Unsterblichkeit (II): Die “Acht Unsterblichen der Weinschale”

Der in der Zeit der Tang-Dynastie lebende Dichter Du Fu 杜甫 (712-770)1 setzte in einem seiner Werke den “acht Unsterblichen der Weinschale” (yin zhong baxian 飲中八仙) – allesamt Dichter und Kalligraphen im China des 8. Jh. n. Chr. – ein literarisches Denkmal.2

Ohne hier weiter auf die Kulturgeschichte alkoholischer Getränke in China einzugehen, soll  lediglich bemerkt werden, dass “das, was traditionell mit Wein übersetzt wird, von der Art der Herstellung her Bier” war.3

Hier nun die Informationen, die sich aus dem Gedicht über die acht Weinliebhaber gewinnen lassen4:

Die Trunkenheit des He Zhizhang  賀知章äußerte sich offensichtlich in sehr unruhigen Bewegungen, wenn er auf seinem Pferd saß, und er lief stets Gefahr, schlafwandelnd in einen Brunnen zu fallen.

Der Prinz von Ruyang [Li Jin, 汝陽王李進] trank drei dou 鬥 (also ca. 30 Liter!) ehe er sich an den Hof begab. Wenn der Wagen eines Weinproduzenten vorbeifuhr, lief ihm das Wasser im Mund zusammen und sein Wunsch war es, zum Herrn der Weinquellen berufen zu werden.

Der Zweite Minister [Li Shizhi 李適之] gab große Summen für (alkoholische Getränke aus, die er verschlang wie ein Wal das Wasser. Dennoch sagte er, dass er das Unvermischte liebe und das Gespaltene vermeide.

Cui Zongzhi 崔宗之war jung, schön und ohne Sorgen. Mit sanftem Blick hob er die Weinschale gen Himmel und stand da wie ein leuchtender Jadebaum im Wind.

Su Jin 蘇晉 war ein strenger Vegetarier, der einen gestickten Buddha verehrte und er erfreute sich an seinen Entgleisungen in alkoholisiertem Zustand.

Für ein dou (also ca. 10 Liter) Wein würde  Li Bai 李白(701-762) hundert Gedichte schreiben und sich in einer Weinschenke der Hauptstadt Chang’an 長安 (dem heutigen Xi’an 西安) zur Ruhe legen. Den kaiserlichen Befehl, mit an Bord eines Schiffes zu gehen, wies er zurück, da er sich als “Unsterblicher der Weinschale” (jiu zhong xian 酒中仙) sah.

Nach dem Genuss von drei Bechern Wein würde Zhang Xu 張旭 selbst vor Würdenträgern seine Mütze hinwerfen und aus seinem Pinsel Wolken auf das Papier fließen lassen.

Jiao Sui 焦遂 braucht mindestens fünf dou (also ca. 50 Liter), um wach zu sein. Dann aber beteiligt er sich mit glänzender Rhetorik an Diskussionen.

Die Gruppe dieser acht Männer wurde auch in der ostasiatischen Malerei wiederholt dargestellt und kann in der Regel leicht durch die diese umgebenden Weinbecher und Weinflaschen identifiziert werden. Eine der berühmtesten Darstellungen stammt von Zhang Wu 張渥 (14. Jh.), der Kopie eines Werkes von Zhao Mengfu 趙孟頫 (1254-1322), das allerdings verloren ist.5 Auch bei japanischen Malern war das Motiv der “acht Unsterblichen der Weinschale” bis ins 19. Jahrhundert verbreitet6

