Tagungsbericht und Ausstellungsbesprechung: „Napoleon und Bayern“ – die Bayerische Landesausstellung in Ingolstadt und der Tag der bayerischen Landesgeschichte am 12.5.2015

„Bayern und Napoleon“ lautete das Thema des 9. Tages der bayerischen Landesgeschichte, den der Verband der bayerischen Geschichtsvereine in Zusammenarbeit mit dem Museumspädagogischen Zentrum, der Bayerischen Museumsakademie und dem Haus der Bayerischen Geschichte am 12. Mai 2015 in Ingolstadt veranstaltete. Wie in den Jahren zuvor gab auch diesmal die Landesausstellung das Thema des Tages vor – heuer ist eine Schau über „Napoleon und Bayern“ in den Räumen des Bayerischen Armeemuseum im Ingolstädter Neuen Schloss zu sehen. Bei der Eröffnung des Landesgeschichtstags, der sich nicht nur an Mitglieder der Geschichtsvereine richtet, sondern ebenso an interessierte Studierende, Lehrkräfte, Museumsmitarbeiter, Archivare und Wissenschaftler, begrüßte der Vorsitzende des Geschichtsvereinsverbandes, Manfred Treml, die rund 200 Besuchern und wies darauf hin, dass die Veranstaltung insbesondere als Lehrerfortbildung mittlerweile viel Zuspruch erfahre.

Einen Überblick über die Konzeption von „Napoleon und Bayern“ gab Projektleiterin MARGOT HAMM vom Haus der Bayerischen Geschichte. Ihr zufolge ist es ein Kernanliegen der Landesausstellung, dass der Betrachter „sich in die Geschichte hineinversetzen, selbst noch einmal teilnehmen“ könne. Am deutlichsten spürbar wird diese Intention sicherlich bei der multimedialen Rauminszenierung zur Schlacht von Eggmühl 1809: Beamer projizieren auf zwei im rechten Winkel stehende Wandflächen wechselnde Gemäldeszenen zu der Schlacht, akustisch untermalt von reinszeniertem Kriegslärm; dazu ist der Betrachter im Halbdunkel von einer großen Kanone und anderen militärhistorischen Ausstellungsstücken umgeben.



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Quelle: http://histbav.hypotheses.org/3920

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Blog carnival: Experiments in Digital Humanities #dhiha6

2679496291_9461f9c5e4_zCall for blog posts as part of the conference #dhiha6 – “Experiments in Digital Humanities”

On June 12th 2015 the 6th Digital Humanities conference will be held in Paris. The event is organized by the German Historical Institute, the Cléo, the Paris Institute for Advanced Studies and European Science Foundation and the day will revolve around thethe theme of “experiments”. It will be an opportunity to test research practices and question the “scientific” approach of the Human and Social Sciences favored by the development of Digital Humanities.
In the course of this new edition the organizers call for blog posts on the topic of “Experiments in Digital Humanities.”

Thus, four research practices will be explored:

  1. The classical Call for Papers or Articles becomes a Call for Blog Posts.
  2. These posts will then be submitted to the Open Peer Review Process (OPR), an as of yet largely untested process which must be developedfurther.poorly exploited process and on which the changes are to be made.
  3. The “OPR-Sprint”, an Open Peer Review which is to take place over just a  few hours over the course of the symposium and which aims to test the online publishing of blog posts and the integration of comments.
  4. The publication of notes and “conference proceedings” online, following the OPR and  the integration of comments by the authors.

A list of potential topics is proposed here, though it is not exhaustive:

  • Laboratories and experimentation in SSH
  • Developing intellectual issues through experiments
  • Interpretation as an experiment
  • The value of failure in Science
  • Collaborative experiments: Citizen Science, crowdsourcing
  • Data-Experiments and Visualization
  • Research infrastructure as a space for experiments
  • Interdisciplinary experiments
  • Protocoling experiments in SSH
  • Teaching experiments in SSH

Posts are expected between April 20 and May 31st 2015 and they can be written in French, German or English. Please, use the hashtag #dhiha6 and post your article in the comments sections of this post. Please send it also to the following address: sdumouchel [at] dhi-paris.fr

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image credits: Streichholz? by kari_bum, licece: CC BY-NC 2.0

Quelle: http://dhdhi.hypotheses.org/2416

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Inschrift – Handschrift – Buchdruck. Medien der Schriftkultur im späten Mittelalter


Bericht über den interdisziplinären Sommerkurs am Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald (21.-27. September 2014)

Uppe · nye(n) · ia//res · aue(n)/de · des · leste(n) · daghes · des · iars/

der · bord · (christ)i · M · cd · lxii · wart · sla/ghe(n) · her · hinrik rubenow ·

doctor · in · / beide(n) · regte(n) · v(n)de · borgh(er)meister · hyr

Foto: Falk Eisermann

Transkriptionsübung am Rubenowstein (St. Marien, Greifswald). Foto: Falk Eisermann

Wow – heute hat der Sommerkurs erst begonnen und schon ist die erste Inschrift entziffert und richtlinienkonform transkribiert! Wir sind in der St. Marien-Kirche in Greifswald. Uns fröstelt, das trübe Wetter lässt wenig Licht in den sakralen Raum. Bewaffnet mit einer Taschenlampe, einer Anleitung zur Transkription von Inschriftentexten und Schreibmaterial stehen wir als Kleingruppe im Halbdunkel vor dem Rubenowstein von 1463.1 Es gilt, seine Inschrift zu entschlüsseln – und erstaunlicherweise gelingt es, gerade in der Gruppe und mit konstruktiver Diskussion über Buchstaben, Kürzungszeichen und Textverlust.

Schon jetzt fühle ich mich wie eine Entdeckerin und dieses Gefühl hat den ganzen Kurs hindurch getragen, besonders aufgrund einer wunderbaren fachlichen Leitung, einer bereichernden interdisziplinär ausgerichteten Teilnehmergruppe und anschaulichen Praxisphasen wie der gerade skizzierten.

21 Stipendiatinnen und Stipendiaten aus den unterschiedlichsten mediävistischen Disziplinen von der Kunstgeschichte über die Philosophie bis hin zur Musikwissenschaft oder der Mathematik hatten im September 2014 die Chance, spätmittelalterliche Inschriften, Handschriften und Inkunabeln in Theorie und Praxis genauer in den Blick zu nehmen.

Unter der engagierten Leitung von Dr. Christine Magin (Die deutschen Inschriften des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Arbeitsstelle Greifswald), die kräftig von ihren studentischen Hilfskräften unterstützt wurde, führten die Experten in ihren jeweiligen Fachgebieten die Teilnehmenden an ihre schriftlichen Medien heran. Für die Theoriephasen, den öffentlichen Abendvortrag und den Workshop stellte das Alfried Krupp Wissenschaftskolleg in Greifswald seine Räumlichkeiten und seine gute Küche zur Verfügung. Auch weitere Teile der Organisation und der Finanzierung wie der Transfer nach Rostock, die Unterkunft in einem Studierendenwohnheim oder das opulente Abschiedsessen wurde von der wissenschaftlich unabhängigen Einrichtung übernommen. Es darf durchaus als bemerkenswert erachtet werden, dass die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung Essen, aber auch die Sparkasse Vorpommern und die Gesellschaft von Freunden und Förderern der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald e.V. die Kosten dieses erlebnisreichen Sommerkurses getragen haben, so dass eine Teilnahme für keinen Stipendiaten zu einer Frage des privaten Budgets wurde.

Doch nun zum Inhaltlichen: Inschrift – Handschrift – Buchdruck. Begibt man sich im Frühjahr auf die Suche nach Sommerkursen, nimmt man in den letzten Jahren ein vermehrtes Angebot und Interesse wahr, in die Arbeit mit Handschriften oder Urkunden sowohl paläographisch als auch kodikologisch einzuführen.2 Eine breite Mischung aus den verschiedenen Formen schriftlicher Überlieferung, wie sie der Greifswalder Sommerkurs anbot, ist deshalb neu und vielversprechend. So führt gerade die mittelalterliche Epigraphik, ähnlich wie andere Hilfswissenschaften auch, an so mancher deutschen Universität ein echtes Schattendasein. Ähnliches gilt für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Wiegendrucken.

Das Programm war entsprechend der Auseinandersetzung mit drei verschiedenen Schriftmedien dicht gedrängt, aber für die zur Verfügung stehende Zeit gelungen:

  • Sonntag, 21.9.:          Anreise, Begrüßung und Abendessen
  • Montag, 22.9.:          Inschriften
  • Dienstag, 23.9.:        Handschriften, Abendvortrag
  • Mittwoch, 24.9.:       Inkunabeln
  • Donnerstag, 25.9.:   Exkursion nach Rostock (Inschriften, Handschriften, Inkunabeln)
  • Freitag, 26.9.:           Workshop, gemeinsames Abschiedsessen
  • Samstag, 27.9.:         Zusammenfassung und Evaluation

Eine ausgewogene Mischung aller drei Schriftkulturen wurde dadurch erreicht, dass von den drei Arbeitstagen jeweils ein Tag pro Medium reserviert war. Eine theoretische Einführung am Vormittag wurde am Nachmittag durch einen Praxisteil vertieft, problematisiert und abgerundet. Am vierten Tag konnte man im Rahmen einer Exkursion nach Rostock das gesammelte Wissen an dortigen Handschriften, Inkunabeln und Inschriften erproben. Die Sommerschule wurde am vorletzten Tag ergänzt um einen Workshop, der neun Teilnehmenden als Nachwuchswissenschaftler/innen die Möglichkeit bot, ihre eigenen Forschungsprojekte vorzustellen und zu diskutieren. Alle anderen Teilnehmenden hatten unterdessen während der vier Theorie- und Praxistage Referate übernommen. Der letzte Tag diente schließlich dem Abschluss der Sommerschule und einer ausführlichen Auswertung.

Montag, 22. September 2014: Inschriften

Die Arbeitswoche begann, nach einem gelungenen Start am Vorabend bei einem gemeinsamen Kennenlernen in ungezwungener Atmosphäre, mit einer theoretischen Einführung in die spätmittelalterliche Epigraphik. Diese übernahm Dr. Jan Ilas Bartusch von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Neben der Organisation und der Arbeitsweise der DI,3 wies er darauf hin, wie schwierig eine eindeutige Definition für Inschriften zu geben ist,4 genauso wie eine klare Einteilung von Inschriften problematisch sein kann. Konkret wurde es bei der Vorstellung von Inschriftenträgern (Grabmäler mit Bezug zur Grabstätte, Grabmäler zur Memoria aber auch Glocken), der Fertigungsmethode (vertieft oder erhaben geschlagene Buchstaben u.v.m.), der Form bzw. Schrift und natürlich besonders des Inhalts und der Funktion von Inschriften. Den beschränkten Platz nutzte man ähnlich wie bei den Handschriften auch durch die Einführung von Kürzungssystemen, deren Grundlagen wir für den Nachmittag und den Praxisteil brauchen würden. Ebenso erhielten wir eine Einführung in die Wiedergabe der Inschriftentexte nach den Standards der DI.

Derart gut gerüstet arbeiteten wir am Nachmittag an den Inschriften der Kirchen St. Marien und St. Nikolai in Greifwald. Unterstützt wurden wir dabei von Dr. Christine Magin und Jürgen Herold, die beide in der Inschriftenstelle in Greifswald arbeiten und die hiesigen Inschriften bearbeitet haben. Wie bereits in der Einleitung dieses Beitrages beschrieben, haben wir uns in St. Marien in Kleingruppen auf Entdeckertour begeben und einen Gedenkstein, zwei Grabplatten und eine Wandmalerei transkribiert. In St. Nikolai profitierten wir zusätzlich davon, dass viele Grabplatten im Bodenbelag der Kirche noch erhalten sind.

Foto: Gunthild Storeck

So manches Grabmal steht heute in einer Abstellkammer. Den Kopf drehen muss man zum Transkribieren einer Umschrift aber auf jeden Fall. Foto: Gunthild Storeck

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Grabplatte in St. Marien, Greifswald. Foto: Falk Eisermann

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Transkription einer Wandmalereiinschrift. Foto: Kristin Zech

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zur Einstimmung auf die Thematik des nächsten Tages, die Handschriften, hatten wir in St. Nikolai weiterhin die Möglichkeit, die Bibliothek des Geistlichen Ministeriums zu besichtigen und einige Schätze selbst zu begutachten. Im Bestand befinden sich 1900 Bände mit 3099 Titeln, darunter 104 Handschriftenbände, insbesondere aus den Klöstern der Dominikaner und Franziskaner. Besonders interessant war für uns der vierbändige Bibelkommentar, der von Katharina Rubenow, der Witwe des Greifwalder Bürgermeisters und Universitätsgründers Heinrich Rubenow, der uns im Gedenkstein in St. Marien bereits begegnet war, an das Schwarze Kloster der Dominikaner vermacht worden war.

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Bibliothek des Geistlichen Ministeriums. Greifswald, St. Nikolai. Foto: Kristin Zech

Dienstag, 23. September 2014: Handschriften

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Konferenzraum im Alfried Krupp Wissenschaftskolleg. Foto: Jens Pickenhan

Dr. Christoph Mackert (Universitätsbibliothek Leipzig, Handschriftenzentrum) und Dr. Jürgen Geiß-Wunderlich (Staatsbibliothek zu Berlin, Abteilung Handschriften) führten im Konferenzraum des Wissenschaftskollegs an diesem Vormittag in die Handschriftenkunde ein.

