Fünf Fragen an… Élodie Lecuppre-Desjardin (Lille III)

Élodie Lecuppre-Desjardin im Studenteninterview

Élodie Lecuppre-Desjardin im Studenteninterview (Foto: T. Hiltmann)

Frau Lecuppre-Desjardin, herzlichen Dank, dass Sie sich im Rahmen dieser Veranstaltungsreihe Zeit für ein Interview nehmen. Wir würden Ihnen gerne einige mehr oder weniger persönliche Fragen bezüglich ihrer Erfahrungen als in Frankreich arbeitende Historikerin sowie zum Inhalt Ihrer Präsentation stellen.

Viele französische Absolventen der Geisteswissenschaften gehen nach dem Studium in den Schuldienst. Warum haben Sie sich für eine akademische Laufbahn entschieden?

Zunächst einmal schätze ich mich sehr glücklich, Beruf und Leidenschaft miteinander vereinen zu können. Ich kann mir jedoch auch Forschung nicht ohne Lehre vorstellen. Es wäre egoistisch, sich mit seiner wissenschaftlichen Arbeit zu isolieren und aus dem Erkenntnisgewinn nur eine persönliche Befriedigung zu ziehen. Der wichtigste Aspekt meines Berufs ist wohl die intellektuelle Herausforderung. Ich bin von Natur aus neugierig und als Historikerin vor allem fasziniert von der facettenreichen Gesellschaft des 14. und 15. Jahrhunderts, die oft als Übergangsgesellschaft verstanden wird. Vielleicht auch, weil ich zu den Menschen des ausgehenden Mittelalters eine professionelle Distanz habe. Zu dieser intellektuellen Herausforderung gehört aber auch der Austausch mit Studierenden, der mir für meine Forschung neue Perspektiven eröffnet. Es liegt in der Natur wissenschaftlicher Arbeit, sich in Details zu vertiefen. Erst die Konfrontation mit meinen Studenten zwingt mich, meine Ergebnisse auf verständliche Weise zu vermitteln. Auch wenn es sich paradox anhört, hilft mir dieser Vereinfachungsprozess persönlich weiter. Die Lehre ist mir also besonders wichtig. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Letztendlich habe ich mich ganz einfach aus meiner Leidenschaft für Geschichte für eine wissenschaftliche Karriere entschieden.

Sie sind Maître de conférences für mittelalterliche Geschichte in Lille. Lässt sich die Arbeit als Forscherin mit sehr hoher Lehrverpflichtung mit Privat- und Familienleben vereinbaren?

In Frankreich hat man als Maître de conférences sehr viel Sicherheit und auch Freiheit, da man verbeamtet ist und keiner direkten Kontrolle unterliegt. Trotzdem investiere ich extrem viel Zeit in die Erneuerung und Verbesserung meiner Lehrveranstaltungen. Zudem hat man als Wissenschaftlerin nie wirklich Feierabend, es gibt immer ein neues Werk oder einen wissenschaftlichen Artikel zu lesen. Man hört ja nie mit dem Denken auf. Ich habe das Glück, mit einem Mediävisten verheiratet zu sein, der das Wesen meiner Arbeit kennt und versteht. Wir haben zwei kleine Kinder und wenn ich um 17 Uhr nach Hause komme, bin ich bis abends natürlich ausschließlich für sie da, ab 21 Uhr sitze ich aber wieder am Schreibtisch. Hätte mein Mann nicht zufällig den gleichen Beruf und das damit verbundene Verständnis für meine Forschung, wäre das alles sicher unmöglich.

Wie sind Sie zu Ihrem Forschungsthema gekommen? Worauf beruht Ihre Faszination für Burgund?

Für mich ist Burgund ein interessantes „Labor“ politischer Erfahrungen, die Konzentration aller politischen Spielräume und Möglichkeiten der Menschen des 15. Jahrhunderts. Die Geschichte der Herzöge von Burgund zeigt, wie ich in meinem Vortrag erläutert habe, wie angreifbar die Idee des modernen Staates in Bezug auf das Mittelalter ist. An Burgund kann man das Durchspielen ganz verschiedener Modelle beobachten – das französischen Modell, das imperiale, das Modell des italienischen Stadtstaates und so weiter. Das Faszinierendste an Burgund sind für mich die vielen Brüche und Widersprüche und die Kultur, in der die politischen Kommunikation eine zentrale Rolle spielt. Anhand dieses einen Untersuchungsgegenstandes kann man den Machtapparat einer ganzen Epoche verstehen und nachvollziehen, wie Hof, Stadt oder auch Justiz in dieser Zeit funktionierten. Nicht zuletzt lässt sich die Problematik des Falls Burgund auch auf die heutige Zeit übertragen: Das Beispiel der EU zeigt, wie es Jürgen Habermas kürzlich angesprochen hat, wie schwierig vor dem Hintergrund der verschiedenen Sprachen, Kulturen und Geschichten noch immer die Konstruktion eines überregionalen Staatsgebildes ist.

Ziel Ihres Projektes ist die Habilitation. Welche Besonderheiten gibt es beim französischen Habilitationsprozess im Unterschied zum deutschen? In Frankreich bleibt man ja während seiner gesamten akademischen Karriere mehr oder weniger beim gleichen Thema. Das ist im deutschen Hochschulsystem ja nicht der Fall.

Voraussetzung für die französische Habilitation ist wie für die deutsche erst einmal die Promotion. In Frankreich muss man für die Habilitation dann aber insgesamt drei Werke präsentieren: eine Sammlung aufeinander aufbauender wissenschaftlicher Artikel, ein neuartiges Forschungsprojekt und zuletzt eine so genannte Égo-histoire, bei der man auf etwa hundert Seiten erläutert, wie und warum man Geschichte schreibt, was man unter Geschichtswissenschaft versteht und wie man sich seinen zukünftigen Beruf vorstellt. Eine Art Karriereplan also. Ich selbst forsche ja am Beispiel Burgunds vor allem zur politischen Kommunikation. Es machte Sinn, nach meiner Dissertation mit diesem Thema und im selben Stil weiterzuarbeiten. Es stimmt nämlich, dass man in Frankreich bei seinem thematischen Schwerpunkt bleibt, denn wenn man sich einmal für Wirtschaftsgeschichte, Kulturgeschichte oder Rechtsgeschichte entschieden hat, ist es schwierig, das noch einmal zu ändern. Trotzdem gibt es genug Abwechslung. So beschäftige ich mich ja am Beispiel Burgund zugleich mit urbaner Geschichte und der Geschichte von Staatlichkeit.