  1. Zur Biographie vgl.  etwa den Eintrag “Du Fu” in Volker Klöpsch, Eva Müller (Hg.): Lexikon der chinesischen Literatur (München 2004) 74-76. Zum dichterischen Werk des Du Fu vgl. Wolfgang Kubin: Die chinesische Dichtkunst. Von den Anfängen bis zum Ende der Kaiserzeit (Geschichte der chinesischen Literatur, Bd. 1, München 2002) 150-170.
  2. Du Fu: “Yin zhong baxian ge 飲中八仙歌”, Zum chinesischen Original vgl. Quan Tangshi 全唐詩 [Vollständige Sammlung der Gedichte aus der Zeit der Tang-Dynastie], Kap. 216 [Online-Version: Chinese Text Project]“; zu deutschsprachigen Übersetzungen in Anthologien mit chinesischen Dichtungen vgl. Gu Zhengxiang: Anthologien mit chinesischen Dichtungen (Übersetzte Literatur in deutschsprachigen Anthologien. Eine Bibliographie, 6. Teilband, hg. von Helga Eßmann und Fritz Paul; Stuttgart 2002) 96.
  3. Vgl. dazu Jochen Kandel (Übers. u. Hg.): Das chinesische Brevier vom weinseligen Leben. Heitere Gedichte, beschwingte Lieder und trunkene Balladen der großen Poeten aus dem Reich der Mitte (Bern 1985) 6.
  4. Der Inhalt des Gedichts wurde neben dem chinesischen Original auch auf der Grundlage folgender Übersetzungen wiedergegeben: Kandel: Das chinesische Brevier vom weinseligen Leben, 91 f. sowie die deutsche Fassung in China und Japan in Buchkunst und Graphik. Vergangenheit und Gegenwart. Stiftung aus der Sammlung Dr. Ulrich von Kritter an das Gutenberg Museum Mainz (Mainz 1985) 40.  Zitiert nach Bruno J. Richtsfeld: “Onorato Martucci und sein ‘chinesisches Museum’.” In:  Claudius C. Müller, et. al. (Hg.): Exotische Welten. Aus den völkerkundlichen Sammlungen der Wittelsbacher 1806-1848 (Dettelbach 2007), 203 f.
  5. Vgl. dazu Patricia Bjaaland Welch: Chinese Art. A Guide to Motifs and Visual Imagery (Singapore 2008) 183 Anm. 19).
  6. Vgl. ebd., 182 Fig. 26. Zum dort abgebildeten Werk des Soga Shōhaku (1730-1781) vgl. The Cleveland Museum of Art: The Eight Immortals of the Wine Cup.  Ein weiteres Beispiel dafür ist ein Werk des Onishi Chinnen (1792-1851). Vgl. dazu British Museum: Inchu hassen (Eight Immortals of the Wine Cup), dort auch eine englische Übersetzung des oben zitierten Gedichts.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/1366

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Vom Essen und vom Trinken in China (IV): “Alles, was man essen kann”

In „Alles, was man essen kann“ ging Waverly Root (1903-1982) wiederholt auf Nahrungsmittel und auf Speisen ein, die entweder aus China stammen oder hauptsächlich mit China assoziiert werden.[1] Die folgende Zusammenstellung entsprechender Bemerkungen erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Gemüse

Zum Chinakohl und seinem “Verwandten” Pak-Choy schreibt Root: “[...] ersterer ist ein Kopfkohl mit wirsingähnlicher Blattstruktur, doch von länglicher Form und von zartgelber bis weißlicher Farbe, letzterer ein Blätterkohl mit weißen, fleischigen Stengeln und hell- bis tiefgrünen Blättern von weicher und glatter Struktur.” (S. 172). An anderer Stelle (S. 269) weist Root darauf hin, dass Pak-Choy nichts anderes als “weißes Gemüse” (baicai 白菜) bedeutet.
Zu Brokkoli meint Root, dass dies “eines der wenigen westlichen Gemüse” sei, “die von den Chinesen angenommen wurden.” Außer den Chinesen würden es allein die Italiener verstehen “Textur und Aroma zu bester Geltung” zu bringen. (S. 33). Spinat wurde schon 647 n. Chr. in chinesischen Werken erwähnt (S. 345).
In seinen Erläuterungen zur Süßkartoffel (chines. hongshu 紅薯) beschreibt er einen für die frühneuzeitliche Verbreitung von Nutzpflanzen “typischen” Weg: “China erhielt die Batate vermutlich über spanische Händler, die sie von den Philippinen mitbrachten, und Japan erhielt sie von China.” (S. 350).

Obst

Root stellt die Frage, ob die Birne nicht aus China stammt, nachdem sie dort schon für die Zeit um 2100 v. Chr. als Grabbeigabe nachgewiesen werden konnte. (S. 27). Im Gegensatz dazu ist der Granatapfel (shiliu 石榴) in China nicht vor 100 v. Chr. bezeugt (S. 90). Ein chinesischer Reisender des 7. Jahrhunderts erwähnte die Mango (S. 230).  Die Papaya erreichte China nicht vor dem 19. Jahrhundert (S. 270).

