Ein Fallbeispiel einer interkontinentalen Überfahrt oder: “I had no wish to raise dissension on board the ship“

Das Titelblatt der Schiffszeitung The Gull

Das Titelblatt der Schiffszeitung The Gull

Vor etwa einem Jahr habe ich das Thema meines Promotionsprojekts bereits auf diesem Blog vorgestellt. In der Zwischenzeit hat sich einiges getan: Die Fragestellung hat sich weiterentwickelt, neue Schwerpunkte und Ansätze haben frühere Ideen ersetzt. Doch in diesem Beitrag soll es weniger um das Projekt im Allgemeinen gehen. Vielmehr möchte ich mich mit einem Einzelfall beschäftigen, um die Forschungsfragen aus meinem letzten Blogbeitrag durch ein konkretes Beispiel anschaulicher zu machen.

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Auf ihrer viermonatigen Reise von Glasgow nach Brisbane im Jahr 1884 transportiert das Schiff Otago 358 Zwischendeckpassagiere, 45 Crewmitglieder sowie drei Passagiere, die in der ersten Klasse reisen. Einer von ihnen, Keith Cameron, gründet einen Monat nach der Abreise aus Glasgow die Schiffszeitung The Gull. Bereits im ersten Editorial kündigt er die spätere Veröffentlichung der Zeitung in Buchform an, was sowohl eine Verstetigung als auch eine Transformation der handgeschriebenen Texte, die während der Überfahrt auf dem Schiff zirkulieren, darstellt. Dies ist auch die Form, in der uns die Quelle heute zugänglich ist: Die Zeitung wurde zusammen mit zahlreichen anderen Dokumenten, die diese Überfahrt beschreiben (u.a. mit der Passagierliste, dem Logbuch des Schiffs, einer Weltkarte der Route etc.) gebunden und noch 1884 in Brisbane veröffentlicht. Die Hauptziele der Zeitung an Bord nennt der Herausgeber gleich zu Beginn: Sie soll den Passagieren während der Überfahrt die Zeit vertreiben und zum allgemeinen Amüsement beitragen. Auf diesen Charakter der Publikation weisen u.a. Gedichte, Wortwitze, Rätsel sowie die recht platzeinnehmenden Kurzgeschichten des Herausgebers hin.

Was bei dieser Publikation jedoch besonders interessant ist, ist die Form, wie sich innere Konflikte und Machtverhältnissen durch die Zeitung abbilden. Wie bereits erwähnt, reisen lediglich drei Kabinenpassagiere auf diesem Schiff, alle anderen Mitreisenden sind Zwischendeckpassagiere und zum größten Teil Emigranten. Dies ist ungewöhnlich, da Schiffszeitungen oftmals ausschließlich von und für die Kabinenpassagiere herausgegeben wurden. An Bord der Otago jedoch verläuft die Publikation anders: Zwar reist der Herausgeber Keith Cameron in der Ersten Klasse, aber einige Beiträge kommen aus dem Zwischendeck und auch mehrere Mitglieder der Crew sind beteiligt, sodass es sich bei The Gull um eine dem gesamten Schiff zugängliche Publikationsplattform handelt.

Die Route der Otago, gezeichnet auf einer Weltkarte von James Orr, einem Kabinenpassagier der Überfahrt

Während der viermonatigen Überfahrt (und auch darüber hinaus) entwickelt sich jedoch ein Konflikt, bei dem auf der einen Seite die Besatzung, allen voran der Schiffsarzt und der Kapitän, auf der anderen Seite die Zwischendeckpassagiere und ihr selbsternannter Wortführer, der Herausgeber der Schiffszeitung, Keith Cameron, stehen. Das Grundproblem war dabei ein altbekanntes: Die Versorgung der Zwischendeckpassagiere war während dieser Überfahrt alles andere als optimal. Sie beklagen u.a. die schlechte Qualität des Essens, den Mangel an Wasser und die Ignoranz des Schiffsarztes. Diese Beschwerden finden zunächst keinen Widerhall in der Schiffszeitung, da deren Herausgeber Cameron fürchtet, dass zu harsche Kritik am Führungsstil zu einem Verbot seiner Zeitung – die gleichzeitig auch die Bühne für seine literarischen Ergüsse ist – führen könnte. Nicht zu Unrecht, wie sich herausstellen sollte.

Nach einigen Wochen, am 17. April, kommt es an Bord zu einem Streit zwischen dem Kapitän und dem Schiffsarzt auf der einen und Cameron auf der anderen Seite. Letzterer spricht sich für eine bessere Versorgung der Zwischendeckpassagiere aus und kündigt vor allem an, seine Zeitung nach der Ankunft in Brisbane als Zeugnis der wahren Zustände an Bord der Otago zu veröffentlichen. Ihm wird daraufhin vom Kapitän vorgeworfen, die Zwischendeckpassagiere gegen die Besatzung und vor allem gegen den Schiffsarzt aufzuwiegeln.

Illustration der Schiffszeitun. "THE MUSTER. This was held after we were thirteen weeks on board, and immediately following on the doctor being informed that Mr. Cameron really intended exposing the true state of affairs."

Illustration der Schiffszeitung, Bildunterschrift :
“THE MUSTER. This was held after we were thirteen weeks on board, and immediately following on the doctor being informed that Mr. Cameron really intended exposing the true state of affairs.”

Zudem sei er beobachtet worden, wie er die Quartiere im Zwischendeck ausmesse, um zu beweisen, dass die Passagiere dort unter unmenschlichen Bedingungen untergebracht seien (Cameron bestreitet diese Aktion jedoch). Die Zwischendeckpassagiere selbst haben zeitgleich eine Petition verfasst, die sie nach Ankunft in Brisbane dem Emmigration Board vorlegen wollen, um auf die schlechten Bedingungen an Bord der Otago hinzuweisen. Dies schreckt den Kapitän auf, und den Emigranten wird angedroht, ihre Koffer und sämtlichen Besitztümer nach der bereits von zahlreichen Passagieren unterschriebenen Petition zu durchsuchen (was jedoch letztendlich nicht umgesetzt wird).

Es herrscht also eine offene Konfliktsituation. Die Zwischendeckpassagiere sind aufgebracht ob ihrer schlechten Versorgung, Cameron inszeniert sich als ihr Fürsprecher und der Schiffsarzt sowie der Kapitän wollen sich nicht in ihrem Führungsstil beeinflussen lassen.

Dieser Konflikt an Bord des Schiffes, der auch ganz klar ein Interessenkonflikt ist, spiegelt sich in der Produktion der Schiffszeitung The Gull. Mit der neunten Ausgabe, die am 19. April erscheint, zwei Tage nach besagtem Streit, zieht sich der Schiffsarzt Dr. MacDonald von der Publikation zurück – er hatte zuvor kurze Berichte über den allgemeinen Gesundheitszustand der Passagiere darin veröffentlicht. Die zwei Vorleser, die dafür gesorgt hatten, dass die Zeitung publik wurde, treten gleichzeitig von diesem Amt ab: „to side with the reigning power on board“, wie Cameron vermutet. Zwar soll einer seiner Mitpassagiere der Ersten Klasse das öffentliche Vorlesen der Zeitung übernehmen, doch just in diesem Moment wird den Passagieren der Ersten Klasse verboten, sich jenseits des Hauptmasts aufzuhalten, was de facto heißt, dass sie keinen Kontakt mehr zu den Zwischendeckpassagieren haben. Ob dieses Vorgehens rechtens ist, bleibt unklar. Aber um weitere Unruhe auf dem Schiff zu verhindern („to avoid a disturbance“) halten sich die drei Kabinenpassagiere einschließlich Cameron an dieses Verbot. The Gull wird noch weitere vier Ausgaben lang „publiziert“ – nun mit offensichtlich sehr begrenzter Leserschaft – und die Otago erreicht am 24. Mai ohne weitere Vorkommnisse ihren Zielhafen Brisbane.         

Dieser Fall ist ein anschauliches Beispiel, welche Rollen Machtverhältnisse, soziale Abhängigkeiten und Klassenunterschiede für das Erlebnis einer interkontinentalen Überfahrt spielen. Auch wird deutlich, wie sich Schiffszeitungen als bisher unerforschtes Quellenmaterial nicht nur eignen, solche Konflikte nachzuzeichnen, sondern diese auch selbst in ihrem Produktions- und Publikationskontext abbilden. Dabei ist bei diesem Beispiel das jeweilige Verhalten der Passagiere bzw. Passagiergruppen auffallend: Der sich wortgewaltig ereifernde Cameron gehorcht stillschweigend, als er im wahrsten Sinne des Wortes in seine Schranken verwiesen wird, wohingegen die „hilflosen“ Emigranten den „rücksichtlosen“ Schiffsarzt und den Kapitän nach der Ankunft mit ihrer Petition in Bedrängnis bringen. Denn die Geschichte ist mit der Ankunft des Schiffes in Brisbane ganz offensichtlich noch nicht vorbei. Wie sich Cameron als Retter der Hilflosen und als begnadeter Autor inszeniert (unter anderem durch erboste Briefe an die Lokalpresse), was die Emigranten in ihren Beschwerdebriefen beklagen und wie die offizielle Untersuchung dieses Falls beim Emmigration Board ausging, kann ausführlich im Digitalisat der Quelle in der National Library of Australia nachgelesen werden.

