Gern möchte ich noch ein paar Kommentare zu Ihrem Docupedia-Projekt abgeben. Zunächst bin ich der Ansicht, daß diese Sache gegenüber dem Workshop vom letzten Herbst sehr gewonnen hat. Die Festschreibung eines status quo bzw. einer Fassung der Artikel, die ggf. vom Autor und nur von ihm aktualisiert und verbessert werden kann, scheint mir sehr wichtig. Auch den Artikel mit Kommentarmöglichkeiten auszustatten, erscheint mir als glücklicher Weg. Die – zumindest anfängliche Eingrenzung – auf Sachbegriffe ist sicher aus pragmatischer Hinsicht ebenso sinnvoll wie der Beginn in rein deutscher Sprache mit der Option auf internationale Erweiterung. Was das auf dem Workshop angesprochene “Problem” einer “Kanonisierung” von Begriffen und Definitionen angeht, so würde ich hieraus eine Tugend machen: Zum einen sind Lexikonartikel immer Kanonisierungen, anders sind sie gar nicht denkbar, denn sie definieren ja etwas auf bestimte Weise. Zum anderen besteht in der Kanonisierung für Sie eine Chance, sich als Institution zu profilieren. In der Philosophie gibt es die Stanford Encyclopedia, ein online-Lexikon, das längst einschlägig geworden ist und Wege weist. Warum nicht Ähnliches für die Zeitgeschichte anstreben? Schließlich werden Sie leichter Autoren für Ihre Artikel gewinnen können, wenn Sie kanonisieren. Meine Erfahrung ist, daß Autoren auch ohne Honorar dann bereit sind, einen Artikel zu übernehmen, wenn Sie der Ansicht sind, damit eine breite Öffentlichkeit zu erreichen und den Begriff quasi mit ihrem Namen zu “besetzen”.
Ein offenes Problem scheint mir die Definition Ihrer Community zu sein. Meines Erachtens reicht eine bloße Registrierung, die aber für die Öffentlichkeit unsichtbar bleibt, nicht aus. Ich bin nicht der Ansicht, daß ein Überblick über vorgenommene Änderungen in einem Artikel Plausibilität schafft. Was nützt es z.B. zu sehen, daß User Enemenemuh in einem Artikel ein Datum, einen Titel oder irgendeine andere Angabe fälschlich verändert hat? Man hat dann weder Einsicht in den Grund für diese Änderung noch kann man in ein diskursives Verhältnis mit einer realen Person treten, um den Sachverhalt zu klären. Meines Erachtens wäre es für ein Projekt mit wissenschaftlichem Anspruch der bessere Weg, auch auf Kosten einer somit wahrscheinlich deutlich kleineren Community, reale Identitäten offenzulegen. Kurzum: Was spricht dagegen, daß sich Leute bei Ihnen registrieren lassen können und unter ihrem tatsächlichen Namen Kommentare abgeben?
Ich würde Ihnen auch sehr raten, engen Kontakt zum Bibliothekssystem zu halten, indem Sie sich schon bei der Stichwortansetzung zu Ihrem Lexikon an der Schlagwortnormdatei (SWD) der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) orientieren. Sie können so quasi automatisch und ohne großen weiteren redaktionellen Aufwand stets aktuelle Bibliographien zu Ihren Stichworten garantieren. Lassen Sie sich von der DNB eine Redakteurstelle einrichten, das kann auch gut für anstehende Verlängerungen des Projekts gut sein, da Sie dann darauf verweisen können, daß Sie diese Kompetenz am ZZF haben. Die DNB ist sehr auf solche Zusammenarbeiten aus und bietet – soweit mir bekannt ist – kostenlose Schulungen für externe SND/PND-Redakteure an.
Damit verbunden würde ich an Ihrer Stelle nicht ganz auf das Biographische verzichten. Ich halte es für richtig, zunächst nicht mit ausführlichen Biographien anzufangen, aber ich würde von Beginn an ein biographisches Register mit zwei Teilen anlegen: a) bedeutende Personen der Zeitgeschichte (nicht zuletzt jene, die in Ihren Artikeln dann erwähnt werden), b) bedeutende Zeithistoriker. Wenn Sie eine reine Namenliste (auch lebender Personen) haben und diese Namen PND-identifizieren können, können Sie a) wiederum quasi-automatisch auf (stets aktualisierte) Literatur von und über diese Personen in der DNB verweisen und b) die Namen mit Links auf online-Biographien anderer wissenschaftlicher Unternehmen versehen, um deren biographische Arbeit im Rahmen ihres Projekts nutzbar zu machen. Schließlich böte sich die Gelegenheit, Docupedia über das biographische Register mit den Namenregistern anderer Projekte des ZZF zu verlinken und somit eine Knotenstelle zur Vernetzung Ihrer eigenen Projekte herzustellen.
Ein letztes ist der Name Ihres Projektes, den ich weiterhin für nicht ganz glücklich halte. Er ist mir zum einen zu nah an “Wikipedia”, gegenüber der Sie sich m.E. eher als Wissenschaftsprojekt profilieren sollten, und zum anderen insinuiert er eine Dokumentensammlung, die Sie ja höchstens in zweiter Linie zu sein beabsichtigen.
Dies nur als Anregungen. Ich wünsche Ihnen alles Gute!
Stefan Jordan
Dr. Stefan Jordan
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