Können Sie abschließend erklären, warum die Idee des Staates in der französischen Mediävistik eine so große Rolle spielt?

Historiker erforschen ja immer auch ihre eigenen Wurzeln. In Frankreich hat das Nachdenken über den Zusammenhang zwischen Staat, Land, Nation und Region eine lange Tradition. Bei meiner Habilitation habe ich oft einen Satz zu Ende geschrieben und dann gedacht: „Nein, das geht nicht. Das ist zu teleologisch, zu französisch.“ Als französische Forscherin ist es besonders schwer, sich von dieser Denktradition der starken Staatsidee zu lösen. Dabei beschäftige ich mich ja auch mit Vergleichender Geschichte, bei der es außerordentlich wichtig ist, sein Untersuchungsobjekt kritisch zu reflektieren. Ebendiese Reflexion hilft dabei, sich vor Enthusiasmus, vor jeder überhöhten Emotionalität gegenüber seinem Untersuchungsgegenstand schützen.

Frau Lecuppre-Desjardin, wir bedanken uns für das Gespräch. 

Gespräch und Redaktion: Helena Kaschel
Unter Mitwirkung von Laura-Marie Krampe, Yannis Krone, Jan Pieper, Jörg Schlarb und Simon Siegemeyer.

Das Interview entstand im Rahmen der Lehrveranstaltung “Einführung in die französischsprachige Geschichtsforschung – aktuelle Tendenzen (Lektüre, Übersetzung, Diskussion mit französischen Gästen)”, welche die Vortragsreihe begleitet.

Informationen zu Élodie Lecuppre-Desjardin: hier
zur deutschsprachigen Zusammenfassung des Vortrags: hier

Quelle: http://jeunegen.hypotheses.org/840

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„Im Vordergrund stehen die Forschungsinteressen.“ DFG-Präsident Peter Strohschneider zu den neuen Fach­informationsdiensten im deutschen Bibliothekswesen

http://www.boersenblatt.net/625414 Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat ein neues Konzept zur Förderung von Sondersammelgebieten in Bibliotheken beschlossen, das der Beschaffung digitaler Medien den Vorzug geben soll – die sogenannte e-only-policy. Das hat vor allem bei Verlegern sozial- und geisteswissenschaftlicher Fachliteratur Unruhe hervorgerufen. Boersenblatt.net hat den neuen Präsidenten der DFG, Peter Strohschneider, dazu befragt. Via http://www.ub.uni-dortmund.de/listen/inetbib/msg50699.html

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2013/06/4511/

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Theorie der Anerkennung als kritische Theorie der Gesellschaft? – Ein Interview mit Axel Honneth (Teil 1)

Das Gespräch mit Prof. Dr. Axel Honneth (Institut für Sozialforschung Frankfurt/Main) wurde von Nico Bobka und Sina Knoll für das Soziologiemagazin am 21. August 2012 in Frankfurt geführt. Im folgenden der 1. Teil: Soziologiemagazin: Prof. Honneth, Sie erheben den Anspruch, … Weiterlesen

Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/4000

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Fakten mit Fiktionen – Ein Gespräch über historische Romane

Wie kommt man eigentlich dazu, historische Romane zu schreiben? Mit welchen Problemen ist man konfrontiert? Und welche Chancen bietet dieses Genre? Notizen zu einem Gespräch mit Sarah Rubal, die einfach ein paar Romane geschrieben hat.

„Das ist ein Tabubruch“, sagt Sarah Rubal.
„Historiker schreiben keine Romane und schon gar keine Liebesgeschichten zwischen Indianern und Deutschen“.

Das sagt sie, weil sie es längst besser weiß. Drei Romane hat die Ethnologin bislang geschrieben. Und zwei Kinderbücher. Sarah Rubal hat eine Leidenschaft für das Schreiben entwickelt. Daneben hält sie diese Arbeit politisch für wichtig. Sie will eingreifen, ihr Wissen und ihre Fragen über Romane vermitteln.

Gesucht: Ideen für eine andere Welt

HK Causeway Bay Hysan Place at Lee Gardens Eslite Bookstore interior Visitors books Aug-2012

Man muss ja nur in eine x-beliebige Buchhandlung gehen, um die Bedeutung historischer Romane in der Alltagskultur zu begreifen. Tanja Kinkel, Ken Follet oder der „Cyberpunker“ Neal Stephenson mit seinem Barock-Zyklus prägen heute ganz maßgeblich Geschichtsbilder. In Millionenauflage. Jeden Tag. Im Urlaub. In der Straßenbahn. Egal, ob als klassisches Buch oder im Kindle. Auch in Kino und Fernsehen finden Die Säulen der Erde, Die Wanderhure oder Luther ihr Publikum.

Mag sein, dass aktuell die mental vom Neoliberalismus und Postmodernismus Zugerichteten im historischen Roman nach etwas suchen, das in Politik und Kultur nicht geboten wird.  Neu ist das Phänomen jedenfalls nicht.

Schon im 19. Jahrhundert faszinierten Leute wie Sir Walter Scott, William Harrison Ainsworth, Leo Tolstoi oder Charles Dickens ihre Leserinnen und Leser. Der historische Roman war der treue Wegbegleiter der neuen bürgerlichen Gesellschaft. Und er verdankte seine Popularität dem Aufblühen der historischen Wissenschaften.

Dann, im 20. Jahrhundert, entwickelte sich der historische Roman als Kunstform weiter. Auch linkspolitisch engagierte Autoren experimentierten mit den Möglichkeiten des Genres. Dafür stehen wieder große Namen wie Ricarda Huch, Lion Feuchtwanger, Alfred Döblin, Alfred Andersch, Peter Weiss oder Uwe Timm.