Alle Abbildungen: National Library of Australia.

Bibliographische Angabe:  Keith Cameron (Hrgs.): The Gull: A weekly newspaper published on board the „Otago“ during a four months’ voyage from Glasgow to Brisbane, Brisbane, Woodcock, Powell & Mellefont, 1884.

Quelle: http://19jhdhip.hypotheses.org/1832

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Lifeblog zum Workshop »Stadt-Land-Fluss: Gewalt, Raum und Soziale Ordnung»

Bettina Engels & Henrik Lebuhn:
Stadt//Raum//Protest

Engels und Lebuhn interessieren sich ihrem Beitrag für die Praxis der Besetzung öffentlicher Plätze in Städten als Handlungsrepertoire von Protestbewegungen. Der Vortrag beginnt mit einer Diskussion der Besonderheiten städtischer Räume, in Abgrenzung zu ländlichen Räumen, die dazu führen, dass die Stadt als Protestort interessant wird. Städtische unterscheiden sich von ländlichen Räumen durch Größe, Dichte und Heterogenität. Charakteristisch für Städte ist die Entstehung einer anonymen Öffentlichkeit, die ein Publikum für Protest darstellt. Deshalb ziehen auch ländliche Protestbewegung in der Regel irgendwann in die Stadt. Darüber hinaus sind Städte in ihrer ökonomischen Reproduktionslogik besonders in kapitalistische Dynamiken eingebunden. Augenblicklich gibt es zwar in der Stadtforschung eine Diskussion, ob die Unterscheidung Stadt-Land angesichts wachsender Vernetzung urbaner und ruraler Räume noch haltbar ist. Doch geraten dabei, so Engels und Lebuhn, die Besonderheiten städtischer Öffentlichkeit aus dem Blick.

Struktureller Hintergrund gegenwärtiger Protestdynamiken ist die »Rückkehr« von Strukturanpassungs- und Austeritätspolitiken in den Globalen Norden, nachdem in den 1980er/90er  Jahren diese vor allem als ein Problem des Globalen Südens galten. Empirisch sind ein Viertel aller Protestereignisse sind Platzbesetzungen. Die zentrale Logik dieser Besetzungen ist Störung. Angesichts der sich ausbreitenden ökonomischen und politischen Krise wird diese Störung aber gleichzeitig zu einem Akt der Selbstinszenierung der Protestierenden als Bürger mit Rechten. Interessant ist, dass ländliche Proteste stärker mit der materiellen Störung durch Platzbesetzungen arbeiten,  indem beispielsweise eine Straße  oder ein Bergwerk besetzt wird. Dahingegen liegt die Störung städtischer Proteste stärker in der symbolischen Dimension, insbesondere der Verweis auf das Rechtssystem. Interessant ist, dass die Bedeutung in der Regel nicht nur über die Stadt, sondern auch über den nationalen Kontext hinausgeht, wenn es etwa um EU-Asylrecht oder die wirtschaftliche Ordnung der Welt geht.

Mit Blick auf die Akteure ist eine interessante Frage, ob sich durch diese neue Protestbewegung das Selbstverständnis und die Selbstbeschreibung der Akteure ändert. Entstehen aus den Massenprotesten neue Strukturen sozialer Organisation? Aus Spanien etwa gibt es Berichte über neue aktivistische Netzwerke, die aus der Protestbewegung entstanden sind. Verschiebt sich das Gewicht zwischen verschiedenen Akteuren, etwa zwischen klassischen Gewerkschaften, die oft nicht oder kaum an den Protesten teilnehmen, und anderen? Kommt es zu einer Politisierung bisher wenig politisierter Gruppen?

Im Anschluß an den Vortrag wurde unter anderem diskutiert, inwiefern bei diesen Bewegungen, insbesondere mit Blick auf die Frage der Aneignung von Rechten, der Unterschied zwischen OECD und Nicht-OECD-Welt relevant ist, das heißt, ob die Rechte tatsächlich wieder-angeeignet werden oder ob sie praktisch noch gar nicht etabliert sind. Auch wurde die Frage gestellt, wie sich eigentlich genau die Verbindung zwischen den verschiedenen Protestphänomenen in der Welt rekonstruieren lässt. Mehrfach wurde auf die Bedeutung gewaltaffiner und -kompetenter Akteure hingewiesen, deren Handeln nicht in erster Linie an politischen Polarisierungen (Anti-Autorität, Kapitalismuskritik, ect.) orientiert ist, wie etwa Hooligans oder Fußball-Ultras, die z. B. in Ägypten , der Türkei oder der Ukraine eine wichtige Rolle spielten. Angeregt wurde, beider weiteren Ausarbeitung des Themas die Raumkategorie weitere aufzufalten, etwa indem man nach der genauen Funktion des Ort des Protests in der Stadt fragt, also konzeptuellen Unterschiede zwischen einem Ort wie dem Oranienplatz in Berlin und dem Tahir in Kairo in den Blick holt.

 

Mathilde Darley:
The Good, the Bad and the Ugly Migrant? Zwischen Seelsorgern und Polizisten. Feldforschung in einer deutschen Abschiebehaft

In einem empirisch sehr dichten Vortrag rekonstruiert Mathilde Darley die Produktion professioneller Rollen in einer deutschen Abschiebehaft, in der christliche und seit kurzer Zeit auch jüdische und muslimische Seelsorger die einzigen nicht-polizeilichen Akteure sind. Im Zentrum steht die Spannung zwischen Sicherheitslogik und Menschlichkeitslogik an einem Ort der Einsperrung. Die Besonderheit dieser Konstellation besteht darin, dass in der Abschiebehaft drei Akteursgruppen – Polizisten, Inhaftierte und Seelsorger – mit nicht nur verschiedenen sondern sogar entgegengesetzten Interessen in einem geschlossenen Raum alltäglich interagieren müssen. Handlungsrepertoire und Selbstbeschreibung der Seelsorger geht weit über die seelsorgerische Betreuung hinaus. Sie verstehen sich als politische Akteure, die sich an diesem Ort für die Menschenrechte einsetzen. Dabei beziehen sie sich gleichzeitig auf die religiöse wie auch auf die rechtliche Ordnung, um ihr Handeln – bisweilen im Graubereich des Erlaubten – zu legitimieren.

Die wechselseitige Abgrenzung zwischen Seelsorgern und Polizisten spielt in der täglichen Interaktion eine zentrale Rolle. Polizisten erleben Seelsorger als zu weich und von den Gefangenen instrumentalisiert, während Polizisten aus Sicht der Seelsorger als zu wenig emphatisch oder gar unmenschlich erscheinen. Im Gegensatz zu dieser Wahrnehmung von Polarität zeigte die Forschung jedoch nicht nur Opposition zwischen beiden Berufsgruppen, sondern auch deren Komplimentarität oder gar Komplizenschaft. Indem Seelsorger für eine größere Ausgeglichenheit und Ruhe der Inhaftierten sorgen, erleichtern sie die Arbeit der Polizisten und tragen auf ihre Weise zum Projekt der Abschiebehaft bei. Auch die steigende Anerkennung der Seelsorger-Expertise trägt zu diesem langsamen Verschwimmen der Grenzen zwischen beiden Seiten bei. In der Interaktion zwischen Seelsorgern und Polizisten koexistieren also Kooperation und Konkurrenz in paradoxer Weise. Darley argumentiert, dass es zur Formierung paradoxer moral communities kommt. 

In der Diskussion wird nach dem Standpunkt der MigrantInnen gefragt. Darley erklärte, dass ihr Zugang zu diesem schwierigen Feld über eine Arbeit als Praktikantin der Seelsorge zustande kam, was die Perspektive auf diese Fragestellung einschränkte. In der Community der Inhaftierten wurde durchaus zwischen besonders glaubwürdigen oder unterstützenden und allen anderen unterschieden. Diese Informationen wurden im Sinne eines kollektiven Wissens von Erfahrenen an neu Hinzugekommene weitergereicht. Aus Sicht der Migranten ist die wichtigste Funktion der Seelsorger die Rechtsberatung, weshalb sie unabhängig von tatsächlicher religiöser Orientierung für alle eine wichtige Rolle spielen. Auch in den beobachteten Interaktionen bleibt die religiöse Dimension eher unsichtbar. Selbst die Einladung in den Gottesdienst argumentiert oft  Darley erklärte auch, dass die lange Arbeit auf der Seite der Seelsorge im zweiten Teil der Forschung den Zugang zur polizeilichen Seite der Abschiebehaft erschwerte. Darüber hinaus wurde nach Haftbedingungen gefragt und erklärt, dass diese, was die Regularien betrifft, im Vergleich zur Strafhaft eher großzügig sind, dies aber nicht unbedingt zur Verbesserung der Lebenssituation der Inhaftierten beiträgt. Beispielsweise sind die Besuchszeiten von 9 bis 19 Uhr, dennoch erhalten nur wenige Inhaftierte Besuch, weil sie keine familiären oder sonstigen Beziehungen vor Ort haben. Auch gibt es eine Bibliothek, doch sind die meisten Bücher auf deutsch.