Der Geschichte der Jujube (shazao 沙棗) in China widmet Root breiten Raum (S. 131):

“[...] in China werden Jujuben seit mindestens 4000 Jahren kultiviert, und die Jujube hat einen festen Platz in der klassischen chinesischen Küche. Im Mittelalter war eine der ‘acht Köstlichkeiten’ Chinas Spanferkel mit einer Füllung von Früchten, die in den Übersetzungen als Datteln bezeichnet werden. [...]“

Einen handfesten politischen Grund hatte die Umbenennung der Frucht des Chinesischen Strahlengriffels. Diese erhielt den Namen Kiwi “als man feststellen mußte, daß in Amerika McCarthys das Wort ‘chinesisch’ nicht viel verkaufsfördernder war als Begriffe wie ‘kommunistisch’ oder ‘Weltrevolution’ [...] (S. 161)

Sowohl “die große Zahl wilder Varietäten” als auch “die große Zahl spezifischer Schädlinge und Krankheiten der Pflanze”, die es in Südchina legen den Schluss nahe, dass die Süßorange aus dieser Gegend stammt (S. 264). Melonenkerne, so Root, galten im China des 2. Jh. v. Chr. als “beliebte Näscherei” (S. 240).

Ausführlicher als dem Vorkommen der Orange in Südchina widmet sich Root der Bedeutung des Pfirsichs für die Kultur(geschichte) Chinas. In Dichtung und Malerei gilt der Pfirsich als Symbol der Unsterblichkeit – ein typisches Geburtstagsgericht trägt den Namen ‘Pfirsich des langen Lebens’ (shoutao 壽桃). In alter Zeit nahm man auch an, “daß der Genuß von Pfirsichen später einmal den Leichnam vor Verwesung bewahrt.” (S. 282)

Der Kumquat (S. 189 f.; chinesisch jinju 金橘) widmet Root einen eigenen Eintrag. Die Litschi (chines. lizhi 荔枝), “die zusammen mit der Frühlingsrolle und dem rätselhaften Gericht namens Chop-Suey[2] für jedermann im Westen die chinesische Küche repräsentiert” (S. 211), erwähnt er dagegen nur en passant.

Nüsse

Gegen Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. scheint der Walnussbaum nach China gekommen zu sein. (S. 375)
Nur ihrem deutschen Namen nach – botanisch gesehen zählt sie zu den Hülsenfrüchten – sei hier auch die Erdnuss erwähnt, die frühestens im 17. Jahrhundert nach China gelangte. (S. 62)

Fleisch

“Die Zeitungsente ist kein Vogel, sondern eine Schimäre, und der 2 CV gehört zu den Dingen, die selbst ein Chinese nicht essen würde, obwohl er weder ein Tisch noch ein Flugzeug ist.” (S. 54)[3]

Wie dieses und andere Beispiele[4] zeigen, bringt Root in seinem Text auch gängige Vorurteile unter. Zum Verzehr von Schweinefleisch bringt er eine Beobachtung von Owen Lattimore, die die mit einem mongolischen Vorurteil schließt: “Wer Schweinefleisch ißt, fängt an zu werden ‘wie die Chinesen’.” (S. 335).

Im Zusammenhang mit dem Ursprung des Fasans weist Root auch auf den Bericht des Marco Polo hin. (S. 71).

Neben Schweinefleisch und Geflügel zählt Lamm in China “zu den köstlichsten Feiertagsspeisen”, vor allem im Norden und Nordwesten des Landes (S. 200).

Eine besondere Spezialität der nordchinesischen Küche ist die Lammfleischsülze, deren Gelatine aus den Lammfüßen gewonnen wird, ebenso wie die Franzosen sind auch die Chinesen Meister im Verwerten aller Teile ihres Schlachtviehs.” (S. 200 f.)

Während Tigerfleisch „seit der Zeit der Peking-Menschen von der Speisekarte verschwunden“ (S. 355) wäre, hätten Chinesen – nach den “Indianern”, aber vor den Arabern – Kamelfleisch gegessen (S. 139). Nicht nur in der römischen Antike – auch im “alten China” wurden Kraniche zum Verzehr zubereitet (S. 177).