Dieser Theorieteil war für eine Vielzahl, wenn auch nicht für alle Teilnehmenden eine Wiederholung oder Auffrischung, was zum einen mit dem Schwerpunkt der Forschungsinteressen vieler Teilnehmender bei den Handschriften zu tun hat, zum anderen aber auch durch die höhere Ausbildungsdichte dieser Thematik an den Hochschulen begründet sein mag. Nichtsdestotrotz war die Theorieeinheit hochkarätig besetzt. So bietet Christoph Mackert im Handschriftenzentrum der Universitätsbibliothek in Leipzig selbst regelmäßig Sommerkurse zum systematischen Erlernen der Handschriftenarbeit an. Jürgen Geiß-Wunderlich ist zudem ein guter Kenner der Handschriften Greifswalds, die er auch für die Manuscripta Medievalia beschrieben hat. Formate, Lagenaufbau, Beschreibstoffe, Wasserzeichenkunde, Layout und Beschriftung, Buchschmuck sowie Einbandkunde waren Themen an diesem Morgen. Auch der Einfluss des Sammelkontextes und der Besitzer auf die Herangehensweise an Handschriften wurde herausgestellt. Ebenso die Bedeutung makulierter Texte, die zumeist recycelt von Buchbindern für Spiegelbeklebungen oder Falzverstärkungen genutzt wurden.5

Am Nachmittag besuchten wir die Universitätsbibliothek in Greifswald. Hier konnten wir in einem Arbeitsraum 11 Handschriften vom 13.- 16. Jahrhundert ansehen. Es handelte sich um eine bunte Auswahl: Eine mathematische, eine philosophisch-aristotelische und eine humanistische Sammelhandschrift, ein Gebetbuch, das Weseler Stadtrecht oder auch eine Motettensammlung. Leider war eine eigenständige Arbeit an den Originalen nicht möglich, da die Auflagen der Universitätsbibliothek dies nicht zuließen – ein Wehrmutstropfen dieses Sommerkurses.

Der Abend klang aus bei einem öffentlichen Abendvortrag von Prof. Dr. Felix Heinzer (Freiburg) zum Thema „Das verlorene Paradies – Blicke auf den ‚Hortus deliciarum‘ Herrads von Hohenburg“ mit anschließendem Empfang, den das Alfried Krupp Wissenschaftskolleg ausrichtete.

Mittwoch, 24. September 2014: Buchdruck

In die Welt der Wiegendrucke (etwa 1454 bis zum 31.12.1500) entführten an diesem Vormittag Dr. Falk Eisermann und Dr. Oliver Duntze (beide Staatsbibliothek zu Berlin, Abteilung Inkunabeln). Nach eine Vorstellung des Gesamtkatalogs der Wiegendrucke6, kurz GW, der eine Bibliographie aller Druckausgaben (ca. 30.000) des 15. Jahrhunderts umfassen wird, wurde es technisch: Wir erhielten eine Einführung in Typenherstellung, Satz und Druck und konnten verschiedene Stufen der Typenherstellung durch mitgebrachtes Material noch eindrücklicher verstehen lernen. Es wurde zudem deutlich gemacht, dass Drucker, Verleger und Verkäufer in dieser frühen Phase des Buchdrucks oftmals ein und dieselbe Person waren, und beleuchtet, wie wichtig sowohl eine Anbindung an eine leistungsfähige Papiermühle wie auch an gute Abnehmer (Klöster, Schulen uvm.) war.

Im Hinblick auf eine Verbindung zu den beiden anderen Schiftkulturen war die Paläotypie noch einmal besonders spannend. Denn der Wiegendruck griff auf verschiedene mittelalterliche Schriftenarten – wie die Antiqua (besonders für antike und humanistische Literatur) oder die Bastarda (besonders für volkssprachliche Texte) mit all ihren regionalen Unterschieden – zurück.

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Arbeit an Inkunabeln in der UB Greifswald. Foto: Jens Pickenhan

Da die Hälfte aller Inkunabeln nicht firmiert ist, also keine Angaben zum Drucker und zum Druckort liefert, werden Druckereien in der sogenannten Typenbestimmung über Drucktypen ermittelt. Die Idee der Typenbestimmung systematisiert haben die Engländer Henry Bradshow und Robert Proctor im 19. Jahrhundert über eine Bestimmung der Kegelhöhe der Typen, gemessen auf jeweils 20 Zeilen. Hinzu kommt das ‚Typenrepertorium der Wiegendrucke‘ (TW) von Konrad Haebler vom Beginn des 20. Jahrhunderts, das Typen nach der Form der Majuskel M klassifiziert. Die Ermittlung über die sogenannte Proctor-Haeblersche Methode wird bis heute angewandt. Das Typenrepertorium Haeblers wird dabei laufend durch die Abteilung Inkunabeln der Staatsbibliothek zu Berlin ergänzt und in einer Datenbank aktualisiert.

Am Nachmittag ging es ans praktische Arbeiten mit Inkunabeln der UB Greifswald und des Geistlichen Ministeriums. Ein besonderer Schwerpunkt lag hier auf dem Thema „Ablass und Wiegendruck“. So stellten Ablassbriefe, aber auch ein Traktat zum Ablass für Verstorbene (Modus subveniendi defunctis in purgatorio existentibus; GW M25064), einen Gegenstand unserer Untersuchungen und unserer thematisch wie anhand des Materials motivierten Diskussionen dar.

Donnerstag, 25. September 2014: Exkursion nach Rostock

Die Exkursion nach Rostock bedeutete Praxisanwendung pur. Wir besuchten die Universitätsbibliothek Rostock, die es uns ermöglichte, endlich eigenständig mit den Handschriften und Inkunabeln zu arbeiten – was wir dankbar annahmen.

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Foto: Falk Eisermann

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Foto: Jens Pickenhan

 

 

 

 

 

 

 

Am Nachmittag erkundeten wir das Kloster zum Heiligen Kreuz mit seiner Kirche sowie die Kirche St. Marien. Überall stießen wir auf Inschriften, auch der besonderen Art, so in einem Altarbild, auf einem Taufbecken oder als Ablassinschrift außen an der Kirche (St. Marien).

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Kirche des Klosters zum Heiligen Kreuz, Altarbild. Foto: Kristin Zech.

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Foto: Jens Pickenhan

 

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St. Marien, Rostock, Taufbecken. Foto: Falk Eisermann

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St. Marien, Rostock, Ablassinschrift außen. Foto: Falk Eisermann.

 

Insgesamt war die Exkursion nach Rostock ein rundum gelungener Abschluss des inhaltlichen Teils samt vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten des an den Tagen zuvor Erlernten.


Freitag, 26. September 2014: Workshop

Der Workshoptag stand ganz im Zeichen der Forschung einzelner Teilnehmender:

Christina Henss (Zürich): Wahrnehmung und Darstellung nichtchristlicher Räume in Mandevilles Reisen

Hanna Schäfer (Trier): Das Journal des Jean Aubrion und dessen Fortsetzung durch Pierre Aubrion

Lisa Böttcher (Berlin): Medizin in der mittelalterlichen sächsischen Franziskanerprovinz – Exemplarische Studien zu Konventsbibliotheken und Heilkunde

Claudia Heiden (Rostock): Das Antiphonar aus dem St.-Annen-Kloster in Lübeck

Dorette Werhahn-Piorkowski (Marburg): Die päpstlichen Kanzleiregeln im frühen Buchdruck

Caren Reimann (Berlin): Italienische Buchdrucker um 1500 – Matteo Capcasa und der venezianische Frühdruck

Rostislav Tumanov (Hamburg): Das Kopenhagener Stundenbuch

Elmar Hofman (Münster): Struktur und Funktion mittelalterlicher Wappenbücher

Gunthild Storeck (Berlin): Geometrie zwischen Universität und Handwerk: Transformation mathematischen Wissens in mittelalterlicher Volumenmessung

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Foto: Falk Eisermann

Am Samstag, 27. September 2014 schließlich fanden am Vormittag der Abschluss und die Auswertung des Sommerkurses statt. Die Rückmeldungen sowohl der Teilnehmenden als auch der Organisatoren fielen sehr positiv aus. Dafür gibt es gute Gründe:

Die Zusammenführung von Inschriften, Handschriften und Inkunabeln in einem Sommerkurs ist abschließend als innovativ und durch die enge und grundlegende Verflechtung dieser Schriftquellen als überzeugend und fruchtbar zu beurteilen. Für kommende Sommerkurse dieser Art ist der einzig offen bleibende Wunsch, den drei Schriftkulturen zeitlich etwas mehr Raum zu geben.

Einen besonderen Reiz machte der Kurs gerade in der Auseinandersetzung mit den zahlreich und gut erhaltenen Originalquellen der mecklenburg-vorpommerschen Region aus. Es erlaubte vielen der Teilnehmenden den Erstkontakt mit der Ostseeregion, gerade in wissenschaftlicher Hinsicht. Die gelungene Kooperation der Inschriftenstelle in Greifswald mit dem Alfried Krupp Wissenschaftskolleg ist für zukünftige Sommerschulen daher besonders wünschenswert.

Download (im pdf/a Format)

Zitationsvorschlag: Kristin Zech: Inschrift – Handschrift – Buchdruck. Medien der Schriftkultur im späten Mittelalter. Bericht über den interdisziplinären Sommerkurs am Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald (21.-27. September 2014), in: Mittelalter. Interdisziplinäre Forschung und Rezeptionsgeschichte, 10. März 2015, http://mittelalter.hypotheses.org/5435 (ISSN 2197-6120).

  1. DI 77, Greifswald, Nr. 143 (Jürgen Herold, Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di077g014k0014300 (Aufruf vom 21.2.2015).
  2. Vgl. die entsprechenden Berichte hier auf dem Mittelalterblog.
  3. Deutsche Inschriften; ein interaktives Forschungsvorhaben, das seit den 1930er Jahren besteht: www.inschriften.net.
  4. So schreibt Rudolf M. Kloss in seiner Einführung in die Epigraphik des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Darmstadt ²1992, bei einer Inschrift könne es sich nicht um einen schriftlichen Nachlass auf dem Beschreibstoff Papier oder Pergament handeln. Bartusch wies auf die Schwierigkeit hin, dass es aber beispielweise Altarbilder mit Pergamentinschriften gebe.
  5. Oftmals handelt es sich um ein liturgisches Schrifttum. Unter www.cantusdatabase.org ist es möglich, solche Fragmente zu lokalisieren.
  6. http://www.gesamtkatalogderwiegendrucke.de/. Seit 2003 gibt es ihn online; aktueller Bearbeitungsstand: bis Buchstabe „H“.

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/5435

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Ausstellungsbesprechung: „Welten des Wissens. Die Bibliothek und die Weltchronik des Nürnberger Arztes Hartmann Schedel (1440–1514)“ (Bayerische Staatsbibliothek, München)

Portrait Hartmann Schedels aus BSB, Clm 30

Portrait Hartmann Schedels (Quelle: München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 30, f. 2v, Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0, bearbeitet)

Im jubiläenreichen Jahr 2014 gesellte sich ein weiterer für die deutschen Humanismusforscher zwar prominenter, von der breiteren Öffentlichkeit jedoch eher wenig gefeierter Jubilar dazu: der Arzt und Sammler Hartmann Schedel (1440–1514). Anlässlich seines 500. Todestags organisierte die Bayerische Staatsbibliothek (BSB) die Ausstellung „Welten des Wissens. Die Bibliothek und die Weltchronik des Nürnberger Arztes Hartmann Schedel (1440–1514)“ in ihrer Schatzkammer in München. Dass die BSB überhaupt in den Besitz dieser außerordentlichen Sammlung, die eine der seltenen geschlossenen deutschen Privatbibliotheken des Spätmittelalters darstellt, gekommen ist, hat sie Melchior Schedel (1516–1571), Hartmanns Enkel und letztem überlebenden Nachfahren, zu verdanken. Wenig an den Büchern seines Großvaters interessiert, überging er dessen ausdrücklichen Willen, dass seine Bücher alle in der Liberey […] beieinander bleiben und den namen der Schedel und [s]einen Kinden und iren nachkommen zu nutz behalten werden sollen1 und verkaufte 1552 die Bibliothek für 500 Gulden an den Augsburger Kaufmann Johann Jakob Fugger (1516–1575). Dieser, in Geldnöte geraten, trat sie wiederum zwei Jahrzehnte später an den bayerischen Herzog Albrecht V. ab, womit Schedels Sammlung trotz einiger Verluste als geschlossener Bestand in die Münchner Hofbibliothek, die Vorgängerinstitution der Bayerischen Staatsbibliothek, integriert werden konnte. Wer Hartmann Schedel heute dort sucht, wird ihn schnell finden, hat er doch in zahlreichen handschriftlichen und gedruckten Codices sein Monogramm HA. S. D.  – Hartmann Schedel doctor – hinterlassen. Von den über 370 Handschriften und 460 Drucken zeigt die Ausstellung eine repräsentative Auswahl von 40 Bänden, darunter fünf Ausgaben der Weltchronik aus dem 15. Jahrhundert und einige Leihgaben, die wichtige Stationen in Schedels Leben und sein ungewöhnlich vielschichtiges Sammelinteresse dokumentieren.

Die Ausstellung ist auf zwei Räume verteilt. In der Schatzkammer stehen Hartmann Schedels Biographie und seine Sammlung im Vordergrund. Schedel steht auch physisch prominent im Zentrum des kleinen Raumes, denn dort ist das Arzneibuch des süditalienischen Arztes Mattheus Silvaticus aus Salerno ausgestellt; weniger wegen des Inhalts als seiner Bedeutung für Schedels Biographie ist es bemerkenswert: Es enthält das bekannte, zeitgenössische Portrait Schedels aus der Zeit seiner ersten Heirat 1475, das nachträglich aus dem Familienbuch Schedels herausgelöst und in den Codex inseriert worden ist. Es zeigt ihn im langen roten Mantel des gelehrten Arztes und mit roter Kopfbedeckung. Wie ein Gravitationszentrum scheint er so die rundherum angeordneten Schaukästen zusammenzuhalten.

