Die Erde hat sich zurückgemeldet. «Eine Erde, die, wie wir mit einer Mischung und Begeist...
Slippery Slopes – Schiefe Ebenen und Argumentationen
Als ‚einige Konservative‘ keineswegs die besseren Argumente hatten als die meisten Linken. Eine Reaktion auf Philipp Sarasins Text auf Geschichte der Gegenwart.
„Nun braucht man mich nicht davon zu überzeugen, daß es linke Idiotien gibt – leider viel zu viele –; aber das kann’s doch nicht gewesen sein?“
– Jürgen Habermas (1977)
Montag, 5. September 1977, kurz nach 17 Uhr. Hanns-Martin Schleyers dunkler Mercedes hat die Dienstwohnung des Arbeitgeberpräsidenten in einem ruhigen Kölner Aussenquartier beinahe erreicht, als ein gelber Mercedes aus einer Einfahrt rückwärts in die Strasse fährt und ihm den Weg abschneidet. Es kommt zum Crash. Das Fahrzeug der drei Polizisten, die Schleyer als Personenschützer begleiten, fährt auf Schleyers Wagen auf und schiebt ihn gegen das Sperrfahrzeug.
[...]
You can call this the new world order of political discourse, brothe*r [1]
„[…] die Linke [verfängt] im Netz nicht richtig […], weil sie Komplexität und Präzision bevorzugt und beides kann […] nicht (oder nur selten) viral gehen“
— René Walter, nerdcore.
In einem — durchaus lesenswerten — Interview zur heutigen „Fakten-Krise“ hat forderte *die* Expertin für Objektivität, Wissenschaftshistorikerin Lorraine Daston eine Neue-Medien-Kompetenz. „[…]es fehlt eine systematische Schulung der Öffentlichkeit. Ich selber etwa würde gern wissen: Woran liegt es, wenn etwas im Netz viral wird? Wie kann man ein Meme entschärfen?“
Mal abgesehen davon, dass eine systematische Schulung in diesem sich rasant und dynamisch entwickelten Feld wohl dazu verdammt wäre, den Entwicklungen immer mindestens einen Schritt hinterherzuhinken: reicht es im heutigen Umfeld wirklich, die Vorgänge lediglich zu verstehen und zu durchschauen? Reicht es, _reagieren_ zu können, zu wissen, wie man Internet-Phänomene entschärft?
[...]
You can call this the new world order of political discourse, brothe*r [1]
„[…] die Linke [verfängt] im Netz nicht richtig […], weil sie Komplexität und Präzision bevorzugt und beides kann […] nicht (oder nur selten) viral gehen“
— René Walter, nerdcore.
In einem — durchaus lesenswerten — Interview zur heutigen „Fakten-Krise“ hat forderte *die* Expertin für Objektivität, Wissenschaftshistorikerin Lorraine Daston eine Neue-Medien-Kompetenz. „[…]es fehlt eine systematische Schulung der Öffentlichkeit. Ich selber etwa würde gern wissen: Woran liegt es, wenn etwas im Netz viral wird? Wie kann man ein Meme entschärfen?“
Mal abgesehen davon, dass eine systematische Schulung in diesem sich rasant und dynamisch entwickelten Feld wohl dazu verdammt wäre, den Entwicklungen immer mindestens einen Schritt hinterherzuhinken: reicht es im heutigen Umfeld wirklich, die Vorgänge lediglich zu verstehen und zu durchschauen? Reicht es, _reagieren_ zu können, zu wissen, wie man Internet-Phänomene entschärft?
[...]
Avantgarde in VR.
Was macht ein gutes Architekturprogramm aus? Eine detailgetreue Simulation, die einerseits informativ ist, andererseits aber auch visuell und technisch überzeugt. Dazu in mehreren Sprachen und auf mehreren Systemen gleichzeitig.
Vor einigen Monaten bin ich auf eine Meisterleistung in diesem Bereich gestossen – ein Geheimtipp laut den eher bescheidenen Downloadzahlen. Unerkärlich – bei der Qualität. Denn ist das Virtuelle Architekturmuseum wohl das Grossartigste, was ich in diesem Bereich bisher gesehen habe.
[...]
Mit Fleck auf der Insel [ALWAYS BETA]
„Welches Buch würden Sie auf eine einsame Insel mitnehmen?“ – so lautet eine beliebte Frage in People-Magazinen, bei Miss-Wahlen oder Bewerbungsgesprächen. Als sie sich letzthin ganz konkret stellte, habe ich diese Frage für mich mit Ludwik Flecks Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache beantwortet. In einer Zeit, die von einer wachsenden Zahl von Kommentatoren als beginnendes „postfaktisches Zeitalter“ gehandelt wird, schien mir das nicht die schlechteste Idee.
