Wie lassen sich Web-Anwendungen im archivischen Arbeitsalltag nutzen? Versuch einer Übersicht

Im Rahmen der anregenden Diskussion von Bastian Gillners Artikel “Wollen Archive (mehr) Nutzer?” auf dem Gemeinschaftsblog Archive 2.0 kam die Forderung nach einer Zuordnung von Web 2.0-Anwendungen zu archivischen Aufgaben auf  (vgl. Kommentar von Stefan Schröder). Thomas Wolf hat daraufhin dankenswerterweise Archivaufgaben und Web 2.0-Tools in einer Liste zusammengefasst und zur Diskussion gestellt. Ich nehme die Einladung zur Ergänzung gerne an. Die Aufstellung von Herrn Wolf aufgreifend, habe ich versucht, die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von Web-Anwendungen im archivischen Arbeitsalltag noch etwas anschaulicher zu machen. Die entstandene Tabelle ist öffentlich zugänglich und kann von allen Interessierten ergänzt und weiterbearbeitet werden (Link siehe unten).

Zum besseren Verständnis möchte ich an dieser Stelle kurz erläutern, welche Überlegungen mich bei der Erstellung der Tabelle geleitet haben.1

Screenshot Tabelle Web-ToolsGemeinsame Betrachtung von Web 1.0 und Web 2.0-Anwendungen

Sowohl Web 1.0-Anwendungen, wie Email und Homepage, als auch Web 2.0-Tools können für vielfältige Fachaufgaben eingesetzt werden. Eine Übersicht, die auf einen Blick die Einsatzmöglichkeiten beider Arten von Web-Anwendungen verbindet, ist daher m.E. sinnvoller, als eine künstliche Unterscheidung. In der Praxis wird sich die Wahl eines bestimmten Werkzeugs oder Mediums einerseits daran orientieren, welches konkrete Ziel im Rahmen einer Fachaufgabe erreicht werden soll, andererseits daran, welche Zielgruppe oder Adressaten man ansprechen möchte. Ob es sich dabei um ein Web 1.0 oder ein Web 2.0-Tool – oder gar ein analoges Medium (z.B Flyer) – handelt, ist letztlich von den konkreten Rahmenbedingungen eines Archivs abhängig (Finanzen, technische Ausstattung, Nutzerklientel, Personalausstattung und -qualifikation, etc.).

Visuelle Unterscheidung zwischen Kernaufgaben, Querschnittsaufgabe Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikationsteilnehmern

Bei der Definition der Kernaufgaben habe ich eine klassische Herangehensweise gewählt und weiche daher von den Vorschlägen von Herrn Wolf an einigen Stellen ab. Als Kernaufgaben betrachte ich die folgenden, grundsätzlich gleichrangigen,  Aufgabenkomplexe (in der Tabelle jeweils durch horizontale dunkelblaue Balken gekennzeichnet):

  • Archivmanmagement2
  • Vorarchivische Schriftgutverwaltung
  • Überlieferungsbildung
  • Bewertung
  • Erschließung
  • Zugang/Benutzung
  • Bestanderhaltung
  • Historische Bildungsarbeit (inkl. Archivpädagogik)

Öffentlichkeitsarbeit definiere ich als Querschnittsaufgabe, die sich durch alle genannten Kernaufgaben hindurchzieht. In der Tabelle wird dies durch den übergreifenden vertikalen Balken am rechten Rand dargestellt (gelb).

Zusätzlich zur Unterscheidung von Kernaufgaben und der Querschnittsaufgabe Öffentlichkeitsarbeit erscheint es mir sinnvoll, verschiedene Adressaten oder Kommunikationsteilnehmer sichtbar zu machen (hellblaue Darstellung). Ich habe dabei unterschieden zwischen der

  1. Kommunikation innerhalb des Archivs
  2. Kommunikation mit der entsprechenden Fachcommunity
  3. Kommunikation mit konkret definierten Dritten (ggf. je nach Kernaufgabe unterschiedliche, z.B. Nutzer, Registraturbildner, politische Entscheidungsträger, Bildungseinrichtungen, Dienstleister, etc.)
  4. Kommunikation mit der interessierten Öffentlichkeit als Teil der Querschnittsaufgabe Öffentlichkeitsarbeit

In einigen Aufgabenbereichen überlappen sich m. E. Kernaufgabe und Querschnittsaufgabe in Bezug auf die Kommunikationsteilnehmer der 3. Kategorie deutlicher als in anderen. Dies ist in der Tabelle durch eine grünliche Färbung dargestellt.

Anwendungsbeispiele – Einladung zur Ergänzung!

Ich habe versucht, möglichst viele Anwendungsbeispiele in die Tabelle einzutragen. Es bleiben dennoch noch viele Felder leer. Das liegt zum einen daran, dass nicht alle verfügbaren Web-Tools in allen Arbeitsbereichen für alle Adressaten in gleichem Maße sinnvoll eingesetzt werden können. Zum anderen habe ich mit vielen dieser Tools selbst keine praktische Erfahrung – mein Vorstellungsvermögen für weitere Einsatzmöglichkeiten ist daher begrenzt und es könnten sicherlich weitere Tools in die Liste aufgenommen werden. Auch die Auswahl der Links zu bereits real existierenden Beispiele ist sehr selektiv ausgefallen. Dies ist vor allem zeitlichen Beschränkungen geschuldet und ich bitte die Auswahl oder Nichtauswahl der verschiedenen existierenden Projekte nicht wertend zu verstehen! Weitere Beispiele sind zu ergänzen. Die Tabelle ist deshalb ausdrücklich zur Weiterberarbeitung vorgesehen und ich würde mich freuen, wenn sie als Gemeinschaftsprojekt wachsen würde.

Link zur Tabelle: https://docs.google.com/spreadsheets/d/1WhkC8xQLnoKCJqPR-W52hYp43xvp-jOdnXViJ9FDuhM/edit?usp=sharing

  1. Dank geht an Klara Deecke für konstruktive Kritik und wertvolle Ergänzungen.
  2. Archivmanagement kann natürlich auch als Querschnittsaufgabe definiert werden. Darauf wurde hier aus Gründen der Darstellbarkeit verzichtet.

Quelle: http://archive20.hypotheses.org/2206

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Erkenntnisgenese der Gestapo mit TimelineJS darstellen?

Die Gestapo beobachtete die „Winzengruppe“ über mehrere Monate hinweg.  Man kann die Erkenntnisgenese der Beamten chronologisch nachvollziehen. Einerseits durch den ständigen Kontakt mit einem „Vertrauensmann“, also dem Spitzel, dem es gelingt, mehr und mehr Namen in Erfahrung zu bringen, je mehr er in die Gruppe integriert wird, andererseits durch die Überwachung der Post oder auch durch die Beschattung von Gruppenmitgliedern.

Vernehmung

Während sich der Spitzel und der mit den Ermittlungen betraute Gestapomann anfangs nur in einem monatlichen Turnus trafen, verdichteten sich die Kontakte der beiden in der letzten Phase der Überwachung. Interessant finde ich beispielsweise die Aktivitäten, die der Ermittler entfaltet, um die Gruppenstruktur als solche zu erhalten: So nimmt er mehrmals Kontakt mit dem Wehrbezirkskommando auf, um Einberufungen aufzuhalten. Die Beobachtung soll so lange wie möglich aufrechterhalten werden, um so viele Leute wie möglich zu identifizieren. Eben diese Aktivitäten sind es, die Paul Winzen mehr durch Zufall irgendwann auffallen. Während eines Termins beim Arzt entdeckt er einen Vermerk darüber, dass die Gestapo in etwaige Entscheidungen über Wehrtauglichkeit miteinbezogen werden muss. Das löst eine Kettenreaktion aus, die schließlich zur Verhaftung aller bisher bekannten Gruppenmitglieder führt.

Diese Abfolge von Ereignissen und deren Dynamik möchte und muss ich schriftlich ausdrücken. Ich hatte zuerst mit einem „Tagebuchstil“ geliebäugelt. [Ganz ähnlich dem Tool TimelineJS, dass Christoph Pallaske dankenswerterweise in seinem Blog vorgestellt und erklärt hat. (Ich kannte es zum Zeitpunkt meiner Überlegungen noch nicht.)]

Diese Art der Darstellung ist allerdings für die Masterarbeit auf mannigfaltige Weise methodisch problematisch. Die Chronologie, die ich eigentlich erreichen will, ist gleichzeitig auch ein Hindernis, denn dadurch wirkt das Kapitel über den Beobachtungsprozess fragmentarisch. Die Ereignisse werden zerstückelt, es gibt keinen Fließtext, der sie systemisch mitteinander verknüpft und Schmiechen-Ackermann würde es wahrscheinlich eine Reproduktion der Verfolgerakten nennen.

Bis jetzt habe ich noch keine Lösung für mein Dilemma gefunden, aber da ich eine Stephen Kingeske Schreibtechnik verfolge, also zunächst einfach runterschreibe und dann verschönere, wird sich vielleicht noch ein Weg eröffnen. Vielleicht ist ja auch beides gleichzeitig möglich.