Die Ausstellung beginnt mit zwei wichtigen Handschriften aus Schedels Besitz, seinem persönlichen Exemplar der lateinischen Weltchronik, das nicht nur auf Grund seiner prächtigen Ausstattung, sondern auch wegen der zahlreichen Beigaben und handschriftlichen Zusätze des Autors wertvoll ist, und der Abschrift des Familienbuchs für seinen Enkel Melchior (um 1552). Dieser Liber genealogiae et rerum familiarium ist im Original bis auf das bereits genannte Portrait verloren und nur durch zwei frühneuzeitliche Abschriften, die Johann Jakob Fugger nach dem Ankauf der Bibliothek anfertigen ließ, zu rekonstruieren. Beide sind als Leihgaben der Staatsbibliothek zu Berlin –Preußischer Kulturbesitz und aus Privatbesitz im ersten Ausstellungsraum zu sehen. Bereits hier ist die konzeptionelle Klammer zum letzten Exponat der Ausstellung aufgemacht, der Familienchronik und der Autobiographie des Melchior Schedel (um 1570), für die Hartmanns Enkel das Familienbuch als Quelle benutzte. Sie ist als Leihgabe der Landesbibliothek Coburg im zweiten Ausstellungsraum in einem eigenen Schaukasten zu besichtigen.

Im Uhrzeigersinn führen die weiteren Schaukästen durch Schedels Studienzeiten in Leipzig (1456–1463) und Padua (1463–1466). Dazwischen verklammern Wandtafeln mit Basisinformationen die Schaukästen. Ausgewählte Studien- und Fachliteratur zeigen Schedel als vielseitigen Studenten, der bald ein ausgeprägtes Interesse am Humanismus entwickelte und seine Büchersammlung dahingehend auch systematisch erweiterte. Neben medizinischer Fachliteratur ist zum Beispiel auch seine älteste Studienhandschrift (1456–1459) zu sehen, die Einblick in das Grundstudium gibt, das er in Leipzig absolvierte; ein Liederbuch dokumentiert wiederum nicht nur sein Interesse an Musik, sondern stellt auch eine selten überlieferte Quelle des 15. Jahrhunderts dar; mit dem Wechsel nach Padua für das Medizinstudium konnte Schedel auch seinen humanistischen Neigungen besser nachgehen. So erwarb er zahlreiche „Klassiker“ des italienischen Humanismus, zum Beispiel den ausgestellten Druck der Commedia Dantes. Ein kleines Elementarlehrbuch der griechischen Sprache zeigt außerdem, dass er nicht nur Latein beherrschte, sondern sich in Padua auch an einer weiteren, in dieser Zeit kaum mehr verbreiteten Fremdsprache versuchte. Dass er sie mit recht beachtlichem Erfolg gemeistert hat, wird im Liber antiquitatum cum epitaphiis et epigrammatibus deutlich. Darin hatte Schedel zahlreiche Inschriften, darunter auch viele griechische gesammelt. Dieses epigraphische Großwerk ist monumentaler Ausdruck von Schedels lebenslanger, antiquarischer Sammelleidenschaft.

Schön gelungen ist, dass neben Schedel auch andere Familienmitglieder und sogar seine akademischen Lehrer durch die ausgestellten Bücher immer wieder in Erscheinung treten. So geben ein Rechenbuch und ein venezianisch-nürnbergisches Sprachbuch Einblick in die kaufmännische Ausbildung des jüngeren Bruders Johannes, eine Bibelhandschrift führt zu den Grabners, der Familie von Schedels Mutter, schließlich wird Hermann Schedel, Hartmanns Vetter, durch eine vererbte Handschrift des Petrus de Abano sichtbar und etwas später findet man auch seine Söhne in einer astronomisch-astrologischen Handschrift, in die Schedel die Horoskope anlässlich ihrer Geburt eingetragen hat. Seine Professoren und Vorlesungen in Padua hielt Schedel in einer Liste am Ende des repräsentativen Codex Clm 13 fest. Zweien widmete er darin jeweils eine Seite mit Epigramm und den Portraits der Mediziner; über seinen hochverehrten Doktorvater Matteolo Mattioli verfasste er zudem eine sehr persönliche Biographie in der Weltchronik, die nicht nur dessen Fachexpertise, sondern auch seine Gelehrsamkeit in den Sieben Freien Künsten und in der Theologie rühmte. Diese ist allerdings nicht eigens ausgestellt.

Von der medizinischen Praxis Schedels zeugen das ausgestellte Rezeptarium, das ebenso als eine Art Kartei seiner Nördlinger und Amberger Patienten gelesen werden könnte. Für seine Nürnberger Zeit existiert ebenfalls ein Rezeptbuch, in das Schedel außer den ärztlichen Aufzeichnungen ein in mehrere Gruppen geordnetes Inventar seiner Bücher eingetragen hat. Es steht am Ende der Ausstellung und erinnert den Besucher daran, dass es hier um weit mehr als die 40 ausgestellten Bücher geht, nämlich um eine so immense Sammlung, die einen systematischen Katalog erforderlich gemacht hatte, um die benötigte Fachliteratur schnell zu finden.

Während seiner praktischen Tätigkeiten versorgte sich Schedel natürlich weiterhin mit aktueller medizinischer Fachliteratur, beschaffte sich zum Beispiel das erste deutsche Lehrbuch der Chirurgie oder Ausgaben von Hans Folz’ medizinischen Reimpaargedichten. Nebenbei hielt er sich über allerlei Neuerscheinungen in Italien und Deutschland auf dem Laufenden, wie die gedruckten Bücheranzeigen und manche „Bestellliste“ aus seinem Besitz dokumentieren. In diesem Teil der Ausstellung deutet sich schon der Übergang vom handschriftlichen Codex zum gedruckten Buch an, der sich auch in Schedels Bibliothek niedergeschlagen hat und der nun zum zweiten Teil der Ausstellung, der Weltchronik, überleitet.

Nach dem Durchgang durch Schedels Leben ist der Raum vor der Schatzkammer der Weltchronik gewidmet. Thematisiert werden ihre Hauptquellen, aber auch die Nachdrucke und erste Initiativen zur Überarbeitung und Ergänzung der Informationen. Hervorzuhaben sind darunter vielleicht Schedels Hauskalender für die Jahre 1502–1510, in denen er Familiennachrichten und wichtige Ereignisse wie seine eigene Erkrankung oder den Tod des langjährigen Freundes Hieronymus Münzer (1437–1508) eintrug, und ein eigenhändiger Brief des Johannes Trithemius (1462–1516) von 1502, mit dem er eine ausgeliehene Handschrift an Schedel zurücksandte. Dem, dass Schedel nur auf Grund seiner umfangreichen Büchersammlung in so kurzer Zeit die monumentale Weltchronik hat zusammenstellen können, wird man leicht zustimmen, nachdem im Raum vorher diese gelehrte Fachbibliothek vor dem geistigen Auge des Betrachters wiedererstanden ist. Wer weitere visuelle Hilfe braucht, dem bietet sich eine PC-Station, an der man die virtuelle Bibliothek Schedels durchstöbern kann.

Zusammenfassend kann man die Ausstellung durchaus als gelungen bezeichnen. Schon der geringe Platz macht eine Auswahl an Exponaten nötig. Dazu ist eine Ausstellung in einer Bibliothek über Bücher mit dem naheliegenden Problem konfrontiert, dass, nun ja, eben viele Bücher in den Schaukästen liegen. Doch ist der Platz gut genutzt, die Auswahl der Exponate sehr treffend und auch der Medieneinsatz sorgt in dem kleinen Rahmen für eine sinnvolle Informationsfülle. In den wenigen, aber sorgfältig ausgewählten und präsentierten Büchern werden pointiert Lebensstationen Schedels gezeigt. Die großen Aufsteller zur Weltchronik geben über das bloße Buch hinaus Einblick in den Produktionsprozess eines spätmittelalterlichen Bestsellers. Beeindruckend für den aufmerksamen Betrachter ist hier sicher die Information, dass die Financiers mit einem Kapital von 1000 Gulden einstanden, während vorher bereits Schedels jährlicher Grundverdienst als Stadtarzt in Nördlingen mit 40 Gulden beziffert wurde. Für den Fachwissenschaftler gibt es außerdem Highlights wie die Familienbücher, die Rezeptbücher, das Handexemplar der Weltchronik, den Liber antiquitatum und natürlich auch die Leihgaben. Wer der Faszination des Originals weiterhin erliegt, den stört es auch nicht, dass, nun ja, eben viele Bücher in den Schaukästen liegen.

Zur Ausstellung ist ein sehr schöner Katalog erschienen. Die Konzeption folgt dem Aufbau der Weltchronik. Das erst alter verfolgt den Aufstieg und Niedergang der Nürnberger Familie Schedel, anschließend werden Schedels Studienzeit in Leipzig und Padua, seine Tätigkeit als Stadtarzt in Nördlingen, Amberg und Nürnberg, seine Sammelinteressen und die Bibliothek, die Weltchronik und schließlich, im sibend alter, seine Bücher und ihr Schicksal behandelt. Jeweils ein einführender Aufsatz umreißt knapp und präzise die Lebensstation bzw. den Ausstellungsbereich. Es ist absolut empfehlenswert direkt mit dem Katalog durch die Ausstellung zu gehen. Denn die Wandtafeln und Schilder geben zwar einige Basisinformationen zu den jeweiligen Exponaten, doch sind diese im ersten Fall sehr knapp, im zweiten bibliographischer Natur, d.h. sie geben Titel, Material, Entstehungsort und –datum, Signatur, Folioangaben etc. an. Schön ist dabei, dass jeweils zusätzlich über die aufgeschlagenen Seiten informiert wird. Über den historischen Kontext und konkreten Entstehungszusammenhang, die Überlieferungsgeschichte und andere Besonderheiten, kurz: „den Sitz im Leben“ der jeweiligen Handschrift, geben nur die Artikel im Katalog fachkundig Auskunft. Durch ein eigenes PC-Symbol wird auch auf bereits digitalisierte Bände hingewiesen.

Dass Schedel nicht ohne sein Monumentalwerk der Weltchronik gezeigt werden kann, ist verständlich, umso schöner ist es, dass eine Woche nach der Eröffnung der Ausstellung in München am 28. und 29. November im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg die Jahrestagung der Willibald-Pirckheimer-Gesellschaft zur Erforschung von Renaissance und Humanismus e.V. zum Thema „Hartmann Schedel (1440–1514). Leben und Werk“ stattfand, wobei die Biographie und das Umfeld Schedels im Vordergrund standen. Wie eng die Kooperation und Abstimmung zwischen der Bayerischen Staatsbibliothek und der Pirckheimer-Gesellschaft war, zeigt nicht nur der Umstand, dass die Kuratorin Dr. Bettina Wagner als Referentin eingeladen war, sondern auch, dass die Vorträge die in der Ausstellung behandelten Themen aufgriffen, vertieften und auch sinnvoll erweiterten. Schedels Bücher bildeten bei vielen Vorträgen selbstredend die Basis der Ausführungen, doch kam hier wieder verstärkt der Mensch hinter den Büchern hervor. Erst wenn also das zugehörige Jahrbuch der Gesellschaft erscheinen wird, wird der Interessierte rundum informiert sein über die bekannteste Büchersammlung an der Wende vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 1. März. Es sind zwei Youtube-Videos und eine Bildergalerie verfügbar.

Zitationsempfehlung/Suggested citation: Karoline Döring: Ausstellungsbesprechung: „Welten des Wissens. Die Bibliothek und die Weltchronik des Nürnberger Arztes Hartmann Schedel (1440–1514)“ (Bayerische Staatsbibliothek, München), in: Mittelalter. Interdisziplinäre Forschung und Rezeptionsgeschichte, 19. Februar 2015, http://mittelalter.hypotheses.org/5303 (ISSN 2197-6120).

  1. Vgl. den Ausstellungskatalog: Welten des Wissens. Die Bibliothek und die Weltchronik des Nürnberger Arztes Hartmann Schedel (1440–1514), hrsg. von der Bayerischen Staatsbibliothek, München 2014, S. 155

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/5303

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Ausstellungsbesprechung: „Welten des Wissens. Die Bibliothek und die Weltchronik des Nürnberger Arztes Hartmann Schedel (1440–1514)“ (Bayerische Staatsbibliothek, München)

Portrait Hartmann Schedels aus BSB, Clm 30

Portrait Hartmann Schedels (Quelle: München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 30, f. 2v, Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0, bearbeitet)

Im jubiläenreichen Jahr 2014 gesellte sich ein weiterer für die deutschen Humanismusforscher zwar prominenter, von der breiteren Öffentlichkeit jedoch eher wenig gefeierter Jubilar dazu: der Arzt und Sammler Hartmann Schedel (1440–1514). Anlässlich seines 500. Todestags organisierte die Bayerische Staatsbibliothek (BSB) die Ausstellung „Welten des Wissens. Die Bibliothek und die Weltchronik des Nürnberger Arztes Hartmann Schedel (1440–1514)“ in ihrer Schatzkammer in München. Dass die BSB überhaupt in den Besitz dieser außerordentlichen Sammlung, die eine der seltenen geschlossenen deutschen Privatbibliotheken des Spätmittelalters darstellt, gekommen ist, hat sie Melchior Schedel (1516–1571), Hartmanns Enkel und letztem überlebenden Nachfahren, zu verdanken. Wenig an den Büchern seines Großvaters interessiert, überging er dessen ausdrücklichen Willen, dass seine Bücher alle in der Liberey […] beieinander bleiben und den namen der Schedel und [s]einen Kinden und iren nachkommen zu nutz behalten werden sollen1 und verkaufte 1552 die Bibliothek für 500 Gulden an den Augsburger Kaufmann Johann Jakob Fugger (1516–1575). Dieser, in Geldnöte geraten, trat sie wiederum zwei Jahrzehnte später an den bayerischen Herzog Albrecht V. ab, womit Schedels Sammlung trotz einiger Verluste als geschlossener Bestand in die Münchner Hofbibliothek, die Vorgängerinstitution der Bayerischen Staatsbibliothek, integriert werden konnte. Wer Hartmann Schedel heute dort sucht, wird ihn schnell finden, hat er doch in zahlreichen handschriftlichen und gedruckten Codices sein Monogramm HA. S. D.  – Hartmann Schedel doctor – hinterlassen. Von den über 370 Handschriften und 460 Drucken zeigt die Ausstellung eine repräsentative Auswahl von 40 Bänden, darunter fünf Ausgaben der Weltchronik aus dem 15. Jahrhundert und einige Leihgaben, die wichtige Stationen in Schedels Leben und sein ungewöhnlich vielschichtiges Sammelinteresse dokumentieren.