Mit Fleck auf der Insel [ALWAYS BETA]
„Welches Buch würden Sie auf eine einsame Insel mitnehmen?“ – so lautet eine beliebte Frage in People-Magazinen, bei Miss-Wahlen oder Bewerbungsgesprächen. Als sie sich letzthin ganz konkret stellte, habe ich diese Frage für mich mit Ludwik Flecks Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache beantwortet. In einer Zeit, die von einer wachsenden Zahl von Kommentatoren als beginnendes „postfaktisches Zeitalter“ gehandelt wird, schien mir das nicht die schlechteste Idee.
Aus der Reihe tanzen: Leonard Schmieding analysiert den HipHop in der DDR (Rezension)
Plastisch und elastisch: Die Big City Breakers 1988 in Dessau (Quelle: Archive Here We Come Nico Raschick).
Es lief ganz nach Honeckers Geschmack. Im Defilé zum 750. Geburtstag der Stadt Berlin zog 1987 an der Tribüne des Staatsratsvorsitzenden in bunten Historien-Kostümen vorbei, was das Geschichtsbild der inzwischen geteilten Stadt nach östlicher Lesart verkörperte: antiklerikale Bauern mit scharfen Sensen, fahnenschwingende 1848er, spartakistische Matrosen mit geballten Fäusten, eine Schalmeien-Kapelle des Rotfrontkämpferbundes, Rotarmisten mit Kalaschnikows und schließlich die uniformierten Massenorganisationen der Gegenwart mit Blumen in den Händen. Die marxistische Chrono-Logik störte ein vergleichsweise ahistorisches Bild: Mitten im Historienumzug eskortierten Jugendliche in bunter Sportbekleidung mit abgehackten Tanzschritten und akrobatischen Verrenkungen einen etwas bizarr als Computer gestalteten Festwagen. Eine Hundertschaft Ost-Berliner Breakdancer war irgendwie in den Umzug geraten, doch der Spuk war schnell vorüber. Vor der Tribüne trieben Sicherheitskräfte die Tänzer nervös an, bloß weiterzugehen – und so entging dem greisen Vorsitzenden eine eigens für ihn einstudierte Choreographie des „Hip Hop made in GDR“.
Die kleine Szene illustriert beispielhaft die Position einer DDR-Jugendkultur, die oftmals mitten auf dem Präsentierteller agierte, in der Kulturlandschaft aber immer wieder aneckte und ratloses Befremden verursachte.
[...]
Aus der Reihe tanzen: Leonard Schmieding analysiert den HipHop in der DDR (Rezension)
Plastisch und elastisch: Die Big City Breakers 1988 in Dessau (Quelle: Archive Here We Come Nico Raschick).
Es lief ganz nach Honeckers Geschmack. Im Defilé zum 750. Geburtstag der Stadt Berlin zog 1987 an der Tribüne des Staatsratsvorsitzenden in bunten Historien-Kostümen vorbei, was das Geschichtsbild der inzwischen geteilten Stadt nach östlicher Lesart verkörperte: antiklerikale Bauern mit scharfen Sensen, fahnenschwingende 1848er, spartakistische Matrosen mit geballten Fäusten, eine Schalmeien-Kapelle des Rotfrontkämpferbundes, Rotarmisten mit Kalaschnikows und schließlich die uniformierten Massenorganisationen der Gegenwart mit Blumen in den Händen. Die marxistische Chrono-Logik störte ein vergleichsweise ahistorisches Bild: Mitten im Historienumzug eskortierten Jugendliche in bunter Sportbekleidung mit abgehackten Tanzschritten und akrobatischen Verrenkungen einen etwas bizarr als Computer gestalteten Festwagen. Eine Hundertschaft Ost-Berliner Breakdancer war irgendwie in den Umzug geraten, doch der Spuk war schnell vorüber. Vor der Tribüne trieben Sicherheitskräfte die Tänzer nervös an, bloß weiterzugehen – und so entging dem greisen Vorsitzenden eine eigens für ihn einstudierte Choreographie des „Hip Hop made in GDR“.
Die kleine Szene illustriert beispielhaft die Position einer DDR-Jugendkultur, die oftmals mitten auf dem Präsentierteller agierte, in der Kulturlandschaft aber immer wieder aneckte und ratloses Befremden verursachte.
[...]
Pophistorische Zugänge zu Native Americans nach 1945: eine Plattenkritik
Bei der Wiederveröffentlichung „vergessener“ Popmusik ist nicht selten eine gewisse Skepsis angebracht: Die Liste verkannter Meisterwerke ist endlich und die wenigsten Veröffentlichungen können das Versprechen einlösen, einen völlig neuen Blick auf popkulturelle Traditionslinien zu eröffnen. Dies gilt umso mehr, als in diesem Feld seit längerer Zeit ein Trend zu immer ausgefalleneren Genres zu beobachten ist, der das Prinzip popkultureller Distinktionsbildung beständig zu neuen Entdeckungen treibt. Konnte man eben noch mit dem Abspielen kambodschanischer Beat-Musik oder Rumba-Rhythmen aus dem franquistischen Spanien punkten, so ist die Musikindustrie schon längst auf dem Weg zu neuen Milieus und Subgenres, deren Nichtkenntnis einem zuvor nicht als Mangel aufgefallen war.