 

Michael Esch:
Gewalt, Geschichte, Topographie. Hooliganistische Kommunikationspraktiken in Polen 

Michael Esch diskutierte in seinem Vortrag die kommunikative Dimension hooliganistischer (Gewalt-)Praktiken in Polen. Als Historiker bezieht er sich dabei auf Dokumente, insbesondere Websiten, Youtube-Videos und Kommentare vor allem aber Graffitis. Zunächst erklärte er die Geschichte des Begriffs, der Anfang des 20. Jahrhunderts zunächst in England auftauchte und dann schnell in Rußland populär wurde und dort zur Bezeichnung von Männern aus Unterschichten diente, die sich in den städtischen Zentren des Bürgertums im öffentlichen Raum aufhielten und dort für diese Orte nicht vorgesehene Verhaltensweisen an den Tag legten: Pöbeln, Spucken, Pinkeln, ect.

Im Zentrum des Vortrages steht die selbstrefentielle Logik hooliganistischer Aktionen. So gehört zum Ehrenkodex nicht nur ein Kooperationsverbot mit der Polizei – die auch nicht zum eigenen Schutz angerufen werden darf –, sondern auch der Ausschluss Dritter in (verabredeten) Kämpfen, indem beispielsweise für die Schlägereien abgelegene Orte gewählt werden. Vor diesem Hintergrund argumentiert Esch auch, dass obwohl in der öffentlichen Wahrnehmung Hooliganismus und Rechtsradikalismus oft zusammengedacht oder vermischt werden, zwischen beiden eine Spannung besteht. Diese drückt sich beispielsweise darin aus, dass rechte Aktivisten immer wieder zur Vereinigung der verschiedenen hooliganistischen Bewegungen gegen den gemeinsamen Feind aufrufen, was mit den hooliganistischen Ritualen nicht zu vereinbaren ist. 

Mit Blick auf die Frage der Räumlichkeit interessant ist, dass es in Städten mit zwei Clubs und damit zwei Hooligan Bewegungen zu einer performativen Aufteilung der Stadt kommt. Graffitis im öffentlichen Raum spielen dabei eine zentrale Rolle. Das setzen von Graffitis sowie das Zerstören »feindlicher« Graffitis gehören hier zum festen Handlungsrepertoire. Dabei sind die Graffitis bisweilen so codiert, dass sie für Uninformierte gar nicht als Hooligan-Zeichen identifizierbar sind. Diese Codierung, so Esch, unterstützt das zuvor gemachte Argument der Selbstreferentialität hooliganistischer Kämpfe.

In der Diskussion wird die Frage nach der Verbindung von Hooliganismus und organisierter Kriminalität gefragt, die auch die Selbstbezeichnung von Hooligan-Clubs als »Firma« nahelegt. Esch erklärt, dass es diese Beziehung in bestimmten Fällen vermutlich gibt, dies aber nicht im Zentrum seiner Forschung steht. Diskutiert wird auch die Frage, inwiefern Feldforschung und Interviews diese Forschung noch vertieft werden könnte. Esch erklärt, dass der Zugang zu diesem Feld zum einen durch eine starke Altersgrenze (Mitte dreißig) limitiert ist und dass die meisten Clubs inzwischen in der Interaktion der mit der Öffentlichkeit sehr geschickt sind und versuchen, in Interviews »ihre« Version der Dinge darstellen. In der Diskussion erklärt Esch außerdem, dass die Beschäftigung mit dem Hooliganismus auch durch die Frage motiviert ist, wie es historisch dazu gekommen ist, dass in bestimmten Milieus Hooligans heute als die »letzten Rebellen« gelten. 

 

Sabine von Löwis:
Phantomgrenzen in der Ukraine

Sabine von Löwis berichtet aus ihrer Arbeit im Rahmen des Forschungsprojekts Phantomgrenzen in Ostmitteleuropa. Ausgangspunkt des Phantomgrenzen-Projektes ist die Beobachtung, dass an manchen Orten historische Grenzen sich beispielsweise in Wahlergebnissen widerspiegeln. Sie selbst hat dieses Phänomen anhand zweier Dörfer gleichen namens am Fluß Zbruc untersucht, der sie einst in einen polnischen und einen sowjetischen Teil teilte, und die heute vollständig in der Ukraine liegen. Sie stellt vor, wie sich die Persistenz dieser Grenze in verschiedenen Erinnerungskulturen, in differenten Selbstbeschreibungen und bestimmten Aspekten des Alltagshandeln, wie des Kirchgangs, sowie verschiedenen Wirtschaftsstrukturen in den Landwirtschaft zeigt. Dennoch wird die Grenze im Alltag aber auch immer wieder aufgehoben oder umgangen. Von Löwis schlussfolgert, dass diese Grenzen im politischen Zentrum des Landes eine viel größere Rolle spielen als an der politischen Peripherie. 

In der Diskussion wurde nach der Bedeutung der religiösen Teilung des Dorfes gefragt. Von Löwis erläutert, dass beide Dörfern orthodox sind, der Ritus also der selbe ist, jedoch zu unterschiedlichen Patriarchaten gehören. Vor der Wiedereröffnung der griechisch-katholischen Kirche besuchten beide Dorfteile die ukrainisch-orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchats im anderen Dorfteil. Allerdings ist die griechisch-katholische Kirche durch eine Geschichte der Unterdrückung geprägt, die zum einen zu starker Identifizierung und Abgrenzung führt, die zum anderen im historischen Verlauf jedoch auch eine Schwächung der Kirche durch Mitgliederverlust hervorgerufen hat. Am Ende der Diskussion hebt von Löwis noch einmal hervor, dass die besondere Relevanz dieses Themas auch darin besteht, dass, wie gegenwärtige politische Entwicklungen in der Ukraine zeigen, Phantomgrenzen unter Umständen auch wieder zu offiziell markierten Grenzen werden können.

 

 André Bank:
Grenzüberschreitende Netzwerke in Syrien

Ausgangspunkt der Überlegungen von André Bank ist die von Politik und Öffentlichkeit immer wieder formulierte Angst vor einem durch den syrischen Bürgerkrieg ausgelösten »regionalen Flächenbrand«. Interessant ist, dass trotz unübersehbarer regionaler Auswirkungen dieses Konfliktes dieser Flächenbrand bis heute ausgeblieben ist. Banks vorläufige These lautet, dass gerade die vielfältigen grenzüberschreitenden sozialen Netzwerke und deren nur partielle Verselbständigung in paradoxer Weise zu einer Stabilisierung der Nachbarkontexte geführt hat.

Bisherige Forschungen zu grenzüberschreitenden Dynamiken in Kriegskontexten stellen vor allem auf sogenannte regionale Konfliktkomplexe ab, die durch militärische (Kämpfer, Waffen), politische (Eliten), ökonomische und soziale (Identitätsgruppen, Flüchtlinge) Netzwerke entstehen. Allerdings werden hier einseitig kriegsökonomische Netzwerke fokussiert; vor allem werden reverse effects, also die Auswirkungen dieser Netzwerke nicht auf das ursprüngliche Konfliktland, sondern auf die angrenzenden Kontexte, vernachlässigt. 

In Syrien selbst begann die Krise  Dar’a im März 2011. Hintergrund ist die Krise der lokalen Ökonomie kombiniert mit den ermutigenden Effekten der Beobachtung des Arabischen Frühlings. Interessant ist, dass alle frühen Proteste in rurbanen und grenznahen Räumen ereignen. Da die politische Organisation des syrischen Staates eine Formierung oppositioneller Netzwerke in nationalem Rahmen verhindert hatte, fand die Ausbreitung des Konfliktes im Sinne eines Hinzukommens weiterer lokaler Proteste statt, die eine gemeinsam Identität durch den Verweis auf den Arabischen Frühling bezieht. Es gibt also einen scale shift, der von der lokalem direkt auf die regionale Ebene springt und die nationale auslässt.

Verflechtungen ergaben sich zwischen Nordjordanien und Syrien relativ schnell: sozial durch die Aktivierung von Familienstrukturen im Zuge von Flüchtlingsbewegungen, durch daraus sich ergebende demographische Verschiebungen und identitäre Diskurse; militärisch durch die logistische Bedeutung Nordjordaniens für die Versorgung mit Kämpfern und Waffen. Dennoch haben sich diese Netzwerke nicht so vernachlässigt, dass sie selbst zu einem Konfliktfaktor in Jordanien werden würden; der jordanische Geheimdienst scheint hier auch eindämmend zu wirken.

Aus diesen Beobachtungen ergeben sich eine ganze Reihe konzeptionell-methodischer Fragen: Wie lässt sich die »Bedeutung« der Netzwerke, das heißt ihr Gewicht, ihr Einfluss, ect. konzeptuell besser fassen?  Wie lassen sich die empirischen Dynamiken besser untersuchen?