Fisch

Sowohl im Zusammenhang mit dem Fisch im Allgemeinen (S. 75) als auch mit dem Karpfen (S. 146) weist Root darauf hin, dass die Chinesen auf den der Bewässerung der Reispflanzen dienenden Terrassen auch Fischzucht betrieben hätten.

Reis und Getreide

Im Zusammenhang mit Gerste (S. 87) und Hirse (S. 109) erwähnt Root die “fünf heiligen Kulturpflanzen Chinas”: Gerste noch Reis, Sojabohne, Weizen und Hirse. Für den Norden Chinas nennt Root den Weizen als “Hauptnahrung – meist in Form von Nudeln, aber auch als Brot.” (S. 376) In Süd- und Zentralchina ist der Reis das wichtigste Nahrungsmittel (S. 301):

Die französische und die chinesische Küche werden gern miteinander verglichen, was Raffinement und Einfallsreichtum betrifft, doch nichts erhellt den Unterschied zwischen beiden Mentalitäten schlagender als die Verwendung der gleichen Metapher: In China sagt man von einer Mahlzeit ohne Reis, sie ähnele einer einäugigen Schönheit, in Frankreich sagt man das von einer Mahlzeit ohne Käsegang. (S. 304)

Der Mais kam offensichtlich Mitte des 16. Jahrhunderts nach China: 1550 als eine der Tributgaben genannt, wird er 1555 in einer Lokalmonographie aus der Provinz Henan erwähnt. (S. 223).

Gewürze

Einige der Gewürze, die in der chinesischen Küche Verwendung finden, handelt Root im Zusammenhang mit dem Fünf-Gewürze-Pulver ab, “sofern es sich um das chinesische Gewürz handelt, Pfeffer oder Szechuanpfeffer, Sternanis, Fenchel, Zimt und Nelken [...] (und außerdem nicht selten getrocknete Mandarinenschale, obgleich diese es zu einem Sechs-Gewürze-Pulver macht) [...]” (S. 81)

Eier

Root erwähnt, dass sich in China Taubeneier “großer Beliebheit” erfreuen. Die “‘hundert-’ oder ‘tausendjährigen’ Eier der chinesischen Küche sind Enteneier (die bis zu 100 Tage alt sein können)” (S. 48)[5]

„Besonderheiten“

Zum Schluss dieses Beitrags noch einige weitere Hinweise, die Root auf die chinesische Esskultur gibt: so erwähnt er, dass die Blätter der Chrysanthemen-Blüten in China “getrocknet als Teebestandteil” (S. 37) genossen werden. Über den Götterbaum schreibt er, dass “dessen Blätter in China zu Zeiten des Überflusses Seidenraupen und zu Zeiten des Mangels Menschen” ernährt haben. (S. 88) Die Heuschrecke sei in China auch unter der Bezeichnung “Strauchkrabbe” bekannt (S. 102 und 180). Unter “Lo” erwähnt Root nicht nur die Longan, “eine subtropische Frucht, die aussieht, wie eine lockere Traube gelblicher Weinbeeren und [die] in China als ‘Drachenaugen’ [chines. longyan 龍眼] bezeichnet [wird]“, sondern auch, dass Rhizome und Samen der Lotospflanze “von heutigen Chinesen gegessen” werden. (S. 214). Root schreibt, dass die früheste Beschreibung des Rharbarbers aus China stamme: “Sie nennt die Pflanze ein medizinisches Kraut, und das blieb sie die nächsten  4500 Jahre, in denen ihre Wurzel als Abführmittel benutzt wurde.” (S. 306). Während Root im Eintrag “Vogelnester” (S. 371) keinen Hinweis auf die chinesische Küche gibt, sei am Ende dieses Beitrags noch der “Wolkenohrpilz” (mu’er 木耳) erwähnt, “den man nur in China frisch essen kann, in welcher Form er sehr viel besser mundet als in der anderswo gebräuchlichen getrockneten”. (S. 380)

