Einzigartiges open access-Projekt – finnische Kriegsfotos im Internet

Am 25.4. veröffentlichte die finnische Armee über 160 000 sog. TK-Fotos aus dem Zweiten Weltkrieg im Internet. Diese Fotos sind während des Winter- (1939/40) und Fortsetzungskriegs (1941–44) von offiziellen Fotografen der finnischen Armee aufgenommen worden. Sie umfassen sowohl Kriegsfotos von der Front als auch solche von der Heimatfront.Die Fotos sind für jeden Interessierten unter der Adresse www.sa-kuva.fi zugänglich und können als druckfertige Dateien heruntergeladen werden. Das Digitalisierungsprojekt, welches 3,5 Jahre gedauert hat, wurde am nationalen Feiertag der Veteranen bekanntgegeben und erweckte sofort so großes Interesse, dass die Internetseiten erneut geschlossen werden musste, weil die Server unter der Belastung zusammenbrachen. Inzwischen funktioniert die Webseite wieder.

Dieses Großprojekt hat dazu geführt, dass Finnland momentan die Führungsposition hat, was den Onlinezugang von bedeutenden Bildarchiven angeht. Nirgendwo sonst in der Welt gibt es ähnlich umfassende kostenlose Bildarchive: z.B. in Deutschland kann zwar ein Teil der deutschen PK-Fotos (PK=Propagandakompanie) auf der Webseite des Bundesarchivs angesehen werden, aber druckfertige Versionen sind immer noch kostenpflichtig. Vielleicht regt das Beispiel Finnlands auch andere Länder an, ihm Folge zu leisten.

Die finnische Armee macht deutlich, dass die Informationen zu den Bildern in manchen Fällen Fehler oder Lücken enthalten und das man um diese weiß. Zwar haben die Informationsblätter zu den Fotos den Krieg überlebt, und diese Informationen wurden beim Digitalisieren als Bildertexte angegeben, doch enthalten diese Papiere eben Fehler, welche jetzt einfach übernommen wurden. Um diesem Manko entgegenzuwirken, gibt es im Portal ein digitales Formular, das die Zusendung von zusätzlichen Informationen ermöglicht. Die zugeschickten Informationen werden geprüft und gegebenfalls übernommen. Somit wird dieses Bildarchiv möglicherweise im Laufe der Zeit zu einer nationalen Wikipedia der Kriegsfotos.

Was ich persönlich aber als problematisch empfinde, ist die Entscheidung der Armee, die etwa 200 grausamsten Fotos, die Leichen o.Ä. zeigen, nicht im Archiv zu veröffentlichen. Zwar können diese Bilder weiterhin in der Bildstelle der Armee angesehen werden, aber da ein Teil der Bilder bereits auf diversen Websites zu finden ist, wäre es wohl möglich gewesen, diese Bilder zu veröffentlichen, damit sie nicht gefundenes Fressen für verschiede Verschwörungstheoretiker werden können. Sollte man mit dieser Selbstzensur Kindern vor schrecklichen Bildmaterial schützen wollen, wäre es aber technisch durchaus möglich, eine getrennte, passwortgeschützte Archivseite aufzubauen, auf der diese Fotos gezeigt werden könnten. Der einmal gültige Zugangscode könnte automatisch nach Angabe des Geburtsdatums zugeschickt werden.

Beispiel für eine Bildrückseite

Beispiel für eine Bildrückseite mit Notizen
Foto: Olli Kleemola

Natürlich vermisse ich auch die im Internetarchiv fehlenden Bildrückseiten (siehe Abbildung). Um die bestmögliche Bildqualität zu erreichen, wurden die Bilder von den Negativen digitalisiert. Das ist auch gut so, aber dabei wurde leider übersehen, welche Fülle an Informationen die Originalabzüge der Bilder, die immer noch in der Bildstelle der Armee aufbewahrt werden, enthalten. Auf den Rückseiten der Abzüge gibt es Stempel, die zeigen, ob das Bild von der Zensur genehmigt wurde oder nicht. Es gibt auch Markierungen, die offenbaren, wohin das Bild für Veröffentlichung geschickt wurde. Weiter gibt es öfters auch propagandistische Bildtitel, die von der Zensurbehörde anhand der Hintergrundinformationen geschrieben wurden, und die sonst nirgends überliefert sind. Wenn man die Abzugsrückseiten auch scannen und ins Netz stellen würde, ließe sich das Archiv noch besser zu Forschungszwecken verwenden.