In der Diskussion wurde darauf hingewiesen, dass es wichtig wäre, zwischen Krieg und Bürgerkrieg zu unterscheiden, denn überraschend ist die Grenzüberschreitung ja nur beim Bürgerkrieg. In diesem Sinne ist auch etwas unklar, was mit »Flächenbrand« eigentlich gemeint ist. Bank argumentiert, dass in Syrien zwar kein zwischenstaatlicher Krieg vorliegt, durch die Transnationalisierung der Gewaltakteure jedoch auch kein klassischer Bürgerkrieg.

 

Sabine Kurtenbach:

Stadt und Land – Partizipation und Kontrolle von Jugendlichen in Nachkriegsgesellschaften

Das Projekt geht von der These aus, dass Jugendliche, die im Krieg aufgewachsen sind und daher Gewalterfahrung haben, in der Nachkriegszeit eine besonders hohe Gewaltneigung haben. Diese Gewaltneigung wird durch den Zerfall sozialer Netzwerke noch verstärkt. Zusätzlich weisen Nachkriegsgesellschaften ein hohes Maß an Volatilität auf: Unsicherheit in der Politik, strukturelle Veränderung wie z.B. Urbanisierung.

Empirische Forschung in zwei Ländern (Guatemala, Kambodscha) hat allerdings gezeigt, dass die Beteiligung von Jugendlichen an Gewalt in Nachkriegssituationen weitaus weniger stark war, als die Ausgangshypothese nahelegen würde. In beiden Ländern war Nachkriegsgewalt durchaus vorhanden, doch Jugendliche finden sich darin nur punktuell – in Guatemala vor allem in Gangs.

 

Kriegs- und Nachkriegsgesellschaft in tiefgreifender Veränderung…

 

Empirie

 

Konzepte Nachkrieg

 

 

 

Quelle: http://gewalt.hypotheses.org/412

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Rückmeldungen von Nachkriegskindern

Infolge der jüngsten Berichterstattung in Fernsehen, Radio und Zeitung haben sich viele Menschen wegen der “Suche nach den Nachkriegskindern” gemeldet. Teilweise kamen die Reaktionen per Email, per Telefon oder über die sozialen Medien. Klassische und soziale Medien ergänzen sich dabei.

Zwischen dem 1. und dem 15. Mai 2014 gab es insgesamt 17 Reaktionen, darunter 6 von ehemaligen Teilnehmern (im folgenden als “positive” Ergebnisse bezeichnet). Von den 6 positiven Ergebnissen kamen 4 per Email, 1  per Kommentar und 1 über die Facebook-Seite.  Die 11 anderen Rückmeldungen entstanden aus Interesse am Thema, sei es durch die Arbeit als Psychotherapeut (3) oder als Kind der Kriegs- bzw. Nachkriegszeit mit dem Wunsch über die eigenen Erfahrungen zu erzählen.

Die Rückmeldungen entstanden durch die Berichterstattung von WDR Lokalzeit Bonn (2 positive), WDR5 “Neugier genügt” (2 positive), die Neuss-Grevenbroicher Zeitung (1 positive) und durch die Verbreitung auf der Facebook-Seite des Projekts “Gesichter Bonns” (1 positive Rückmeldung).

Schon vorher gab es mehrere Rückmeldungen infolge des Artikels des General-Anzeigers Bonn, der noch vor Ende des Crowdfundings berichtet hat. Dadurch meldeten sich ebenfalls 2 Teilnehmerinnen der Studie, darunter Frau. K. Später besuchten wir sie mit Kamerateam (für 3sat nano, wird bald gesendet) und mit der WDR Lokalzeit. So wurden weitere Journalisten und Redakteure aus anderen Medien auf das Thema aufmerksam, die ihrerseits wieder berichteten.

6 ehemalige Teilnehmer der Nachkriegskinder-Studie

Von den 17 Rückmeldungen kamen 6 von ehemaligen Studienteilnehmern. Bei 2 hatten wir bereits die aktuelle Adresse durch die Einwohnermeldeamtsrecherche gefunden, 4 weitere konnten wir nur durch ihre eigene Rückmeldung finden.

Manche haben die Kommentarfelder des Blogs als Kontaktformular (miss-)verstanden, daher habe ich die entsprechenden Kommentare nur dann veröffentlicht, wenn mir deutlich schien, dass es auch zur Veröffentlichung gedacht war. Trotzdem habe ich alle persönlichen Angaben in den Kommentaren und den nachfolgenden Einzelfällen weitestgehend anonymisiert.

Renate aus Bonn, geb. 1951

Sie hat uns per Email geschrieben, dass sie den Bericht in der Lokalzeit Bonn gesehen hatte. Sie erinnerte sich, dass sie mehrmals in der Kindheit untersucht worden sei. Aufgrund des späten Geburtsjahrs konnte sie jedoch nicht selbst Teilnehmerin der Studie sein (Teilnehmer waren nur 1938/39 und 1944/45 Geborene). Zufälligerweise fand ich aber den Namen ihres Bruders in der Datenbank, bei dem sie selbst nachfragte. Er schrieb uns per Email an, nachdem ihn die Schwester informiert hatte: “Ich kann Ihnen jetzt schon sagen, dass ich sehr gerne an Ihrer Studie teilnehmen würde.” So haben wir einen weiteren Studienteilnehmer gefunden, der bisher noch nicht in der Datenbank aktualisiert war.

Christa aus Bonn, geb. 1945

Ihr Sohn hat sich über die Facebook-Seite bei uns gemeldet, da das Projekt bei Gesichter Bonns vorgestellt wurde und er sich an die Erzählungen der Mutter erinnerte. Die Adresse hatten wir jedoch bereits über die Einwohnermeldeämter gefunden.

Horst-Werner aus Bonn, geb. 1946

Er hat sich aufgrund des Beitrags in der WDR Lokalzeit per Email an die Redaktion gewandt. Wir hatten  seine Adresse jedoch bereits gefunden. Er war tatsächlich ein Studienteilnehmer.

Heidi aus Frankfurt, geb. 1946

Sie meldete sich per Email bei uns, da sie den Radiobericht in WDR5 gehört hatte. Tatsächlich hatten wir ihre aktuelle Adresse noch nicht gefunden, obschon sie an der Studie teilgenommen hatte. Das hat uns besonders gefreut.

Alfred aus Frankfurt am Main

Er hat einen Kommentar im Blog geschrieben, nachdem er den Beitrag bei WDR5 gehört hatte. Tatsächlich gehörte er zu den untersuchten Nachkriegskindern und konnte bisher nicht über die Einwohnermeldeamtsrecherche gefunden werden. Ich habe ihm per Email weitere Informationen zugesandt.

Heinrich aus Grevenbroich, geb. 1946

Er hat den Artikel in der Neuss-Grevenbroicher Zeitung am 15.05.2014 gelesen und sich daraufhin per Email bei uns gemeldet. Seine Adresse hatten wir bisher noch nicht gefunden und er konnte sich gut daran erinnern, dass er und seine Mitschüler teilgenommen haben. Möglicherweise kennt er noch weitere Teilnehmer.

Andere Interessenten und Rückmeldungen

Abgesehen von den “positiven” Ergebnissen, also Rückmeldungen von ehemaligen Teilnehmern, ist das Thema “Nachkriegskindheit” auch für Therapeuten interessant.

Simone Willig aus Herborn, Musiktherapeutin

Supervisorin für das Kriegs- und Nachkriegskinder-Projekt von Mario Wallner „Menschen die ich kannte“: http://vimeo.com/88132007

„Ich habe in meinem Beruf tagtäglich mit Kriegskindern zu tun und der Wunsch, sich mitzuteilen sowie die Ahnung, dass Erlebnisse von damals in ihrem Leben eine größere Bedeutung hatten, als sie bisher angenommen haben, wächst. Vor allem Männer, die als jugendliche Soldaten in den letzten Kriegstagen verheizt wurden oder als Kinder auf der Flucht und danach den Vater ‘ersetzen’ sollten,  mehren sich in meinen Therapien und kommen mit dem Wunsch, darüber sprechen zu dürfen. Im Kontext der Arbeit mit Menschen mit Demenz schule ich Pflegefachkräfte im sensiblen Umgang mit dem Thema, sind doch oft unüberlegte oder ‘gut gemeinte’ Handlungen im Alltag Auslöser für Re-Traumatisierungen, deren Reaktionen dann der Demenz zugeschrieben werden, mit der Erkrankung jedoch nichts zu tun haben.“

Claudia, geb. 1955, Psychotherapeutin

Sie hat bis 1983 Psychologie studiert, hat zuerst in einer Klinik, danach in eigener Praxis als Psychotherapeutin gearbeitet und freut sich, „dass eine solche Langzeitstudie ‚aus der Versenkung’ geholt wird und zu Forschungszwecken dient.“

Herr B., geb. 1951

Er arbeitet als Psychotherapeut und hat sich auf den Traumabereich spezialisiert. In seiner Praxis hat er manchmal mit traumatisierten Kriegskindern, Nachkriegskindern und Kriegsenkeln zu tun. Das Thema wird unter Traumatherapeuten häufig besprochen. Einen Therapieplatz für Betroffene kann er aufgrund langer Wartelisten nur selten anbieten.