Die Ausstellung ist auf zwei Räume verteilt. In der Schatzkammer stehen Hartmann Schedels Biographie und seine Sammlung im Vordergrund. Schedel steht auch physisch prominent im Zentrum des kleinen Raumes, denn dort ist das Arzneibuch des süditalienischen Arztes Mattheus Silvaticus aus Salerno ausgestellt; weniger wegen des Inhalts als seiner Bedeutung für Schedels Biographie ist es bemerkenswert: Es enthält das bekannte, zeitgenössische Portrait Schedels aus der Zeit seiner ersten Heirat 1475, das nachträglich aus dem Familienbuch Schedels herausgelöst und in den Codex inseriert worden ist. Es zeigt ihn im langen roten Mantel des gelehrten Arztes und mit roter Kopfbedeckung. Wie ein Gravitationszentrum scheint er so die rundherum angeordneten Schaukästen zusammenzuhalten.

Die Ausstellung beginnt mit zwei wichtigen Handschriften aus Schedels Besitz, seinem persönlichen Exemplar der lateinischen Weltchronik, das nicht nur auf Grund seiner prächtigen Ausstattung, sondern auch wegen der zahlreichen Beigaben und handschriftlichen Zusätze des Autors wertvoll ist, und der Abschrift des Familienbuchs für seinen Enkel Melchior (um 1552). Dieser Liber genealogiae et rerum familiarium ist im Original bis auf das bereits genannte Portrait verloren und nur durch zwei frühneuzeitliche Abschriften, die Johann Jakob Fugger nach dem Ankauf der Bibliothek anfertigen ließ, zu rekonstruieren. Beide sind als Leihgaben der Staatsbibliothek zu Berlin –Preußischer Kulturbesitz und aus Privatbesitz im ersten Ausstellungsraum zu sehen. Bereits hier ist die konzeptionelle Klammer zum letzten Exponat der Ausstellung aufgemacht, der Familienchronik und der Autobiographie des Melchior Schedel (um 1570), für die Hartmanns Enkel das Familienbuch als Quelle benutzte. Sie ist als Leihgabe der Landesbibliothek Coburg im zweiten Ausstellungsraum in einem eigenen Schaukasten zu besichtigen.

Im Uhrzeigersinn führen die weiteren Schaukästen durch Schedels Studienzeiten in Leipzig (1456–1463) und Padua (1463–1466). Dazwischen verklammern Wandtafeln mit Basisinformationen die Schaukästen. Ausgewählte Studien- und Fachliteratur zeigen Schedel als vielseitigen Studenten, der bald ein ausgeprägtes Interesse am Humanismus entwickelte und seine Büchersammlung dahingehend auch systematisch erweiterte. Neben medizinischer Fachliteratur ist zum Beispiel auch seine älteste Studienhandschrift (1456–1459) zu sehen, die Einblick in das Grundstudium gibt, das er in Leipzig absolvierte; ein Liederbuch dokumentiert wiederum nicht nur sein Interesse an Musik, sondern stellt auch eine selten überlieferte Quelle des 15. Jahrhunderts dar; mit dem Wechsel nach Padua für das Medizinstudium konnte Schedel auch seinen humanistischen Neigungen besser nachgehen. So erwarb er zahlreiche „Klassiker“ des italienischen Humanismus, zum Beispiel den ausgestellten Druck der Commedia Dantes. Ein kleines Elementarlehrbuch der griechischen Sprache zeigt außerdem, dass er nicht nur Latein beherrschte, sondern sich in Padua auch an einer weiteren, in dieser Zeit kaum mehr verbreiteten Fremdsprache versuchte. Dass er sie mit recht beachtlichem Erfolg gemeistert hat, wird im Liber antiquitatum cum epitaphiis et epigrammatibus deutlich. Darin hatte Schedel zahlreiche Inschriften, darunter auch viele griechische gesammelt. Dieses epigraphische Großwerk ist monumentaler Ausdruck von Schedels lebenslanger, antiquarischer Sammelleidenschaft.

Schön gelungen ist, dass neben Schedel auch andere Familienmitglieder und sogar seine akademischen Lehrer durch die ausgestellten Bücher immer wieder in Erscheinung treten. So geben ein Rechenbuch und ein venezianisch-nürnbergisches Sprachbuch Einblick in die kaufmännische Ausbildung des jüngeren Bruders Johannes, eine Bibelhandschrift führt zu den Grabners, der Familie von Schedels Mutter, schließlich wird Hermann Schedel, Hartmanns Vetter, durch eine vererbte Handschrift des Petrus de Abano sichtbar und etwas später findet man auch seine Söhne in einer astronomisch-astrologischen Handschrift, in die Schedel die Horoskope anlässlich ihrer Geburt eingetragen hat. Seine Professoren und Vorlesungen in Padua hielt Schedel in einer Liste am Ende des repräsentativen Codex Clm 13 fest. Zweien widmete er darin jeweils eine Seite mit Epigramm und den Portraits der Mediziner; über seinen hochverehrten Doktorvater Matteolo Mattioli verfasste er zudem eine sehr persönliche Biographie in der Weltchronik, die nicht nur dessen Fachexpertise, sondern auch seine Gelehrsamkeit in den Sieben Freien Künsten und in der Theologie rühmte. Diese ist allerdings nicht eigens ausgestellt.

Von der medizinischen Praxis Schedels zeugen das ausgestellte Rezeptarium, das ebenso als eine Art Kartei seiner Nördlinger und Amberger Patienten gelesen werden könnte. Für seine Nürnberger Zeit existiert ebenfalls ein Rezeptbuch, in das Schedel außer den ärztlichen Aufzeichnungen ein in mehrere Gruppen geordnetes Inventar seiner Bücher eingetragen hat. Es steht am Ende der Ausstellung und erinnert den Besucher daran, dass es hier um weit mehr als die 40 ausgestellten Bücher geht, nämlich um eine so immense Sammlung, die einen systematischen Katalog erforderlich gemacht hatte, um die benötigte Fachliteratur schnell zu finden.

Während seiner praktischen Tätigkeiten versorgte sich Schedel natürlich weiterhin mit aktueller medizinischer Fachliteratur, beschaffte sich zum Beispiel das erste deutsche Lehrbuch der Chirurgie oder Ausgaben von Hans Folz’ medizinischen Reimpaargedichten. Nebenbei hielt er sich über allerlei Neuerscheinungen in Italien und Deutschland auf dem Laufenden, wie die gedruckten Bücheranzeigen und manche „Bestellliste“ aus seinem Besitz dokumentieren. In diesem Teil der Ausstellung deutet sich schon der Übergang vom handschriftlichen Codex zum gedruckten Buch an, der sich auch in Schedels Bibliothek niedergeschlagen hat und der nun zum zweiten Teil der Ausstellung, der Weltchronik, überleitet.

Nach dem Durchgang durch Schedels Leben ist der Raum vor der Schatzkammer der Weltchronik gewidmet. Thematisiert werden ihre Hauptquellen, aber auch die Nachdrucke und erste Initiativen zur Überarbeitung und Ergänzung der Informationen. Hervorzuhaben sind darunter vielleicht Schedels Hauskalender für die Jahre 1502–1510, in denen er Familiennachrichten und wichtige Ereignisse wie seine eigene Erkrankung oder den Tod des langjährigen Freundes Hieronymus Münzer (1437–1508) eintrug, und ein eigenhändiger Brief des Johannes Trithemius (1462–1516) von 1502, mit dem er eine ausgeliehene Handschrift an Schedel zurücksandte. Dem, dass Schedel nur auf Grund seiner umfangreichen Büchersammlung in so kurzer Zeit die monumentale Weltchronik hat zusammenstellen können, wird man leicht zustimmen, nachdem im Raum vorher diese gelehrte Fachbibliothek vor dem geistigen Auge des Betrachters wiedererstanden ist. Wer weitere visuelle Hilfe braucht, dem bietet sich eine PC-Station, an der man die virtuelle Bibliothek Schedels durchstöbern kann.

Zusammenfassend kann man die Ausstellung durchaus als gelungen bezeichnen. Schon der geringe Platz macht eine Auswahl an Exponaten nötig. Dazu ist eine Ausstellung in einer Bibliothek über Bücher mit dem naheliegenden Problem konfrontiert, dass, nun ja, eben viele Bücher in den Schaukästen liegen. Doch ist der Platz gut genutzt, die Auswahl der Exponate sehr treffend und auch der Medieneinsatz sorgt in dem kleinen Rahmen für eine sinnvolle Informationsfülle. In den wenigen, aber sorgfältig ausgewählten und präsentierten Büchern werden pointiert Lebensstationen Schedels gezeigt. Die großen Aufsteller zur Weltchronik geben über das bloße Buch hinaus Einblick in den Produktionsprozess eines spätmittelalterlichen Bestsellers. Beeindruckend für den aufmerksamen Betrachter ist hier sicher die Information, dass die Financiers mit einem Kapital von 1000 Gulden einstanden, während vorher bereits Schedels jährlicher Grundverdienst als Stadtarzt in Nördlingen mit 40 Gulden beziffert wurde. Für den Fachwissenschaftler gibt es außerdem Highlights wie die Familienbücher, die Rezeptbücher, das Handexemplar der Weltchronik, den Liber antiquitatum und natürlich auch die Leihgaben. Wer der Faszination des Originals weiterhin erliegt, den stört es auch nicht, dass, nun ja, eben viele Bücher in den Schaukästen liegen.

Zur Ausstellung ist ein sehr schöner Katalog erschienen. Die Konzeption folgt dem Aufbau der Weltchronik. Das erst alter verfolgt den Aufstieg und Niedergang der Nürnberger Familie Schedel, anschließend werden Schedels Studienzeit in Leipzig und Padua, seine Tätigkeit als Stadtarzt in Nördlingen, Amberg und Nürnberg, seine Sammelinteressen und die Bibliothek, die Weltchronik und schließlich, im sibend alter, seine Bücher und ihr Schicksal behandelt. Jeweils ein einführender Aufsatz umreißt knapp und präzise die Lebensstation bzw. den Ausstellungsbereich. Es ist absolut empfehlenswert direkt mit dem Katalog durch die Ausstellung zu gehen. Denn die Wandtafeln und Schilder geben zwar einige Basisinformationen zu den jeweiligen Exponaten, doch sind diese im ersten Fall sehr knapp, im zweiten bibliographischer Natur, d.h. sie geben Titel, Material, Entstehungsort und –datum, Signatur, Folioangaben etc. an. Schön ist dabei, dass jeweils zusätzlich über die aufgeschlagenen Seiten informiert wird. Über den historischen Kontext und konkreten Entstehungszusammenhang, die Überlieferungsgeschichte und andere Besonderheiten, kurz: „den Sitz im Leben“ der jeweiligen Handschrift, geben nur die Artikel im Katalog fachkundig Auskunft. Durch ein eigenes PC-Symbol wird auch auf bereits digitalisierte Bände hingewiesen.

Dass Schedel nicht ohne sein Monumentalwerk der Weltchronik gezeigt werden kann, ist verständlich, umso schöner ist es, dass eine Woche nach der Eröffnung der Ausstellung in München am 28. und 29. November im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg die Jahrestagung der Willibald-Pirckheimer-Gesellschaft zur Erforschung von Renaissance und Humanismus e.V. zum Thema „Hartmann Schedel (1440–1514). Leben und Werk“ stattfand, wobei die Biographie und das Umfeld Schedels im Vordergrund standen. Wie eng die Kooperation und Abstimmung zwischen der Bayerischen Staatsbibliothek und der Pirckheimer-Gesellschaft war, zeigt nicht nur der Umstand, dass die Kuratorin Dr. Bettina Wagner als Referentin eingeladen war, sondern auch, dass die Vorträge die in der Ausstellung behandelten Themen aufgriffen, vertieften und auch sinnvoll erweiterten. Schedels Bücher bildeten bei vielen Vorträgen selbstredend die Basis der Ausführungen, doch kam hier wieder verstärkt der Mensch hinter den Büchern hervor. Erst wenn also das zugehörige Jahrbuch der Gesellschaft erscheinen wird, wird der Interessierte rundum informiert sein über die bekannteste Büchersammlung an der Wende vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 1. März. Es sind zwei Youtube-Videos und eine Bildergalerie verfügbar.

Zitationsempfehlung/Suggested citation: Karoline Döring: Ausstellungsbesprechung: „Welten des Wissens. Die Bibliothek und die Weltchronik des Nürnberger Arztes Hartmann Schedel (1440–1514)“ (Bayerische Staatsbibliothek, München), in: Mittelalter. Interdisziplinäre Forschung und Rezeptionsgeschichte, 19. Februar 2015, http://mittelalter.hypotheses.org/5303 (ISSN 2197-6120).

  1. Vgl. den Ausstellungskatalog: Welten des Wissens. Die Bibliothek und die Weltchronik des Nürnberger Arztes Hartmann Schedel (1440–1514), hrsg. von der Bayerischen Staatsbibliothek, München 2014, S. 155

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/5303

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Bloggende Doktoranden. Eine Bilanz zu Fragen und Antworten #wbhyp

3284010276_ebfa71b07e_zEin Dauerbrenner in Gesprächen über das wissenschaftliche Bloggen ist nach wie vor die Frage: „Was und wie dürfen Doktorandinnen und Doktoranden überhaupt bloggen?“. Viele Doktoranden sind im Rahmen von Forschungsprojekten angestellt, bei denen publiziert wird. Aber auch Doktoranden ohne Stelle sind auf Konferenzen präsent, stellen ihre Forschung vor und müssen darauf achten, was sie vor Abgabe der Dissertation publizieren. Besonders viele Fragen und Bedenken kommen jedoch beim Publizieren in Blogs auf.

Welche Bedenken und Vorbehalte existieren?

Über das Bloggen während des Promotionsstudiums hat Matthias Meiler einen Blogbeitrag verfasst, der seine Unsicherheit bezüglich der Publikation von noch nicht fertigen Gedanken zum Ausdruck bringt. Ebenso stellt er sich die Frage, wie groß das Risiko ist, Überlegungen zu bloggen, die womöglich in der Dissertation einen größeren Stellenwert einnehmen könnten, als zunächst gedacht.

