Am 21. August 1914 erreichten Freiburg frohe Neuigkeieiten von der Front: „Siegreiche Schlachten zwischen Metz und den Vogesen“, titelte die Freiburger Zeitung in einer Extraausgabe.
Titelbild der Freiburger Zeitung zum 21.8.1914.
„Deo gratias. Requiem aeternam donna eis Domine, eis den Tapferen, die solchen Sieg mit ihrem Herzblut erkauft haben. Jetzt ins Münster, um Gott zu danken“, kommentierte Mayer die Nachrichten. Mit diesen Worten der Freude enden im späten August 1914 vorläufig seine Aufzeichnungen der damaligen Geschehnisse. Erst im Zuge seiner Einberufung als freiwilliger Feldgeistlicher wird er Ende November wieder regelmäßig zur Feder greifen.
Das liegt sicher nicht am Mangel an Ereignissen. Für Freiburg und seine Bürger bedeutete das Ende des Sommers nicht das Ende einer aufregenden Zeit, sondern im Grunde erst deren Anfang.
Auf den großen Sieg bei Metz folgten Niederlagen, die für die Stadt eine reale Gefahrensituation erzeugte. Freiburg wurde zur Fronstadt, in der der Krieg allgegenwärtig erfahrbar wurde1 : durch die Einquartierung von Soldaten, den Verwundeten, die schon bald die Lazarette der Stadt überfüllten, und die „dumpfen Schläge […] des Kanonendonner[s] über den Rhein herüber“2 .
Gleichzeitig trennten sich die Wege der Bevölkerung. Die Soldaten der in Freiburg stationierten 29. Division zog es an die Front. Noch Anfang August kam es zu ersten Gefechten in den Vogesen, gegen Ende des Jahres wurde die Division dann in Flandern eingesetzt. Auch die 28. Division, der Mayer angehören würde, marschierte über Freiburg in den Krieg. Beide waren teil des 14. Armee-Korps, welches die badischen Truppen des Heeres umfasste. Alois Maier, der Divisionspriester der 28. Division und Mayers späterer Vorgesetzter, notierte die Ereignisse dieser Zeit, die bis November 1914 durch den Bewegungskrieg gekennzeichnet waren.3
„Am 2.8.: Kam ich in meiner Garnison Mülhausen i. Els. an, wohin mich ein Telegramm zurückrief, da ich in Schlesien im Urlaub war.
Vom 2.-5.8: Berichten und Abschiedsgottesdienste in Mülhausen i.E.
Am 6.8.: Meldung bei der 28. Division in Karlsruhe.
Vom 8.-15.8: Abtransport nach Freiburg, Marsch über Breisach und Ensisheim nach Mülhausen i.E. wo ich mit der großen Bagage am 11.8. anlangte. In den Lazaretten sehr viele Verwundete aus der Schlacht bei Mülhausen besucht.
Am 15.8.: Abtransport nach Ahrweiler.
Vom 16.-19.8: in Pfalzburg, wo ich die Lazarette besuchte und Beerdigungen vornahm.
Vom 20.-28.8: Vormarsch durch Lothringen über Cirey nach Baccarat. Ich war meistens bei dem 2. Sanitätstrup, um auf dessen Hauptverbandsplatz mich der Verwundeten annehmen zu können. Ich arbeitete auf den Hauptverbandsplätzen von Gunzweiler, Forsthaus Glasematten (Truppenhauptverbandsplatz), dem Schlachtfeld Hochwalsch, in Harzweiler, bei Forsthaus Hess. Besonders groß und aufregend war die Arbeit in Bertrichamp in der Nacht vom 26. zum 27.
Vom 28.8 bis 11.9. in Baccarat. Hier waren zum 1. Male Feldgottesdienste, zu dem bisher bei dem unaufhörlichen Vorrücken bei Tage und bei Nacht keine Gelegenheit war. Auch in der Kampffront bei Ménil ward Gottesdienst gehalten. Anfangs gab es für uns Divisionspfarrer auch sehr viel Arbeit in den Lazaretten, bis endlich die Lazarettpfarrer ankamen. Wiederholt habe ich beerdigt; wurde auch nachts zu Sterbenden geholt und hielt täglich Gottesdienst in der Kapelle der Kristallfabrik.
Am 11.9. Rückwärts bis Altville in Lothringen.
Vom 17.9. bis 20.9. Marsch über Remilly, Boin a/S, Borny nach Pagny.
Vom 21.-25.9. pastorierte ich von Pagny aus das Feldlazaret 12 in Vandières, den Verbandsplatz in Vilcey, s. Trey und Fey en Haye.
Vom 25.-30.9. in Thiaucourt. Hier und in Viéville Feldgottesdienste auf dem Hauptverbandsplatz in Viéville, zu dem wie bisher immer die Kirche und einige größere Häuser (Schule) verwandt wurden. Abtransport nach Nordfrankreich
Vom 3.-5.10. Fahrt von Metz über Namur bis Mons.
5.-10.10. Marsch über Boudé St. Amand, Orchies, Mons en Pévèle, Le-forest, Ostricourt, Bourrières, Harnes bis Loison (bei Lens). Hier blieben wir bis zum 12.10. Ich hielt mehrere Feldgottesdienste bei der Bagage und begab mich zu Pferd nach Hulluch, wo ich den Hauptverbandsplatz vorfand.
Vom 12.10.-21.10. Mit der Bagage zuerst drei Tage in Vendin le Vieil und dann vom 15/10 ab in Pont à Vendin einquartiert besuchte ich täglich den Hauptverbandsplatz der zuerst in Huluch, dann in Vendin sich befand und hielt oft Begräbnisse. Vor allem konnte ich für alle Truppen wieder regelmäßig Gottesdienst halten und beichten ansetzen. Die Gottesdienste fanden statt in der noch erhaltenen Kirche oder im Freien, in Pont à Vendin, Veudin le Vieil (alle Tage), Hulluch, Wingles, je einmal in Bouvin und Meurdin. Am 29.10 bereitete ich einen Soldaten auf den Tod vor, der wegen Mordes erschossen wurde.