  1. Waverley Root: Alles, was man essen kann. Eine kulinarische Weltreise von Aakerbeere bis Zwiebel. Bearbeitet und aus dem Amerikanischen übersetzt von Melanie Walz (Frankfurt a. M. 2002 [deutsche Erstausgabe unter dem Titel Das Mundbuch (Frankfurt a. M. 1994); amerikan. Original: Food. An Authoritative and Visual History and Dictionary of the Foods of the World (New York 1980]).
  2. zasui 雜碎, i.e. “verschiedene Reste”
  3. Vgl. dazu: “Die Kantonesen essen alles, was am Himmel fliegt, außer Flugzeuge.” Ostasienlexikon, Ostasieninstitut der Hochschule Ludwigshafen am Rhein.
  4. So etwa die Erwähnung des für das 2. Jh. v  bezeugten Verzehrs von Hundeleber (S. 210) oder die eher vagen Angaben zu Schlangenfleisch (S. 329).
  5. Zu den Kiefernblüteneiern oder Tausendjahreiern vgl. Ostasieninstitut der Hochschule Ludwigshafen: Ostasienlexikon, Art. “Tausendjährige Eier”.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/1256

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Vom Essen und Trinken in China (III): China in der “Kulturgeschichte des Essens und Trinkens”

Die lose Serie zum Essen und Trinken in China kommt – nach einer allgemeinen Einleitung und einem Beitrag zu den Stäbchen – natürlich nicht an der “Kulturgeschichte des Essens und Trinkens”[1] von Gert von Paczensky und Anna Dünnebier vorbei. Bei der Lektüre wird man – anders als bei Werken, die sich ausschließlich der chinesischen Küche widmen[2] – schon von vornherein auf eine Fülle von Verbindungen, Parallelen und Ähnlichkeiten zwischen Entwicklungen in China und anderen Teilen der Welt aufmerksam gemacht. Im Zusammenhang mit “heißen” und “kalten” Speisen etwa (S. 539-541) wird auch auf ähnliche Theorien bei Hippokrates und bei dessen “neuzeitlichen” europäischen Nachfolgern eingegangen.

An mehreren Stellen des Buches ziehen die beiden Autoren zudem Parallelen zwischen den Entwicklungen und Leistungen der chinesischen und der französischen Küche/Kochkunst/Gastronomie: seien es die ältesten erhaltenen Herdstellen (Zhoukoudian bei Beijing und Terra Amata bei Nizza, jeweils eine halbe Million Jahre alt; vgl. S. 17), sei es im Zusammenhang mit ihrer Bewunderung für Paul Bocuse und die französische Gastronomie, “die auf ihrem höchsten Niveau allen anderen außer vielleicht der chinesischen überlegen ist” (S. 572). Auch die Pionierrolle beider Länder für die Enstehung von Restaurants wird vermerkt, wären diese doch “nur an zwei Stellen der Welt entstanden [...] in China im 10. und in Frankreich im 18. Jahrhundert” (S. 145; zu Restaurants in China auch S. 151-153).

Im Zusammenhang mit chinesischen Kochbüchern erwähnen die Autoren neben den Ausführungen des Liji 禮記 (d. i. “Buch der Riten”, S. 59)  unter anderem die von Yuan Mei 袁枚 (1716-1798) verfasste”Speiseliste des Gartens des Beliebens” (Suiyuan shipu 隨園食譜 beziehungsweise Suiyuan shidan 隨園食單)[3]

Dem Leser wird vor Augen geführt, dass es in China traditionell wenig Nahrungstabus gab (S. 309). Der Verzehr von Käse wurde lange Zeit abgelehnt, da man diesen als “verfaulte schleimige Absonderung aus den Eingeweiden eines Tieres” (S. 396) sah. Während festgehalten wird, dass in China und in Korea nach wie vor Hundefleisch gegessen wird (S. 555) und im südchinesischen Guangzhou “süße Käfer als Konfekt” (S. 558) gereicht werden, werden Ratten ausdrücklich im Zusammenhang mit “Notnahrung” erwähnt (S. 427). Ausführlich widmen sich die Autoren dem Thema Hunger – sowohl den Hungersnöten des kaiserlichen China (S. 408 f.) als auch der Hungerkatastrophe der Jahre 1959-1961, bei der “nicht weniger als 30 Millionen Menschen umgekommen sind.” (S. 442)

Die im 11. Jahrhundert erfolgte Einführung neuer Reissorten aus Südostasien, die statt einer nun zwei Ernten pro Jahr erlaubte, bezeichnen die Autoren als “grüne Revolution” (S. 472) – um die Zeitenwende hatte Reis als “das Getreide der Wohlhabenden” (S. 39) gegolten. Daran kann man auch die weite Verbreitung von Nudeln, (gefüllten) Teigtäschchen und -bällchen ermessen (S. 386). In diesem Zusammenhang räumen die beiden Autoren auch mit dem weitverbreiteten Irrtum auf, dass die Nudeln erst von Marco Polo nach Europa gebracht worden wären (S. 560 f.)