Hierbei ist aber anzumerken, dass das Archiv bereits jetzt eine wahre Goldgrube für Historiker ist. Wenn man bedenkt, dass die finnischen Kriegsfotografen keine reinen Propagandisten waren, sondern auch viel kulturgeschichtlich und volkskundlich wertvolles Material produziert haben, wird einem klar, dass die Verwendungszwecke des Fotoarchivs beinahe grenzenlos sind!

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/1585

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Fundstücke

Von Stefan Sasse

- Ein Chirurgenset aus dem 19. Jahrhundert. Allein die Vorstellung, dass dieses Set ALLE Teile beinhaltet, mit denen Chirurgen arbeiteten lässt einem schwindeln.
- Trevor-Roper und die Hitler-Tagebücher. 
- Lächerliche Western-Mythen die jeder glaubt. 
- In den USA gibt es eine Bewegung, die die offizielle Aufhebung der Korematsu-Entscheidung von 1944 verlangt; dieser Artikel beleuchtet die Details. 

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2013/05/fundstucke_13.html

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Schriftenreihe „Mediologie“ als Download

Die ersten 15 Bände der 2001-2006 bei DuMont erschienenen Schriftenreihe Mediologie stehen zum Download bereit, darunter Bände wie:

Andriopoulos, Stefan/Schabacher, Gabriele/Schumacher, Eckhard (Hg.): Die Adresse des Mediums. (=Mediologie; 2). Köln: DuMont 2001.

Scholz, Leander/Pompe, Hedwig (Hg.): Archivprozesse. Die Kommunikation der Aufbewahrung. (=Mediologie; 5) Köln: DuMont 2002.

Cuntz, Michael/Nitsche, Barbara/Otto, Isabell/Spaniol, Marc (Hg.): Die Listen der Evidenz. (=Mediologie; 15). Köln: DuMont 2006.

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/404098052/

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Zitierbarkeit von Wikipedia

Ein Beitrag von Stefanie Kurasch, Anahita Keyhita und Caroline Forscht

Die Frage, ob Wikipedia (in wissenschaftlichen Kontexten) zitierfähig ist, wird in der deutschen Wikipedia auf verschiedenen Ebenen beantwortet und diskutiert.

Im Autorenportal, das als Konsens der Community angenommen werden kann, taucht die Frage unter den Richtlinien für Wikipedia-Autoren_innen im Zusammenhang mit den Belegen der dargestellten Sachverhalte auf. Als zuverlässige Quellen werden Wikipedia-Artikel dort für Wikipedia-interne Arbeit prinzipiell ausgeschlossen. Als eingeschränkt zulässige Quellen gelten sie, insofern sie einem abgeschlossenen Autorenkreis entstammen oder hinreichend „externe Belege verfügbar sind, die unserem Quellenverständnis genügen“.

Ob Wikipedia für externes wissenschaftliches Arbeiten zitierfähig sei, beantwortet und verneint die Wikipedia-Community in den allgemeinen FAQ. Dort heißt es: “Da die Wikipedia ein Nachschlagewerk ist, sollte übrigens in einer wissenschaftlichen Arbeit nicht aus ihr zitiert werden.“

Einen weiteren Standpunkt der Wikipedia-Community zur Frage der Zitierfähigkeit der Wikipedia artikulieren die Wikipedia-Artikel Zitierfähigkeit und Zitieren von Internetquellen. Hier wird auf die externe Diskussion über die Zitierbarkeit von Wikipedia verwiesen. Folgende Problempunkte werden dabei markiert: Keine Garantie für den Inhalt, Variabilität der Maßgaben zum wissenschaftlichen Arbeiten, dauerhafte Verfügbarkeit und Wandelbarkeit der Inhalte.