Trotz dieser langen Tradition gibt es bis heute keine genaue Definition, was einen historischen Roman eigentlich ausmacht, außer dass er historisch authentische Personen und Vorfälle behandelt oder zumindest in einem historisch beglaubigten Umfeld spielt und auf einem bestimmten Geschichtsbild beruht. (Vgl. Metzler, 201)

Man kann historische Romane entsprechend ihrem Selbstverständnis in einer einfachen Matrix kategorisieren:

  • Der Roman will nur unterhalten oder er will über die Unterhaltung die eigene Gesellschaft verändern. (X-Achse)
  • Er ignoriert weitgehend die historischen Fakten um sich auf die Komposition des Geschichtsbildes zu konzentrieren oder er lässt sich stark vom historischen Stoff leiten. (Y-Achse)

Historische Romane sind attraktiv, weil sie immer alternative gesellschaftliche Verhältnisse behandeln. Und auch, wie diese zustande kommen. Der historische Roman antwortet auf die kollektive Erfahrung gesellschaftlicher Veränderung und fragt nach Perspektiven. Und so liefern viele Romane, was die heutigen historischen Wissenschaften in der Tendenz nicht mehr liefern können oder wollen: Ansätze für eine andere Welt.

Die Faszination am historischen Roman ist der Versuch, das was Ernst Bloch als „Noch-Nicht-Sein“ als „Noch-Nicht-Haben“ bezeichnet, bildlich zu fassen. Aber wie macht man das, ohne in die Fallen der Romantik zu tappen?

Nun, den Historikerinnen und Historikern ist das erst einmal egal. Sie ziehen sich sicherheitshalber zurück, greifen nicht ein und nehmen dafür in Kauf, dass die jahrelange Arbeit in Archiven nur für einen kleinen Expertenkreis fruchtbar gemacht wird. Man stellt aber auch keine popularisierbaren, nicht-fiktiven Arbeiten daneben. Historikerinnen und Historiker in Deutschland fühlen sich einfach nicht gemeint. „Nicht mein Feld“. „Keine Zeit“. Möglicherweise fürchten viele die Konsequenzen für die eigene Karriere. Oder die großen Namen des Genres schrecken ab. Über die Ursache werden sich Sarah und ich in unserem Gespräch nicht einig.

Sarah Rubal stört, dass hier kampflos ein Feld überlassen wird.

Wenn nicht Historikerinnen und Historiker schreiben, dann machen es Leute, die keine Ahnung haben. Viele historische Romane, die zum Beispiel Inquisitionen und Hexenverfolgungen zum Thema haben, sprechen ein breites Publikum an, lassen aber bei der historischen Genauigkeit oft zu wünschen übrig. Das ist schade, denn Historiker haben hier die Chance, als Berater und Experten zu wirken. Leider habe ich im Zusammenhang mit dem bei Autoren besonders beliebten Hexenthema schon erlebt, wie mit entsprechenden Anfragen auf Historikerseite umgegangen wird – Verachtung kübelweise, um einen bekannten Kolumnisten zu zitieren. Warum eigentlich? Was ist falsch daran, diesen Weg zu wählen – das Interesse an historischen Themen ist doch offensichtlich da, es mangelt an der Vermittlung, und die gehört auch zur Aufgabe von Historikern – nicht nur in Museen, sondern da, wo Menschen etwas mit Geschichte anfangen können, nämlich als Teil von Geschichten.

Die Gefahr ist ja auch nicht, dass auch Laien schreiben, sondern dass die produzierten Geschichtsbilder kein Korrektiv erfahren und undiskutiert bleiben.

Der Weg zum ersten Buch

So ist das also. Man sollte meinen, wer die Welt der Wissenschaft verlässt um historische Romane zu schreiben, bekommt von der Zunft wenigstens ordentlich Rückenwind. Doch ganz im Gegenteil. Mut und Selbstbewusstsein ist gefragt. Gerade von Frauen. Denn die Fachkollegen nehmen einen nicht mehr für voll. Dabei ist das Schreiben historischer Romane nicht die einfachere, sondern die wesentlich anspruchsvollere Aufgabe. Man schreibt ohne die scheinbare Sicherheit der Fußnote. Schreibt über menschliche Motivationen, die schwer greifbar oder belegbar sind. Man braucht die Fähigkeit, Texte zu schreiben, die im besten Sinne unterhaltsam sind. Und wer kann das?

Man kann es lernen. Nach und nach.
Das wichtigste ist, einfach anzufangen.

Und historische Romane schreiben ist eine Zeitfrage. Das wird im Gespräch sehr schnell klar. Wie sie das macht, will ich von Sarah wissen. Schließlich hat die promovierende Ethnologin noch drei Kinder großzuziehen, hat einen Job, und sie bloggt ab und zu für Die Freiheitsliebe.

Ihr Weg dahin war lang, sagt sie. Das Schreiben war für sie erst eine ablenkende Beschäftigung, bei der sie sich eine neue Schreib- und Sichtweise aneignen musste. Zuvor war sie in marxistischen Debatten und in der der politisch-wissenschaftlichen Text-Welt zu Hause. Und jetzt ging es um Plots, Stories, Detail-Szenen. Und so dauerte es ganze zwei Jahre, bis das erste Buch fertig war.

Wenn man sich aber einmal hineinbegeben hat, dann schreibt es sich von selbst, weil du drin bist. In der Straßenbahn fällt dir ein, wie die Geschichte gebaut sein muss, wie sie weitergeht.

Hilfreich ist dann ein Verlag, der ein Verkaufsinteresse hat und einem Abgabetermine setzt. Sarah Rubal hatte Glück mit einem engagierten Verlag (Persimplex), der ihr Buch sogar als E-Book herausbringt.

Perspektivenwechsel

Hinter jeder Leidenschaft steckt immer auch eine Mission. Sarah Rubals Thema sind die Indianer Nordamerikas. Ich denke sofort an Karl May und an James Fenimore Coopers Der letzte Mohikaner.

In einem Seminar stieß sie auf eine Quelle, die über zwei deutsche Mädchen im 18. Jahrhundert berichtet. Lenapé-Indianer (Delaware) hatten ihre Siedlung angegriffen, die Verwandtschaft getötet und die Mädchen verschleppt. Die Mädchen wurden zwangsweise Teil des Indianerstamms.