Quelle: http://winzen.hypotheses.org/114

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#wbgavie | Torsten Hiltmann: Heraldica Nova

Gastbeitrag von Torsten Hiltmann (Münster) anlässlich des Workshops „Bloggen in Geschichtswissenschaft und Archivwesen“, der am 10. November 2014 in Wien stattgefunden hat.

Die Heraldik wurde von Historikerinnen und Historikern für lange Zeit oft nur als selbstreferentielle Hilfswissenschaft betrachtet, die sich auf das Systematisieren und Kategorisieren von Wappen beschränkt. Dass jedoch das omnipräsente Phänomen der Wappen und die überlieferten Quellen mit Blick auf Kommunikation, Mentalitäten und Kultur des europäischen Mittelalters und der Frühen Neuzeit ein enormes Erkenntnispotenzial mitbringen, hat erst in jüngerer Zeit das Interesse der Forschung gefunden. Seitdem versuchen Forscherinnen und Forscher der Heraldik und der Geschichtswissenschaft im gegenseitigen Austausch gemeinsam, das Phänomen der heraldischen Zeichen aus der Perspektive der neuen Kulturgeschichte in ihren gesellschaftlichen Performanzen und Funktionen zu untersuchen. Durch das interaktive Medium des Blogs will das Heraldikportal „Heraldica Nova“ der Forschung zur Geschichte der heraldischen Kommunikation als Sprachrohr zur interessierten Öffentlichkeit dienen und den Aufbau eines internationalen Forschungsnetzwerkes fördern, indem es eine zentrale Kommunikationsplattform für den heraldisch-historischen Forschungsdiskurs anbietet.

Kulturgeschichte der Heraldik – neue Ansätze für alte Quellen

Der Blog „Heraldica Nova“, ins Leben gerufen 2013 von Torsten Hiltmann als Teil des von der VolkswagenStiftung geförderten Dilthey-Projektes „Die Performanz der Wappen“ an der Universität Münster, möchte die Chancen einer kulturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit heraldischen Zeichen mittels eines offenen Blogs dem akademischen und öffentlichen Diskurs zugänglich machen. Seit der Veröffentlichung im vergangenen Jahr kann der Blog bereits auf eine erfolgreiche Entwicklung zurückblicken: In mehr als 80 Beiträgen sind Einblicke in die laufende kulturwissenschaftlich-heraldische Forschung gegeben worden, die von rund 3.000 Besucherinnen und Besuchern pro Monat gelesen und kommentiert werden. Dies haben die Macher zum ersten Jubiläum als Anlass genommen, den Blog in seiner inhaltlichen Ausrichtung und seinen Angeboten gründlich zu überarbeiten und zu erweitern. Beschränkte sich der Blog anfangs auf mittelalterliche Heraldik, sind angesichts der epochenübergreifenden Bedeutung von Wappen für die vormoderne Gesellschaft nun auch frühneuzeitliche Forschungen ausdrücklich willkommen.

Inhalte: Projekte, Debatten, Hilfsmittel

Als Plattform einer neuen kulturwissenschaftlichen Heraldik versteht sich der Blog durch Ankündigungen und Berichte von Konferenzen sowie durch Überblicke und Rezensionen zu aktueller Literatur zum einen als Wegweiser im laufenden Forschungsdiskurs. Darüber hinaus werden nun auch Materialien und Ressourcen zur Verfügung gestellt, die bei der Erforschung heraldischer Zeichen von Nutzen sein können und einen Einstieg in die wenig bekannte Materie geben. Dies schließt neben einem Überblick über die wichtigsten Zeitschriften und Bibliografien auch Datenbanken und Werkzeuge mit ein, die bei der Bestimmung von Wappen und dem Umgang mit heraldischen Begrifflichkeiten helfen können. Sammlungen digitalisierter Wappenbücher bieten einen einfachen Einstieg in die Quellen der heraldischen Forschung.

Online-Kommunikation als Forschungs- und Öffentlichkeitsarbeit

Vor allem aber versteht „Heraldica Nova“ sich als Plattform, auf der interessierte Forscherinnen und Forscher ausdrücklich aufgefordert sind, ihre eigenen Erkenntnisse zu veröffentlichen, neue Ideen vorzustellen und aktuelle Forschung und Literatur im Online-Gespräch mit den Kolleginnen und Kollegen zu diskutieren. Das Trägerprojekt „Die Performanz der Wappen“ an der Universität Münster stellt dabei nicht nur die notwendigen Ressourcen, sondern auch eine redaktionelle Betreuung der Beiträge sowie wissenschaftliche Ansprechpartner zur Verfügung. Der akademische Diskurs auf der Plattform des Blogs soll so die Potenziale der kulturwissenschaftlich-heraldischen Forschung einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen und ihre Vertreterinnen und Vertreter miteinander vernetzen. Leserinnen und Leser sind ausdrücklich dazu aufgerufen, diese Beiträge zu kommentieren. Im freien Austausch der Blog-Lesenden mit den Verfasserinnen und Verfassern entwickeln sich so oft fruchtbare Gespräche und wertvolle Impulse für die eigene Forschung, besonders dann, wenn das Wissen der mitlesenden Expertengemeinde unmittelbar angesprochen wird und über die Kommentarfunktion sofort antworten kann.

Sichtbarkeit durch Vernetzung

Das Medium des Blogs bietet auf diese Weise die Möglichkeit, nicht nur die Sichtbarkeit der eigenen Forschung zu erhöhen, sondern auch deren Vernetzung innerhalb der Fachwelt zu fördern. Dies gelingt, weil das Blog nahtlos mit anderen Online-Medien vernetzt und erreichbar ist: Über RSS-Feeds und Newsletter können Interessierte ebenso „am Ball bleiben“ wie über Twitter, Facebook und Google+.

Torsten Hiltmann ist Juniorprofessor für die Geschichte des Hoch- und Spätmittelalters und Historische Hilfswissenschaften am Historischen Seminar der Universität Münster. Hier leitet er u.a. das von der VolkswagenStiftung im Rahmen eines Dilthey-Fellowships geförderte Forschungsprojekt „Die Performanz der Wappen. Zur Entwicklung von Funktion und Bedeutung heraldischer Kommunikation in der mittelalterlichen Kultur (12.–15. Jahrhundert)“.

Quelle: http://bioeg.hypotheses.org/830

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Das Opfergelände der Erde (Ditan 地壇)

Das in Reiseführern und populären Darstellungen meist in verkürzter Form als “Erdaltar” bezeichnete Opfergelände der Erde (Ditan 地壇) in Beijing wurde 1530 – im neunten Jahr der Ära Jiajing 嘉靖 – angelegt.[1] Dieses Opfergelände lag knapp außerhalb des nördlichen Teils der um die Innere Stadt (neicheng  内城) errichteten Stadtmauer (in der Nähe des Anding-Tores (Andingmen 安定門).

Die gesamte Anlage ist als “Gegenstück” des in der Südlichen bzw. “Äußeren Stadt” (waicheng 外城) gelegenen Opfergeländes des Himmels zu sehen. Im Unterschied zu letzterem basiert die Gestaltung des Opfergeländes der Erde auf geraden Zahlen und rechteckigen Formen. Es dominiert die Zahl sechs. So befinden sich an der Nordseite des eigentlichen “Altars” sechs Marmortore (dagegen nur je eines im Osten, Süden und Westen). Die quadratische Altarterrasse (fangze tan 方澤壇) ist von einer quadratischen Einfassung umgeben. Die Terrasse selbst ist in zwei Ebenen gegliedert und ist über vier – je achtstufige – Treppen zu erreichen.[2]

Altar of Earth, Beijing

Hinweistafel bei der Altarterrasse am Opfergelände der Erde. – Foto: Georg Lehner, 2011 

Im konfuzianischen Staatskult war der Ditan 地壇 fixer Bestandteil der “Großen Opfer”. Alljährlich zur Sommersonnenwende (xiazhi 夏至) vollzog der Kaiser hier die Opferzeremonien.[3]

Etwas mehr als ein Jahrzehnt nach dem Ende des Kaiserreichs wurde das ehemals für den nun obsolet gewordenen konfuzianischen “Staatskult” in einen Park umgewandelt und der Öffentlichkeit erstmals zugänglich gemacht.[4] 1933/34 gab es Bemühungen, die Opfergelände wieder “rückzubauen”, 1938 wurde der Park geschlossen und erst einige Jahre nach Gründung der Volksrepublik China erneut der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.[5]

Lesen Sie auch:
- Das Opfergelände des Himmels und der konfuzianische Staatskult
- Das Opfergelände für die Götter des Bodens und der Feldfrüchte (Shejitan 社稷壇)

  1. Zur 1530 vom Kaiser vorgenommenen Veränderung und Vermehrung der Opfergelände vgl. Vgl. Lei Gao, Jan Woudstra: “From landscape of gods to landscape of man: Imperial altars in Beijing.” Studies in the History of Gardens & Designed Landscapes vol. 31, no. 4 (2011) 233. – doi: 10.1080/14601176.2011.587279.
  2. Vgl. Patricia Bjaaland Welch: Chinese Art. A Guide to Motifs and Visual Imagery (Singapore 2008) 227 (“Six”).
  3. Vgl. H.S. Brunnert / V. V. Hagelstrom: Present Day Political Organisation of China (Shanghai: Kelly and Walsh, 1912) 203 sowie J. J. M. de Groot: Universismus. Die Grundlage der Religion und Ethik, des Staatswesens und der Wissenschaften Chinas (Berlin 1918) 187-196, zum Termin für diese Opferzeremonie vgl. ebd., 192.
  4. Gao/Woudstra: “From landscape of gods to landscape of man”, 248.
  5. Gao/Woudstra: “From landscape of gods to landscape of man”, 252.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/1470

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Volltext und Folien: Archivisches Bloggen in Deutschland (10.11. 2014, Wien)

Folien und Volltext (leicht gekürzt, aber mit den wichtigsten Nachweisen) meines Vortrags heute in Wien.