Zusätzlich dazu gibt es interne Diskussionen zur Zitierfähigkeit von Wikipedia. Die Positionen schwanken zwischen Ablehnung   und Einschränkung der Zitierfähigkeit der Wikipedia. In diesen Diskussionen geht es nicht nur um die interne Zitierfähigkeit von Wikipedia, sondern auch um ihre Verwendung in Schule und Studium. Wesentliche Kriterien für eine Verneinung oder Beschränkung der Zitierfähigkeit der Wikipedia sind dabei einerseits das Selbstverständnis der Wikipedia als Enzyklopädie und damit Tertiärquelle, die i.d.R. – abhängig von den fach-und disziplinspezifischen Standards zum wissenschaftlichen Arbeiten – nicht zitiert werden, und die unterschiedliche Qualität der Artikel andererseits. Die Diskussionen verweisen (teilweise durch Verlinkung) auf die gleichen und ähnliche Problempunkte, wie der Artikel zum Zitieren von Internetquellen.

Unsere Rückfrage an einen Wikipedianer zur Zitierfähigkeit von Wikipedia führte zu ähnlichen Antworten: einerseits strebe die Wikipedia als Tertiärquelle keine wissenschaftliche Zitierfähigkeit an, andererseits könnten gut recherchierte Artikel auch zitiert werden.

Die englische Sprachversion liefert dezidiertere Statements zur Zitierfähigkeit von Wikipedia. Dort gilt Wikipedia als nicht verlässliche Quelle, dabei wird auf den Status als Tertiärquelle und die Gefahr zirkulärer Belegstrukturen verwiesen. Inhaltlich sind die Argumente weitgehend konform.

Quelle: http://wppluslw.hypotheses.org/79

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Archivwesen: Digitale Archive und Bibliotheken. Neue Zugangsmöglichkeiten und Nutzungsqualitäten, hrsg. v. Hartmut Weber und Gerald Maier

http://www.landesarchiv-bw.de/web/47364 Zum Schutz der authentischen Quellenüberlieferung der Archive, vor allem aber um Unikate unabhängig vom Verwahrungsort und von Öffnungszeiten der Forschung und dem interessierten Bürger zugänglich zu machen, bietet sich digitale Technologie zunehmend als Problemlösung an. Liefert die Digitalisierung vom Zerfall bedrohter Archivalien und Bücher tatsächlich einen sicheren Langzeitspeicher, oder stellt sie vielmehr ein attraktives […]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2013/05/4402/

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Türkenkrieg und Medienwandel im 15. Jahrhundert

Grabmal Pius' II. in Sant’Andrea della Valle, Rom (Foto: Tuure Döring 2012)

Grabmal Pius’ II. in Sant’Andrea della Valle, Rom
(Foto: T. Y. Döring 2012)

1000 Worte Forschung: Dissertation (Mittelalterliche Geschichte) LMU München, abgeschlossen im Januar 2012

In der frühneuzeitlichen Forschung gilt es seit Winfried Schulzei als erwiesen, dass der Buchdruck im 16. Jahrhundert die Bildung einer politischen Öffentlichkeit und öffentlichen Meinung zum Türkenkrieg entscheidend förderte. Für die Zeit ab 1501 liegt dazu mit Carl Göllnersii Repertorium „Turcica“ außerdem ein grundlegendes Nachschlagewerk vor. Trotz der bemerkenswerten zeitlichen Koinzidenz zwischen der Eroberung Konstantinopels 1453 und der Erfindung des Drucks mit beweglichen Lettern ist der Zusammenhang von Türkenkrieg und Medienwandel im 15. Jahrhundert jedoch nur ansatzweise erforscht.iii

Meine Dissertation ging daher der Frage nach, ob die Beschäftigung mit dem osmanischen Feind bereits im 15. Jahrhundert in eine engere Verbindung zur Nutzung der neuen Drucktechnik gebracht werden kann, und wenn ja, wie sich ein solcher Zusammenhang in den ersten ca. 50 Jahren gestaltete.

