
  7. Djin Ping Meh, Bd. 6, S. 142 (53a).
  8. Eberhard: Lexikon chinesischer Symbole, 301 („Weiß“).
  9. Djin Ping Meh, Bd. 6, S. 142 (53a).
  10. Vgl. dazu Fan Yanqian: Farbnomenklatur im Deutschen und im Chinesischen. Eine kontrastive Analyse unter psycholinguistischen, semantischen und kulturellen Aspekten (Frankfurt a. M. 1996) 262 (mit Anm. 363) und ebd. 270 Anm. 380.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/1082

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Zur Geschichte der chinesischen Akrobatik

Die gesicherte Tradition der chinesischen Akrobatik (zaji 雜技, d. i. vermischte Fertigkeiten) reicht zumindest bis ins 7. Jahrhundert v. Chr. zurück. Zu jener Zeit waren einschlägige Darbietungen und bereits fest etabliert.[1]

Im China der Han-Dynastie erfreuten sich die Herrscher und ihre Günstlinge an akrobatischen Darbietungen. Für diese varietéähnlichen Unterhaltungen gab es in der Späteren Han-Zeit (25-220 n. Chr.) bei Hof eine Gruppe von etwa 25 Künstlern, die als die “Meister der hundert Unterhaltungen” (baixi shi 百戲師) bezeichnet wurden.[2] Der Gelehrte Zhang Heng 张衡 (78-139 n. Chr.) lieferte in seiner Xijing fu 西京賦 (“Ode (fu) über die westliche Hauptstadt”) eine Beschreibung dieser Kunst.[3]

Besonders aufwändige Vorstellungen müssen zur Zeit der Sui-Dynastie in der damaligen Hauptstadt Chang’an 長安 veranstaltet worden sein. Kaiser Yangdi (reg. 607-617) wollte den Gästen seiner festlichen Frühjahrsbankette eine besondere Unterhaltung bieten. In den Jahren zwischen 610 und 616 kamen jeweils rund 30000 Akrobaten aus dem ganzen Reich für diesen etwa zweiwöchigen Auftritt in die Hauptstadt.[4]

Auch in der auf die Sui folgenden Tang-Dynastie (618-906) konnten sich die Akrobaten der kaiserlichen Gunst sicher ein. Selbst bei Hof wurde ihre Ausbildung organisiert: Akrobaten, Musiker und Tänzer sollten für Veranstaltungen trainiert werden, bei denen bis zu zwölf verschiedene Kunststücke präsentiert werden sollten.[5]

In der Song-Dynastie (960-1279) endete auch die kaiserliche Patronage für die Akrobaten. Die Begeisterung der Bevölkerung blieb allerdings ungebrochen. So ist es wenig verwunderlich, dass sich im Laufe der Zeit auch Scharlatane unter die Künstler mischten.[6]

Zu den bekanntesten und spektakulärsten Formen traditioneller chinesischer Akrobatik zählen mit den Beinen ausgeführte Jonglierakte (dengji 蹬技) unc das Balancieren eines Stapels Schüsseln oder Schalen (dingwan 頂碗) auf dem Kopf. Einen festen Platz im Repertoire haben auch jene Akrobaten, die sich als “Schlangenmenschen” durch Ringe schlängeln (zuanquan 鑽圈).

Die Akrobaten zählte man – wie “Jongleure, Seiltänzer, Feuerfresser, Schwertschlucker, Zauberkünstler (insbesondere mit Affen) usw.” zu den “vermischten Unterhaltungen” (zashua 雜耍).[7]

Den besonderen Reiz dieser Kunst machten die “Ortsunabhängigkeit, die niedrigen Kosten und die geringe Distanz zwischen Publikum und Akrobaten”[8] aus.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die chinesische Akrobatik dann auch international zum Begriff – man denke etwa an die in den 1980er Jahren von André Heller unter dem Titel “Begnadete Körper” organisierte Show.[9]:

Die Akrobatik hat heute nicht nur als selbständige Unterhaltungsform überlebt, sondern ist ganz wesentlicher Teil der Aufführungspraxis der erst sehr spät aufkommenden Pekinger Oper, die mit der Kulturrevolution (1966-1976) gleichsam zum Symbol für die einheimische chinesische Bühnenkunst avanciert ist.[10]

  1. Boye Lafayette De Mente: China’s Cultural Code Words (Lincolnwood, Ill., 1996), 462 f.
  2. Charles O. Hucker: A Dictionary of Official Titels in Imperial China (Stanford 1985) 388 (Nr.490).
  3. Huang Minghua: “The ‘Hundred Entertainments’. China’s 2,000-year-old tradition of acrobatics.” In: The Unesco Courier, January 1988, S. 8 f. Vgl. auch “The Acrobatic Team Show and Its Origins in the ‘Hundred Entertainments’”: http://web.archive.org/web/20050309180453/http://www.qiao.ca/tradition.htm.
  4. De Mente: China’s Cultural Code Words (1996), 462 f.
  5. Huang: ‘Hundred Entertainments’, 8.
  6. De Mente: China’s Cultural Code Words, 463.
  7. Wolfgang Franke (Hg.): China-Handbuch (Düsseldorf 1974) Sp. 1437 (“Unterhaltung”, Hu Chün-yin, Wolfgang Franke).
  8. Hochschule Ludwigshafen am Rhein/Ostasieninstitut: Ostasienlexikon, Stichwort “Akrobatik”
  9. Vgl. etwa Manfred Sack: “Möge diese Übung gelingen. Großmeister chinesischer Akrobatik unterwegs in der Bundesrepublik. André Hellers Show ‘Begnadete Körper’”. In: Die Zeit, Nr. 48, 22.11.1985, S. 59
  10. Wolfgang Kubin: Geschichte der chinesischen Literatur. Bd. 6: Das traditionelle chinesische Theater. Vom Mongolendrama bis zur Pekinger Oper (München 2009) 19.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/1066

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