Ausgehend von dieser Quelle entwickelte Sarah Rubal die beiden Protagonistinnen Marie und Barbara und erzählte in ihrem ersten Buch Trommeln am Fluss (2009) die Geschichte Nordamerikas aus dem Blickwinkel der beiden Mädchen.

So bricht im Jahr 1755 der Siebenjährige Krieg zwischen England und Frankreich aus, der sich nicht zuletzt in den Kolonialgebieten der beiden europäischen Nationen abspielt. Die Indianer sind in der globalen Auseinandersetzung zwischen England und Frankreich keine Opfer, sondern Akteure: das Zünglein an der Waage.

Marie und Barbara sind hier mitten drin, sowohl in den Kämpfen zwischen den Kolonialmächten und den jeweils verbündeten Indianerstämmen als auch zwischen den beiden aufeinandertreffenden Kulturen. Insofern wird ihre Geschichte erzählt, oder genauer ihre Geschichte und die ihres unmittelbaren Umfeldes. Ein Benjamin Franklin wird nur eingespielt, wenn eine zusätzliche Perspektive für den Hintergrund benötigt wird. Auch die Lenapé-Indianer selbst stehen nicht im Zentrum.

Kevin Myers, GNU-GPL via Wikimedia Commons

Kevin Myers, GNU-GPL via Wikimedia Commons

Im zweiten Buch Brennende Ufer (2011) beschreibt sie den großen Aufstand unter Führung des Ottawa-Häuptlings Pontiac in den Jahren 1763 bis 1766. Auch hier nutzt sie zwei Mädchenfiguren, Marianne und Regina, um den Aufstand und anschließende die historische Niederlage der Indianerstämme darzustellen.

Das schafft eine gewisse Distanz zu den eigentlichen Themen.

Geschlechterverhältnisse

Carle Vanloo Kopf einer jungen FrauDenn die Mädchen sehen sich nach einer gewissen Zeit nicht als entführte Opfer. Historisch belegt ist, dass viele der entführten Mädchen nicht mehr in ihre alte Welt zurück wollten. Wenn es zu Rückgabedeals zwischen Indianern und Siedlern kam, weigerten sich viele. Eins der Mädchen floh und kehrte zu den Indianern zurück.

Nun gab es in ihrer alten Welt oft niemanden mehr, zu dem sie hätten zurückkehren können. Sie hatten sich mit ihrer neuen Situation arrangiert, waren verheiratet, heimisch und existenziell gesichert. Aber Sarah Rubal hebt heraus, dass die Frauen in den Stämmen der Delaware-Indianer eine wesentlich bessere soziale Stellung hatten, als in ihrem alten Zuhause.

Auch wenn man nicht davon sprechen kann, dass Frauen dort nach unserem Verständnis gleichberechtigt waren, so hatten sie doch ihre eigenen Räume, Einfluss auf politische Entscheidungen. Sie genossen Respekt und Achtung. Überhaupt ist diese Gesellschaft so ganz anders. Wesentlich gewaltfreier nach innen. Eine Gesellschaft ohne bürgerlichen Staat, ohne Polizei und Gefängnisse. Die trotzdem funktionierte.

In den Siedlergemeinschaften herrschte dagegen sexuelle Gewalt, eine unerträgliche Heuchelei und Rassismus. So durfte man durfte bei der Rückkehr von einem Indianerstamm kein Verhältnis mit Indianern gehabt haben, während umgekehrt der sexuelle Missbrauch indianischer Mädchen durch Weiße Gang und Gäbe war. Der Stoff legt nahe, die Geschlechterverhältnisse zum Thema zu machen, die sich in den Indianerstämmen ganz anders gestalteten als in den religiös-autoritären Siedlergemeinschaften.

Ob sie hier eine Utopie aufzeigt, will ich wissen. Der utopische Aspekt spiele sicher eine Rolle. Aber im Wesentlichen soll die soziale und kulturelle Phantasie angeregt werden. „Dort herrschte ein ganz anderes Verständnis von ‘eigen’ und ‘fremd’“.

Fiktion und Realität

Siege of Fort Detroit

Wie Sarah mit der Fiktion und der Realität umgeht, will ich wissen.

Hier den richtigen Umgang zu finden, sei ihr sehr schwer gefallen, sagt sie. Und ich denke mir, vielleicht ist genau die Balance des Verhältnisses von Fiktion und historischer Realität die Aufgabe eines historischen Romans.

Sarah Rubal muss und will ihre Figuren interpretieren. Sie weiß, dass ein Mädchen, über das sie schreibt, sehr offen war. Die andere klammerte sich stärker an den Glauben und versuchte mit Gebeten ihre Situation zu meistern. Das konnte man zumindest Beschreibungen in einem evangelischen Kalender entnehmen.

Im Fall der Indianer geht es ihr darum, aus ihnen überhaupt erst einmal Persönlichkeiten zu machen. Der Anachronismus habe sie geärgert. Die von ihr beschriebenen Indianer waren natürlich nicht die „blutrünstigen Wilden“, geschichtslose Völker oder einfach die „Guten“ und Besseren. Sie haben ihre eigene Geschichte. Sie dachten und planten politisch, gestalteten ihr eigenes Sozialsystem, arbeiteten an ihrer Kultur. Und sie sind im Fall des Konflikts mit den Siedlern durch ihre Gewalterfahrung selbst getrieben und traumatisiert.

Es gehe darum, ihnen eine Stimme zu verleihen, die Indianerstämme im besten Sinne verständlich zu machen. Aber alles bleibt natürlich, wie jede Arbeit, eine Interpretation, die jedoch möglichst plausibel und belegbar sein muss.

„Schon deshalb fordern historische Romane vor allem Recherche und einen kritischen Umgang mit den Quellen“, sagt Rubal. Die Alltagsgeschichte ist am schwersten zu recherchieren. Hatten die Häuser in Philadelphia schon Glasscheiben? Wer kann überhaupt noch sagen, wie man vor 200 Jahren „gelebt“ hat? Und natürlich stößt auch Sarah Rubal auf das Problem, dass sie auf Missionarsquellen angewiesen ist, die die Welt häufig aus einer verqueren, christlich-reaktionären und paternalistisch-rassistischen Sicht heraus darstellen.