Vom 21.-30.11. Die Division wurde verlegt und ich in der neuen Stellung im D. St. Quartier in Billy Montigny untergebracht. Hier, in Sallaumines und Lens hielt ich Gottesdienst und besuchte den Hauptverbandsplatz und das Feldlazarett in Lens. Die vielen Verwundeten in Lens bewogen mich, bald mich vom Stabe zu trennen und nach Lens überzusiedeln.“
Für die Daheimgebliebenen begann vor allem eine Zeit der Ungewissheit, um die Angehörigen an der Front, aber auch um die eigene Zukunft. „[D]ie Menschen waren voll innerer Unruhe“, berichtet Schofer4, schlimme Gerüchte über eine Gefährdung der Stadt schürten diese Nervosität:
„Gestern im Laufe des Tages verbreitete sich das Gerücht: Belfort sei erstürmt. Von anderer Seite hieß es: vier Zeppeline seien zugrunde gerichtet worden. Beides war natürlich ganz aus der Luft gegriffen. Neulich hörte ich bei Schermers, ein Augenzeuge habe berichtet, die Brücke zwischen Alt- und Neu-Breisach sei gesprengt worden, ein Hauptmann und sieben Mann seien tot am Brückenkopf gelegen – demnach hätten die Franzosen also schon die Festung Neu-Breisach haben müssen. Hinter stellte sich heraus, daß es sich um eine kleine Brücke bei Mülhausen gehandelt hätte.“5
Mit den ersten Verwundeten kam auch das Elend des Krieges in die Stadt, „ein erschütternder Anblick“, wie Charlotte Herder ihrem Tagebuch anvertraute.6
Auch das Umfeld des Freiburger Ordinariats erlebte die erste Phase des Krieges. Zwar war der Großteil des Klerus vom Dienst an der Waffe ausgenommen, vor allem die Theologiestudenten des Konvikts hatten aber zu dienen. Außerdem waren die hauptamtlichen Militärgeistlichen bei Ihren Divisionen an der Front, so der oben zitierte Alois Maier. Diese Priester erlebten den Krieg als Angehörige des Militärs von Anfang an.7
Für die regulären Diözesanpriester wie Fridolin Mayer begann Ende August zunächst eine Zeit des Wartens. „Auf den Trubel der Mobilmachungstage folgte Ruhe“, notiert Josef Schofer in seinen Erinnerungen.8
Diese Ruhe führte aber keineswegs zur Untätigkeit. Gerade im Umfeld von Konvikt und Missionsinstitut hatten viele, vor allem junge Priester, ähnliche Gedanken wie Schofer: „Ich hatte nur einen Wunsch: Bald fort zu kommen und den Soldaten Seelsorger sein zu können.“9
Schnell zeichnete es sich ab, dass sich dieser Wunsch bald erfüllen würde. Da die Zahl der regulären Militärgeistlichen auf eine Pastoration in Friedenszeiten ausgelegt war, stellte sie sich für die Realität des Krieges als hoffnungslos zu klein heraus. Daher wurden freiwillige Feldgeistliche aus den Diözesen gesucht, was auf großen Zuspruch stieß: „Um zur dringlichen, von hoher Kirchenbehörde gewünschten Hebung der bisher mangelhaften Feldseelsorge nach Kräften mitzuwirken, hat der gehorsamst Unterzeichnete sich dem H. H. Armeebischof für die Dauer des Krieges zur Verfügung gestellt […].“10
Ende November – der Bewegungskrieg war mittlerweile zum Stellungskrieg erstarrt -, rückten etwa 20 Diözesanpriester, darunter Fridolin Mayer, zu den Divisionen des 14. AK ins Feld ein.
Die Ereignisse bis zu diesem Zeitpunkt sowie die Vorbereitungen dieser Geistlichen sind durch einen Bericht von Dr. Josef Schofer bezeugt, der in den kommenden Wochen in loser Folge zusammen mit kleineren Quellen publiziert wird. Ab dem 30. November erscheinen dann täglich Mayers größere Berichte aus seiner Tätigkeit in Frankreich.
- vgl. hierzu Roger Chickering: Freiburg im Ersten Weltkrieg. Totaler Krieg und städtischer Alltag 1914-1918. Paderborn 2009.
- Josef Schofer: Ein Friedenswerk im Völkerringen. In: St. Konradsblatt Jg. 14 (1930), Nr. 7, S. 81–82, hier S. 81.
- Bericht des Divisionspfarrers Alois Maier vom 7. April 1916 in Karlsruhe, GLA 546 F 11 Nr. 370
- Vgl. Anm. 2
- Charlotte Herder: Mein Kriegstagebuch. Freiburg 1955, S. 15.
- Ebd., S. 18
- Vgl. zur Kriegsseelsorge Hans-Josef Wollasch: Militärseelsorge im Ersten Weltkrieg: das Kriegstagebuch des katholischen Feldgeistlichen Benedict Kreutz. Mainz 1987.
- Vgl. Anm. 2
- Vgl. Josef Schofer: Ein Friedenswerk im Völkerringen. In: St. Konradsblatt Jg. 14 (1930), Nr. 10, S. 126.
- Mayers Schreiben vom 23. Oktober 1914 an das Erzbischöfliche Ordinariat EAF B2-35/5, Vorgang 12075.
Quelle: http://tagebuch.hypotheses.org/489