Weitere Interessenten

Auch in unseren Rückmeldungen zeigt sich, dass viele Menschen dieser Generation Redebedarf haben, ob Sie Teilnehmer der damaligen Studie waren oder nicht.

Susanne aus Bonn, geb. 1953

Sie schickte uns aufgrund des Lokalzeit-Berichts Zeitungsausschnitte der Studie zu, die mit unserer Studie übereinstimmen (siehe Bildergalerie). Leider konnte ich Sie noch nicht als Studienteilnehmerin identifizieren, da Sie erst später geboren wurde. Vermutlich diente sie als Fotomodell zur Illustration der Untersuchungen. Die Zeitschrift erhielt sie später von ihren Eltern, schrieb sie mir.

Zeitungsausschnitt, zugesendet von Susanne W.<br />
Quelle: Scope Weekly (hrsg. von der Upjohn Company), Vol. 5 No. 39, erschienen am 28.9.1960.
Zeitungsausschnitt, zugesendet von Susanne W.<br />
Quelle: Scope Weekly (hrsg. von der Upjohn Company), Vol. 5 No. 39, erschienen am 28.9.1960.

Quelle: Scope Weekly (hrsg. von der Upjohn Company), Vol. 5 No. 39, erschienen am 28.9.1960.

Jürgen aus Bonn, geb. 1945

Tatsächlich gehört er zum richtigen Jahrgang und ist auch in Bonn zur Schule gegangen, jedoch konnte ich ihn nicht als Teilnehmer der damaligen Studie identifizieren.

Heinz aus Krefeld, geb. 1933

Er meldete sich bei WDR5 und wurde von uns zurückgerufen. Er habe nicht an der Studie teilgenommen, würde allerdings gerne etwas über seine Erfahrungen erzählen.

Gerda aus Aachen, geb. 1946

Auch sie hat sich beim WDR5 zugehört und würde gerne mitteilen, was sie erlebt hat.

Anita aus Düsseldorf, geb. 1933

Sie meldete sich nach der WDR5 Sendung per Telefon. Sie sei durch die vom Krieg geprägte Kindheit belastet und habe viele Erinnerungen aufgeschrieben, die sie uns gerne anbieten würde. Leider suchen wir nur die Teilnehmer der damaligen Studie, mussten wir ihr, wie auch den anderen Anrufern  leider mitteilen.

Frau L.,  geb. 1943

Nach der WDR5-Sendung rief sie dort an. Sie sei durch die vom Krieg geprägte Kindheit belastet und vermute, dass die 9-jährige Gefangenschaft ihres Vaters nachhaltig Auswirkungen auf ihre Psyche und ihren Lebensweg habe. Wir dankten Ihr für den Anruf und ihr Interesse.

Uwe L.

Er hat die Radiosendung bei WDR5 gehört und fragte sich, ob es im Internet eine Liste der Gesuchten gibt. Per Email antwortete ich ihm, dass wir diese nicht veröffentlichen dürfen, ich aber seinen Namen in der Datenbank suchen würde. Er war leider kein Teilnehmer der Nachkriegskinder-Studie.

Wally B.

Er hat einen Kommentar im Blog geschrieben. Er wurde nach der Flucht in Dänemark geboren, hat aber nicht an der Untersuchung teilgenommen. Ich habe ihm per Email geantwortet und für seine Interesse gedankt.

Was tun, wenn Redebedarf besteht?

Bei den positiven Rückmeldungen fällt es mir leicht zu antworten. Wir können schreiben oder sagen, dass wir uns möglichst noch dieses oder nächstes Jahr postalisch melden, sobald eine umfangreiche Nachfolgestudie finanziert und vorbereitet ist. Auch wenn es im Vergleich zu den über 4000 ehemaligen Teilnehmern nur kleine Zahlen sind, freue ich mich sehr über jeden weiteren, den wir so finden können. Ich vermute, dass viele sich auch nicht selbst melden, aber Bescheid wissen, dass wir weiter an der Nachfolgestudie arbeiten.

Doch auch hier ist deutlich zu spüren, dass viele Menschen Redebedarf haben. Sie würden gerne über die Zeit und ihre Erfahrungen sprechen und melden sich deswegen bei uns, ohne selbst Teilnehmer gewesen zu sein. Doch für eine Nachfolgestudie brauchen wir nur die damaligen Teilnehmer. Was macht man in den anderen Fällen?

Natürlich hören wir am Telefon etwas zu. Auch diese Auflistung ist eine Form, den Geschichten Platz zu geben. In extremen Fällen könnten wir auf Psychotherapeuten verweisen, doch auch diese haben lange Wartelisten, die Hemmschwelle ist hoch. Deswegen gibt es vielerorts Gesprächskreise, wie beispielsweise in Bonn. Für die meisten geht es ja nur darum jemanden zu haben, der zuhören möchte. Wo gibt es diese Orte, die Zeit und den Raum für die Geschichten?  Ist es Aufgabe des Forschers, auch dafür zu sorgen? Irgendwie schon, denn unser Forschungsgegenstand “menschelt” eben.

Es wäre schön eine Übersicht für diese Gesprächskreise anzulegen, so dass wir darauf verweisen könnten. Doch meine eigene Zeit ist begrenzt und ich möchte mich auf die Suche fokussieren.  Vielleicht gibt es jemanden, der sich für diese Geschichten interessiert, die Orte aufschreiben möchte, eine Liste kennt oder einfach nur selbst anbieten möchte zuzuhören.

Quelle: http://zakunibonn.hypotheses.org/1058

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#e1414 – der HistoryCampus in Berlin

Unter dem Titel “Look back, think forward” veranstaltete die Bundeszentrale für Politische Bildung gemeinsam mit der Körber-Stiftung und der Robert Bosch Stiftung in Kooperation mit dem Maxim Gorki Theater Berlin und zahlreichen weiteren Partnern in der vergangenen Woche einen History Campus für Jugendliche aus 40 Ländern. Ziel des History Campus war es, den Ersten Weltkrieg aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Die etwa 400 Teilnehmer im Alter von 18 bis 25 Jahren setzten sich in insgesamt 22 Workshops mit dem Thema auseinander. Fragen wie “Warum ist es für junge Menschen überhaupt wichtig, sich mit dem Ersten Weltkrieg auseinanderzusetzen? Wie wird in den einzelnen Ländern an den Ersten Weltkrieg erinnert? Welche Debatten zur Geschichte gibt es in Europa und welche aktuellen Bezüge gibt es zu heute?” sollten beantwortet werden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel eröffnete den History Campus und charakterisierte den Ersten Weltkrieg in Anlehnung an George F. Kennan als

“die so oft zitierte sogenannte Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts.  Er zeigte, welches Zerstörungspotenzial das industrielle Zeitalter in sich barg. Die Welt erlebte eine bis dahin nie dagewesene Mobilisierung von Menschen, Ökonomien und Medien. Bald sollten noch größere Schrecken als in den Jahren 1914 bis 1918 folgen, so furchtbar damals schon alles war. Wie konnte es dazu kommen? Diese Frage steht auch 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs immer wieder aufs Neue im Raum. Wie konnte es passieren, dass Nationen einander den Krieg erklärten, deren Volkswirtschaften schon damals eng miteinander verflochten waren? Wie konnte es passieren, dass die verantwortlichen Politiker und Militärs ein aufblühendes Europa geradewegs in den Abgrund der Gewalt führten? Wie konnte es sein, dass dies so viel Rückhalt in der Bevölkerung fand? Das Motto Ihres Geschichtsfestivals ist angesichts dieser wichtigen Fragen ausgesprochen treffend: ‘Blick zurück nach vorn’ heißt es. Damit weist es darauf hin, dass die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit immer auch eine Auseinandersetzung mit der Gegenwart zur Gestaltung der Zukunft ist.”1

Gaming the War - Teilnehmende des HistoryCampus. (© bpb/Jan Konitzki)

Gaming the War – Teilnehmende des HistoryCampus. (© bpb/Jan Konitzki)

Nach dem Opening Event am Mittwoch, starteten am Donnerstagmorgen dann die Workshops für die sich die Teilnehmer im Vorfeld angemeldet hatten. Die 22 Workshops waren in die Kategorien “Geschichte analysieren”, “Geschichte – erinnern und gedenken”, “Geschichte digitalisieren” und “Geschichte inszenieren” unterteilt. So gab es beispielsweise Workshops, die Computerspiele zum Ersten Weltkrieg programmierten, Improvisationstheater zum Ersten Weltkrieg inszenierten, sich mit den Denkmälern des Ersten Weltkriegs auseinander setzten oder in fiktiven Friedenskonferenzen die Friedensverträge von 1919 neu verhandelten.