Archivisches Bloggen in Deutschland, 10.11.2014, Wien (Bloggen in Geschichtswissenshaft und Archiven – Workshop)

 Einführung

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

der Titel meines Vortrags ist natürlich eine Täuschung, wenn auch unbeabsichtigt. Ihnen in einem kurzen Vortrag einen Überblick über Archivblogs in Deutschland geben zu wollen, das würde nur zur vielen – und sehr verkürzten Beschreibungen führen. Und das könnten die dort Bloggenden auch viel besser.

Vor wenigen Jahren hätte man über ganz wenig berichten können bzw. nur ganz wenige Blogs aufzählen können: Neben „Archivalia“, das von Klaus Graf ja seit über 10 Jahren mit Themen und Meinungen rund ums Archivwesen befüllt wird, stehen ja seit einiger Zeit regional oder auch regionalgeschichtlich orientierte Archivblogs (gutes Beispiel: siwiarchiv, seit Anfang 2012); daneben sind quellenorientierte Blogs eine gute Option für Archive; ebenso möglich und genutzt werden Projektblogs (Bsp. Archivum Rhenanum), Blogs zu Veranstaltungen (zu denken ist da vor allem an die regionalen Archivtage, aber auch an das Blog der Konferenz „Offene Archive“), dann Blogs zu archivischen Spezialthemen (das geht von der Aktenkunde bis hin zur Frage des Web 2.0-Einsatzes – hier also wiederum „Offene Archive“); dann haben wir natürlich auch einige (oder eher: wenige) institutionelle Archivblogs. Daneben bloggen Kolleginnen und Kollegen auch in wachsender Zahl bei einigen Gemeinschaftsblogs mit – das passt natürlich besonders, wenn es um Kernkompetenzen wie Landesgeschichte und ähnliches geht.

Manches wird ja auch heute Nachmittag noch angesprochen werden, etwa das Blog des Archivamts in Münster gleich im Anschluss. Die gesteigerten Aktivitäten sind sicher dem Umstand zu verdanken, dass das Thema in der Archivwelt angekommen ist – wenn auch der überwiegende Teil der Archivarinnen und Archivare der Sache mit Skepsis gegenüber steht. Aber mein Eindruck ist, dass es nicht mehr grundsätzlich in Frage gestellt wird. Und dass das Web 2.0 auf Archivtagen eigene Sektionen und ähnliches erhält, das ist ja sicherlich ein gutes Zeichen.

Woran liegt das? Es liegt sicherlich an Archiven, die einfach mal in die neue Welt eingestiegen sind. Und vielen, die dann gefolgt sind oder zumindest interessiert waren. Es liegt an Konferenzen und eben Blogs, die dem Thema sicherlich auch etwas den Weg geebnet haben und auch zeigen, dass man sachlich über die Dinge sprechen kann. Bestes Beispiel zuletzt ist ja die Diskussion zum Beitrag von Bastian Gillner auf „Offene Archive“ – über 60, oft längere Kommentare, und alles ohne die Nebengeräusche, die man von anderen Seiten kennen gelernt hat. [...]

Das Aufblühen der Blogs unter den Archiven und Archivaren mag auch daran liegen, dass es beispielsweise über de.hypotheses sehr einfach ist, ein Blog aufzubauen. Dass das nichts kostet und man noch technische Unterstützung und die Einbettung in eine geisteswissenschaftliche community dazu bekommt – das ist klasse und ich kann das nur empfehlen, auch aus Sicht eines Archivs, das derzeit vier Blogs über das Blogportal betreibt bzw. an Blogs mitbeteiligt ist.

Das Aufblühen der Blogs und generell der Sozialen Medien bei unseren Einrichtungen hängt vielleicht auch damit zusammen, dass ich die Möglichkeit habe, schnell und ohne Umwege oder lange Wartezeiten an die Öffentlichkeit zu kommen. Wer jemals in einer größeren Verwaltung gearbeitet hat, der weiß, dass die Wege ins Netz und die Betreuung einer Homepage nicht immer gottgegeben sind und dem Archiv in die Hand gelegt werden.

Doch jetzt genug davon. Ich möchte mit Ihnen nun noch einen Blick darauf werfen, welche Entwicklungen derzeit bei den deutschen Dachorganisationen des Archivwesens laufen. Ich meine damit zum einen den Verband deutscher Archivarinnen und Archivare, dann aber auch die BKK, die Bundeskonferenz der Kommunalarchive beim Deutschen Städtetag.

In beiden Fällen geht es auch um den Einsatz von Blogs.

VdA-Arbeitsgruppe „Öffentlichkeitsarbeit und Social Media“

Also zunächst zum VdA. Hier hat vor einigen Monaten die Einsetzung einer AG zum Thema Öffentlichkeitsarbeit und Social Media positiv überrascht – zumindest wird man mal davon ausgehen dürfen, wenn man sich die Ziele der AG vor Augen führt: Es geht um eine Neuausrichtung der Öffentlichkeitsarbeit der Verbandes. Die AG wurde vom Gesamtvorstand eingesetzt. Ihr gehören neben Vertretern aus dem Vorstand und der Geschäftsführung des VdA vor allem Kolleginnen und Kollegen an, die selbst bereits aktiv im Web 2.0 unterwegs sind – also ein Expertengremium, wenn man so will: Andrea Rönz, Bastian Gillner, Thorsten Unger, Jens Murken, Thomas Wolf und ich. Die Gruppe hat bereits die bisherigen PR-Kanäle des VdA unter die Lupe genommen – eine Erweiterung der zwei-Wege-Kommunikation war dabei Konsens. Die AG erarbeitet deshalb ein Gesamtkonzept für eine neue, erweiterte Öffentlichkeitsarbeit des VdA, die dann dem Gesamtvorstand vorgelegt wird. Hier wird es dann auch um Themen gehen wie:

Eigenschaften der neuen PR.

Instrumente der neuen PR.

Bestandsaufnahme.

Ziele und Zielgruppen.

 

Ein erklärtes Ziel ist es dabei vor allem, ein archivwissenschaftliches Blog aufzuziehen. Es könnte, was ja auch dem VdA-Aufbau nach Fachgruppen entspricht, nach Archivsparten gegliedert sein – also: staatliche, kommunale und kirchliche Archive, Archive der Wirtschaft, Medienarchive usw.

Es wird sicherlich Rubriken zum Verband, zu Veranstaltungen (wie dem deutschen Archivtag) und zu den VdA-Arbeitskreisen geben.

Die AG hat sich, ohne dass ich da zuviel verrate, auch bereits mit Themen wie guidelines für die Redaktion oder der Kommentarfunktion auseinandergesetzt – da geht es ja vor allem um die Frage der Moderierung und Freischaltung.

Als System soll übrigens wordpress verwendet werden.

Ich gehe davon aus, dass nächstes Jahr das VdA-Blog das Licht der Welt erblicken kann.

 

BKK-Unterausschuss „Historische Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit“

Ein Indiz dafür, dass die deutschen Archivare der Meinung sind: wir kommen nicht mehr am Thema Soziale Medien vorbei – ein Indiz ist nicht zuletzt, dass der Dachverband der deutschen Kommunalarchive, die BKK, einen Unterausschuss mit der Sache beschäftigt. Die BKK verfügt ja über eine Reihe solcher Ausschüsse, die dann Empfehlungen beschließen – das geht von der Bestandserhaltung über IT-Fragen bis hin zum harten Brot der Personenstandsunterlagen und anderes, was einen Kommunalarchivar manchmal so quält. Damit nun die Sozialen Medien keine Qual werden, hat die BKK bereits Anfang 2013 den Auftrag vergeben, Empfehlungen zu erarbeiten.

Man könnte jetzt einwenden: warum Empfehlungen und nicht einfach mal machen? Einige der Mitglieder des Ausschusses sind ja nun mal seit Jahren auch voll in der Web 2.0-Praxis drin. Klar. Aber vielleicht ist das Vorgehen über Richtlinien, Empfehlungen, guidelines und was immer auch dem deutschen Archivwesen angemessen. Wir schweben halt nicht einfach jenseits aller Verwaltungsstrukturen. Und ehrlich gesagt: eine Empfehlung, die hauchzart auch den Stempel des deutschen Städtetags trägt, ist sicher keine schlechte Waffe, wenn das „einfach mal machen“ mal auf Widerstand stößt.