Da eine Göllner vergleichbare Sammlung für das 15. Jahrhundert fehlte, habe ich zunächst die überlieferten Türkendrucke, die seit der Erfindung des Druckens mit beweglichen Lettern bis einschließlich zum Jahr 1500 in Europa erschienen sind, katalogisiert. Dieser Katalog umfasst 843 Ausgaben und macht eine Kernaussage meiner Arbeit augenfällig: Die große Anzahl an noch erhaltenen Druckausgaben und Exemplaren weist dem Türkenkrieg einen festen Platz in der politischen und gesellschaftlichen Diskussion des 15. Jahrhundert zu und lässt deutlich erkennen, über welches Medium die Türkenproblematik bald bevorzugt be- und verhandelt wurde.

Diesen Katalog habe ich unter rezeptions- und überlieferungsgeschichtlichen Fragestellungen ausgewertet und den Türkenkrieg als „Medienereignis“ im ersten halben Jahrhundert vor dem Umbruchsjahr 1500 verfolgt. Die rein zahlenmäßige Auswertung führte im Vergleich mit der gesamten Drucküberlieferung des 15. Jahrhunderts zu einer aufschlussreichen Beobachtung: Neben einer kontinuierlichen Druckproduktion zu den Türken zeigt die statistische Verteilung immer wieder Peaks, die die aktuelle militärische Situation spiegeln. Wichtige Ereignisse der osmanischen Expansion wurden unmittelbar im Druck reflektiert.

Türbe Mehmeds II. in Istanbul (Foto: Tuure Döring 2011)

Türbe Mehmeds II. in Istanbul
(Foto: T. Y. Döring 2011)

Sie wurden zum Teil eines „Medienereignisses“ (gemacht), das den Krieg gegen die Türken mit Hilfe der neuen technischen Möglichkeiten aufbereitete. Ein Überblick über die Druckorte bestätigte die Vermutung, dass Druckereien im Reich nördlich der Alpen und in Italien, also in den Regionen, in denen der Türkenkreuzzug besonders fieberhaft propagiert wurde, verstärkt Türkendrucke produzierten. Die Verteilung der Sprachen, in denen die Drucke verfasst sind, korrespondiert mit einer Beobachtung zur Hauptproduzentin der Türkendrucke: Fast ¾ aller von mir gesammelten Turcica gehören zum Verwaltungsschrifttum der kirchlichen Hierarchie (Ablässe, Papstbullen, Breven, Steuermandate etc.) und sind daher auf Lateinisch verfasst. Nur ¼ entfällt auf andere Textgenera wie Türkenreden, Türkentraktate, aktuelle Berichterstattung zum Türkenkrieg und literarische Verarbeitungen der Türkengefahr – die Mehrzahl dieser Texte ist allerdings ebenfalls auf Lateinisch verfasst, nur wenig erschien auf Deutsch, Italienisch oder Französisch.

Die Ergebnisse der Statistik perspektivierte ich in vier exemplarischen Studien. Im Fokus standen dabei neben der spätmittelalterlichen Ablasspropaganda die Spannungsfelder Rhetorik, Politik und Druck, Krieg und Medien und Wissen und Medien. Ziel dieser Detailstudien war, Türkenschriften und Druck mit beweglichen Lettern im 15. Jahrhundert in eine sinnvolle Beziehung zueinander zu setzen. Es ging um die historisch-soziale Kontextualisierung der ersten Drucke, um ihre Beziehung zu Kriegsvorbereitung und Kriegspropaganda und um den Medienwandel unter Einbeziehung einer gesamteuropäischen Perspektive. Nach Heraklits Ausspruch vom Krieg als Vater aller Dinge unterzog ich den Türkenkrieg als Triebfeder technischer Innovation und kultureller Kommunikationsprozesse einer kritischen Beurteilung.