 

Neben den Workshops bot der HistoryCampus auch Führungen durch die Ausstellung des Deutschen Historischen Museums, Videobustouren an Berliner Schauplätze des Ersten Weltkriegs und zahlreiche kulturelle Veranstaltungen. So versuchte Dietmar Lupfer mit seiner Skateperformance “Skate 14|14″

“sich provozierend mit der Verbindung von Technik und Krieg auseinander [zu setzen], indem sie das »harmlose« spielerische Skaten mit den Bild-und Klangwelten des Krieges verknüpft.”2

Während einer weiteren Veranstaltung im Rahmen des HistoryCampus diskutierte Außenminister Frank Walter Steinmeier mit drei TeilnehmerInnen des HistoryCampus über die verschiedenen Aspekte des Ersten Weltkriegs und bemerkte:

“Wenn ich die Geschichte von 1914 betrachte, dann schockiert mich das Versagen einer Diplomatie, der die Fähigkeit zu Verständnis und Verständigung abhandengekommen war. Max Weber hat das brutal auf den Punkt gebracht, als er 1914 schrieb: ‘Die Hunderttausenden bluten für die entsetzliche Unfähigkeit unserer Diplomatie’.”3

Die Workshops zum Themenblock “Geschichte digitalisieren” setzten sich auf unterschiedlichste Weise mit dem Ersten Weltkrieg auseinander. Im Workshop “World War One – I LIKE!?” erstellten die TeilnehmerInnen fiktive facebook-Seiten für Soldaten oder am Krieg teilnehmende Länder, im kreativen Experimentierlabor “World War One meets Web 2.0″ beschäftigten sich die TeilnehmerInnen neben historischen Karikaturen auch mit der Frage, welche visuellen Mittel heute zur Meinungsäußerung genutzt werden.

Darüber hinaus wurde der Workshop unter dem Hashtag #e1414 auf Twitter, mit einer eigenen Facebookseite und mit einem Blog begleitet. Weitere Eindrücke des HistoryCampus lassen sich darüber hinaus in der Sonderausgabe des Magazins PolitikOrange zum HistoryCampus finden.

  1. http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2014/05/2014-05-07-merkel-maxim-gorki-theater.html
  2. http://www.gorki.de/spielplan/skate/831
  3. http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2014/140509-BM_History_Campus.html

Quelle: http://grandeguerre.hypotheses.org/1537

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Fünf Minuten mit Hartmut Rosa (3/2014)

Hartmut Rosa ist Professor für Allgemeine und Theoretische Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er ist Begründer der Beschleunigungstheorie und viel gefragter Gesprächspartner im deutschen Feuilleton. Daniel Meyer vom Studentenmagazin Akrützel  stellt dem renommierten Gesellschaftstheoretiker nicht nur Fragen rund um seine Person und … Continue reading

Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/6730

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Digitale Spuren der Soncino-Gesellschaft

soncino-signetDas Jahr 1932 brachte die letzte Versammlung der Soncino-Gesellschaft, die NS-Zeit erzwang ihr sang- und klangloses Ende. Bis dahin aber, in kaum zehn Jahren, hatten die »Soncinos« weit über hundert nachgewiesene, meist kleinere, aber auch etliche stattliche Drucke befördert, heute rare und gesuchte Stücke — und damit eine den eigenen Zielen mehr als entsprechende Wirksamkeit entfaltet. Am 15. Mai 1924 hatte sich in Berlin diese Soncino-Gesellschaft der Freunde des jüdischen Buches gegründet. Angeregt von dem Studenten Herrmann Meyer machte es sich der bibliophile Verein zum Ziel, das Buchwesen als Kulturleistung zu fördern und dem anspruchsvollen jüdischen Buch zur adäquaten Form zu verhelfen. Das Wirken dieser Gesellschaft hat naturgemäß zu (Buch-) Drucken geführt, mittlerweile können wir aber auch online und frei zugänglich ihren Spuren nachgehen.

Im redaktionellen Teil des Jüdischen Adressbuchs für Groß-Berlin 1931 (S. 89) lesen wir einen Eintrag über die Soncino-Gesellschaft (siehe nachstehende Abbildung) und, in aller Kürze, das Programm: »Der Verein erstrebt die Förderung des guten und schönen jüdischen Buches. Er fordert die Beobachtung der Postulate moderner Buchkultur bei der Herstellung jüdischer Bücher.«

jüdisches-adressbuch-soncino-gesellschaftDer Verein brachte es in nur wenigen Jahren auf ca. 800, nicht selten namhafte Mitglieder, auch international, so gehörten ihm etwa aus Palästina der Schriftsteller Chaim Bialik oder Salman Schasar (der spätere Präsident Israels) an. Besonderes zahlreich waren die Mitglieder natürlich aus Berlin, und so finden wir viele von ihnen im Jüdischen Adressbuch. Es ist auch für die Provenienzforschung, insbesondere im Zusammenhang anderer Quellen von Interesse, etwa der mehrfach gedruckten (1924, 1927), aber heute kaum zu beschaffenden Mitgliederlisten der Soncino-Gesellschaft — die aber leider (noch) nicht digital zu finden sind. Mit einer bemerkenswerten Ausnahme: In den Digital Collections des Center for Jewish History New York (CJH) können wir einen Archivbestand betrachten, der einen maschinenschriftlichen Entwurf (mit handschriftlichen Bearbeitungen) des ersten Mitgliederverzeichnisses und etliche weitere Raritäten enthält.

Ulrich Heider hat 2006 ein ansprechendes und sympathisches Büchlein herausgegeben1 — in seiner Anmutung den Soncino-Notizen nachempfunden, selbst ein bibliophiles Kleinod (auch wenn es gelegentliche Druckfehler enthält und ein hebräisches Titelblatt auf den Kopf stellt).2 Es enthält die bisher umfangreichste Bibliografie der Drucke der Soncino-Gesellschaft.3 Rainer Fürst und Klaus Schreiber haben dies Bändchen zu recht ernst genommen — aus ihrer (bibliothekarisch geprägten) kritischen Perspektive hat es dabei allerdings manche Feder lassen müssen. Empfehlens- und nachlesenswert ist ihre Rezension, online als PDF erhältlich, weil sie für den interessierten »Soncino-Forscher« sehr kundige und weiterführende Hinweise bietet. Interessant ist auch die Einschätzung, dass noch »keineswegs die definitive Bibliographie der Publikationen der Soncino-Gesellschaft vorliegt«.

Zu den Überraschungen (und zum digitalen Fortschritt) gehört, dass man heute vom Desktop aus zu dieser wünschenswerten Bibliografie noch etwas beitragen könnte. Denn wiederum in der Sammlung des CJH stoßen wir auf das folgende Buch als Soncino-Publikation, das man dort betrachten und sogar als PDF herunterladen kann:

Der Prophet Jona. Zweiter in der Judith-Type hergestellter Druck der Ernst Ludwig Presse. Übertragung von Martin Luther. Holzschnitte von [Adam] Antes. Darmstadt: Kleukens 1924. Von diesem Werk wurden einhundert Exemplare und zwar die Nummern 41 bis 90 und 191 bis 240 als erste Sonderpublikation der Soncino-Gesellschaft … ausgegeben.

»Jona« ist nicht nur optisch, sondern auch herstellungstechnisch (die Lettern sind in die Holzdruckplatte geschnitten), sehr interessant, anschauen lohnt sich. Heider führt allerdings nur den Judith-Band (1923/1925) unter Sonderpublikationen auf, für den eine in jeder Hinsicht eigene Type entworfen und entsprechend benannt worden war. Beide Drucke scheinen in der Gesamtschau eher untypisch für die Soncino-Gesellschaft, aber sie waren ja in dieser frühen Phase aus der Produktion der Ernst Ludwig Presse »nur« übernommen.

1929 aber hatte die Soncino-Gesellschaft mit der Ausgabe des Buches Sirah eine eigene Linie gefunden. Abraham Horodisch notierte zur neuesten Publikation, dass nun »zum ersten Male das Hauptgewicht auf graphische Schöpfungen eines zeitgenössischen jüdischen Künstlers gelegt« war. Jeweils auf Doppelseiten finden wir darin die Illustrationen, die »prägnanten« Holzschnitte von Jakob Steinhardt, gruppiert mit den hebräischen Lehrsprüchen und ihren deutschen Übersetzungen. »Nur wer die Technik des Setzens kennt, vermag zu Ermessen, welche Schwierigkeiten zu überwinden waren, wieviele Versuche verworfen werden mussten, bis das erwünschte Seitenbild erreicht war.«4

Selbst heute, mit digitalen Methoden, ist ein solches Unterfangen eine keineswegs leichte Aufgabe, und Software, die hochwertigen und ohne Einschränkung auch hebräischen Satz unterstützt, keine Selbstverständlichkeit. Auch dieses Werk können wir bei CJH in Farbe betrachten und als PDF (schwarzweiß) herunterladen (und noch ein weiteres, Noemi, ebenfalls von Jakob Steinhardt illustriert, der 1929 zudem Mitglied des Vereins wurde).