Bei der Suche nach der historischen Wahrheit, spielen dann die kritischen Leser eine nicht unwesentliche Rolle. Für ihr erstes Buch gab es auf Amazon viel Lob. Aber auch den Einwand eines Fachmanns, dass sie bei den Delawaren dieses und jenes nicht korrekt dargestellt habe. Über die Kritik ist sie an einen indianischen Sprachwissenschaftler geraten. Dieser verschaffte ihr die Möglichkeit, für das zweite Buch noch genauer zu arbeiten. Und man merkt es dem Buch auch an, wenn wie nebenbei indianische Begriffe in die Geschichte eingeflochten und erklärt werden.
Übrigens ein sehr gutes Beispiel, wie über das Web vermittelt Autoren und Leserschaft zusammenarbeiten können.

Plot und Figuren

Das zeigt aber auch, dass bei aller künstlerischen Freiheit der historische Roman der Autorin enge Grenzen setzt, je mehr sie die Nähe zu den historischen Fakten sucht. Das betrifft die authentischen Figuren, wie Häuptling Pontiac. Das betrifft dann aber auch den Plot, der von den Quellen vorgegeben wird. „Du kannst das dann so bauen, dass  du mit der Entführung einsteigst und dann kommen sie nach Philadelphia zurück“.

Es kommt also auf die Schnitte an.
Wie in Spielfilmen.

Für Rubal steht im Mittelpunkt beim Leser ein Verständnis zu wecken, wo einen das Schicksal so hintreiben kann. „Jeder Zustand ist immer nur eine Momentaufnahme.“ Geschichte zerfällt in Bilder, nicht in Geschichten, schießt es mir durch den Kopf. Eine Formulierung von Walter Benjamin. (GS V.1, 596)

„Wie wichtig ist es, das Geschichte als Ergebnis von Handlungen darzustellen?“, frag ich. Sarah meint, der Plot ist offen und die Geschichte gelungen, wenn sie zumindest schon einmal mehr Fragen als Antworten hinterlässt. Sie sollte neugierig machen, um sich mit der wirklichen Geschichte zu beschäftigen. Klingt gut.

Die Geschichte war an sich offen, aber was hat einen anderen Ausgang blockiert? Welche Ideen drängen noch immer zu Verwirklichung und warum? Wären das Fragen, die ein historischer Roman hinterlassen sollte? Oder ist das schon wieder zu didaktisch?

Es gibt wahrscheinlich nicht „die“ Antwort, wie man einen historischen Roman schreibt. Peter Weiss geht es etwa um die Vermittlung von Wissen und Fragestellungen des antifaschistischen Widerstands. Der Plot ist eigentlich völlig nebensächlich. Umberto Eco hingegen stellt den Plot in den Vordergrund. Der fiktive Krimi nutzt den sehr genau dargestellten historischen Hintergrund als Kulisse.

Raum für emotionale Intelligenz

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Einfach anfangen. Einfach!
Sarah Rubal schreibt in einer verständlichen und klaren Sprache. Das ist das eine. Und die einzelnen inhaltlichen Blöcke fügen sich weitgehend nahtlos ineinander. Das ist das andere. Diese scheinbare Einfachheit ist in Wahrheit Sarah Rubals Stärke. Das sieht man, wenn man andere historische Romane von Leuten mit großen Namen danebenlegt. Ganz natürlich werden hier Hintergründe in die Story eingewoben. Zu keinem Zeitpunkt fühlt man sich geschulmeistert oder wird manipuliert. Da kann man sich einiges abschauen.

Der historische Roman kann an einer Stelle mehr als die klassische und vor allem wissenschaftliche Geschichtsschreibung. „Man kann in einem Roman jemanden ablehnen und dann wieder mögen. Emotionalität ist möglich!“ Es ist Raum für die Vermittlung der ganzen Bandbreite von Erfahrungen. Die Alltagsgeschichte, die historische Anthropologie, aber auch ein E. P. Thompson haben die Geschichtswissenschaft in diese Richtung geöffnet. So kann man in dem Sammelband Alltag, Erfahrung, Eigensinn: Historisch-anthropologische Erkundungen lesen:

Erfahrung. Dieses Verständnis von Aneignung der Welt als soziale wie individuelle Praxis, als Wahrnehmungs- wie Handlungsweise gegenüber anderen Menschen wie Dingen konturiert in spezifischer Weise den Begriff der Erfahrung. Erfahrung, […], bildet demnach keine lediglich psychologische oder epistemologische Kategorie, sondern besitzt vor allem eine praktische, insbesondere: alltagspraktische, nicht zuletzt sinnliche, körperliche Dimension. (13)

Sarah lacht mich an „Man geht mit Mokasins anders durch die Welt“. Das fühlt sich nicht nur anders an. Das prägt auch. So sehr wir auch darauf aus sind, dass die Welt rational verstanden wird, so lernt doch auch unsere emotionale Seite auch immer mit.
Eine andere Welt wird nur möglich, wenn die Alternativen nicht nur rational sondern auch emotional verstanden werden. Wir können sehr gute Analysen und popularisierbare Geschichtsbücher schreiben. Doch nur der Roman erlaubt die Darstellung einer Lebenswelt. Man braucht beides.

Wie man die Distanzierung wieder hinkriegt und das kritische Weiterdenken unterstützen kann? Dazu gibt es zahlreiche Ansätze. Uwe Timm montiert in seinem Roman Morenga Originalquellen in den Text. Das ist äußerst geschickt, auch wenn man sich manchmal fragt, ob die Quellen auch echt sind, weil die Quellenverweise fehlen. Sarah Rubal hat sich dafür entschieden, möglichst viele Perspektiven einzufangen. Jeder hat seinen Weg.

Man muss es ausprobieren. Und Sarah Rubal zeigt, dass es geht. Schreiben ist auch hier ein ständiger Lern- und Arbeitsprozess, der nie zu Ende ist. Doch genau das macht den Reiz aus. Vielleicht lassen sich ja auch andere ermutigen?

Ob sie wieder was schreibt, frag ich sie am Ende. Und ja, es gibt einen dritten Teil über die Zeit des Unabhängigkeitskriegs. Na dann.