Es ist evident geworden, dass sich das über den Gegner Sagbare offenbar auf den (Anti-)Türkendiskurs des 15. Jahrhunderts beschränkte, das heißt, auf die seit 1453 nachdrücklich behauptete Bedrohung ganz Europas durch die osmanischen Türken. Für die gedruckten Texte bedeutete das, dass die Propagierung des Türkenkriegs im Vordergrund stand. Ablässe, Ermahnungen zum Türkenkrieg, polemische Traktate, drastische Schilderungen aus dem Verlauf des Türkenkriegs, Briefe und Reden gegen die Türken gehörten bis 1500 zu den Hauptprodukten der europäischen Pressen. Die wenigen positiven Annäherungen turkophiler Autoren, wie Giovanni Mario Filelfos Heldenepos über Sultan Mehmed II. oder „aufgeklärtere“ Strategien wie das ambitionierte Koranübersetzungsprojekt des spanischen Kardinals Juan de Segovia, gelangten im 15. Jahrhundert nicht zum Druck. Produzenten wie Texte zeigen deutlich, dass der Türkendiskurs im 15. Jahrhundert durch sehr viel ältere religiöse Dynamiken bestimmt war, die auf die hochmittelalterlichen Kreuzzüge, das gelehrte Islambild der Scholastik und den Kampf gegen die Heterodoxie zurückgingen.

Blick in den Festungsgraben am Amboise-Tor (Foto: T. Y. Döring, 2012)

Blick in den Festungsgraben am Amboise-Tor, Rhodos-Stadt
(Foto: T. Y. Döring 2012)

Der Türkenkrieg im 15. Jahrhundert hielt sich nicht nur beständig als Thema der Politik – zu dem oft geforderten und lang verhandelten gesamteuropäischen Türkenkrieg ist es bekanntlich nie gekommen – sondern er hielt sich auch beständig im Druck. Während das Interesse von Druckern und Lesern an anderen politisch brisanten Themen wie etwa der Mainzer Stiftsfehde (1459 – 1463) mit der Beseitigung solcher Spannungen schnell erlahmte, war dem Türkenthema eine fast dauerhafte Aktualität beschieden. Das lag zum einen an den Entwicklungen der osmanischen Expansion, die immer wieder eine Konfrontation mit Europa herausforderten, was zu einem regelmäßigen Niederschlag in der Druckproduktion führte; das lag zum anderen aber auch daran, dass spätestens ab dem Krisenjahr 1480, in dem Sultan Mehmed II. nicht nur den Großmeistersitz der Johanniter auf Rhodos belagerte, sondern auch einen Brückenkopf in Unteritalien errichten konnte, auch ohne äußeren Anlass immer wieder Traktate zu den Türken im Druck herausgegeben wurden, die Türken sozusagen zum Objekt eines “klinischen” Interesses wurden.

Meine Arbeit an den Türkendrucken hat gezeigt, dass Türkenkrieg und Buchdruck zukünftig nicht mehr losgelöst von ihren Entwicklungslinien nach 1453, die den Weg zur Konstituierung neuer politisch-religiöser Öffentlichkeiten am Ende des Mittelalters weisen, betrachtet werden können. Denn nicht erst Reformation oder Bauernkrieg im 16. Jahrhundert erweiterten und perpetuierten die bekannten Formen mittelalterlicher Öffentlichkeit, sondern der Türkenkrieg des 15. Jahrhunderts. Abgeleitet vom Terminus der „reformatorischen Öffentlichkeit“ (Rainer Wohlfeil) müsste man wohl von einer „Türkenkriegsöffentlichkeit“ sprechen, die sich im komplexen Verband von politischer Situation, religiösen Strukturen und kulturellen Neuerungen am Ende des Mittelalters herauszubilden begann.