Werfen unfertige Gedanken ein schlechtes Bild auf die Arbeit von Doktoranden? Oder greift jemand anders einen unfertigen Gedanken auf und entwickelt ihn einfach weiter? Wie und was können Doktoranden also bloggen, wenn doch das Mantra der Professoren lautet, es sei normal, dass sich die Struktur der Arbeit, die Fragestellung, die Überlegungen, etc. im Lauf des Promotionsstudium noch ändern? Woher weiß man, was man vorab verbloggen darf und was nicht?

Und wie sieht es mit Selbstplagiat aus? Dürfen Doktoranden vorab publizierte Texte mit in die Dissertation aufnehmen? Klaus Graf hat darauf eine sehr deutliche Antwort: „Ein Eigenplagiat ist kein Plagiat, da man das Ergebnis einer eigenen und nicht einer fremden Leistung verwertet. Sich selbst kann man nicht bestehlen.“ Doch denken die Prüfer am Ende genauso?

Was haben Doktoranden überhaupt vom wissenschaftlichen Bloggen?

Wie Mareike König in ihrem Blogbeitrag schreibt, kommen immer wieder Bedenken von Wissenschaftlern auf, die diese wissenschaftliche Schreibform noch nie ausprobiert haben. Vielmehr wird der Zeitmangel häufig als Gegenargument genannt. Gerade Doktoranden müssen zusehen, dass sie ihre Dissertation fertig stellen. Anne Baillot beispielsweise rät in ihrem Beitrag zu #wbhyp ihren Doktoranden daher vom regelmäßigen Bloggen ab. Aus welchem Grund sollten Doktoranden also Zeit opfern und sich dem wissenschaftlichen Bloggen zuwenden?

Hierzu hat Johannes Walschütz verschiedene Gründe genannt, weshalb das Bloggen für Doktoranden sinnvoll ist:

  • Es ist eine Möglichkeit, auf die eigene Forschung aufmerksam zu machen.
  • Die Publikation erfolgt schnell und die Beiträge sind gut auffindbar.
  • Es stellt eine sinnvolle Art der Ablenkung von der Arbeit an der Dissertation dar.
  • Das eigene Blog ist ein hervorragender Ort, um Schreib- und Publikationserfahrungen zu sammeln.
  • Bloggen hilft Gedanken zu strukturieren.

Neben der Werbung für die eigene Arbeit stellt also das Bloggen an sich den Grund für’s Bloggen dar. Durch das Schreiben im Blog muss die Arbeit dargestellt werden, was eine zusätzliche Beschäftigung mit der Thematik erfordert. Das Thema muss nicht „nur“ gedacht, sondern auch geschrieben werden. So hat Maxi Platz für das eigene Bloggen festgestellt, dass es „für Nachwuchswissenschaftler wirklich heilsam [ist], eigene Themen verständlich zu formulieren. Ist man dazu nicht in der Lage, hat man vielleicht etwas selbst nicht ganz verstanden und kann das so durchaus überprüfen.“

Neben dem Schreiben übt Bloggen auch das Loslassen. Einen Gedanken zu publizieren und ihn zur Debatte zu stellen, eine These öffentlich zu verteten und nicht mehr "noch einmal eine Nacht drüber schlafen", erfordert zu Beginn Überwindung. Zudem ist allen Doktoranden (zumindest in den Geistes- und Sozialwissenschaften) gemeinsam, dass sie einen irre langen Text schreiben. Alles wird vorher irgendwie irgendwo geübt, aber bei der Dissertation wird erwartet, dass es gleich so funktioniert.

Dieser Text beinhaltet dann eine jahrelange Reflexion, wobei man erst am Ende weiß, was und worüber genau man eigentlich schreibt. Aber das kann nicht der Grund sein, auf das Bloggen zu verzichten. Denn, nicht zu vergessen (und hier schon wieder das Mantra der Professoren): Das, was einem zu Beginn des Promotionsstudiums durch den Kopf geht und was in Form eines Blogartikels festgehalten wird, spiegelt mit Sicherheit nicht mehr die Position wider, die man während der Disputation hat. Blogartikel stellen also vor allem die einzelnen Arbeits- und Gedankenschritte während des Promotionsstudiums dar.

Wie bloggen andere Doktoranden?

Ein Blick auf die Blogs anderer Doktoranden macht deutlich, worüber diese so bloggen. Aber vor allem zeigt dieser Blick auch, dass andere Doktoranden bloggen und dass dies so einige tun. Eine ehemalige Doktorandin und zwei Doktoranden von de.hypotheses geben einen Einblick über ihr Bloggen und ihre Blogerfahrungen. Ein ganz herzlicher Dank gilt hier Johannes Waldschütz, Matthias Meiler und Maxi Platz, die auf meinen Mailaufruf an die Community von de.hypotheses Ende letzten Jahres geantwortet haben.

Matthias Meiler bloggt vor allem aus wissenschaftlichem Interesse, weil die Kommunikationsform Gegenstand seiner Dissertation ist (METABLOCK). In den Beiträgen verbloggt er Randüberlegungen, die in der Dissertation keinen Platz finden, aber dennoch von Interesse sind. Auf diese Weise könnten auch solche Randüberlegungen ausgearbeitet werden und einer Leserschaft präsentiert werden. „Aspekte, die diesen Stellenwert dennoch haben, neige ich im Blog nur zu nennen bzw. nur knapp auszuführen. In vielen Fällen geht das aber auch gar nicht anders, da ich zum jeweiligen Zeitpunkt mehr Fundiertes dazu noch gar nicht sagen kann oder auf Basis meines bisherigen Kenntnisstandes noch nicht sagen will.“ Außerdem: „Integrale Aspekte meiner Diss im Blog zu veröffentlichen, wäre der Kommunikationsform 'Weblog' auch gar nicht angemessen.“

Maxi Platz hat während ihres Promotionsstudium ebenfalls über Nebenaspekte ihrer Dissertation gebloggt (MinusEinsEbene). Rückblickend stellt sie fest, dass sie sehr unterschiedlich gebloggt hat und sich ihr Schreibstil im Lauf der Zeit auch sehr verändert hat. Auch wenn Artikel dabei waren, die nicht direkt mit dem Thema der Arbeit zusammenhingen, so hat sie zu interessanten Fragestellungen, die die Dissertation nur streifen und die in dieser keinen Platz mehr gefunden haben, oder über Gedankengänge der Arbeit geschrieben, aber ebenso über Problematiken, ohne dabei in die Tiefe zu gehen. Sie sagt: „Man muss vielen Bedenkenträgern vorhalten, dass nicht alles, was man in einer historischen oder archäologischen Dissertation schreibt, neu ist und einen wissenschaftlichen Fortschritt bedeutet. Vieles ist ein Referieren des Forschungsstandes oder das Einordnen von eigenen Ergebnissen in einen bestimmten Kontext. Aspekte des Forschungstandes bilden sehr schöne Themen, über die es sich lohnt zu bloggen.“ Bedenken als Doktorandin zu bloggen hatte sie nicht, im Gegenteil: „Ich glaube zudem, dass die meisten Bedenken, beim Bloggen wie im Leben, unnötig sind. Wenn man bestimmte Regeln beachtet, also Kernergebnisse nicht publiziert, Fachkollegen nicht beleidigt oder nicht über die letzte Party allzu detailliert berichtet, kann eigentlich nichts schief gehen.“

Johannes Waldschütz stellt heraus, dass natürlich auch der Zeitfaktor eine Rolle beim Bloggen spielt. Je nach Finanzierung des Promotionsstudiums steht unterschiedlich viel Zeit zur Verfügung, sodass die eigenen Zeitressourcen ebenfalls eine Auswirkung auf die Art und Weise des Bloggens haben. Rückblickend ist sein Fazit bisher, dass er nicht über seine Dissertation selbst bloggt, sondern für den Lehrstuhl an dem er arbeitet (Mittelalter am Oberrhein) oder er verfasst Gastbeiträge für andere Blogs. Wenn er über die Dissertation bloggen würde, könnte er sich eine Projektvorstellung, für ein breites Publikum aufbereitete Kapitel oder verschriftliche „Nebenprodukte“ vorstellen.

Was ist zu tun?

Da Promotionsordnungen alle etwas anderes besagen, sollte man die eigene Ordnung sehr gut lesen. Die Dissertation muss eine selbstständige Arbeit sein, aber zur Vorabpublikation werden völlig unterschiedliche Angaben gemacht. Am Fachbereich für Erziehungswissenschaft und Sozialwissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität heißt es lediglich: „Kern der Promotion ist die eigene, selbstständige und originäre Forschungsleistung, die zum Erkenntnisfortschritt im jeweiligen Fach beiträgt.“ Das Adjektiv „originär“ können Doktoranden, Professoren und findige Prüfungsamtsmitarbeiter im Zweifelsfall sehr unterschiedlich interpretieren. Die Promotionsordnung der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig geht nur an einer Stelle auf Vorabpublikationen ein. „Beinhaltet die Dissertation wissenschaftliche Erkenntnisse, die der Doktorand vorab mit Koautoren in einer wissenschaftlichen Zeitschrift publiziert hat, so hat der Doktorand anzugeben, welcher Teil dieser Erkenntnisse bzw. dieser Publikation auf ihn zurückgeht. Die Gutachter haben die Plausibilität dieser Angaben zu überprüfen und können im Zweifel weitergehende Nachweise vom Doktoranden verlangen.“

Da das wissenschaftliche Bloggen noch relativ jung ist, haben sich noch nicht viele Prüfungsausschüsse mit diesem Thema beschäftigt. An dieser Stelle heißt es wohl: Solidarität unter den bloggenden Doktoranden und auf in ein aufrichtiges Gespräch mit dem Doktorvater oder der Doktormutter, die womöglich mehr wissen. Zudem ist so ein Gespräch die „sichere Seite“, um in der Disputation (oder danach) keine bösen Überraschungen zu erleben.

Und was nun?

Vorschlag: Einfach mal machen!

Maxi Platz erklärt beispielsweise, warum sie sich für das Bloggen entschieden hat: „Ich fand das Medium Blog spannend und wollte es ausprobieren. Ich wollte einfach bloggen und dachte, dass die Zeit der Dissertation sich dafür eignet. Was stimmt.“

Wer dann beim Bloggen die Quellen offenlegt und nicht aus der Dissertation copy-pastet (bzw. anders herum), kann eigentlich nicht viel falsch machen. Was, wenn man etwas bereits Gebloggtes in der Dissertation aufgreifen möchte? Auch Blogs sind zitierfähig.

Aber was genau dürfen Doktorandinnen und Doktoranden denn jetzt bloggen? Die eine wichtige Quelle oder der Kern der theoretischen Überlegungen gehören wohl weniger in das Blog. Stattdessen vielleicht zwei Vorschläge: Zum einen Dinge, die man eh tut, die aber nicht in die Dissertation aufgenommen werden, beispielsweise methodische Erfahrungen oder etwas zum Forschungsstand. Zum anderen alles „rund um das Thema“, beispielsweise Tagungsberichte, Rezensionen, Archivbesuche, Ausstellungen, Linklisten, Interviews, ... Aber genau genommen gibt es keinen Leitfaden zum „richtigen“ wissenschaftlichen Bloggen (generell oder speziell für Doktoranden), zumal die Themen und Disziplinen sehr unterschiedlich sind und sich die Forschungslandschaften sehr unterscheiden.

Kommentare und Rückmeldungen zu diesem Beitrag sind im Übrigen ausdrücklich erwünscht. Es wäre großartig, wenn das Phänomen „wissenschaftliches Bloggen von Doktorandinnen und Doktoranden“ weniger suspekt behandelt werden würde und sich mehr Forschende ins kalte Wasser stürzen würden. Eines ist klar: Diese Art wissenschaftlich zu publizieren und zu kommunizieren ist noch jung und irgendwer muss ja anfangen!

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Abbildung: X von Ben Murray, Lizenz CC BY-NC-SA 2.0

Quelle: http://dhdhi.hypotheses.org/2343

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Bloggende Doktoranden. Eine Bilanz zu Fragen und Antworten #wbhyp

3284010276_ebfa71b07e_zEin Dauerbrenner in Gesprächen über das wissenschaftliche Bloggen ist nach wie vor die Frage: „Was und wie dürfen Doktorandinnen und Doktoranden überhaupt bloggen?“. Viele Doktoranden sind im Rahmen von Forschungsprojekten angestellt, bei denen publiziert wird. Aber auch Doktoranden ohne Stelle sind auf Konferenzen präsent, stellen ihre Forschung vor und müssen darauf achten, was sie vor Abgabe der Dissertation publizieren. Besonders viele Fragen und Bedenken kommen jedoch beim Publizieren in Blogs auf.

Welche Bedenken und Vorbehalte existieren?

Über das Bloggen während des Promotionsstudiums hat Matthias Meiler einen Blogbeitrag verfasst, der seine Unsicherheit bezüglich der Publikation von noch nicht fertigen Gedanken zum Ausdruck bringt. Ebenso stellt er sich die Frage, wie groß das Risiko ist, Überlegungen zu bloggen, die womöglich in der Dissertation einen größeren Stellenwert einnehmen könnten, als zunächst gedacht.

Werfen unfertige Gedanken ein schlechtes Bild auf die Arbeit von Doktoranden? Oder greift jemand anders einen unfertigen Gedanken auf und entwickelt ihn einfach weiter? Wie und was können Doktoranden also bloggen, wenn doch das Mantra der Professoren lautet, es sei normal, dass sich die Struktur der Arbeit, die Fragestellung, die Überlegungen, etc. im Lauf des Promotionsstudium noch ändern? Woher weiß man, was man vorab verbloggen darf und was nicht?

Und wie sieht es mit Selbstplagiat aus? Dürfen Doktoranden vorab publizierte Texte mit in die Dissertation aufnehmen? Klaus Graf hat darauf eine sehr deutliche Antwort: „Ein Eigenplagiat ist kein Plagiat, da man das Ergebnis einer eigenen und nicht einer fremden Leistung verwertet. Sich selbst kann man nicht bestehlen.“ Doch denken die Prüfer am Ende genauso?