Die buchkünstlerischen Eigenschaften wird man am Digitalisat allerdings kaum erahnen, geschweige denn erfahren können: So liest man gern auf der Seite des Jüdischen Museums Berlin die Beschreibung der dort »nahezu vollständig« vorhandenen Soncino-Sammlung, und dass sie im Lesesaal zugänglich ist. Das ist auch deshalb ein besonderer Bestand, weil er aus dem Nachlass des Gründers selbst, Herrmann Meyer (Mitgliedsnummer 1), stammt.

lesebuch-vignetteNicht weniger wichtig ist die Judaica-Sammlung Frankfurt. Auch sie hält einige bemerkenswerte Ausgaben der Soncino-Gesellschaft bereit, die insbesondere mit dem aktiven und wegweisenden Wirken von Aron Freimann im Verein zusammenhängen: Dazu zählen die Fabeln des Kuhbuches, die Satzungen der Soncino-Gesellschaft (1924), die Festschrift für Aron Freimann. Ebenfalls vorrätig ist das Lesebuch für jüdische Kinder. Zum Besten der jüdischen Freyschule (ursprünglich Berlin 1779) von David Friedländer (Titelvignette nebenstehend). Es galt in den 1920er Jahren weithin als verschollen, bis es Moritz Stern 1927 als Faksimile für die Soncinos neu herausbrachte. Wer in der Frankfurter Sammlung einfach mal stöbert, der stellt fest, dass sich die Recherche als Volltextsuche auf die mittlerweile integrierten Bestände jüdischer Periodika von compactmemory ausdehnt — prima!

Ernst Fischer hat 2002 festgestellt, online nachzulesen: »Viele Fragen stehen unbeantwortet im Raum: Was ist aus den Bücherschätzen der 700 bis 800 Mitglieder der Soncino-Gesellschaft der Freunde des jüdischen Buches geworden«?5. In diesem Zusammenhang fällt besonders das vorbildliche Unterfangen Provenienz-Wiki6 auf: es bietet eine von Michaela Scheibe verfasste Seite zu dem Sammler Moritz Simon, Schatzmeister der Soncino-Gesellschaft, der auch zwei Drucke zum Soncino-Bestand beisteuerte.

Schließlich findet sich eine Festrede von Abrahm Horodisch (PDF) auf der Jahresversammlung des Vereins in Berlin 1926 wieder in der Zeitschrift Kalonymos (Steinheim-Institut), ebenso (m)ein Beitrag Freude am schönen Buch …. Nicht zuletzt wurde es wohl Zeit, einen Artikel über die Soncino-Gesellschaft für die Wikipedia zu schreiben — der Anfang ist gemacht.

(Verfasst anlässlich des Gründungstages der Soncino-Gesellschaft vor neunzig Jahren am 15. Mai 1924).

  1. Ulrich Heider: Die Soncino-Gesellschaft der Freunde des jüdischen Buches e. V. (1924–1937) (Schriftenreihe der Kölner Antiquariatstage, Heft 1), Köln: Privatdruck 2006.
  2. Was daran erinnert, dass eine digitale Fassung ja auch die Verbesserung erlaubte.
  3. Basierend auf Abraham Horodisch: Ein Abenteuer im Geiste. Die Soncino-Gesellschaft der Freunde des jüdischen Buches, in: Bibliotheca docet – Festgabe für Carl Wehmer, Amsterdam: Verlag der Erasmus-Buchhandlung 1963, S. 181–208.
  4. Abraham Horodisch: Jakob Steinhardt. Neun Holzschnitte zum Buche Sirah, in: Mitteilungen der Soncino-Gesellschaft, Nr. 4, Februar 1929, S. 9.
  5. Ernst Fischer: Zerstörung einer Buchkultur. Die Emigration jüdischer Büchersammler aus Deutschland nach 1933 und ihre Folgen, in: Imprimatur. Ein Jahrbuch für Bücherfreunde. Neue Folge XVII. Juni 2002.
  6. ProvenienzWiki – Plattform für Provenienzforschung und Provenienzerschließung

Quelle: http://djgd.hypotheses.org/223

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Vortrag zu „Schlurfs“, Wien 22.5.2014

Schön, dass es immer wieder Projekte gibt, die sich mit den Swings beschäftigen; so findet laut Konkret-Terminliste heute ab 18 Uhr eine Veranstaltung im Hamburger Michel, Englische Planke 1 statt: »6. Gedenkfeier gegen das Vergessen. Erinnern an die Hamburger Swingszene von 1933 bis 1945«; Veranstaltung mit Zeitzeugen und Musik, (ab 18 Uhr), Info unter http://www.hamburgerswingszene.de/

Und, auch in Wien tut sich was, im Rahmen von SOHO in Ottakring haben Alfred Burzler und Irma Denk die Rauminstallation "Schlurfs in der Tanzschule Schwarzer Panther" erstellt, die diesen Samstag, 17.5.2014 um 19 Uhr eröffnet wird.

Ich selbst werde dort kommende Woche einen Vortrag zum Thema "'Schlurfs' und die internationale Jazz-Jugendsubkultur" halten.

Zeit: Donnerstag 22.5.2014, 19 Uhr
Ort: Gomperzgasse 1-3, Souterrain, 1160 Wien (Straßenbahnlinie 44, Station Liebknechtgasse)

Ankündigung des Ausstellungsprojekts:

Die Jahre 1933 bis 1945 markieren die goldene Ära der großen amerikanischen Swingbands. Genau im selben Zeitraum regierte in Deutschland - und während der Kriegsjahre fast in ganz Europa - der Faschismus. So waren Jazzmusik und die dazugehörigen Tänze Lindy Hop bzw. Jitterbug - gerade am Höhepunkt ihrer Bedeutung als amerikanische Populärkultur - in weiten Teilen Europas offiziell als "entartet" diffamiert. Aber Jazz ließ sich nicht einfach abstellen. Es scheint fast als wären die amerikanische Kulturprodukte durch ihre Ächtung für junge Menschen noch anziehender geworden. Jedenfalls entwickelten sich in größeren deutschen Städten, aber auch im besetzten Frankreich oder im Gebiet des heutigen Tschechien Jugendsubkulturen, die im Hinblick auf die NS-Propaganda resistent blieben und ihre Haltung mit der demonstrativen Begeisterung für die anglo-amerikanische Musik- und Tanzkultur befestigten. In Wien hießen diese Jugendlichen Schlurfs. Die Schlurfs waren Teenager aus den Arbeiterbezirken, die in den Jahren des Zweiten Weltkriegs einen hedonistisch geprägten Dandy-Stil etablieren wollten. Durch diese Lebensart gerieten sie mehr und mehr in Opposition zum NS-Regime, das seinerseits besonders rigide Jugendschutzverordnungen erlassen hatte. Als Stil-Vorbilder dienten den männlichen Schlurfs amerikanische Jazz- Jugendkulturen wie z. B. die "Zoot-Suiters", die das Haar lang trugen, im Nacken zum "Ducktail" frisiert und dazu überlange Sakkos. Die Mädchen - die "Schlurfkatzen" bzw. die "Modepuppen" - gaben sich dazu so amerikanisch wie möglich. Die Schlurfs verweigerten sich weitgehend den NS-Jugendorganisationen und erklärten die Lokale im Prater quasi zu ihrem Hoheitsgebiet. Dabei scheuten sie auch wiederholte Raufhändel mit HJ-Angehörigen nicht, die dann in größeren Gruppen wiederum Jagd auf Schlurfs machten. Aber auch unter den verschiedenen "Platten" (Gangs der Schlurfs) gab es Revierkämpfe, die mit Springmessern und Schlagringen ausgetragen wurden. Gegen Kriegsende spitzte sich die Lage zu und kurz vor seinem Zusammenbruch verschärfte das Nazi-Regime seine Gangart: Im Herbst 1944 wurden Jugendliche in einer Tanzschule von der Gestapo aufgegriffen und in Lagerhaft verbracht. Tanzschulen waren typische Schlurf-Treffs. Trotz des generellen Tanzverbots blieben die "Lehreinrichtungen für Tanz" bis Kriegsende geöffnet und besonders bei den sogenannten "Perfektionen" am Wochenende konnten Schlurfs auf amerikanische Tanzmusik hoffen. Auf einer HJ-Arbeitstagung im Jahr 1942 wurde daraufhin diskutiert, wie man "Schlurfs und Modepuppen" von den Tanzschulen fernhalten könne. Die auf derselben Veranstaltung geforderte "Tanzschule der Hitlerjugend" gelangte aber nie zur Ausführung. Die Rauminstallation "Schlurfs in der Tanzschule Schwarzer Panther". ("Schwarzer Panther" ist der deutsche Titel der Jazznummer und Schlurf-Hymne "Tiger Rag") versucht mit Musik und Tanz an diese Wiener Jugendsubkultur der 1940er Jahre zu erinnern. Im fingierten Ambiente von damals tanzen "Schlurf" und "Schlurfkatz" den Lindy Hop und sind bereit interessierten BesucherInnen ein paar Grundschritte des Swing-Tanzes beizubringen. Und wer sich noch an die Schlurfs von Ottakring erinnern kann oder wer sonst Geschichten über die Schlurfs zu erzählen weiß, ist herzlich eingeladen, diese mitzuteilen.

