Die kanadisch-US-amerikanische Historikerin Natalie Zemon Davis hat im Jahr 2010, gemeinsam mit dem Franzosen Denis Crouzet, ein Gesprächsbuch veröffentlicht (Natalie Zemon Davis. A Passion for History. Conversations with Denis Crouzet, hg. v. Michael Wolfe (Early modern studies 4), Kirksville 2010). Herausgekommen ist eine Unterhaltung über das Leben, Politik und wie beides bei einer großartigen Historikerin die Arbeit als Wissenschaftlerin prägte.
Natalie Zemon Davis. (Quelle: http://www.magazine.utoronto.ca/new/wp-content/uploads/2010/06/loc_social_historian_480.jpg)
Davis, geboren 1928 in Detroit in einem wohlhabenden jüdischen Elternhaus, ist eine der innovativsten Forscher/innen über das frühneuzeitliche Frankreich. Seit ihrer Emeritierung in Princeton ist sie an der Universität Toronto tätig. Während ihrer Karriere lehrte sie unter anderem in Yale, Berkeley, Oxford und an der EHESS Paris. Davis arbeitet zur Religions-, Frauen- und Sozialgeschichte Frankreichs, v.a. im 16. Jahrhundert. Bis heute unumgänglich – auch für mich in meiner Dissertation – ist ihr Aufsatz zur rituellen und sozial konstruierten Dimension der Gewalt in den französischen Religionskriegen (The Rites of Violence, in: Past and Present 59, 1973, 51-91)
Denis Crouzet, der in A Passion for History die Rolle des Interviewers, aber auch des kongenialen Vergleichers und Anreicherers übernimmt, wurde 1953 in Paris geboren. Heute lehrt er an der Université Paris IV-Sorbonne. Crouzet veränderte in den 1980er und 1990er Jahren den Blick der Wissenschaft auf die französische Reformation und die Religionskriege. Eschatologische Erwartungen (bzw. deren Abbau), religiöse Gewalt und konzeptuell-anthropologische Dimensionen der Reformation sind sein Thema. All das vereinigte Crouzet besonders detailliert in einer 1990 erschienenen, zweibändigen Monographie (zurückgehend auf seine Dissertation): Les Guerriers de Dieu. La violence au temps des troubles de religion (vers 1525-vers 1610).
Denis Crouzet. (Quelle: http://newsletter.paris-sorbonne.fr/local/cache-vignettes/L120xH180/D._Crouzet-b5231.jpg)
Das Gesprächsbuch geht zurück auf eine Reihe von Treffen im Jahr 2003. Natalie Zemon Davis ist seit Jahren eine begehrte Gesprächspartnerin auch außerhalb der Historikerzunft. Ihr Leben lädt zu spannenden Berichten ein. Davis’ Herkunft aus der jüdischen Kultur, ihr linkes politisches Engagement in den Hexen jagenden USA zu Beginn der 1950er Jahre (ihr Mann musste für ein halbes Jahr ins Gefängnis, die Konsequenz war ein längeres “Exil” in Toronto) und ihre Beziehung zu Frankreich bieten Gesprächsstoff genug. Besonders spannend ist dabei, wie sich diese persönlichen, beruflichen und politischen Lebenserfahrungen auf ihre Arbeit als Historikerin ausgewirkt haben. Immerhin hat Natalie Zemon Davis mit ihrem sozial- und kulturgeschichtlichen Ansatz die Frühneuzeitforschung bis heute geprägt. Davon zeugt u.a. ein jüngst veröffentlichter Sammelband, der sich mit ihren Thesen aus heutiger Forschersicht auseinandersetzt (Grame Murdock/Penny Roberts/Andrew Spicer (Hg.): Ritual and Violence. Natalie Zemon Davis and Early Modern France (Past and Present Supplement, 7), Oxford 2012).
Diesen Fragen geht Crouzet mit klugen Fragen nach, besonders auf der Suche nach der Verbindung von persönlicher Lebenserfahrung und Wissenschaft. Das ergibt auf schlanken 218 Seiten einen Parforceritt durch das amerikanische Judentum des 20. Jahrhunderts, das Aufkommen der gender studies und der Neuen Kulturgeschichte, Frankreich, politische Hoffnungen und Enttäuschungen und die Verbindung der Geschichte mit dem hier und jetzt. Es geht um Fragen der menschlichen Anthropologie, nach vielleiecht grundsätzlichen Veranlagungen, nach sozialen Dynamiken und den Kämpfen der politisch oder sozial Randständigen. Freilich wird auch die heutige politische und kulturelle Situation, besonders in den USA, in den Blick genommen.
Natalie Zemon Davis erzählt über die Geschichte, ihre Geschichte des 20. Jahrhunderts und die Geschichtswissenschaft darin. Ein spannendes Buch über ein Leben in und mit der Geschichte und wie beide die Blicke aufeinander prägen und verändern. Unbedingt zu empfehlen – ein intelligenter, kurzweiliger und politischer Schmöker.
Quelle: http://catholiccultures.hypotheses.org/442