Die technischen Voraussetzungen für das Kochen – wie Herd und Wok (S. 383-386) – werden ebenso thematisiert wie Fragen der Etikette (S. 359-362, 369 und 378), die Veränderungen für die Esskultur durch die Einführung von Tischen und Stühlen anstelle der vorher benutzten Matten (S. 339 f.) sowie die Bedeutung der Essstäbchen (S. 348-351). Auch die Geschichte der Konservierung von Nahrungsmitteln wird von den Autoren erörtert. Seit der Antike waren auch in China während des Winters große Lager mit Eisblöcken angelegt worden, um dann während der warmen Jahreszeit verderbliche Speisen zumindest eine Zeitlang aufbewahren zu können (S. 392), auch chinesisches “Sauerkraut” (S. 131 und 398) wird wiederholt erwähnt. Die Bedeutung des Salzes für die kulinarische und kulturelle Tradition Chinas wird jedoch fast mit Stillschweigen übergangen – lediglich das im 11. Jahrhundert entwickelte Tiefbohrverfahren zur Gewinnung unterirdischer Salzlake wird erwähnt (S. 103).

Wie schon der Titel verrät, kommt natürlich auch das Trinken in diesem Band nicht zu kurz. Neben einer ausführlichen Würdigung des Tees (S. 518-529) wird wiederholt das Thema Alkohol und Alkoholkonsum angesprochen: Neben dem Hinweis, dass Ostasiaten jenes Gen fehle, das für den schnellen Abbau von Alkohol im Blut sorgt (S. 179), erfahren wir Näheres über die Bierkultur im traditionellen China (S. 196 und 200-202) und dass China “ein Sonderfall in der Weingeschichte” (S. 220) sei, da Weintrauben erst sehr spät für die Weinherstellung verwendet wurden. Dafür war das Angebot an Reisschnäpsen reichlich: für das 13. Jahrhundert sind für die damalige Hauptstadt, das heutige Hangzhou, 54 Varianten bezeugt. (S. 237)

Am Schluss dieser Nachlese soll einer der von den Autoren bemühten chinesischen Gewährsleute zu Wort kommen. Der Gelehrte, Literat und Kalligraph Huang Tingjan 黃庭堅 (1045-1105) mahnte bereits zu bewusster Ernährung: “Ißt man den ganzen Tag lang, ohne sich über die Herkunft der Speisen im Klaren zu sein, so ist man ein Dummkopf.” (S. 360)

  1. Gert von Paczensky, Anna Dünnebier: Kulturgeschichte des Essens und Trinkens (München: btb Taschenbuch, 1997 [zuerst München: Knaus 1994]). Vgl. dazu die “Stimmen zu “Leere Töpfe, volle Töpfe – die Kulturgeschichte des Essens und Trinkens”
  2. Vgl. zuletzt etwa Thomas O. Höllmann: Schlafender Lotos – trunkenes Huhn. Kulturgeschichte der chinesischen Küche (München 2010).
  3. Suiyuan 隨園, der “Garten des Beliebens” in Nanjing war das Anwesen von Yuan Mei. Die Autoren verweisen auf: Wolfram Eberhard: Die chinesische Küche. Die Kochkunst des Herrn von Sui-yüan, Sinica, Jg. 1940, S. 190-228.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/1017

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Vom Essen und vom Trinken in China (I): Allgemeine Bemerkungen

Die Entwicklung von Ess- und Trinkgewohnheiten nimmt auch in der Kulturgeschichte Chinas einen wichtigen Stellenwert ein.  Das Spektrum dabei reicht von den so genannten “sieben Notwendigkeiten des Lebens” (kaimen qi jian shi  開門七件事), die alle direkt oder indirekt mit Nahrung beziehungsweise mit deren Zubereitung zu tun haben (neben dem zum Kochen unerläßlichen Brennmaterial sind dies Reis, Öl, Salz, Soja, Essig und Tee), bis hin zu jenen exquisiten Speisen, die bei opulenten kaiserlichen Banketten gereicht wurden[1].