Literaturhinweise

Belinde Davis, Thomas Lindenberger, Michael Wildt (Hg. 2008): Alltag, Erfahrung, Eigensinn. Historisch-anthropologische Erkundungen, Frankfurt a. M.

Günther und Irmgard Schweikle (Hg. 1990): Metzler. Literaturlexikon. Begriffe und Definitionen , 2. überarbeitete Auflage, Stuttgart.

Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser (Hg. 1996): Walter Benjamin. Gesammelte Schriften, Frankfurt a.M., Bd. V.1, 1996.


Einsortiert unter:Literatur, Vermittlung

Quelle: http://kritischegeschichte.wordpress.com/2013/01/04/fakten-mit-fiktionen-ein-gesprach-uber-historische-romane/

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Ist ein Mensch ein Subjekt? Ist ein Subjekt ein Mensch?- Ein Interview mit Ronald Hitzler

Interview mit Prof. Dr. Ronald Hitzler (Technische Universität Dortmund) SozMag: Wir begrüßen Ronald Hitzler von der Technischen Universität Dortmund. Sie haben heute einen Vortrag zum Thema „Ist ein Mensch ein Subjekt? – Ist ein Subjekt ein Mensch? – Über Diskrepanzen … Weiterlesen

Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/4132

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„Die fallen zeitnah weg“. LMU-Präsident Bernd Huber zu Studiengebühren in der Süddeutschen Zeitung

http://www.uni-muenchen.de/aktuelles/spotlight/2012_meldungen/interview_huber.html Bernd Huber, 52, ist seit 2002 Präsident der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Dort wurde im Vergleich zu den anderen Münchner Hochschulen immer besonders heftig über Studiengebühren diskutiert. Doch was kommt, wenn die Gebühren tatsächlich bald wegfallen sollten? Im Interview erklärt er, wie irritierend er die derzeitige politische Debatte findet. Text aus Vorbemerkung des Interviews

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2012/11/3525/

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Kreative Achtsamkeit und ihre Hemmnisse – Ein Interview mit Karl-Heinz Brodbeck von Sandra Winzer (Teil 1)

Im Folgenden der 1. Teil eines Interviews mit Prof. Dr. Karl-Heinz Brodbeck von der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt und der Hochschule für Politik in München. Geführt und aufgezeichnet am 23. März 2012 von Sandra Winzer, Bauhaus-Universität Weimar. Winzer: In Ihrem Buch „Entscheidung zur … Weiterlesen

Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/2981

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Das Ende einer akademischen Wanderschaft. Interview mit Michael Matheus

 


Michael Matheus war von 2002–2012 Direktor des DHI Rom. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Mittlere und Neuere Geschichte und Vergleichende Landesgeschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, an den er im Oktober 2012 zurückkehren wird.

Michael Matheus, Sie haben zehn Jahre lang das Deutsche Historische Institut in Rom geleitet. Was verbindet Sie besonders mit dem Institut?

In diesen Jahren habe ich die auch für den Direktor anregende wissenschaftliche Arbeit sowie die gute Atmosphäre am DHI Rom geschätzt, nicht zuletzt den Schwung, den Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler dem Institut vermittelten. Wir haben in Teamarbeit immer wieder versucht, kulturgeschichtliche Fragestellungen und Methoden für unsere eigene Arbeit fruchtbar werden zu lassen. Für jemanden, der einmal Geiger werden wollte, war es zudem ein besonderer Glücksfall, ein Institut mit einer musikgeschichtlichen Abteilung leiten zu dürfen. Viele wissenschaftliche Veranstaltungen konnten wir mit dazu passenden Konzerten verbinden. Eine besonders wichtige Erfahrung war, dass unsere wissenschaftlichen Veranstaltungen und Projekte nicht nur in Rom, sondern in vielen Städten und Regionen Italiens durchgeführt werden konnten, in Genua und Venedig, in der Toskana und den Marken, in Sizilien, Apulien und im südlichen Latium.

Welche Erwartungen hatten Sie bei Ihrem Amtsantritt als Institutsdirektor? Was hat sich seither geändert?

Ich hatte gehofft, mehr eigene Forschungen durchführen zu können. Dies war nur begrenzt möglich, auch weil die Sanierung der Institutsgebäude sowie der Bau von Bibliotheksmagazinen und einem Gästehaus viel Zeit und Energie gekostet haben. Aber wir haben dadurch mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Italien (ELKI) und dem Melanchthon Zentrum Rom Nachbarn erhalten, von denen auch die wissenschaftliche Arbeit des Instituts profitiert. Im Jahre 2002 wurde die Stiftung DGIA gegründet. In den Aufbau und die Strukturierung der Stiftung habe ich mich gerne eingebracht und dabei auch viel gelernt.

Welche Schwerpunkte haben Sie während Ihrer Amtszeit in Rom gesetzt, um das Profil des DHI Rom zu schärfen?

Das DHI Rom hat seine traditionellen Schwerpunkte in der Grundlagenforschung mit der Entwicklung elektronischer Publikationsformate verknüpft. Zudem wurde das Institutsprofil durch interdisziplinare, international vergleichende und epochenübergreifende Forschungsprojekte geschärft. Ein besonderes Anliegen war ferner die Intensivierung der wissenschaftlichen Nachwuchsförderung.

Kürzlich wurde das Institut im Rahmen der Qualitätssicherung der Max Weber Stiftung – Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland evaluiert. Welche Einsichten haben Sie daraus gewonnen?

Zusammen mit dem Deutschen Institut für Japanstudien Tokyo war das DHI Rom das erste Stiftungsinstitut, das einer externen Evaluierung unterzogen wurde. Der Aufwand war beachtlich, doch bot die Evaluierung eine willkommene Gelegenheit für alle Institutsmitglieder, über Starken und Schwachen der wissenschaftlichen Arbeit und über künftige Schwerpunkte der Institutsarbeit nachzudenken. Die Ergebnisse der Evaluierung sind für die wissenschaftliche Arbeit des Instituts insgesamt sehr erfreulich und ermutigend. Unter anderem freut es mich, dass die Bedeutung der am DHI Rom entwickelten historischen Datenbanken und der hierzu notwendigen Software gewürdigt und als Alleinstellungsmerkmal bezeichnet wird. Damit hat das Institut schon vor Jahren Entwicklungen eingeleitet, die in den Empfehlungen des Wissenschaftsrats aus dem Jahre 2011 zu den Forschungsinfrastrukturen in den Geistes- und Sozialwissenschaften beschrieben werden. Aufgrund ihres prototypischen Charakters wird empfohlen, die am römischen DHI entwickelten Lösungen den Instituten der Stiftung bereitzustellen. Zugleich soll dieser Arbeitsbereich am Institut in Rom weiter gefördert werden.