Also Empfehlungen. Sie sollen den Weg ins „Neuland“ erklären und ein Wegweiser sein, und eine Handlungsanleitung sein.

Sie werden, soviel kann man bereits sagen, die folgenden Bereiche umfassen:

Zunächst ein großes Auffangbecken namens Soziale Netzwerke (da geht es dann neben den üblichen Verdächtigen auch um Video- oder Fotoplattformen); vieles wird wohl eher in Form einer kommentierten Linkliste genannt werden können.

Dann wird an zweiter Stelle die Nutzung von Blogs thematisiert. Darauf folgen dann die Nutzerorientierung bei einer Kernaufgabe, nämlich der Erschließung, und die Nutzerorientierung bei der Ressourcengenerierung – hier als Stichwort crowdfunding. Dann folgt ein Blick auf eine eigentlich ebenso wichtige Sache: die eigene Organisation 2.0 im Archiv.

Wie sind die Kapitel nun untergliedert?

Das wäre zunächst eine kurze Definition der Anwendung bzw. der Gruppe von tools eines Bereichs. Dann folgt eine Erläuterung zu den möglichen Zwecken des Einsatzes – also für welches Arbeitsfeld des Archivs könnte das relevant sein usw.?

Es folgt ein Blick auf die Ressourcenfrage, inklusive der Frage möglicher Kosten. Das ist ja bei der derzeitigen finanziellen Situation vieler Archive und ihrer Träger nicht ganz unwichtig. Beim Thema Kosten darf man allerdings unterstellen, dass da mit einem ganz geringen finanziellen Aufwand ein Höchstmaß an Signifikanz in der Archivwelt (und weit darüber hinaus) erreicht werden kann.

Aus meiner Sicht geht es hier auch darum, zu erläutern, wie viel Aufwand ein Beitrag bei Facebook, ein Tweet bei Twitter oder ein Blogpost machen kann – und wann etwas schief läuft: schief läuft z.B. etwas, wenn die Vorbereitung eines Facebook-Beitrags Stunden dauert und das von der Anteilnahme der halben Archivbelegschaft begleitet wird).

Alle fünf Hauptkapitel der Handreichung sollen dann mit praktischen Beispielen enden – genauer: mit best-practice-Beispielen. Hier wird man sicher den Blick nicht allein auf den deutschen Sprachraum richten. Da sind uns manche Staaten mit ihren Archiven oder auch Archivverwaltungen meilenweit voraus. Aber es tut sich was, nicht zuletzt in der Welt der Archiv-Blogosphäre.

Andererseits werden neben größeren Leuchtturmprojekten gerade auch die Beispiele aus kleineren Archiven von Interesse sein – denn hier zeigt sich, was mit etwas Engagement und vergleichsweise wenig Aufwand möglich ist. In manchen Fällen werden sicherlich auch Schulungen helfen, die Berührungsängste abzubauen – die Workshops, die jetzt mehrfach in NRW durchgeführt worden sind, können da angeführt werden. Praktische Beispiele sollen aber vor allem dazu animieren, die Sozialen Medien einmal auszuprobieren; vielleicht erst einmal als (bloggende) Privatperson, also als Archivar/in XY, dann aber auch als Institution.

Und: Es lohnt sich in aller Regel und befreit so manches Archiv vom Staub der Jahrhunderte, und wenn es nur das Image ist (das staubig wirkt).

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

Quelle: http://archive20.hypotheses.org/2201

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Zeitleiste Mediengeschichte im 19. und 20. Jahrhundert

Die Zeitleiste steht unter CC BY SA Lizenz und darf auch auf anderen Seiten weiterveröffentlicht werden (Anleitung)

Die auf der Lernplattform segu mittels Timeline JS erstellte Zeitleiste zur Mediengeschichte gibt einen Überblick zu sechs Themenbereichen mit folgenden Ereignispunkten| Zeitungen und Gedrucktes: Zeitungen – Buch – Zensur – Illustrierte – Litfaßsäule – Pressefreiheit – Bücherverbrennung – Spiegel-Affäre – E-Books und Online-Journalismus| Kommunikation: Brief – Telegrafie – Seekabel – Telefon – Feldpost – Telefonzelle – E-Mail – Mobiltelefon| Fotografie und Film: Fotografie – Stummfilm – Kleinbildkamera – Tonfilm – Farbfilm – Foto-Journalismus – Digitalkamera | Tonaufnahme und -wiedergabe: Phonograph – Schallplatte – Kompaktkasette – Compact Disc – MP3-Player| Hörfunk und Fernsehen: Radio – “Volksempfänger – Fernsehen | Computer und Internet: Computer – Homecomputer – Internet – Web2.0 – Smartphone – Digitale Überwachung. Die Zeitleiste verwendet ausschließlich frei lizensierte Bildmedien und kann als Open Educational Resources auch auf anderen Internetseiten weiterveröffentlicht werden.

Sowohl die Kategorisierung als auch die Auswahl an (teils exemplarischen) Ereignispunkten orientiert sich an einer schülerorientierten Darstellung. Dafür wird erstens ein Schwerpunkt auf die Entwicklung in Deutschland gelegt und zweitens versucht, auch gesellschaft-politische Auswirkungen mit einfließen zu lassen. In den Darstellungstexten wird auf weiterführende Informationen hauptsächlich aus der Wikipedia verlinkt. Wesentlich ist – soweit vorhanden – auch digital verfügbare Quellen und Darstellungen zu verlinken.

Anregungen, weitere Vorschläge zu möglichen Ereignispunkten und guten Links sowie ggf. Korrekturen sind sehr willkommen!

Quelle: http://historischdenken.hypotheses.org/2621

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#wbgavie | Barbara Zeitelhack: NDig – Neuburg und der große Krieg. Ein Pilotprojekt zur Stadtgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert

Gastbeitrag von Barbara Zeitelhack (Neuburg an der Donau) anlässlich des Workshops „Bloggen in Geschichtswissenschaft und Archivwesen“, der am 10. November 2014 in Wien stattfindet.

Bereits vor einigen Jahren, während der Arbeit an einer „Kleinen Stadtgeschichte“, hatten die Autoren des Bändchens diskutiert, ein Blog zur Geschichte der Stadt und des ehemaligen Fürstentums Neuburg zu starten. In der Publikation konnten viele Themen nur angerissen werden, die Quellen- und Literaturrecherche hatte umfangreiches und interessantes Material zu Tage gefördert, das häufig schwer oder nicht mehr zugänglich war, aber wichtige Impulse für eine neue stadtgeschichtliche Forschung geben konnte. Diese schien uns (den Autoren) zugunsten der Forschung zum Fürstentum Pfalz-Neuburg/Junge Pfalz arg vernachlässigt. Weiteres Movens waren die vielfältigen Möglichkeiten, die ein von verschiedenen lokalen Kulturinstitutionen getragenes Blog bietet: bessere Öffentlichkeitsarbeit, Hinweise auf aktuelle Veranstaltungen, Publikation von Aufsätzen und Vorträgen (die so oft am fehlenden Geld scheitert), Hinweise auf Quellen und Literatur und nicht zuletzt die Möglichkeit, digitalisierte Archivalien der Forschung und allen an der Lokalgeschichte Interessierten zugänglich zu machen. Unterschätzt hatten die Initiatoren allerdings den schwierigen Prozess der Abstimmung zwischen den verschiedenen potentiellen Trägern und deren unterschiedliche Vorstellungen über die Inhalte des Blogs. Aus vielen (nicht zuletzt finanziellen) Gründen wurde die Idee nicht realisiert, blieb aber virulent.

Den Anlass für einen thematisch „verschlankten“ Neubeginn lieferte das von Maria Rottler initiierte Blog „HistBav“ und ihr Hinweis auf das nichtkommerzielle wissenschaftliche Blogportal hypotheses.org. Im Sommer 2014 konstituierte sich ein institutionell unabhängiges Redaktionsteam und erarbeitete ein neues Konzept. Thema des Blogs sind stadtgeschichtliche Forschungen am Beispiel der Garnisons- und ehemaligen Residenzstadt Neuburg an der Donau im 19. und 20. Jahrhundert. Untersucht werden sollen sämtliche Bereiche des städtischen Alltags. Zunächst wird der Fokus auf der Zeit des Ersten Weltkriegs liegen. Neben der Publikation von Forschungsergebnissen wird auf Veranstaltungen bzw. aktuelle Entwicklungen aufmerksam gemacht. Getragen wird das Vorhaben von einer Arbeitsgruppe (Historiker, die zur Stadtgeschichte Neuburg arbeiten), ist aber offen für alle Interessenten, besonders solche aus lokalen und regionalen Kultur- und Bildungseinrichtungen. Inzwischen sind erste Inhalte eingestellt (und die Mitglieder der Arbeitsgruppe freuen sich – dank Frau Rottlers Hilfe – über eigene Fortschritte in der digitalen Welt).

NDig. Neuburg und der große Krieg. Ein Pilotprojekt zur Stadtgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert: http://neuburg.hypotheses.org

NDig

Barbara Zeitelhack ist Leiterin des Stadtarchivs Neuburg an der Donau.