Karoline Dominika Döring, Türkenkrieg und Medienwandel im 15. Jahrhundert. Mit einem Katalog der Türkendrucke bis 1500 (Historische Studien 503), Husum 2013. ISBN 978-3-7868-1503-7

 

iWinfried Schulze, Reich und Türkengefahr im späten 16. Jahrhundert, Studien zu den politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen einer äußeren Bedrohung, München 1978.

iiCarl Göllner, Turcica. Die europäischen Türkendrucke des XVI. Jh., 3 Bde., Berlin/Bukarest 1961-1978.

iiiVgl. Falk Eisermann, ‘Das kain Babst teutsch zu schreiben phleg’: Päpstliches Schriftgut und Volkssprache im 15. Jahrhundert, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und Literatur 134 (2005), 461; Margaret Meserve, News from Negroponte: Politics, Popular Opinion, and Information Exchange in the First Decade of the Italian Press, in: Renaissance Quarterly 59 (2006), 440-480; Dies., Patronage and Propaganda at the First Paris Press: Guillaume Fichet and the First Edition of Bessarion’s Orations against the Turks, in: Papers of the Bibliographical Society of America 97 (2003), 521-588.

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/1193

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„Übergangsgesellschaften“ – ein Werkzeug

Sind nicht alle Gesellschaften Übergangsgesellschaften? Kann ich mir eine Gesellschaft vorstellen, die vollständig statisch ist, die sich also nicht in einem Übergang von einem in einen anderen Zustand befindet? Gibt es überhaupt gesellschaftliche Zustände, die durch Übergänge miteinander verknüpft werden? Bereits diese erste Irritation verdeutlicht, dass „Übergangsgesellschaften“ weniger eine Klassifikation ist (nach dem Muster: es gibt Übergangsgesellschaften und es gibt Zustandsgesellschaften), sondern eher als heuristisches Werkzeug dienen kann.

Es wäre jedoch banal, als einzigen heuristischen Mehrwert den Fokus auf die Wandelbarkeit gesellschaftlicher Strukturen und Mechanismen anzunehmen – etwa genauso banal wäre es auch, das Ganze als These zu formulieren, etwa: Ich gehe davon aus, dass ländliche Gemeinden zwischen 1850 und 1950 Übergangsgesellschaften waren. Nur als Werkzeug, nicht aber als Ergebnis, funktioniert der Begriff.

Verstreute Funde innerhalb und außerhalb der Geschichtswissenschaft bieten jedoch die Möglichkeit, etwas genauer zusammenzupuzzlen, was mit dem Begriff „Übergangsgesellschaften“ als Werkzeug zu erreichen ist.

Zunächst jedoch: „Übergangsgesellschaft“ ist im Grunde gar kein Begriff. Er taucht nicht besonders häufig auf, und er ist in keiner Form als Begriff fixiert. In der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft gibt es eigentlich nur eine Verwendungsweise des Begriffs, die klar zuzuordnen ist. Im Jahr 1996 erschien in der „Zeitschrift für Historische Forschung“ ein Aufsatz von Christof Dipper mit diesem Titel; darin plädierte er dafür, Europa um 1800 als „Übergangsgesellschaft“ zu begreifen. Er verfolgte damit eine doppelte Strategie: Zum einen betonte er europaweite Ähnlichkeiten und Parallelen, zum anderen forderte er eine Neubewertung des späten 18. Jahrhunderts, indem er die „Epochenschwelle“ von 1789 durch einen längeren Transformationszeitraum ersetzte. Dafür zog er zum Beispiel demographische oder ökonomische Strukturveränderungen als Argumente heran. Einige wenige Autoren verwenden den Begriff ausgehend von Dippers Überlegungen, ohne ihn dabei weiter zu bestimmen (Bauerkämper, Grewe und Raphael); in der Festschrift zu Dippers Emeritierung erschien außerdem 2008 eine Auseinandersetzung von Jürgen Osterhammel mit dem Begriff aus globalhistorischer Sicht.