Max Weber, dessen Namen die Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland seit Juli 2012 trägt, hat unter anderem auch in Italien und Rom gewirkt. Was lässt sich zu seinem Verhältnis zum DHI sagen?

In den Jahren 1901 bis 1903, im Vorfeld der Niederschrift der „Protestantischen Ethik“, hielt das Ehepaar Weber sich in Italien bzw. in Rom auf. Max Webers Interesse an Religion und religionssoziologischen Fragen durfte in Rom gewachsen sein. Über die damaligen intellektuellen Prägungen wüsste man gerne mehr, übrigens auch zu der Frage, ob und wie intensiv Weber Mitglieder des Preußischen Historischen Instituts (heute DHI Rom) gekannt und Kontakte gepflegt hat. Zu denken wäre etwa an den Kenner früher kapitalistischer Formen Fuggerscher Prägung, Aloys Schulte, der 1901–1903 kommissarischer Direktor des Instituts war. Oder an den Protestanten Johannes Haller, einer der vielgelesen Historiker seiner Zeit, der 1893–1902 am Institut weilte. Zwar gibt es einige Lesespuren Max Webers im alten Buchbestand des römischen Deutschen Künstlervereins. Im Archiv des DHI allerdings findet sich leider nichts Aufschlussreiches.

 

Luftgestützte Laseraufnahmen in Ninfa

Sie sind der erste bekennende Katholik unter den Direktoren des DHI Rom. Welche Bedeutung messen Sie dieser konfessionellen Bindung bei?

Die Vorgängereinrichtung des DHI Rom wurde 1888 durch Preußen auf dem Kapitol (worauf das Institutslogo anspielt) im Kontext des Kulturkampfes und in Reaktion auf die zuvor erfolgte Öffnung des Archivio Segreto Vaticano gegrundet. Die damit einhergehende Prägung mag dazu beigetragen haben, dass die Direktion des Instituts – von den wenigen Monaten der Amtszeit Aloys Schultes abgesehen – Protestanten vorbehalten blieb. Dass mit mir der erste langer amtierende katholische Direktor gewählt wurde, interpretiere ich als Signal, dass konfessionelle Prägungen in der wissenschaftlichen Arbeit keine Rolle spielen (sollten), auch wenn ich persönlich im katholischen Glauben verankert bin. Zugleich war mir daran gelegen, mit der Wahl der neuen Nachbarn, ELKI und Melanchthon Zentrum, im Zentrum der katholischen Weltkirche ein ökumenisches Signal zu setzen.

Wie beurteilen Sie das italienische Wissenschaftssystem, vor allem mit Blick auf die Arbeit des Instituts?

Wir arbeiten in zahlreichen Forschungsprojekten mit italienischen Forschungsinstituten und Universitäten zusammen. Allerdings sollte bei der Auswahl wissenschaftlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht die nationale Herkunft, sondern die wissenschaftliche Qualität den Ausschlag geben. In Italien spielen meines Erachtens nicht zuletzt im Bereich der Geisteswissenschaften Klientelstrukturen eine zu große und akademische Leistungen eine zu geringe Rolle. Ich hoffe, dass internationale Kooperationen hier zu Verbesserungen beitragen.

Sie haben sich ja bereits in Mainz intensiv mit italienbezogenen Forschungsthemen befasst. Inwiefern hat der lange Aufenthalt in Italien Ihr wissenschaftliches Profil verändert? Konnten Sie von Standortvorteilen profitieren?

Die Stadt Rom und das Land Italien haben entscheidenden Anteil daran, dass mein wissenschaftlicher Horizont ganz wesentlich erweitert wurde. Zu den Themen der letzten Jahre zahlen: Rom als Studienort in der Renaissance, Germania in Italia, Christen und Muslime in der Capitanata, die Geschichte der mittelalterlichen Ruinenstadt Ninfa und der pontinischen Sumpflandschaft und schließlich – nicht zuletzt dank der Nachbarschaft der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Italien und des Melanchthon Zentrums – ein faszinierendes Themenspektrum von Luthers Romreise bis zum protestantischen Rombild im 20. Jahrhundert.

 

Das Kastell von Lucera

An welchen Quellenfund der letzten Jahre denken Sie besonders gern zurück?

Da kommt mir vieles in den Sinn, aber eine Quellenkonstellation sei besonders erwähnt. Im Jahre 2005 stieß ich auf Schriftdokumente, denen zufolge ein muslimischer Adeliger eine kleine Bischofsstadt im nördlichen Apulien, der so genannten Capitanata, im ausgehenden 13. Jahrhundert als Lehen erhielt. Im Rahmen eines interdisziplinaren Projektes, an dem derzeit Historiker, Archäologen, Bauhistoriker, Kunsthistoriker, Anthropologen und Geophysiker beteiligt sind, verfolgen wir von diesem bemerkenswerten Befund ausgehend die Frage, wie sich Formen der convivenza zwischen Christen und Muslimen in dieser Zeit darstellten. Zugleich erhellen die Forschungsergebnisse ein Kapitel europäischer Geschichte, das von der muslimisch-arabischen Kultur mitgeprägt wurde.

Welche Projekte möchten Sie künftig in Mainz realisieren?

Einigen der genannten Forschungsschwerpunkte werde ich auch in Mainz verbunden bleiben, zum Beispiel der interdisziplinar und epochenübergreifend ausgerichteten Umweltgeschichte der pontinischen Sumpflandschaft. Zudem freue ich mich auf eine ganze Reihe von Kolleginnen und Kollegen an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, die in den verschiedensten Fächern zu italienischen Themen arbeiten.