Quelle: http://bioeg.hypotheses.org/785

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Jenseits des „Revisionismus“ – Christopher Clark über „Kriegsursachen, Auslöser und Ziele. Europäische Debatten zur Kriegsschuld“. Bemerkungen zu einem Vortrag an der vhs Regensburg vom 22.10.2014.

Jenseits des „Revisionismus“ –

Christopher Clark über „Kriegsursachen, Auslöser und Ziele. Europäische Debatten zur Kriegsschuld“.

Bemerkungen zu einem Vortrag an der vhs Regensburg vom 22.10.2014.

Christopher Clark wird sich einstweilen mit der Vorfreude begnügen müssen. Er freue sich nämlich, bekannte er eingangs, schon auf die Zeit, in der ihn ein nachlassendes Medieninteresse wieder in die Schreibstube des Forschenden entlassen werde. Der Vortagsraum der vhs Regensburg im Thon-Dittmer-Palais war aber jedenfalls bis zum letzten Platz besetzt, und ein Ende des Clark-Hypes ist nicht in Sicht. Die vhs Regensburg konnte sich keine ermutigendere Resonanz wünschen für ihr diesjähriges „Studium Generale“, das 2014 dem Thema 100 Jahre Erster Weltkrieg gewidmet ist und in Kooperation mit dem Institut für Ost- und Südosteuropaforschung eine Brücke zwischen Universität und einer breiteren, städtischen Öffentlichkeit schlagen soll – so einleitend Prof. Ulf Brunnbauer. Am ersten Abend ist dies glänzend gelungen. Der Erfolg seiner „Schlafwandler“ (250.000 verkaufte Exemplare) hat in Deutschland nicht zuletzt ein immens gesteigertes Interesse für die private, lokale und regionale Dimension des Ersten Weltkriegs befördert, das noch vor einigen Monaten so nicht zu erwarten gewesen wäre.1

In der Tat ist es gerade aus dieser Perspektive lohnend, dem Wanderredner in Sachen Kriegsausbruch immer wieder von neuem zuzuhören. Denn längst sind Clarks Auftritte Teil und Kommentar einer Debatte um die „Kriegsschuld“, die nirgendwo sonst in Europa – das unterstrich Clark auf eine Nachfrage aus dem Regensburger Publikum – derart intensiv, ja polarisierend geführt wird wie in Deutschland. In Frankreich beispielsweise seien seine Thesen ruhig und „souverän“, fast beiläufig aufgenommen worden, und in der breiten Erinnerung stehe die Trauer um die Toten im Vordergrund. Hierzulande dagegen wird die aktuelle Welle an bemerkenswerten lokalhistorischen Initiativen und Ausstellungen eben nicht durch eine gemeinsame Gedenkkultur getragen, das haben Clark und Gerd Krumeich unlängst auf dem Historikertag in Göttingen konstatiert.2 Vielleicht auch deswegen, das deutete Clark in Regensburg an, weil in (West-)Deutschland „viele Karrieren mit der Schuld verbunden“ seien, also einer Interpretation, in der 1914 stets im Zusammenhang mit 1939 betrachtet wurde und nie für sich selber stehen konnte. Es gebe aber „keine pyramidale Struktur“; bei der Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs bewege man sich in einer „anderen Welt“.

Noch einmal versuchte Clark in seinen Regensburger Ausführungen den Kern des Debatten-„Missverständnisses“ freizulegen und damit seine Herangehensweise zu verdeutlichen, die auch deswegen so große Beachtung und Zustimmung gefunden hat, weil sie auf eine aktuelle geopolitische Probleme sensibilisierte Öffentlichkeit trifft. Auf die europäischen Mächtesysteme wirkten schon vor 1914 globale Konflikte zurück (Beispiel: die britisch-russischen Bruchlinien in Fernost), der Konfliktherd Balkan und sein Sprengstoff – in vielen Darstellungen zum Ersten Weltkrieg oftmals sträflich vernachlässigt – ist seit den 1990er auch ex post verstärkter Aufmerksamkeit wert, die multipolare Welt-„Ordnung“ ist mit dem 21. Jahrhundert in veränderter Konstellation wiedererstanden und hat damit auch die Phase des beendeten Kalten Krieges („post-post-cold-war“) hinter sich gelassen. Dass die Attentäter von Sarajewo hochmotiviert-‚idealistische’ junge Männer waren, die den Selbstmord als Opfer für eine größere Sache betrachteten, verschlägt uns im (postheroischen) Westen nicht erst seit den letzten Monaten die Sprache (und doch hilft hier im Nachfeld kein hochmütiges Herabsehen weiter). Zudem: Ein Ereignis, so Clark, kann „härter“ sein als die Strukturen, von denen die Strukturhistoriker der 1970er Jahre (fast) alles ableiten zu können vermeinten. Dass unmittelbar nach dem 28. Juni 1914 kaum einer in Europa glaubte, einen guten Monat später werde man sich in einem Weltkrieg befinden, spricht nicht dagegen: Gerade deswegen müsse man den Kriegsausbruch und seine Vorgeschichte als komplexestes Ereignis der Neuesten Geschichte begreifen und analysieren – und deswegen darf man es auch nicht, so ließe sich hinzufügen, vorab in einem Quasi-Determinismus aus den ‚Ismen’ der Zeit (Nationalismus, Imperialismus, Militarismus etc. pp.) ableiten. Anschaulich machte Clark noch einmal deutlich, dass der Ort oder die Orte der Macht den Handelnden aller Mächte vielfach und immer wieder im Nebel verschwanden, die polyzentrischen Macht- und Entscheidungsstrukturen der Außenminister, Regierungsbeamten, Militärs und Botschafter jedes eigene Handeln mit vielen Unbekannten (im wahrsten Sinne des Wortes) belasteten. Jeder Handelnde beobachtete und handelte als Beobachter von nur relativ stabilen Platze aus – letztlich machte diese gleichsam „Heisenbergsche Unschärfe“ nicht erst in der Juli-Krise jede Aktion – es post, nach der Katastrophe weiß man es! – immer zu einem potenziellen Vabanque.

Ausdrücklich betonte Clark, dieses Ernstnehmen einer multipolaren und hochkomplexen Situation und des gerade in der Interaktion höchst störungsanfälligen europäischen Systems ziele keineswegs auf eine Reinwachsung der deutschen Politik in der Julikrise; Fritz Fischer habe ein noch heute gültiges Programm des deutschen „Kollektivhirns“, also der entscheidenden Politiker und Militärs gezeichnet, auf das man „gewiss nicht stolz sein kann“. Allerdings sei in den letzten Jahren die Forschungsliteratur „stark im Wandel begriffen“ gewesen (das hat nur vor Clarks brillanter Synthese, so ist hinzuzufügen zumindest in der breiteren Öffentlichkeit kaum einer bemerkt), u.a. hob er die Arbeiten von Friedrich Kießling oder von Stefan Schmidt zur französischen Außenpolitik hervor.3 Dass für das französisch-russische Bündnis ab 1912 ein Balkankonflikt zum casus foederis werden konnte und das „Vorwerk“ Serbien in diesem Kontext dabei eine gefährliche „geopolitische Sollbruchstelle“ darstellte, hob Clark noch einmal hervor – ebenso wie die französische Motivation, der keinesfalls ein geradliniger (Kriegs-)Plan zugrunde lag, sondern die Befürchtung, man könne sich, in der eigenen Angst vor Deutschland, auf die Briten nicht verlassen und das immer stärker werdende Russland (eine Fehleinschätzung, der alle europäischen Mächte unterlagen) werde Frankreich dereinst nicht mehr brauchen, daher müsse man es – via Serbien – enger an sich binden. Jedenfalls dürfe man, so Clark, eben nicht nur auf die gebannt auf die Juli-Krise blicken und dort den deutschen Teil der Verantwortung isolieren; wie Herfried Münkler, der lakonisch von „langen und kurzen Wegen in den Krieg“ spricht4, betonte Clark in Regensburg auch jene recht kurzfristigen Entwicklungen im europäischen Mächtesystem, die sich eine deutschen Beeinflussbarkeit entzogen, die aber beträchtliche Rückwirkungen auf die Mitte Europas hatten: Insbesondere der italienische Angriff auf Tripolitanien 1911, von Großbritannien und Frankreich unterstützt, habe Entwicklungen in Gang gesetzt, die das verbündete Habsburgerreich in eine prekäre Lage brachten – es hatte nämlich kein vergleichbares „Vorwerk“ und befand sich nach den Balkankriegen 1912/13 im Juni 1914 in einer Situation, in der man zum Krieg gegen Serbien entschlossen (aber gar nicht ausreichend rasch mobilisierbar) war.