Was haben Doktoranden überhaupt vom wissenschaftlichen Bloggen?

Wie Mareike König in ihrem Blogbeitrag schreibt, kommen immer wieder Bedenken von Wissenschaftlern auf, die diese wissenschaftliche Schreibform noch nie ausprobiert haben. Vielmehr wird der Zeitmangel häufig als Gegenargument genannt. Gerade Doktoranden müssen zusehen, dass sie ihre Dissertation fertig stellen. Anne Baillot beispielsweise rät in ihrem Beitrag zu #wbhyp ihren Doktoranden daher vom regelmäßigen Bloggen ab. Aus welchem Grund sollten Doktoranden also Zeit opfern und sich dem wissenschaftlichen Bloggen zuwenden?

Hierzu hat Johannes Walschütz verschiedene Gründe genannt, weshalb das Bloggen für Doktoranden sinnvoll ist:

  • Es ist eine Möglichkeit, auf die eigene Forschung aufmerksam zu machen.
  • Die Publikation erfolgt schnell und die Beiträge sind gut auffindbar.
  • Es stellt eine sinnvolle Art der Ablenkung von der Arbeit an der Dissertation dar.
  • Das eigene Blog ist ein hervorragender Ort, um Schreib- und Publikationserfahrungen zu sammeln.
  • Bloggen hilft Gedanken zu strukturieren.

Neben der Werbung für die eigene Arbeit stellt also das Bloggen an sich den Grund für’s Bloggen dar. Durch das Schreiben im Blog muss die Arbeit dargestellt werden, was eine zusätzliche Beschäftigung mit der Thematik erfordert. Das Thema muss nicht „nur“ gedacht, sondern auch geschrieben werden. So hat Maxi Platz für das eigene Bloggen festgestellt, dass es „für Nachwuchswissenschaftler wirklich heilsam [ist], eigene Themen verständlich zu formulieren. Ist man dazu nicht in der Lage, hat man vielleicht etwas selbst nicht ganz verstanden und kann das so durchaus überprüfen.“

Neben dem Schreiben übt Bloggen auch das Loslassen. Einen Gedanken zu publizieren und ihn zur Debatte zu stellen, eine These öffentlich zu verteten und nicht mehr "noch einmal eine Nacht drüber schlafen", erfordert zu Beginn Überwindung. Zudem ist allen Doktoranden (zumindest in den Geistes- und Sozialwissenschaften) gemeinsam, dass sie einen irre langen Text schreiben. Alles wird vorher irgendwie irgendwo geübt, aber bei der Dissertation wird erwartet, dass es gleich so funktioniert.

Dieser Text beinhaltet dann eine jahrelange Reflexion, wobei man erst am Ende weiß, was und worüber genau man eigentlich schreibt. Aber das kann nicht der Grund sein, auf das Bloggen zu verzichten. Denn, nicht zu vergessen (und hier schon wieder das Mantra der Professoren): Das, was einem zu Beginn des Promotionsstudiums durch den Kopf geht und was in Form eines Blogartikels festgehalten wird, spiegelt mit Sicherheit nicht mehr die Position wider, die man während der Disputation hat. Blogartikel stellen also vor allem die einzelnen Arbeits- und Gedankenschritte während des Promotionsstudiums dar.

Wie bloggen andere Doktoranden?

Ein Blick auf die Blogs anderer Doktoranden macht deutlich, worüber diese so bloggen. Aber vor allem zeigt dieser Blick auch, dass andere Doktoranden bloggen und dass dies so einige tun. Eine ehemalige Doktorandin und zwei Doktoranden von de.hypotheses geben einen Einblick über ihr Bloggen und ihre Blogerfahrungen. Ein ganz herzlicher Dank gilt hier Johannes Waldschütz, Matthias Meiler und Maxi Platz, die auf meinen Mailaufruf an die Community von de.hypotheses Ende letzten Jahres geantwortet haben.

Matthias Meiler bloggt vor allem aus wissenschaftlichem Interesse, weil die Kommunikationsform Gegenstand seiner Dissertation ist (METABLOCK). In den Beiträgen verbloggt er Randüberlegungen, die in der Dissertation keinen Platz finden, aber dennoch von Interesse sind. Auf diese Weise könnten auch solche Randüberlegungen ausgearbeitet werden und einer Leserschaft präsentiert werden. „Aspekte, die diesen Stellenwert dennoch haben, neige ich im Blog nur zu nennen bzw. nur knapp auszuführen. In vielen Fällen geht das aber auch gar nicht anders, da ich zum jeweiligen Zeitpunkt mehr Fundiertes dazu noch gar nicht sagen kann oder auf Basis meines bisherigen Kenntnisstandes noch nicht sagen will.“ Außerdem: „Integrale Aspekte meiner Diss im Blog zu veröffentlichen, wäre der Kommunikationsform 'Weblog' auch gar nicht angemessen.“

Maxi Platz hat während ihres Promotionsstudium ebenfalls über Nebenaspekte ihrer Dissertation gebloggt (MinusEinsEbene). Rückblickend stellt sie fest, dass sie sehr unterschiedlich gebloggt hat und sich ihr Schreibstil im Lauf der Zeit auch sehr verändert hat. Auch wenn Artikel dabei waren, die nicht direkt mit dem Thema der Arbeit zusammenhingen, so hat sie zu interessanten Fragestellungen, die die Dissertation nur streifen und die in dieser keinen Platz mehr gefunden haben, oder über Gedankengänge der Arbeit geschrieben, aber ebenso über Problematiken, ohne dabei in die Tiefe zu gehen. Sie sagt: „Man muss vielen Bedenkenträgern vorhalten, dass nicht alles, was man in einer historischen oder archäologischen Dissertation schreibt, neu ist und einen wissenschaftlichen Fortschritt bedeutet. Vieles ist ein Referieren des Forschungsstandes oder das Einordnen von eigenen Ergebnissen in einen bestimmten Kontext. Aspekte des Forschungstandes bilden sehr schöne Themen, über die es sich lohnt zu bloggen.“ Bedenken als Doktorandin zu bloggen hatte sie nicht, im Gegenteil: „Ich glaube zudem, dass die meisten Bedenken, beim Bloggen wie im Leben, unnötig sind. Wenn man bestimmte Regeln beachtet, also Kernergebnisse nicht publiziert, Fachkollegen nicht beleidigt oder nicht über die letzte Party allzu detailliert berichtet, kann eigentlich nichts schief gehen.“

Johannes Waldschütz stellt heraus, dass natürlich auch der Zeitfaktor eine Rolle beim Bloggen spielt. Je nach Finanzierung des Promotionsstudiums steht unterschiedlich viel Zeit zur Verfügung, sodass die eigenen Zeitressourcen ebenfalls eine Auswirkung auf die Art und Weise des Bloggens haben. Rückblickend ist sein Fazit bisher, dass er nicht über seine Dissertation selbst bloggt, sondern für den Lehrstuhl an dem er arbeitet (Mittelalter am Oberrhein) oder er verfasst Gastbeiträge für andere Blogs. Wenn er über die Dissertation bloggen würde, könnte er sich eine Projektvorstellung, für ein breites Publikum aufbereitete Kapitel oder verschriftliche „Nebenprodukte“ vorstellen.

Was ist zu tun?

Da Promotionsordnungen alle etwas anderes besagen, sollte man die eigene Ordnung sehr gut lesen. Die Dissertation muss eine selbstständige Arbeit sein, aber zur Vorabpublikation werden völlig unterschiedliche Angaben gemacht. Am Fachbereich für Erziehungswissenschaft und Sozialwissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität heißt es lediglich: „Kern der Promotion ist die eigene, selbstständige und originäre Forschungsleistung, die zum Erkenntnisfortschritt im jeweiligen Fach beiträgt.“ Das Adjektiv „originär“ können Doktoranden, Professoren und findige Prüfungsamtsmitarbeiter im Zweifelsfall sehr unterschiedlich interpretieren. Die Promotionsordnung der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig geht nur an einer Stelle auf Vorabpublikationen ein. „Beinhaltet die Dissertation wissenschaftliche Erkenntnisse, die der Doktorand vorab mit Koautoren in einer wissenschaftlichen Zeitschrift publiziert hat, so hat der Doktorand anzugeben, welcher Teil dieser Erkenntnisse bzw. dieser Publikation auf ihn zurückgeht. Die Gutachter haben die Plausibilität dieser Angaben zu überprüfen und können im Zweifel weitergehende Nachweise vom Doktoranden verlangen.“

Da das wissenschaftliche Bloggen noch relativ jung ist, haben sich noch nicht viele Prüfungsausschüsse mit diesem Thema beschäftigt. An dieser Stelle heißt es wohl: Solidarität unter den bloggenden Doktoranden und auf in ein aufrichtiges Gespräch mit dem Doktorvater oder der Doktormutter, die womöglich mehr wissen. Zudem ist so ein Gespräch die „sichere Seite“, um in der Disputation (oder danach) keine bösen Überraschungen zu erleben.

Und was nun?

Vorschlag: Einfach mal machen!

Maxi Platz erklärt beispielsweise, warum sie sich für das Bloggen entschieden hat: „Ich fand das Medium Blog spannend und wollte es ausprobieren. Ich wollte einfach bloggen und dachte, dass die Zeit der Dissertation sich dafür eignet. Was stimmt.“

Wer dann beim Bloggen die Quellen offenlegt und nicht aus der Dissertation copy-pastet (bzw. anders herum), kann eigentlich nicht viel falsch machen. Was, wenn man etwas bereits Gebloggtes in der Dissertation aufgreifen möchte? Auch Blogs sind zitierfähig.

Aber was genau dürfen Doktorandinnen und Doktoranden denn jetzt bloggen? Die eine wichtige Quelle oder der Kern der theoretischen Überlegungen gehören wohl weniger in das Blog. Stattdessen vielleicht zwei Vorschläge: Zum einen Dinge, die man eh tut, die aber nicht in die Dissertation aufgenommen werden, beispielsweise methodische Erfahrungen oder etwas zum Forschungsstand. Zum anderen alles „rund um das Thema“, beispielsweise Tagungsberichte, Rezensionen, Archivbesuche, Ausstellungen, Linklisten, Interviews, ... Aber genau genommen gibt es keinen Leitfaden zum „richtigen“ wissenschaftlichen Bloggen (generell oder speziell für Doktoranden), zumal die Themen und Disziplinen sehr unterschiedlich sind und sich die Forschungslandschaften sehr unterscheiden.

Kommentare und Rückmeldungen zu diesem Beitrag sind im Übrigen ausdrücklich erwünscht. Es wäre großartig, wenn das Phänomen „wissenschaftliches Bloggen von Doktorandinnen und Doktoranden“ weniger suspekt behandelt werden würde und sich mehr Forschende ins kalte Wasser stürzen würden. Eines ist klar: Diese Art wissenschaftlich zu publizieren und zu kommunizieren ist noch jung und irgendwer muss ja anfangen!

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Abbildung: X von Ben Murray, Lizenz CC BY-NC-SA 2.0

Quelle: http://dhdhi.hypotheses.org/2343

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Lebendige Musikgeschichte: Ein Besuch im Archiv des IMD

Im letzten Monat hatte ich die Gelegenheit, eine Woche lang im Archiv des Internationalen Musikinstituts Darmstadt (IMD) zu recherchieren. Das IMD ist vor allem dafür bekannt, dass es die Internationalen Ferienkurse für Neue Musik ausrichtet, die seit 1946 alle zwei Jahre in Darmstadt stattfinden und seit über 65 Jahren ein wichtiges Zentrum der zeitgenössischen Musikproduktion darstellen.1 Denken wir etwa an das Wirken von Boulez, Stockhausen, Nono, Cage und Adorno in den 1950er Jahren, so lässt sich mit Recht sagen: In Darmstadt wurde Musikgeschichte geschrieben. Und diese Geschichte wird im Archiv des IMD gründlich dokumentiert.

Internationales Musikinstitut Darmstadt (IMD)

Das IMD ist ruhig und recht unscheinbar am Rand der Innenstadt Darmstadts gelegen, gut erreichbar mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Bibliothek enthält eine beeindruckende Sammlung von (ca. 40.0000) Partituren und wissenschaftlichen Publikationen zur Musik des 20. und 21. Jahrhunderts. Das Archiv umfasst Zeitungsartikel, Fotos, Briefe (insbesondere von und an Wolfgang Steinecke), Programmhefte, Livemitschnitte von Vorträgen und Konzerten und viele weitere Dokumente zu den Darmstädter Ferienkursen und auch ganz allgemein zur (klassischen) Musik nach 1945. Anhand dieser Dokumente lassen sich eindrücklich Entwicklungen, Dynamiken und Konstellationen der Musikgeschichte nach 1945 nachvollziehen.

Im Rahmen meines Dissertationsprojekts (zur Idee des Fortschritts in der Musik in den 1950er Jahren) war die Pressesammlung von besonderem Interesse für mich. Hier verfügt das Archiv über eine beträchtliche und gut organisierte Zusammenstellung von Presseartikeln zu vielen wichtigen Komponisten des 20. Jahrhunderts sowie durchschnittlich einen Ordner pro Ferienkursjahrgang mit Artikeln aus unterschiedlichen deutschen (teils auch ausländischen) Zeitungen. Die chronologische Sortierung ist für einen Forscher äußerst ergiebig, denn sie bietet die Möglichkeit, die Schwerpunkte der einzelnen Jahre und die Entwicklungslinien in der Musikkritik über einen größeren Zeitraum herauszuarbeiten.