Weitere Informationen:
http://www.sohoinottakring.at/de/2014/04/schlurfs/

Ich darf alle herzlich dazu einladen!

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/876867223/

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Soziale Arbeit in Sozialen Unternehmen als Bindeglied einer funktional differenzierten Gesellschaft – Die politische Aktivierungsprogrammatik als Leviathan der sozialen Sicherheit – von Joschka Sichelschmidt und Ino Cramer

Abstract: Gesellschaftliche Modernisierungsphänomene lassen den Bedarf an sozialen Hilfeleistungen ansteigen. Soziale Unternehmen, die eine intermediäre Stellung zwischen Subjekt(en) und Staatsform einnehmen und der Aufgabe nachgehen, soziale Risiken zu beseitigen oder zu mindern, bilden in der flexiblen und dynamischen Gesellschaft einen Ort … Continue reading

Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/6707

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Von den Mühen der Regionalisierung

 

Das Bildungswesen ist bekanntlich eine beliebte Spielwiese der Politik. “Bologna” und “G 8″ lauten die Chiffren für die beiden jüngsten großen Reformvorhaben; selten, vielleicht überhaupt noch nie in der deutschen Bildungsgeschichte sind derart ambitionierte und tiefgreifende Veränderungen so unvorbereitet und dilettantisch angegangen worden. Eine deutsche Spezialität stellt die Kultushoheit der Bundesländer dar. Sie hat im Laufe der Zeit dazu geführt, dass sich in Deutschland höchst unterschiedliche Schulsysteme entwickelt haben.

 

 

Regionalisierung im Schulbuch

Aber nicht nur die Strukturen, auch die inhaltlichen Vorgaben für den Unterricht unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland erheblich. Geschichte zählt zu jenen Fächern, in denen die Abweichungen zwischen den jeweiligen Curricula besonders gravierend sind. Schon seit den achtziger Jahren können deshalb die Schulbuchverlage nicht mehr in ganz Deutschland ein und dasselbe Buch verkaufen. Sie müssen „regionalisieren“, also spezielle Ausgaben für die einzelnen Bundesländer anbieten.1 Das ist nicht nur konzeptionell aufwändig, sondern auch ökonomisch schwierig, weil mit kleineren Auflagen kalkuliert werden muss. Eine Folge davon ist, dass für Bundesländer wie das Saarland oder Mecklenburg-Vorpommern kaum noch spezielle Bücher angeboten werden. Gewiss gibt es inhaltliche Unterschiede, die sinnvoll und nachvollziehbar sind, nämlich dann, wenn es tatsächlich um regionale Aspekte von Geschichte geht: Die “Römer am Rhein” sind für Rheinland-Pfalz bedeutsamer als für Brandenburg, umgekehrt steht es mit der slawischen Siedlungsgeschichte. Beim Thema Industrialisierung liegt in Nordrhein-Westfalen das Beispiel Krupp nahe, in Berlin eher Borsig. Davon abgesehen gibt es aber eine Vielzahl von unterschiedlichen Akzentuierungen, die eher beliebig anmuten und im Einzelfall vielleicht besonderen Interessen und Neigungen innerhalb von Lehrplankommissionen geschuldet sind.

Nützliche Standardisierung?

Neben die divergierenden inhaltlichen Vorgaben sind in jüngerer Zeit noch andere Abweichungen getreten. Alle neuen Curricula verstehen sich als kompetenzorientiert. Sie weisen Kompetenzmodelle mit einzelnen Kompetenzbereichen aus, wobei sie sich mal mehr, mal weniger auf geschichtsdidaktische Vorarbeiten beziehen. Ein zweiter Punkt sind die Operatoren. Ausgehend von den durch die KMK definierten EPA2 enthalten die meisten neueren Curricula auch für die Sekundarstufe I Listen von Operatoren, die den Lehrkräften zur Orientierung dienen sollen – und natürlich zugleich eine Vorgabe für die Verlage darstellen.3 Beides, Kompetenzorientierung und Operatorenvorgaben, ist prinzipiell eigentlich eine positive Entwicklung. Freilich fallen auch hier erhebliche Unterschiede zwischen den Ländern ins Auge. Sie führen dazu, dass Verlage Regionalisierungen jetzt nicht nur in Bezug auf Inhalte, sondern auch auf die Bezeichnung von Kompetenzen und die Verwendung von Operatoren vornehmen müssen. So finden wir beispielsweise im aktuellen Curriculumentwurf für das Gymnasium in Baden-Württemberg die Kompetenzbereiche Fragekompetenz, Methodenkompetenz, Orientierungskompetenz, Reflexionskompetenz und Sachkompetenz aufgeführt.4 Im niedersächsischen Entwurf gibt es zunächst eine übergeordnete narrative Kompetenz, darunter dann die Bereiche Sachkompetenz, Methodenkompetenz und Urteilskompetenz, ergänzt durch Fachwissen.5 In Rheinland-Pfalz sind vorgesehen Fachkompetenz, Methodenkompetenz, Kommunikationskompetenz und Urteilskompetenz.6

Babylonische Verhältnisse

Am ehesten Übereinstimmung gibt es bei der Methodenkompetenz, bei der es in allen Fällen gewissermaßen klassisch um den adäquaten Umgang mit Quellen und Darstellungen geht. Ansonsten finden sich nicht nur unterschiedliche Benennungen, sondern auch abweichende Beschreibungen der einzelnen Bereiche.Was in Baden-Württemberg unter die Fragekompetenz gehört, würde in Rheinland-Pfalz wohl zur Methodenkompetenz zählen. Was in Niedersachsen und in Rheinland-Pfalz eher knapp unter der Urteilskompetenz angedeutet wird, entfaltet das baden-württembergische Curriculum breiter unter Orientierungskompetenz. Ähnlich steht es mit der baden-württembergischen Reflexionskompetenz. Keine Entsprechung in den anderen Ländern hat die Kommunikationskompetenz aus Rheinland-Pfalz. Ähnliche Verwerfungen gibt es bei den Operatoren. Ein Vergleich zwischen Baden-Württemberg und Niedersachsen zeigt, dass zum Teil ganz unterschiedliche Operatoren vorgesehen sind: “Bezeichnen”, “schildern”, “skizzieren”, “gliedern”, “wiedergeben”, “zusammenfassen”, “untersuchen”, “nachweisen”, “gegenüberstellen”, “in Beziehung setzen”, “widerlegen”, “diskutieren” und “interpretieren” gibt es nur in Niedersachsen, dafür bietet Baden-Württemberg “erstellen” und “gestalten” an. Einige Operatoren werden unterschiedlichen Anforderungsbereichen zugeordnet: “Herausarbeiten” und “charakterisieren” gehören in Baden-Württemberg in AFB I, in Niedersachsen in AFB II. “Darstellen” ist in Niedersachsen übergreifend von AFB I bis III gedacht, in Baden-Württemberg steht es in AFB II.

Bildungspluralismus als Herausforderung

Nun mag man – insbesondere im Hinblick auf die Kompetenzmodelle – einwenden, dass es ja schließlich auch die Geschichtsdidaktik nicht geschafft hat, sich auf ein einheitliches Konzept zu verständigen. Warum sollte man dies dann von den LehrplanmacherInnen erwarten und verlangen? Dieser Einwand ist sicherlich berechtigt. Allerdings haben Curricula eine unmittelbare Regelungswirksamkeit – oder sollen sie zumindest haben. Deshalb gilt es auch sehr sorgfältig darüber nachzudenken, wie verständlich, akzeptabel, orientierend und handlungsleitend sie für Lehrkräfte sein können – und vielleicht eben auch für SchulbuchmacherInnen, die Dienstleistungen für Lehrkräfte erbringen sollen. Weniger Varianzen zwischen den Bundesländern wären dabei hilfreich und könnten zu einer intensiveren Verständigung über Ländergrenzen hinweg (etwa auch im Bereich der Lehrerbildung) beitragen. Zugestanden: Eine genauere Abstimmung untereinander ist nicht leicht zu bewerkstelligen – ein erster Schritt immerhin wäre eine systematische wechselseitige Kenntnisnahme, die im Moment noch gar nicht stattzufinden scheint.

 


Literatur

  • Bredol, Martin: Regionalisierung – Zauberformel oder Fluch? Die Entwicklung von Geschichtslehrwerken aus der Sicht eines Schulbuchverlages. In: Geschichte lernen H. 28 (1992), S. 4–7.
  • Landesinstitut für Schulentwicklung Baden-Württemberg: Geschichte Orientierungsstufe, Arbeitsfassung zur Erprobung, Stuttgart 2013 (online, zuletzt am 28.4.2014).

Externe Links

 



Abbildungsnachweis
© Marco Zerwas
Empfohlene Zitierweise
Sauer, Michael: Von den Mühen der Regionalisierung. In: Public History Weekly 2 (2014) 18, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2014-1990.
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