Nun ist alles, hier nur kursorisch Referierte im einzelnen von Spezialisten noch einmal zu diskutieren. Widersacher aber wird wohl keine dieser In-Betracht-Ziehungen überzeugen. Denn so wie Clark manche wirre Bewunderer gehässige Anti-Fischer-Emails schreiben (die er nicht beantwortet), so wollen viele seiner Kritiker ihm schon im Ansatz nicht folgen – insofern ist Clarks Formel vom „Missverständnis“ ein höflicher, aber letztlich erfolgloser Befriedungsversuch. Jenseits der fachwissenschaftlichen Diskussion wird auf einer anderen Ebene agiert: Heinrich August Winkler beispielweise, der in der ZEIT vom 18.8.2014 unter der Überschrift „Und erlöse uns von der Kriegsschuld“5 von „den Revisionisten von Clark bis [Jörg] Friedrich“ spricht, läuft nicht nur Sturm gegen eine hier angeblich „altmodische Konzentration auf die Diplomatiegeschichte“, sondern wirft Clark mit Autoren in einen Topf, bei denen er offene geschichtspolitische Motivation am Werk sieht. Dies ist hier nicht zu diskutieren, aber in diesem Kontext pauschal von einer „revisionistischen Literatur“ zu sprechen, die „jede Verbindung zwischen Demokratieabwehr der deutschen Eliten und Deutschlands Weg in den Ersten Weltkrieg“ leugne und daher versucht sei „in alter Manier ‚Versailles’, den Friedensvertrag von 1919, zur Wurzel alles folgenden Übels zu erklären“, kann man nicht auf sich beruhen lassen. Nun schließt sich eine ungeheuerlich zu nennende Unterstellung an, die aus Clarks Sicht eigentlich nur als ehrenrührig bezeichnet werden kann: „Wenn Deutschland ‚nur’ am Zweiten Weltkrieg schuld ist, am Ersten aber nicht, ist es kein weiter Schritt mehr zu der Behauptung, dass Hitler eben der große ‚Betriebsunfall’ der deutschen Geschichte war. Das schreibt bisher [!!] keiner der Revisionisten.“ Aber Clarks Leser, so meint es Winkler zu wissen, seien da schon weiter als der Autor: „Aber wenn es richtig ist, dass der ‚Clark-Effekt’ sich wesentlich aus tief sitzenden nationalapologetischen Bedürfnissen erklärt, dann liegt die Vermutung nahe, dass diese Folgerung bereits von vielen Deutschen [!] gezogen wird.“

Noch weiter in der Unterstellungspraxis geht der Historiker des deutschen Militarismus, Wolfgang Wette, der Clarks Buch mit wenigen Sätzen geschichtspolitisch zu erledigen vermeint: „Darin geht es, ohne dass es direkt ausgesprochen würde [!], um eine groß angelegte Entlastung der Deutschen.“ Ganz unverstellt trauert Wette um die Erosion dessen, was ihn wissenschaftlich sozialisierte: Die Fischer-Schule, so „könnte sich der Eindruck aufdrängen“, „habe sich mit ihren Vorstellungen national und international durchgesetzt. Doch nun, 100 Jahre nach Kriegsbeginn, wird an diesen Erkenntnissen wieder gerüttelt.“ Clarks Buch, auch wenn es über Fischer hinausgehe, habe, wie andere, „nichts an der Richtigkeit der Erkenntnisse von Fritz Fischer geändert.“ Kurz und bündig – ein Sachargument folgt nicht mehr –: „Seine [Clarks] Entlastung der Deutschen verträgt sich nicht mit den belegbaren Tatsachen.“ Man kann nicht umhin, auch Wettes Weiterungen aus den angeblich „fehlerhaften Geschichtsbildern über den Ersten Weltkrieg“ zu zitieren und dabei das eine oder andere Ausrufezeichen zu setzen: „Denn auch der politische Nebel, den diese Metapher verbreitet, ist keineswegs harmlos, sondern potentiell gefährlich. Er ist geeignet, die deutsche Gewaltgeschichte zu glätten und zu entsorgen. Unterschwellig [!] arbeitet dieses Bild einer Politik zu, die eine gestiegene politische Verantwortung in der Welt auch wieder militärisch definieren möchte.“ Man mache sich klar, dass auch der folgende Schluss-Satz auf Clark gemünzt ist: „Ein von historischer Kriegsschuld gereinigtes Deutschland könnte mit Hilfe eines geglätteten Geschichtsbildes einen größeren internationalen Handlungsspielraum beanspruchen und zu einer – auch militärisch instrumentierten – neuerlichen Weltpolitik [!] verleiten.“6 Clark – ein Wilhelm, gar ein Tirpitz redivivus! Sicherlich passt es in Wettes Weltbild, dass Clarks ‚revisionistisches’ Werk von manchen Tories in Großbritannien als „linkes Blöken“ – so Clark in Regensburg süffisant – abgetan wird.

Vorderhand subtiler, aber geschichtspolitisch wuchtiger und die Konstituanten der geschichtstheoretischen (Vor-)Entscheidungen bestätigend, schrieb Winkler in der FAZ von der „Kontinuität der Kriegspartei. Was 1914 gesät wurde, ging 1939 auf: Über den Zusammenhang der deutschen Politik bei Weltkriegsausbrüchen und über das historiographische Interesse, ihn zu verschleiern [!].“7 Die „Kontinuitätsfrage“ bzw. deren rechte, oder besser: linksliberale Beantwortung hat den „deutschen Sonderweg“ immer schon geklärt gehabt – wo wir uns auch befinden auf dem Zeitstrahl deutscher Geschichte zwischen Luther, Friedrich II., Bismarck und Hitler: 1914 ist mittelbar zu 1939, wir wissen ja, wie alles endet. Dass Winkler selbst Gerd Krumeich vor langer Zeit vor der Behandlung von >Versailles< gewarnt hat, weil dies nationalpädagogisch inopportun („zu gefährlich“) sei, ist belegt.8 Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen: Selbstverständlich ist die Rolle, sind die mentalen Prägungen der entscheidenden Eliten, zumal der zweifellos vorhandenen „Kriegspartei“ vor 1914 kritisch aufzuarbeiten, ist die extrakonstitutionelle Stellung des Militärs, der Einfluss des Militärkabinetts und des Generalstabs zu berücksichtigen. Das sagt aber a priori noch nichts über das Gewicht im Rahmen eines komplexen Ereignis- und Handlungsfelds. Die Frage nach der Verantwortung, den Verantwortlichkeiten, ist umso präziser zu beantworten, wenn – so Clark –„nach Möglichkeit […] die Antworten auf die Warum-Frage […] aus den Antworten auf Fragen nach dem Wie erwachsen, statt umgekehrt.“9 Wenn also – und das ist das entscheidende, weil methodologische Argument – ein historisches Phänomen, wenn dann auch Weimar immer nur und letztlich vorab entscheidend 1933, unter dem „geschichtlichen Ort der deutschen Katastrophe“ (Winkler)10 beleuchtet wird, dann ist das eine unzulässige Horizontverengung und eine ebenso unzulässige Komplexitätsreduktion. Wie formulierte der Nippedey-Schüler Wolfgang Hardtwig knapp und allgemeingültig: „Es macht, um die Denkmöglichkeiten, die Handlungsmotive und –horizonte zu verstehen mehr Sinn, eine Gegenwart als Nachgeschichte des Vorgestern zu lesen denn als Vorgeschichte des Späteren.“11 Und für eine Neubetrachtung der Nachgeschichte des „Großen Kriegs“, mithin für eine Geschichte der ersten deutschen Republik kann demzufolge Krumeichs Diktum nur uneingeschränkt zugestimmt werden: „Wir sollten im Übrigen endlich damit anfangen, eine Geschichte Weimars zu denken, die nicht vom Nationalsozialismus her erzählt wird, wie es bisher fast durchgängig der Fall ist. Die Weimarer Republik erklärt sich aus dem Ersten Weltkrieg, nicht aus dem Zweiten.“12 Hier, in dieser fundamentalen Perspektivenverschiebung, liegt nun, auf welcher Betrachtungsebene auch immer – und nicht zuletzt im Blick auf die regionalen politischer Kulturen – ein beträchtliches historiographisches Innovationspotenzial. Ob manche dies dann noch oder wieder „revisionistisch“ nennen, ist dann auch egal.

Zum Abschluss aber zurück zu Clark und seinen Kritikern. Angesichts einer Vielzahl von Studien, die vor oder zugleich mit Clark hundert Jahre nach dem Kriegsausbruch erschienen sind, ist eines klar: „dass man nicht hinter der Erkenntnis zurückfallen darf, „dass“, wie die hervorragende (vorläufige) Bilanz von Arndt Weinrich konstatiert, „die Schwierigkeit situative und strukturelle Faktoren zusammen zu bringen, wohl eines der (bleibenden) Kernprobleme der Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs bleiben wird.“ Fortan müsse man davon ausgehen, was alle fundierten neueren Studien verbindet: „Da ist zum einen der deutliche Trend, den Handlungs- und Entscheidungsspielraum wichtiger Akteure oder Akteursgruppen (agency) stärker zu gewichten und damit – und das ist eine zweite eng damit verbundene Tendenz – die vielen strukturellen Erklärungsansätzen wenigstens implizit innewohnende Linearität der Entwicklung zum Krieg zu Gunsten einer stärkeren Kontingenz der Ereignisse von 1914 zu relativieren.“13 Auf dieser Ebene gilt es fortan zu argumentieren – und nicht mehr auf der Basis obsoleter geschichtspolitischer Prämissen in nationalpädagogischer Absicht. Ob Deutschland auf dem „langen Weg nach Westen“ dem richtigen Kompass gefolgt ist und folgt, ist politisch, nicht historiographisch zu entscheiden.