Besonders angetan war ich von dem groß angelegten Digitalisierungsprojekt (http://www.internationales-musikinstitut.de/archiv/digitalisierung.html), welches das IMD 2010 mit Unterstützung des Kulturfonds Frankfurt RheinMain in Angriff genommen hat. Bislang wurden Tondokumente, Briefe und Fotos digitalisiert, die nun in einer Datenbank vor Ort recherchier- und einsehbar sind. Eine Schlagwortsuche ermöglicht dabei das schnelle Auffinden von Dokumenten zu einem bestimmten Thema. So konnte ich zum Beispiel mit nur einem Klick eine Zusammenstellung aller Briefe aufrufen, in denen es um serielle Musik geht – eine Aufgabe, die ohne Digitalisierung mehrere Tage in Anspruch genommen hätte. Diese Datenbank soll zukünftig auch online verfügbar sein, sodass z.B. ein amerikanischer Musikwissenschaftler sich leicht über den Bestand des Archivs informieren kann, bevor er die weite Reise nach Darmstadt antritt. Dies erscheint mir insbesondere als eine gute Idee, da das Archiv unter Musikforschern eher weniger bekannt ist – was in einem gewissen Widerspruch steht zu seinem reichhaltigen und bedeutenden Bestand. Ein erklärtes Ziel des IMD bei dem Projekt ist auch die Ausbildung eines „Forschungsnetzwerkes zur Neuen Musik“ (Homepage), in Kooperation mit verschiedenen Universitäten. Während es auf Seiten der Komponisten, Musiker und Veranstalter schon ein elaboriertes Neue-Musik-Netzwerk gibt, ist das entsprechende Forschungsnetzwerk noch eher spärlich ausgebaut, daher kann man gespannt auf weitere Entwicklungen blicken.

Link zur Homepage des IMD: http://www.internationales-musikinstitut.de/

1Die Ferienkurse sind übrigens auch für Musikwissenschaftler offen und sehr lohnenswert, wie ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann. Neben Vorträgen und Seminaren zu Kompositionstechniken, Ästhetik, Werkanalyse, Musikgeschichte etc. besteht die Möglichkeit, an einer musikjournalistischen „Schreibwerkstatt“ teilzunehmen.

Quelle: http://avantmusic.hypotheses.org/254

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Neue Perspektiven auf (anti-)koloniale Gewalt in Mythen, Erinnerung und Praxis. Claire Mauss-Copeaux analysiert einen zentralen Wendepunkt des algerischen Unabhängigkeitskriegs (1954-1962)

Rezension zu: Claire Mauss-Copeaux, Algérie 20 août 1955. Insurrection, répression, massacres. Paris 2011.

Wie kaum ein anderes Thema der Zeitgeschichte sorgt der zwischen 1954 und 1962 um die Unabhängigkeit Algeriens geführte Krieg bis heute in Frankreich immer wieder für breite und oftmals hoch emotional geführte Debatten. Seit der algerischen Unabhängigkeit 1962 schlugen die miteinander in Konflikt stehenden Erinnerungen und Deutungen der beteiligten Akteure bzw. ihrer (zum Teil selbsternannten) Repräsentanten immer wieder hohe Wogen, die u.a. als »Krieg der Erinnerungen« bezeichnet wurden. Obgleich die algerischen Aufstände vom 20. August 1955 seit jeher Gegenstand intensiver Kontroversen waren und als eines der Schlüsselereignisse dieses Krieges gelten, hat es – anders als etwa im Fall des Putschs vom 13. Mai 1958 – vergleichsweise lange gedauert, bis eine Monographie sich dieses Ereignisses und seiner unmittelbaren Folgen annahm. Claire Mauss-Copeaux hat diese Lücke gefüllt, und um es vorwegzunehmen: Das Ergebnis, zu dem sie, aufbauend auf einem umfangreichen Fundus algerischer und französischer Archivalien und Zeitzeugenberichte kommt, ist in mehrfacher Hinsicht beeindruckend und als solches nicht nur Spezialisten französischer Kolonialgeschichte als besonders lesenswert zu empfehlen.
Zum historischen Kontext: Weniger als ein Jahr nach dem Beginn der algerischen Rebellion am 1. November 1954 war die Befreiungsfront Front de Libération Nationale (F.L.N.) bereits massiv angeschlagen. Seit Beginn des Jahres 1955 hatte die französische Armee dank ihrer ebenso technischen wie zahlenmäßigen Überlegenheit und ausgestattet mit weitreichenden Vollmachten der Regierung in Paris zahlreiche führende Aktivisten verhaftet oder getötet. Die Kommunikation zwischen den verschiedenen Zweigen der Organisation war entweder gestört oder unterbrochen. In dieser Situation entschied sich der für die Region um Constantine (Le Constantinois) Verantwortliche des F.L.N. Zighoud Youcef dafür, einen breiten Aufstand zu organisieren, der am zweiten Jahrestag der französischen Absetzung des marokkanischen Königs mit großer Unterstützung der lokalen algerischen Bevölkerung in mehreren Orten des Constantinois stattfand. Ziel war es, das symbolträchtige Datum zu nutzen, um durch Angriffe auf Institutionen des kolonialen Systems internationale Aufmerksamkeit zu erregen und die allgemeine Mobilisierung für den F.L.N. voranzutreiben (84-89). Die Bilanz der Toten an diesem Tag betrug 123. Damals und bis in die jüngste Vergangenheit wurden insbesondere die angeblich in Form von Massakern umgekommenen 71 Toten europäischer Herkunft vielfach als Rechtfertigung für die anschließenden »Vergeltungsmaßnahmen« gegenüber der algerischen Bevölkerung in der gesamten Region angeführt (123-125).
In ihrem ersten Teil macht Mauss-Copeaux die zentrale Rolle der Gewalt für die Existenz und die Stabilisierung des kolonialen Staates in Algerien deutlich. Sie stellt fest, dass in über hundert Jahren kolonialer Unterdrückung Gewalt nicht das einzige Kommunikations- und Herrschaftsmedium der Franzosen in Algerien war. Ungeachtet dessen diente Gewalt während der gesamten französischen Besatzung in jedem Fall offener Revolte oder Infragestellung der kolonialen Hierarchie als letztes Mittel zum Erhalt des status quo (14). So wird verständlich, dass es in Algerien nach den ersten vereinzelten Anschlägen, die auf den 1. November 1954 folgten, nicht erst der massiven Aufstände des 20. August 1955 bedurfte, um das gesamte Land in einen Kriegszustand zu versetzen. Dafür hatten bereits zuvor die Anweisungen der Armeeführung (vor allem das seit dem 1. Juli 1955 auf ganz Algerien angewendete Prinzip der »kollektiven Verantwortung«) wie auch die Einsatzpraxis von Berufssoldaten und Wehrdienstleistenden gesorgt (Erschießungen von Gefangenen bzw. Verdächtigen z.T. mit anschließender öffentlicher Zurschaustellung der Leichen, Vergewaltigungen und Folter) (61-63).
Die Teile zwei und drei des Buchs rekonstruieren die Aufstände in den verschiedenen Orten des Constantinois. Besonders eingehend werden El Alia und Aïn Abid untersucht, da dort die meisten Zivilisten ums Leben kamen, wobei insbesondere die Angriffe auf private Häuser und die Morde an Frauen und Kindern das französische Entsetzen erregten. In der damaligen kolonialen Propaganda und zum Teil bis heute fungieren diese Morde als »massacre de réference« und Ausweis einer unmenschlichen Tyrannei des F.L.N. mit dem sich jede Form der Vergeltung rechtfertigen ließ (123).
Vor allem auf der Grundlage lokaler Quellen und den Berichten algerischer und europäischer Zeitzeugen gelingt es Mauss-Copeaux, eine neue Lesart des 20. August zu begründen. So gesteht sie zwar bei mindestens 42 der Morde den Tatbestand eines Massakers zu (126), entlarvt jedoch kursierende Horrorszenarien wie einen Mord mit einer Gabel und das Herausreißen eines Fötus aus dem Bauch einer Schwangeren als Gerüchte (158-159). Bezüglich der Verantwortung des F.L.N. für die Morde an europäischen Zivilisten gibt sich die Autorin skeptisch. Sie verweist darauf, dass der F.L.N. zumindest bis zu diesem Datum Angriffe auf europäische Zivilisten explizit verbot und es im Fall eines Schießbefehls auf Zivilisten an allen Orten des Aufstands zu Massakern hätte kommen müssen – nicht nur in El Alia und Aïn Abid. (91-93). Ohne den Anspruch zu erheben, eine vollständige Erklärung dieses »Rätsels« (134) liefern zu können, führt die Autorin die These an, dass die von Algeriern begangenen Massaker auf intensive lokale Spannungen zurückzuführen seien, die zwischen Algeriern und Europäern allgemein bestanden hätten, aber auch zwischen direkt involvierten Einzelpersonen. Hinzu seien situative Dynamiken gekommen, wie eine kurz zuvor erfolgte Denunziationen gegenüber den Kolonialbehörden, die Erschießung eines Algeriers durch einen Europäer auf offener Straße und der Umstand, dass die Häuser der europäischen Opfer unmittelbar neben den ursprünglich anvisierten Gebäuden lagen, die den kolonialen Staat repräsentierten. Auf der Basis dieser Argumentation erscheint es tatsächlich naheliegend, dass der Aufstand auf lokaler Ebene als Gelegenheit für individuelle Racheakte genutzt wurde (144).
Bis heute haben mehrere Überblickswerke französischer Historiker über den Algerienkrieg viele (zu einem großen Teil erfundene) Details der Morde an europäischen Zivilisten im Constantinois aufgeführt und die anschließenden Repressalien der Armee nur kursorisch behandelt. Ohne sie zu verschweigen, wurde der »Tod« von schätzungsweise 12 000 Algeriern oftmals vereinfacht als Konsequenz der vorherigen »Massaker« eingeordnet und damit abgehandelt (177-180). In dem vierten Teil ihrer Monographie zeigt Claire Mauss-Copeaux eindrucksvoll, dass auch diese Lesart revidiert oder zumindest ergänzt werden muss: Erst am 28. August 1955 wurde der eine Woche zuvor erteilte Befehl an die französischen Soldaten eine »schnelle und brutale Wiederherstellung der Ordnung« durchzuführen, dahingehend präzisiert, dass das Leben von Frauen und Kindern zu schonen sei (184-185). Bis dahin warfen Flugzeuge der französischen Armee über mehreren Dörfern des Constantinois Bomben und Napalm ab, Bodentruppen legten ganze Dörfer in Brand nachdem die Häuser zuvor von Panzerfahrzeugen unter schweren Beschuss genommen worden waren. Sogar ein Escorteur der Marine wurde eingesetzt, um das Umland der Küstenstadt Collo breitflächig zu bombardieren (190-192). Auf diese mehr oder weniger wahllos durchgeführten Aktionen kollektiver Bestrafung folgten planmäßige Verhaftungen und anschließende Massenerschießungen hunderter algerischer Männer und Jugendlicher, deren Leichen in Massengräbern verscharrt wurden. Angesichts der aktiven Verschleierung derartiger Verbrechen durch die französische Armee wird hier die Bedeutung des Zugangs der Oral History besonders deutlich: Nicht nur Archivmaterial und Fotos wurden systematisch zerstört (199). Auch die Körper der Hingerichteten sollten ausgelöscht werden. So wurden in Guelma nach einer Massenerschießung die Leichen algerischer »Verdächtiger« zur Unkenntlichmachung mehrfach von Kettenfahrzeugen überfahren und zerquetscht (220-225).
Dass die beschriebenen Exzesse des französischen Militärs vor allem Unbeteiligte treffen mussten und auch an Orten begangen wurden, an denen es keine Aufstände gegeben hatte, zeigt das ganze Ausmaß willkürlich eingesetzter Gewalt während des Kolonialkrieges. Entgegen einer bislang weit verbreiteten Interpretation sind die Aufstände des 20. August somit durchaus als Auslöser nicht aber als hinreichende Erklärung für die anschließenden Massaker zu verstehen. Deren systemischen Charakter macht nicht zuletzt der Umstand deutlich, dass die Regierung in Paris über das Vorgehen der Armee genauestens Bescheid wusste, aber weder eingriff noch Sanktionen verhängte (183-184). Claire Mauss-Copeaux hat hiermit ein für das differenzierte Verständnis des algerischen Unabhängigkeitskrieg essenzielles Werk vorgelegt. Dass die Autorin die Verwendung von Bezeichnungen der Gewalt durch die Akteure von damals und heute mehrfach diskutiert ohne jedoch selbst die Frage zu klären, was zum Beispiel unter »Massaker« verstanden werden soll, ist ihr in jedem Falle nachzusehen. Ihre durch Karten, Abbildungen und eine Vielzahl von Zitaten angereicherte Monographie hat nicht nur einen der entscheidenden Wendepunkte des algerischen Unabhängigkeitskrieges in ein neues Licht gerückt. Weit darüber hinaus werden auch Studien über koloniale Gewalt ebenso wie Oral History Projekte in diesem Buch Anknüpfungspunkte finden.

Bild: Buchcover, Editions Payot & Rivages,

Quelle: http://gewalt.hypotheses.org/659

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Ausstellungsbesprechung: “Ludwig der Bayer. Wir sind Kaiser!” (Bayerische Landesausstellung 2014, Regensburg)

Das offizielle Plakat der Bayerischen Landesausstellung 2014 (Quelle: HDBG)

Das offizielle Plakat der Bayerischen Landesausstellung 2014 (Quelle: Haus der Bayerischen Geschicht, fortan: HDBG)

Die Schlagzeile der BILD-Zeitung anlässlich der Wahl Benedikts XVI. 2006 war wohl eher gesamtdeutsch gemeint. Die Bayerische Landesausstellung 2014 lässt kaum einen Zweifel: Wenn ‚wir‘ im 14. Jahrhundert Kaiser waren, dann dürfen sich Nicht-Bayern davon kaum angesprochen fühlen. Und ob die Titelwahl durchgehend als ironische Bezugnahme auf die Schlagzeile von 2006 einzustufen ist, wie etwa die gleichnamige Sendung des ORF, bleibt zweifelhaft. Doch es wäre falsch, die Irritation über den Titel nicht zurückzustellen, denn eine bemerkenswerte historische Ausstellung wird einem in Regensburg zweifellos geboten. Sie ist in mancher Hinsicht ein Kontrastprogramm zu den Staufer- oder Wittelsbacher-Ausstellungen etwa im Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museum. Insofern bietet das federführende Haus der Bayerischen Geschichte eine willkommene Abwechslung zu monumentalen Vorhaben der letzten Jahre. Die folgende Besprechung will sich einzig mit der Ausstellungsgestaltung und Konzeption beschäftigen, nicht aber mit dem Katalog samt zugehörigem Aufsatzteil1 oder dem separat erschienen wissenschaftlichen Begleitband2.