Bibliographiert man auch jenseits der disziplinären Grenzen, trifft man auf den Terminus in der Entwicklungssoziologie. Stichwortgeber war hier der Soziologe Alvin Boskoff, der in den 1950er Jahren den Begriff der „transitional society“ (der mit „Übergangsgesellschaft“ übersetzt wird) benutzte, um Gesellschaften der südlichen Hemisphäre zu beschreiben. Ihm war daran gelegen, die starken Dichotomien, die die Soziologie beherrschten, aufzulösen. Mit dem Begriff „transitional society“ führte er einen weiteren, hybriden Idealtypus ein: „By ‚transitional society‘ is meant a society which offers substantial evidence of modification away from some distinguishable ideal type with which it had been previously identified.“. Er dynamisierte also – ebenso wie Dipper übrigens – die Beobachtung von gesellschaftlichen Transformationen.

Dabei charakterisierte Boskoff allerdings diese „transitional societies“ durch besondere Konfliktlagen, die dadurch zustande kämen, so Boskoff, dass externe Wandlungen nicht vollständig und nicht adäquat in die gesellschaftliche Struktur eingebaut würden. So entstünden Spannungen struktureller und psychologischer Art.

Was bei Boskoff – schon allein aufgrund der Wortwahl – problematisch und beinahe pathologisch klang, fasste Pierre Bourdieu rund 20 Jahre später etwas gelassener. In seiner Untersuchung zu Wirtschafts- und Zeitstrukturen in Algerien in den 1960er Jahren (dieses Buch trägt im deutschen Untertitel den Begriff der Übergangsgesellschaft, Bourdieu selbst verwendet ihn allerdings nicht) entwickelte er eine Betrachtungsweise von gesellschaftlichem Wandel, der durch externe Veränderungen angestoßen wird und sich in einem von hierarchischen Machtbeziehungen durchzogenen Raum abspielt.

Dieser gesellschaftliche Wandel, so Bourdieu, sei notwendigerweise spannungsgeladen – nicht etwa nur deshalb, weil die Übergangsgesellschaften die externen Einflüsse nicht adäquat verarbeiteten. Strukturveränderungen, so Bourdieu, könnten sich gar nicht unmittelbar in veränderten Lebensweisen, Dispositionen und Habitus niederschlagen, denn sie müssten über einen langwierigen Lernprozess, über Erfahrung und Praxis von Individuen (die unterschiedlich gute Voraussetzungen dafür mitbrächten) eingepasst werden. Ein solcher Adaptionsprozess an neue strukturelle Veränderungen aber brauche Zeit.

Bourdieus Vorschlag – Spannungen und Lernprozesse als nicht-deviante Verhaltensweisen zu verstehen und damit erst der Analyse zugänglich zu machen – muss meiner Meinung nach durch eine weitere Perspektive ergänzt werden: Befindet sich eine Gesellschaft im Übergang, ist keineswegs klar und eindeutig, was ihr Ziel sein wird. Weder gibt es eine notwendige (und wiederum statische) Endstation, noch gibt es ausschließlich eine adäquate und damit letztlich zu erreichende Umgangsweise mit strukturellen Veränderungen. Der Übergang ist vielmehr eine vergleichsweise offene Situation, in der verschiedene Adaptionsprozesse beobachtet werden können.

„Übergangsgesellschaften“ bezeichnet also soziale Gebilde, deren Kontexte und innere Strukturen, Machtverhältnisse und Praxisformen in Bewegung geraten sind. Während einer längeren Phase der Adaption kann man auf der Mikroebene beobachten, wie sich neue Konstellationen herausbilden, die sich nach und nach stabilisieren, ohne dass sie dabei determiniert sind. Der Begriff lenkt meine Aufmerksamkeit auf eine besondere gesellschaftliche Dynamik, die Anpassungsprozesse erzwingt und mit recht hoher Wahrscheinlichkeit Konflikte hervorbringt.

Ich beobachte ländliche Gemeinden zwischen 1850 und 1950 als Übergangsgesellschaften, und zwar mit dem Ziel, die Adaptionsprozesse sichtbar zu machen und daraus wiederum Einsichten in den gesellschaftlichen Wandel auf der Mikro- ebenso wie der Makroebene zu gewinnen.

 

Literatur:

Bauerkämper, Arnd: Traditionalität in der Moderne. Agrarwirtschaft und ländliche Gesellschaft in Mecklenburg nach 1945, in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 51 (2003), S. 9-33.