Mittlerweile haben sich hierbei eine Reihe von Musiklabels etablieren können, die immer neue Platten, Künstler und Genres wiederentdecken und für den Musikmarkt neu aufbereiten – oft mit großem Aufwand sowohl in der aufnahmetechnischen Rekonstruktion, opulenter ästhetischer Gestaltung und fundierter redaktionellen Aufbereitung. Man liegt vermutlich nicht ganz falsch, dieses expandierende Veröffentlichungsfeld mit jenem Phänomen in Verbindung zu setzen, das Simon Reynolds jüngst als „Pop Culture’s Addiction to it’s Own Past“ beschrieben hat. In einigen Fällen können solche Zusammenstellungen jedoch nicht nur wertvolle Musik neu zum Vorschein bringen, sondern auch einen neuen Blick auf pop- und gesellschaftsgeschichtliche Fragen stimulieren.
The Chieftones, image courtesy of artist (lightintheattic.net)
Die vorliegende Veröffentlichung ist ein Beispiel eines solchen Falles. Es handelt sich um die Platte „Native North America (Vol. 1): Aboriginal Folk, Rock, and Country 1966–1985“, die im Herbst 2014 auf dem Label „Light in the Attic“ erschienen ist. Das Album beinhaltet ein beeindruckendes Spektrum an Musik von Native Americans aus den kanadischen Territorien und den nördlichen US-Bundesstaaten und vereint auf diese Weise Songs aus so unterschiedlichen Gebieten wie Newfoundland, Nova Scotia, den in Nunavut lebenden Inuit und der nördlichen Pazifikküste von Oregon bis nach Alaska. Eine zweite LP, welche die südlichen Bundesstaaten der USA in den Blick nimmt, ist in Planung. Kevin Howes, der die Musik über Jahre gesammelt hat und in einem kurzen Text im Booklet in den gesellschaftlichen Kontext einführt, schreibt hierzu: „Beginning in the 1960s and well into the 1980s, a movement of Aboriginal musicians, artists, writers, and poets from across North America crafted a new blend of music: folk, country, rock, pop, blues, jazz, and classical, all reflected through their distinct cultural heritage.“
Flöten und Wassertrommeln sucht man auf den Veröffentlichungen demnach vergebens: Stattdessen lassen sich in vielen Fällen sehr klassische Besetzungen von Sängern/Gitarristen in der Tradition der zeitgenössischen Folk-Welle bis zu klassischen Rock-Besetzungen wie man sie bei der aus Inuit bestehenden Rockband Sugluk finden kann. Nicht alle Aufnahmen klingen revolutionär, einiges klingt sogar ausgesprochen konventionell, aber jede der drei Platten birgt unbekannte Künstler von überraschender Qualität und Originalität, wobei vielleicht Willy Mitchell und der in Kanada nicht völlig unbekannte Willie Dunn hervorgehoben werden können.
Willie Thrasher, image courtesy of artist (lightintheattic.net)
Wichtiger als die musikalische Qualität ist für den Kontext popgeschichtlicher Fragestellungen die Tatsache, dass mit der Musik, den Songtexten und den sie begleitenden biographischen Darstellungen des Booklets die – zumindest in Deutschland – historiographisch wenig präsente Geschichte der Native Americans in den USA und Kanada der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Blick gerät. Gerade der hier fokussierte musikalische Kontext ist dabei überaus spannend, weil hierdurch implizit immer wieder die Phänomene einer sowohl vom kanadischen als auch vom US-amerikanischen Staat noch lange nach 1945 forcierten kulturellen Einordnung zu Gehör kommen, aber eben auch die hierauf reagierenden Widerstände und sich verstärkenden Emanzipationsbewegungen der Nachkriegsjahrzehnte.
Wie dieser ambivalente Prozess zu hybriden popkulturellen Phänomen der Identitätsbildung führte, stellt einen äußerst spannenden Forschungsgegenstand der Popgeschichte dar, der in der Verbindung von Musik, Texten und biographischen Angaben auf den Platten immer wieder neue Bezüge eröffnet. Die Veröffentlichung bildet auf diese Weise einen vielversprechenden Zugang zur Kultur- und Gesellschaftsgeschichte von Native Americans nach 1945, wie sie in klassischen Veröffentlichungen und Curricula zur „Amerikanischen Geschichte“ nur selten eine zentrale Rolle spielen.
Für die wissenschaftliche Beschäftigung mit popgeschichtlichen Fragestellungen können solche Veröffentlichungen ein Anstoß sein, um sich (noch) weiter von den durch Verkaufszahlen beglaubigten „wirkungsmächtigen“ Feldern der Popkultur wegzubewegen und nach alternativen popmusikalischen Vergangenheiten zu fragen, die immer auch zu einem neuen Blick auf allgemeine kultur- und gesellschaftsgeschichtliche eröffnen können.
V.A.: Native North America (Vol. 1): Aboriginal Folk, Rock, and Country 1966–1985. Label: Light In The Attic (CD / LP / MP3)