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Das auf dem Schälchen zu sehende Schriftzeichen shou 壽 bedeutet “langes Leben” – Foto: Monika Lehner

„Inhaltlich setzt sich Eßkultur aus Objekten, Handlungen, sozialen Beziehungen und Wertsystemen zusammen, die das menschliche Selbstverständnis berühren, Emotionen zum Ausdruck bringen und Chancen bieten, den alltäglichen wie ungewöhnlichen Lebenserfahrungen eine Bedeutung zu verleihen.“[2]

In diesem  Sinne wird sich “De rebus sinicis” in loser Folge inzelnen Aspekten des hier skizzierten Rahmens widmen. Obwohl schon der Titel der hiermit beginnenden Serie verrät, dass dabei weniger die Küche und das Kochen sondern vielmehr das Essen und das Trinken im Mittelpunkt stehen werden, sei zunächst auf die unterschiedlichen Kochtraditionen im Gebiet des heutigen China verweisen.[3] Diese unterschiedlichen Traditionen werden im Westen unter dem vereinfachenden Begriff “chinesische Küche” zusammengefasst. Gelegentlich ist von acht Hauptrichtungen die Rede. Diese Hauptrichtungen werden mit einzelnen Regionen beziehungsweise Provinzen verbunden (Beijing, Shandong, Jiangsu, Anhui, Guangdong, Fujian, Sichuan und Hunan). In anderen Darstellungen werden vier Großregionen unterschieden.[4]:

  • Norden (Beijing, Hebei, Henan, Shandong, Shanxi und Shaanxi) – Geschmacksrichtung: salzig – häufige Verwendung von Knoblauch – Spezialitäten: mongolischer Feuertopf, Peking-Ente
  • Osten (Jiangsu, Zhejiang, Anhui, Jiangxi, Hubei (ohne die südwestlichste Region), lokale Traditionen in den Städten Shanghai, Hangzhou, Suzhou und Wuxi – Geschmacksrichtung: sauer – gilt als “schwer” und “dekorativ”, u.a. bekannt für die Technik des “Rotkochens”, worunter man das langsame Köcheln in dunkler Sojasauce versteht, die mit Reiswein angereichert wurde
  • Süden (Fujian, Guangdong und Guangxi) – Geschmacksrichtung: süß – die verschiedenen natürlichen Aromen werden harmonisch kombiniert, Gewürze eher sparsam verwendet – als südchinesische Spezialität gilt Dim Sum (dianxin 點心[5])
  • Westen (Sichuan, Hunan, Guizhou, Yunnan und die südwestlichste Region von Hubei) – Geschmacksrichtung: scharf, auch mit ausgiebiger Verwendung von Gewürzen – ein typisches Gericht ist etwa die sauer-scharfe Suppe
  1. Einen kurzen Überblick über die Geschichte chinesischer Tafelfreuden bietet Kai Vogelsang: Geschichte Chinas (Stuttgart 2012) 342-344.
  2. Hans-Jürgen Teuteberg: „Homo edens. Reflexionen zu einer neuen Kulturgeschichte des Essens.“ Historische Zeitschrift 265 (1997) 6.
  3. Vgl. etwa Solomon H. Katz, William Woys Weaver (Hg.): Encyclopedia of Food and Culture (Scribner Library of Daily Life), 3 Bde. (New York 2003) [Bd. 1], S. 379-399 („China“, mit Abschnitten zur Küche des dynastischen China (S. 379-384) sowie zu den Regionalküchen von Beijing (S. 384-388, Eugene N. Anderson), Fujian (S. 388-390, Jacqueline M. Newman), Guangzhou (390-393), Sichuan (393-396), Zhejiang (S. 396-398, Eugene N. Anderson).
  4. Die Einteilung folgt Vgl. Yan-kit So: Chinesische Küche (Werl, o. J. [ca. 1990]) 7-10 (Karte auf S. 7), Piero Antolini, The Lian Tjo: Das große Buch der chinesischen Küche (Köln [1990]) 11 (Karte).
  5. Erläuterungen zur Begriffsgeschichte und anschauliche Bilder bietet das Ostasienlexikon der Hochschule Ludwigshafen, Art. “Dim Sum”

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/899

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