Innovative Gestaltung

Auf drei Standorte verteilt sich die Landesausstellung: die Minoritenkirche, St. Ulrich am Dom und den Domkreuzgang. Der erste Standort widmet sich ganz dem bajuwarischen Heroen auf dem Kaiserthron, in St. Ulrich erwartet den Besucher eine unorthodoxe Filmvorführung zur Geschichte des Regensburger Doms, der Kreuzgang ist selbst mittelalterliches Exponat.

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Die Anordnung der Ausstellungsebenen in der Minoritenkirche von Regensburg im Modell (Quelle: HDBG)

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Die Schlacht von Mühldorf als bewegtes Schattenspiel (Quelle: HDBG)

Doch auch das Ausstellungsdesign vermittelt eine Botschaft. Besonders deutlich wird dies in der Minoritenkirche: Auf fünf ansteigenden, in rot gehaltenen Ebenen folgt der Besucher dem als Aufstieg dargestellten Lebensweg Ludwigs vom kleinen Herzogssohn zum gebannten Ketzer und Kaiser. Ausdrücklich wird von den Ausstellungsmachern der Vergleich zum Computerspiel gezogen, immer sind Gegner benannt, die der Wittelsbacher am Ende eines Levels bezwungen hat. Dies mag für seinen Bruder und Friedrich den Schönen noch angehen, für diverse Päpste und den Gegenkönig Karl von Mähren geht das Konzept wohl nicht mehr auf. Statt einer abschließenden Station zum Nachleben werden auf jedem Level sogenannte Spiegelmodule installiert, verspiegelte Quader, die die Rezeption der jeweiligen Herrschaftsphase Ludwigs in den Augen der Nachwelt in fast postkartengroßen Reproduktionen zeigen. Einzelne inhaltliche Aspekte werden nicht nur mit Originalen und Reproduktionen, sondern auch mit cleveren Inszenierungen visualisiert: So zeigt nicht nur ein Wall von Lanzen und Hellebarden die Schlacht bei Mühldorf an, sondern ein an die Wand geworfenes Schattenspiel von Modellrittern bringt Bewegung in die Szenerie; und das Ganze wirkt keineswegs  so albern, wie es klingen mag. Wirklich gelungen ist die Inszenierung der Heiltumsweisung, die Ludwig 1330 in Regensburg vornehmen ließ. In innen verspiegelten Guckkästen werden Bilder der Reichsinsignien eingeblendet, wie in einem Diorama des 19. Jahrhunderts, zugleich kann der Betrachter über Kopfhörer eine beeindruckende Vertonung des unter Karl IV. für die Ostensiones geschaffenen Lanzenoffiziums hören. Auch das Schaffen der ludovicianischen Kanzlei mit ihren besonders eindrucksvollen Miniaturen innerhalb der Initialen wird geschickt und anschaulich präsentiert. Trotz gelegentlicher Bedenken bezüglich der Kongruenz von Form und Inhalt: Ästhetisch ist dieser Aufbau zweifellos mutig und in den Augen des Rezensenten insgesamt gelungen; auch wenn die Minoritenkirche bis auf die rekonstruierten Glasfenster nur eine Kulisse ist, so ist es doch eine ansprechende.

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Auf dem roten Teppich nach Rom. Der Aufstieg Ludwigs des Bayern, ein wenig glatter als in der historischen Realität. Blick von der untersten Ausstellungsebene in der Minoritenkirche von Regensburg (Quelle: HDBG)

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Ab in die Donau mit dem päpstlichen Boten! Christoph Süß illustriert episkopales Krisenmanagement in Interdiktsfragen (Quelle: HDBG)

Durch die Verfremdung des ansteigenden Fußbodens ergeben sich jedenfalls bemerkenswerte Perspektiven, denen man das geschulte Auge der Ausstellungsdesigner anmerkt. Nur beim Entwurf des Ausstellungslogos und der Plakate wird es eine Spur zu psychedelisch, aber das ist natürlich Geschmacksache.
Bei der zweiten Station der Ausstellung in St. Ulrich beim Dom wechselt der Protagonist: Sie besteht vor allem aus einem ca. 20-minütigen Film mit 3D-Effekten, bei denen Christoph Süß, der BR-Moderator und Kabarettist, in einer Monty-Python-artigen Collage Informationen zu Regensburg und seinem Dom präsentiert. Mit klarer dialektaler Grundierung und landestypischem Hintersinn moderiert und schauspielert Süß – teilweise in drei Rollen zugleich zu sehen – die Ereignisse der Jahre 1300 bis 1350, unterstützt von wirklich beeindruckenden 3D-Simulationen. Der Rezensent hat sich köstlich amüsiert, wenn auch die Hälfte der Gags ausgereicht hätte, um die Unterschiede zu pathosgeladenem ZDF-Geschichtsfernsehen à la „Die Deutschen“ zu markieren. Tatsächlich wurde gelegentlich die Grenze zum Klamauk hart gestreift, wenn nicht überschritten: Ein Faktum, das beim tendenziell älteren Publikum eher weniger gut ankam. Fraglich auch, wie viel ein fachlich nicht vorgebildeter Besucher inhaltlich mitnehmen konnte, wurde er doch nicht nur mit Informationen, sondern auch Kabaretteinlagen im Minutentakt bombardiert.
Die dritte Station war der Domkreuzgang, seit kurzem erst für Besucher erschlossen und in seiner Dichte an Kunstwerken höchst beeindruckend. Nicht immer war es für die Ausstellungsmacher hier einfach, den Bogen bis in die Zeit Ludwigs des Bayern zurückzuschlagen. Doch durch eine konzise Auswahl weniger Grabsteine und anderer Kunstwerke, die angemessen kontextualisiert wurden, konnte auch die letzte Station der Ausstellung überzeugen. Über alle drei Stationen verteilt fanden sich ansprechende Installationen der Museumspädagogen: Auf einer Waage ließen sich im Kreuzgang Sünden und Bußakte gegeneinander aufrechnen und gaben so einen anschaulichen Einblick in die Heilsökonomie. Moderne Steinmetzwerkzeuge illustrierten die Arbeitschritte vom rohen Fels zur geglätten Oberfläche in der Ulrichskirche. Der in Ausstellungen fast schon obligatorische Topfhelm zum Aufsetzen für Besucher macht das Sichtfeld eines Ritters in der Schlacht von Gammelsdorf sinnlich erfahrbar; am Abguss des Wachsiegels kann man riechen und es auch berühren. Das ist alles sehr gelungen, aber ohne Bauchschmerzen ist der Rezensent nicht durch die Ausstellung gegangen, wie im Folgenden gezeigt werden soll.

 

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1913 noch der Held von Gammelsdorf. Was aber ist Ludwig IV. im Jahr 2014? (Quelle: HDBG)

„Hingegen breitet sich der Ruhm des erlauchten Herrn Herzog Ludwigs ins Unermessliche aus…“ (Die Chronik Kaiser Ludwigs IV., Kap. 7)

Die Bayerische Landesausstellung will unterhalten, und sie will eine Geschichte erzählen. Die Unterhaltung gelingt, aber das angebotene Narrativ ist stellenweise bedenklich: Der Aufstieg Ludwigs aus angeblich kleinen Verhältnissen zum „Helden von Gammelsdorf“, dann zum römisch-deutschen König, dann zum Kaiser gegen den Papst bis hin zu seinem Tod, „unbesiegt“, wie uns die Begleittexte wissen lassen. Hier droht einerseits die Playstation-Metaphorik, andererseits eine überwunden geglaubte heroisierende und herrscherzentrierte Landesgeschichtsschreibung das Ruder an sich zu reißen. Große Männer machen bayrische Geschichte und schreiten siegreich von Level zu Level. Dazu passt die Absenz von Quellenkritik im Umgang mit den Ludwig positiv darstellenden Zitaten; dem fachlich nicht beschlagenen Besucher präsentieren sich diese Auszüge v.a. aus der Chronik Ludwigs IV. als historische Fakten.

Ausgerechnet in Bayern: Ein Mangel an Originalen

Auf den ersten Blick ist es entspannend, dass die Landesausstellung ihre Besucher nicht mit 500 Exponaten erschlägt, wie andere Veranstaltungen dieser Art. Insbesondere die Stauferausstellung in Mannheim 2010 war so reich an Originalen, dass selbst der interessierte Fachbesucher irgendwann innerlich abschaltete. Insofern versprach der Regensburger Ansatz eine Konzentration auf das Wesentliche. Mit Verwunderung stellt der Besucher dann aber fest, dass er sehr, sehr häufig – Urkunden ausgenommen – vor Reproduktionen, Gipsabgüssen und anderen Repliken der Originale steht. Im Extremfall erhöht sich also der Pulsschlag, meint man aus der Ferne die Kurfürstenfiguren vom Mainzer Kaufhaus zu entdecken – und zwar alle – und stürmt voller Begeisterung auf sie zu. Auf dem Weg schleicht sich schon die Frage ins Gehirn: Wie können diese schweren Sandsteinblöcke so locker im Raum drapiert werden? Aus der Nähe ist dann die etwas ernüchternde Antwort: Abgüsse aus Kunststoff, datiert auf 1980. Nun kann man Repliken im Einzelfall akzeptieren, wenn die Originale kaum transportabel sind wie die genannten Mainzer Kurfürstenfiguren oder mutmaßlich besonders empfindlich wie die Koblenzer Handschrift über „Kaiser Heinrichs Romfahrt“. Unbefriedigend ist es, wenn Originale aus Münchener Beständen, wie etwa die Madonna aus dem dortigen Anger-Kloster oder das Stifterrelief aus der Lorenzkapelle im Alten Hof zu München nur als Abgüsse vorhanden sind. Es ist die Häufung an Repliken, die hier irritiert: Niemand kann erwarten, dass die Reichsinsignien der Schatzkammer der Wiener Hofburg entleihbar sind. Aber so sehr auf innovatives Ausstellungsdesign zu setzen, darf nicht den vielfach zu bemerkenden Verzicht auf die Faszination des Originals bedeuten. Am dritten Ausstellungsort, dem Domkreuzgang, wird eindrucksvoll deutlich, was in der Minoritenkirche zu kurz kommt.

Eine Landesausstellung zwischen Inszenierung und Identitätsbildung

Ludwig der Bayer hat endlich seine erste, nur ihm gewidmete große Ausstellung bekommen. In Sachen Ausstellungsdesign ist sie bemerkenswert innovativ, vom technischen Niveau der Präsentation sicher die eindrucksvollste Mittelalterausstellung der letzten Jahre, die den neuen Standard definiert. Sie zeigt, dass Multimedia mehr ist als Schwenkfahrten über 3D-Animationen historischer Gebäude, und sie hat den Mut, etwa in dem Film mit Christoph Süß die Erwartungen bierernster Geschichtsvermittlung zu unterlaufen (man sollte allerdings den Humor von Monty Python mögen). Gelegentlich lassen die Ausstellungsmacher die Zügel in dieser Hinsicht etwas locker, und wenn beim Bild der Nürnberger Heiltumsweisung die dargestellten Kleriker wie animierte Comicfiguren Augenbrauen lüpfen, blinzeln, runde Münder machen – dann fühlt man sich wie bei Herrn Müller-Lüdenscheid in der Badewanne. Doch macht nur der keine Fehler, der nichts wagt: Diese Monita sind verzeihlich, denn die Verantwortlichen haben sich wirklich auf ihr Publikum einzustellen versucht; diese in verschiedenster Hinsicht besucherfreundliche Konzeption ist nicht genug zu loben. Bedauerlich ist die Entscheidung, sich vielfach mit Repliken statt Originalen zufriedenzugeben; in dieser Hinsicht mögen künftige Ausstellungen dem Regensburger Vorbild bitte nicht folgen. Erst recht nicht gilt dies für die bedenkliche und keineswegs avantgardistische Heroisierungstendenz des Kaisers aus dem Hause Wittelsbach. In ihrem Bemühen um Stärkung regionaler Identitäten ist die Landesausstellung in Regensburg der Stuttgarter Stauferausstellung von 1977 näher als manch andere Veranstaltung der letzten Jahre: Eine Präsentation kritischer Wissenschaft, gar die Dekonstruktion von Mythen kommt zu kurz. Den päpstlichen Spottnamen Bavarus zum Ehrentitel umzudeuten ist kein Vorgehen des 14., erstaunlicherweise aber des 21. Jahrhunderts. Insofern ist die historische Figur Ludwig IV. noch lange nicht auserzählt, und sein Infarkttod auf der Jagd 1347, eine gewisse Konstante der bayerischen Geschichte, wohl kein Game over, sondern ein Beginn von vorn, ein zweites, drittes, viertes Leben nicht nur als Held von Gammelsdorf. Wenn man im Titel der Landeausstellung aber einen wirklich mutigen Gegenpunkt zum Papa emeritus aus Regensburg hätte setzen mögen: Wir sind Ketzer. Obwohl auch das nicht mehr gilt, denn am Ende der Ausstellung informiert ein Schreiben von Kardinal Wetter an einen besorgten Heimatverein, dass die Exkommunizierung Ludwigs mit dessen Tod erloschen sei. Das mag tröstlich für manch modernen Beobachter sein, dem Wittelsbacher hat es nicht mehr geholfen.

  1. Wolf, Peter u.a. (Hgg.), Ludwig der Bayer. Wir sind Kaiser! Katalog zur Bayerischen Landesausstellung 2014, Regensburg, Minoritenkirche – St. Ulrich am Dom – Domkreuzgang, 16. Mai bis 2. November 2014, Regensburg 2014
  2. Seibert, Hubertus (Hg.), Ludwig der Bayer (1314-1347): Reich und Herrschaft im Wandel, Regensburg 2014

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/4497

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