Boskoff, Alvin: Postponement of Social Decision in Transitional Society, in: Social Forces 31 (1953), S. 229-234.

Bourdieu, Pierre: Die zwei Gesichter der Arbeit. Interdependenzen von Zeit- und Wirtschaftsstrukturen am Beispiel einer Ethnologie der algerischen Übergangsgesellschaften. Aus dem Franz. Übers. u. m. einem Nachwort v. Franz Schultheis, Konstanz 2000 (frz. Orig. u.d.T.: Algérie 60. Structures économiques et structures temporelles, Paris 1977).

Dipper, Christof: Übergangsgesellschaft. Die ländliche Sozialordnung in Mitteleuropa um 1800, in: Zeitschrift für Historische Forschung 23 (1996), S. 57-87.

Grewe, Bernd-Stefan: Die Übergangsgesellschaft und ihre Umwelt, Schneider, Ute u. Raphael, Lutz (Hg.): Dimensionen der Moderne. Festschrift für Christoph Dipper, Frankfurt a. M. u.a. 2008, S. 687-705.

Osterhammel, Jürgen: Die europäische Übergangsgesellschaft im globalen Zusammenhang, in: Schneider, Ute u. Raphael, Lutz (Hg.): Dimensionen der Moderne. Festschrift für Christoph Dipper, Frankfurt a. M. u.a. 2008, S. 707-723.

Raphael, Lutz: Staat im Dorf. Transformation lokaler Herrschaft zwischen 1750 und 1850: Französische und westdeutsche Erfahrungen in vergleichender Perspektive, in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 51 (2003), S. 43-61.

Zunächst ausgespart habe ich aus diesen Überlegungen das Stück des Dramatikers Volker Braun von 1982. Braun, Volker: Die Übergangsgesellschaft (1982), in: Stücke 2, Berlin 1989, S. 119-146.

Quelle: http://uegg.hypotheses.org/23

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Straßengeschichte 3: Ausstellung zur Pragerstraße

Nun also, nach der Triesterstraße und der Brünnerstraße die Pragerstraße:

Im Stadtmuseum Hollabrunn eröffnet am 23.5.2013 um 19 Uhr die Ausstellung Entlang der Pragerstraße. Konstante im Fluss der Zeit; sie wird allerdings nur kurz und zu reichlich obskuren Öffnungszeiten zu besichtigen sein, nämlich nur bis 30.6.2013 jeweils Sonntags 9:30-11:30. Die Ausstellung ist Nebenprodukt zu einem Buchprojekt über die Pragerstraße, das in der Edition Winkler-Hermaden erscheint.

Info:
Die Prager Straße verlief entlang der Trassenführungen der historischen Altstraßen von Wien-Floridsdorf über Hollabrunn und Znaim in die böhmische Residenzstadt Prag. Sie war Wiener Kaiser- und später Reichsstraße und ist auf österreichischem Boden heute die Bundesstraße 303. In Form der historischen, zweisprachigen Ausstellung „Entlang der Pragerstraße“ wird die Prager Straße als Konstante im Fluss der Zeit in den Stadtmuseen Hollabrunn und Znaim sowie in der Marktgemeinde Guntersdorf präsentiert. Im Zentrum der Ausstellung steht nicht der nostalgische Blick zurück, sondern die Geschichte der Menschen entlang dieses Verkehrsweges.

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/404097626/

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Call4Papers für Graduierten-Symposium: Gendered Spaces / Spatialized Gender – Synthese und Perspektiven der Konstitution von Raum und Geschlecht (bis 25.05.13)

Raum ist überall. Ebenso wie die Kategorie Geschlecht ist er präsent in Alltag und Wissenschaft. Hierzu trugen vor allem die Institutionalisierung der Geschlechterforschung sowie der so genannte spatial turn bei. Besonders in kulturwissenschaftlichen Kontexten liefern raum- bzw. geschlechtsorientierte Ansätze vielfältige … Weiterlesen

Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/4802

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