1 Ein hier vorab zu nennendes Beispiel: Lübbers, Bernhard / Reichmann, Stefan (Hg.): Regensburg im Ersten Weltkrieg. Schlaglichter auf die Geschichte einer bayerischen Provinzstadt zwischen 1914 und 1918, Regensburg 2014. Und um hier neben einer größeren Stadt: http://www.karlsruhe.de/b1/stadtgeschichte/Kriegdaheim2014.de (Karlsruhe) auch kleinere aus der Region anzuführen: http://www.stadtmuseum-noerdlingen.de/index.php/sonderausstellung/ereignis-erinnerung (Nördlingen), http://www.neuburg-donau.de/neuburg/veranstaltungen/sonderausstellung-stadtmuseum (Neuburg a.d. Donau). Für ganz Bayern natürlich zentral das Armeemuseum Ingolstadt: http://www.armeemuseum.de/de/aktuell/100-jahre-erster-weltkrieg.html. – Vgl. die einschlägigen Einlassungen von Johannes Paulmann und Gerd Krumeich auf dem Historikertag in Göttingen, 26.9. 2014, http://www.youtube.com/watch?v=LNnCAQh9sUE, 1:07 ff.

2 Ebd. 1:10:45 ff.

3 Einen aktuellen, umfassenden und präzisen Überblick bietet: Rose, Andreas: Ein neuer Streit um die Deutungshoheit? Neuere Literatur zu den Kriegsursachen von 1914, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2014-3-074. Herauskristallisiert habe sich mittlerweile, „dass das lange vorherrschende Muster von der wilhelminischen Außenpolitik als Inbegriff permanenten Versagens, wiederholt vorsätzlich ausgelöster Krisen und eines geradezu verbrecherisch herbeigeführten Krieges im Sommer 1914 korrekturbedürftig ist. […] Auch der ehemals breite Konsens zum ähnlich fest etablierten Interpretationsschema einer lediglich auf die deutsche Herausforderung reagierenden britischen Gleichgewichtspolitik ist mittlerweile ebenso erschüttert wie die vermeintliche Opferrolle Frankreichs oder Russlands.“

4 Münkler, Herfried: Der große Krieg. Die Welt 1914-1918, 5. Aufl. 2014, S. 25ff.

6 Alle vorangegangenen Zitate bei Wette, Wolfram: Seit hundert Jahren umkämpft: Die Kriegsschuldfrage, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 9/2014, S. 91-101, hier S. 91 und S. 101f.

7 Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 196, 25.8.2014, S. 15.

8 So offenbar Winkler Krumeich gegenüber, s. http://www.youtube.com/watch?v=LNnCAQh9sUE, 59:00 ff.

9 Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog, 7. Aufl. München 2013, S. 18.

10 Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 196, 25.8.2014, S. 15.

11 Hardtwig, Wolfgang: Volksgemeinschaft im Übergang. Von der Demokratie zum rassistischen Führerstaat, in: Lehnert, Detlef (Hg.): Gemeinschaftsdenken in Europa. Das Gesellschaftskonzept „Volksheim“ im Vergleich 1900-1938 (Historische Demokratieforschung. Schriften der Hugo-Preuß- und der Paul-Löbe-Stiftung Band 5), Köln-Weimar-Wien 2013, S. 227-253, S. 230.

12 Süddeutsche Zeitung, Nr. 50, 1./2. März 2014, S. 7.

13 Weinrich, Arndt: „Großer Krieg“, große Ursachen? Aktuelle Forschungen zu den Ursachen des Ersten Weltkriegs, in: Francia 40 (2013), S. 233-252; Zitate S. 240 bzw. 234.

Quelle: http://neuburg.hypotheses.org/67

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ReManage Thinking. Wissenschaft und Anwendbarkeit

HumanitiesManagementDie Wege der Wissenschaft sind unergründlich. Diese theologisch anmutende Aussage kommt mir manchmal in den Sinn, wenn Wissenschaftler eine abwehrende Haltung dagegen zeigen, die Relevanz ihres Faches aufzuzeigen. Natürlich mag es niemand, wenn sein Tun, seine Leidenschaft grundsätzlich in Frage gestellt wird. Außerdem ist es keine leichte Forderung. Sie bedeutet über Methoden und Disziplingrenzen hinweg gänzlich neue Blickwinkel einzunehmen. Genau das tat die Tagung „ReThinking Management“, die im Oktober an der Karlshochschule International University stattfand. Hier wurde die Anwendung von geisteswissenschaftlichen Theorien auf den Bereich des Managements thematisiert und dabei indirekt auch die Anwendung von Managementtheorien auf die Struktur, Organisation und das Selbstverständnis der Geisteswissenschaften.

Kulturelle Wissenschaften und das Selbstverständnis von Management

Modernes Management bedeutet eine Brücke zu bauen zwischen den auf Effizienz und Ertrag ausgerichteten Wirtschaftswissenschaften und Ansätzen aus anderen Wissenschaftsbereichen und sich selbst in Hinblick auf neue Kontexte und Herausforderungen kritisch zu reflektieren. Ein hehres Ziel, das auch für Bereiche Vielversprechendes zu bieten hat, die nicht Kapital, sondern Wissen und Werte generieren. Auch an sie werden Erwartungen gestellt, die sich neben qualitativem Output auf weitere Eigenheiten konzentrieren: transparent zu sein, digital, nachhaltig. Dahinter stehen vieldimensionale Veränderungen, die alle Bereiche der Gesellschaft gleichermaßen betreffen. Die Ausrichtung des klassischen Managements – auch von Kultur und Wissenschaft – auf Funktionalität entstammt dem historisch-kulturellen Kontext der westlichen Welt, sie ist nicht allgemeingültig und nicht vor aktuellen Veränderungen gefeit.

Ein Mangel klassischen Managements besteht darin, dass man sich aus einem vorgefertigten Werkzeugkasten bedient, um messbare Funktionen zu erfüllen. Dafür erschafft Management, ebenso wie Wissenschaft, eine Subsystem, eine künstliche Welt von Verhalten und Kontrolle. Diese ist abstrakt, reduziert Komplexität bis hin zur Mystifizierung, so fasste Ulrich Gehmann es in seinem Vortrag bei ReThinking Management zusammen, und übersieht dabei wichtige Details und Veränderungsprozesse. Wie Johan Kolsteeg von der Utrecht University of the Arts in seiner Präsentation aufzeigte, kann man Ziele besser erreichen, wenn man sich dem individuellen Kontext, dessen Akteuren und deren Bedürfnisse öffnet. Es bedarf dafür einer Gedankenkultur, einer Struktur und eines Managements, das grundlegendes Kontextwissen über Zielgruppen, Gesellschaft und Politik einbezieht. Deshalb braucht es die Geistes- und Sozialwissenschaften. Ihre Erkenntnisse werden nur in einem kleinen Teil der Management-Forschung und einem noch kleineren der Praxis miteinander verknüpft – ebenso, wie die Kultur und die (Geistes-)Wissenschaften sich kaum mit Theorien von Projektmanagement, Organisation und Führung für ihr Funktionieren beschäftigen. Beide verspielen damit die Möglichkeiten, das implizite Wissen ihrer Inhalte auf ihre explizite Ausführung zu übertragen.

Die Anwendung der Kulturwissenschaften

Aufgrund des Trends zu Individualisierung, Transparenz, einer erfüllenden Tätigkeit sowie zunehmender Interkulturalität auch bei Mitarbeitern ist das nicht nur für externe, sondern vor allem für die internen Beziehungen wichtig. Hier gewinnen neue Kommunikations- und Interaktionsformen an Bedeutung. Diese Idee geht aus den genannten Veränderungen und neuen Werten hervor. Mit der Erforschung der cultural turns haben die Geisteswissenschaften in den letzten Jahren viele Grundlagen gelegt. Wie sich dies anwenden lässt, zeigte Doris Bachmann-Medick in ihrem Vortrag bei ReThinking Management auf. Sie machte deutlich, dass Management alle Bereiche umfasst, die von kulturellen und kommunikativen Eigenheiten beeinflusst werden, sodass die Rücksichtnahme auf diese Eigenheiten mithilfe der cultural turns den Output einer Organisation positiv beeinflusst. Dabei sind diese mehr als ein situativ anwendbarer Werkzeugkasten und können kaum getrennt voneinander betrachtet oder angewandt werden:

  • Der translational turn befasst sich mit den Eigenarten und Möglichkeiten von Sprache und Rhetorik. Grundkenntnisse in diesem Bereich sind wichtig für den Umgang mit Partnern und Mitarbeitern mit verschiedenstem Background, also für das gesamte Organisationsgefüge.
  • Das Studium gesellschaftlich-ritualisierten und individuellen Verhaltens, der performative turn, kann das Funktionieren des Beziehungsgeflechts innerhalb und außerhalb einer Organisation verbessern. Eng daran gebunden ist das embodiement, also die Körpersprache.
  • Der interpretive und der pictorial turn erweitern dies auf den Bereich der Kommunikation über Versinnbildlichung, Sinngebung und Bildverständnis. Silke Schmidt zeigte anhand des Beispiels Storytelling auf, wie Metaphern und Geschichten dazu beitragen können, Kollegen wie Geschäftspartner positiv auf gemeinsame Werte und Ziele zu eichen und damit Zusammengehörigkeit und Verständnis zu schaffen. Storytelling wie auch Bildsprachen sind historisches Kulturgut und eignen sich besser als rationale Sprache dazu, Gedanken auf den Punkt zu bringen und Ideen anschaulich zu machen.
  • Der spatial turn greift das Thema Raum auf und beschäftigt sich damit, wie Arbeitsplätze und –umgebungen die Arbeit selbst beeinflussen, sei es in Hinblick auf Lautstärke, Kommunikation oder Kreativität. Entsprechend präsentierte Tobias Klingenmayer Vorstellungen vom Raum als Objekt der Erkenntnis, als Metapher und als Werkzeug für organisationale Veränderungen.

Die cultural turns sind also nicht nur geisteswissenschaftliche Forschungsthemen. Sie greifen gesellschaftliche Trends hin zu besserer Kommunikation, einem veränderten Selbstverständnis als Organisation oder Disziplin sowie die neuen Werte der Gesellschaft auf und wollen sie durch entsprechende Fragestellungen verstehen und darauf reagieren.

ReManage Thinking

Die Erkenntnisse der Wissenschaft zu aktuelle Themen in die Gesellschaft zu transferieren liegt in beiderseitiger Verantwortung. Auch bei Fachtagungen wie ReThinking Management fehlen aber beim intensivem Austausch und der Entwicklung neuer Ansätze die Praktiker, seien es Manager, Wissenschaftskommunikatoren oder Politiker. Auch ihr Anliegen sollte es sein, sich neue Modelle anzueignen, um die oft beklagte Hilflosigkeit abzubauen, gegebenes Wissen zu hinterfragen, Zusammenhänge zu verstehen, Verständnis zu lernen.

Es ist ein Manko – auch das machte ReThinking Management deutlich – dass Wirkungsweisen fernab von Zahlen schlecht fassbar sind. Potentielle Unterstützer lassen sich nur auf Basis gefühlter Verbesserungen schlecht überzeugen. Es ist also auch eine Aufgabe der Forschung, auf Basis eines Design-Thinking-Labcharakters entsprechende Tools und Möglichkeiten des Transfers und der Kommunikation zu entwickeln und in einer Testphase zu prüfen. Dabei ist auch die Dokumentation von Misserfolgen wichtig, um die übermäßige Produktion von hausinternem „Bullshit“ zu vermeiden, wie es Andre Spicer in Karlsruhe formulierte: je größer die Organisation desto mehr basiert sie auf Fassadenhaftigkeit nach außen wie innen. Dies bringt weder die gewünschte Aufmerksamkeit noch die Bindung von Mitarbeitern, Interessierten, Entscheidern oder  Geldgebern. Das eigene Selbstverständnis zu überdenken ist der erste Schritt. Anders zu handeln, ein „bullshit replacement management“, ist für Spicer der entscheidende zweite – die Überwindung der Kluft zwischen Theorie und Praxis, zwischen Forschung und Anwendung.

Quelle: http://kristinoswald.hypotheses.org/1494

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Forschungsprojekt: Corpus der barocken Deckenmalerei in Deutschland

BAYERISCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
Presse-Info Nr. 29/14
30. Oktober 2014

Corpus der barocken Deckenmalerei in Deutschland – ein neues Akademieprojekt

Zwischen 1550 und 1800 entstanden auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland tausende Wand- und Deckenmalereien, die großartige kulturelle und historische Zeugnisse darstellen. Die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern (GWK) hat heute beschlossen, die Dokumentation und kunsthistorische Analyse der Malereien ab 2015 mit rund 16 Mio. Euro im Akademienprogramm zu fördern. Das Projekt wird von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften betreut und unter der Leitung von Stephan Hoppe (LMU München) durchgeführt.

Die Deckenmalerei ist ein entscheidendes Element der frühneuzeitlichen Kunst in Europa, besonders bekannt sind die Leistungen der Maler des Barock. Dazu gehören weltbekannte Raumschöpfungen wie die Treppenhäuser der Würzburger Residenz und des Schlosses Pommersfelden, die Kuppeln der Wieskirche und Wallfahrtskirche Vierzehnheiligen, aber auch barocke Bibliotheksdekoration oder Deckengestaltungen in zahlreichen Rathäusern und Adelspalais. Erstmals wird mit dem Corpus der barocken Deckenmalerei in Deutschland dieser Bestand flächendeckend in Deutschland digital dokumentiert, erforscht und über das Internet allgemein zugänglich gemacht. Das Verhalten knüpft inhaltlich an ein früheres Corpuswerk an, das von den Münchener Kunsthistorikern Hermann Bauer, Bernhard Rupprecht und Frank Büttner herausgegeben wurde und in 15 Druckbänden von 1976 bis 2010 die Deckenmalerei der Region Oberbayern dokumentiert. Die digitale Komponente spielt nun eine entscheidende Rolle für die Aktualität und Sichtbarkeit der Ergebnisse. In dem Projekt werden sowohl erhaltene als auch zerstörte, durch historisches Quellenmaterial rekonstruierbare Werkkomplexe wie z.B. im ehemaligen Berliner Stadtschloss, dem Schloss Herrenhausen oder der Dresdner Frauenkirche behandelt. „Mit dem neuen Forschungsvorhaben baut die Akademie ihre kunsthistorische Kompetenz weiter aus. Ich freue mich, dass damit ein weiteres Mal ein innovatives Forschungsprojekt an der Akademie angesiedelt wurde, das sich mit modernsten Forschung- und Publikationsmethoden der Sicherung des kulturellen Erbes widmet“, so Akademiepräsident Karl-Heinz Hoffmann.

Das von Stephan Hoppe und Frank Büttner (LMU München) zusammen mit Hubert Locher und Christian Bracht (Philipps-Universität Marburg) beantragte Projekt hat eine Laufzeit von 25 Jahren und ein Gesamtbudget von rund 16 Millionen Euro. Das Projekt wird von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften betreut und ist am Institut für Kunstgeschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München und am Deutschen Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte der Philipps-Universität Marburg angesiedelt. Projektleiter ist Stephan Hoppe, Professor für Kunstgeschichte mit Schwerpunkt Bayerische Kunstgeschichte (LMU München). An beiden Institutionen wird als integraler Bestandteil des Projektkonzeptes wissenschaftlicher Nachwuchs an das Forschungsgebiet herangeführt und bei eigenen Arbeiten gefördert. Ein besonderes Merkmal des Forschungsprojektes ist seine integrale Zusammenarbeit mit Forschungsvorhaben außerhalb des klassischen geisteswissenschaftlichen Fächerkanons. „Auf diese Weise wird die kunsthistorische Barockforschung, die ja auf der objektbezogenen Arbeit mit Bildern und Bauten, Texten, Plänen oder Archivalien beruht, mit der neuen Methodologie der digitalen Geisteswissenschaften verknüpft“, erläutert Projektleiter Stephan Hoppe. „Beispielsweise spielen im Bereich des Semantic Web für unsere Forschungsdatenbank Konzepte der künstlichen Intelligenz eine grundlegende Rolle. Unsere bildliche Dokumentation wiederum profitiert von Entwicklungen der nichtterrestrischen Fotografie und digitalen Visualisierung von 3D-Phänomenen. Hier werden besonders aktuelle Synergiepotentiale des Wissenschafts- und Technikstandortes München zum Tragen kommen.“

Das Projekt ist heute im Rahmen des von Bund und Ländern finanzierten Akademienprogramms bewilligt worden. Dieses Programm dient der Erschließung, Sicherung und Vergegenwärtigung des kulturellen Erbes. Es ist eines der größten geisteswissenschaftlichen Forschungsprogramme der Bundesrepublik Deutschland und wird von der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften koordiniert.

Kontakt:
Prof. Dr. Stephan Hoppe
Institut für Kunstgeschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München
Zentnerstraße 31, 80798 München
email@stephan-hoppe.de

Die Bayerische Akademie der Wissenschaften, gegründet 1759, ist die größte und eine der ältesten Akademien in Deutschland. Sie ist zugleich Gelehrtengesellschaft und Forschungseinrichtung von internationalem Rang. Mit rund 450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern betreibt sie Grundlagenforschung in den Geistes- und Naturwissenschaften. Der Schwerpunkt liegt auf langfristigen Vorhaben, die die Basis für weiterführende Forschungen liefern und die kulturelle Überlieferung sichern. Sie ist ferner Trägerin des Leibniz-Rechenzentrums, eines der größten Supercomputing-Zentren Deutschlands, und des Walther-Meißner-Instituts für Tieftemperaturforschung. Seit 2010 betreibt sie ein Junges Kolleg für den exzellenten wissenschaftlichen Nachwuchs in Bayern.

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Dr. Ellen Latzin

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Quelle: http://histbav.hypotheses.org/3080

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