Zehn Jahre Rom – das ist sicherlich sehr prägend. Was schätzen Sie besonders an Italien? Worauf freuen Sie sich in Deutschland und was werden Sie vermissen?

Darauf kann ich mit wenigen Worten nicht angemessen antworten. Nach diesen Jahren wurde ich mich selbst als „Deutschrömer“ bezeichnen. Darunter verstehe ich jemanden, der als Wanderer zwischen beiden Kulturen von beiden nachhaltig geprägt ist. Dennoch bin ich Deutscher geblieben. Rom und Italien werde ich allerdings auch in meinen kommenden Mainzer Jahren eng verbunden bleiben. Die Mitarbeit in italienischen wissenschaftlichen Gremien wird dies ebenso befördern wie die Tatsache, dass ich seit dem vergangenen Jahr dem Direktorat des Römischen Instituts der Goerres-Gesellschaft angehöre, das wie das DHI Rom 1888 gegründet wurde. Aber in einigen Jahren wird die Entscheidung anstehen, die akademische Wanderschaft aufzugeben und dauerhaft ansässig zu werden. Das bedeutet für meine Frau und mich voraussichtlich die Rückkehr nach Rom, von dem ein Historiker im 19. Jahrhundert sagte, die Stadt erscheine ihm so unerschöpflich „wie die Welt überhaupt.“

Das Gespräch führten Kordula Wolf, Wissenschaftliche Mitarbeiterin des DHI Rom, und Deborah Scheierl, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit am Institut.

Quelle: http://mws.hypotheses.org/1149

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Soziologischer Wochenrückblick vom 17. Oktober 2012

News aus der Soziologie

1.)  Ein Artikel über die neu entdeckten Briefe Max Webers

http://www.tagesspiegel.de/wissen/spaete-briefe-max-webers-botschaften-einer-ueberfluessigen-luxus-existenz/7211006.html

2.)  Ein Leserbrief in der Zeit zum Thema „Zu viel Arbeit“

http://www.zeit.de/karriere/2012-10/leserartikel-zu-viel-arbeit

3.)  Der Soziologe Ulrich Bröckling spricht im Interview mit der Zeit über die neuen Jobanforderungen, insbesondere über Kreativität

http://www.zeit.de/campus/2012/04/interview-broeckling

4.)  Zum 100. Geburtstag von Helmut Schelkys einige Medienlinks:

http://www1.wdr.de/themen/archiv/stichtag/stichtag6996.html

http://www.youtube.com/watch?v=62wUoZqA_Sk (Video/60 min. Interview)

http://www.dradio.de/dlf/sendungen/kalenderblatt/1890938/

5.)  Für alle Studienanfänger_innen eine lesenswerte Onlineeinführung in die Soziologie und Schlüsselbegriffe der Universität Wien:

http://www.univie.ac.at/sowi-online/esowi/cp/einfsoz/einfsoz-titel.html

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  

Neues vom Blog

1.)  Call4Papers des 4. Studentischen Soziologiekongresses: Krisen, Prozesse, Potenziale

http://www.soziologiemagazin.de/blog/2012/10/10/call4papers-des-4-studentischen-soziologiekongresses-krisen-prozesse-potenziale/

2.)  Akteur-Netzwerk-Theorie in der agilen Software-Entwicklung: Ein Beispiel am Continuous Delivery

http://www.soziologiemagazin.de/blog/2012/10/14/akteur-netzwerk-theorie-in-der-agilen-software-entwicklung-ein-beispiel-am-continuous-delivery/

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        

In eigener Sache

1.)  Gesucht: Blogbeiträge über den DGS-Kongress. Wer von euch war in der vergangenen Woche in Bochum und Dortmund und möchte unseren Leserinnen und Lesern erzählen, wie die Erlebnisse dort waren? Schreibt uns einen Artikel für den Blog! Das kann gern auch ein bisschen subjektiver sein als gewohnt.

2.) Für unserer Redaktionsteam suchen wir (vorallem in den Bereichen “technische Betreuung” und “inhaltliche Pflege des Blogs und der Social Medias”) tatkräftige Unterstützung: http://www.soziologiemagazin.de/blog/aktiv-mitmachen/

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             

Videos

1.)  Die Vorlesungsreihe von Prof. Fleck der Universität Graz gibt einen hilfreichen Einblick in die Soziologie. Beispielsweise passend zu unserem aktuellen Heftthema: “Arbeit und Wirtschaftsleben” folgendes Video:

http://www.youtube.com/watch?v=p7PM0jv0uEw&feature=player_detailpage

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               

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Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/3224

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Geschichtswissenschaft dies- und jenseits des Rheins. Pierre Monnet im Dialog

 


Pierre Monnet ist seit 2009 Direktor des Institut français d’histoire en Allemagne (Frankfurt a. M.). Parallel bleibt er “directeur d’études” an der École des hautes études en sciences sociales (EHESS). Zudem ist er Mitglied der Expertenkommission des deutsch-französischen Geschichtsbuchs.

Pierre Monnet, Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren intensiv mit Deutschland und sind Professor an der renommierten Pariser École des hautes études en sciences sociales (EHESS). Als Wissenschaftler arbeiten Sie zu den städtischen Eliten deutscher Städte im Spätmittelalter sowie zur vergleichenden politischen Geschichte im mittelalterlichen Europa. Als Wissenschaftsmanager haben sie lange Jahre die Mission historique française en Allemagne in Göttingen geleitet. Nach deren Umbenennung in Institut français d’histoire en Allemagne und dem Umzug nach Frankfurt a. M. stehen Sie dieser historischen Forschungseinrichtung nun seit Sommer 2011 erneut vor. Zugleich waren Sie Präsident der Deutsch-Französischen Hochschule mit Sitz in Saarbrücken und haben die Konzeption und Redaktion des deutsch-französischen Geschichtsbuchs mitbetreut.

Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund den allgemeinen Stand der akademischen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich?

Diese Frage ist umso wichtiger, als ich fest davon überzeugt bin, dass die wissenschaftlichen Beziehungen eine zentrale Herausforderung für die Regierungen beider Länder sein werden. Sie sollten und können 2013 – 50 Jahre nach dem Elysee-Vertrag – die Grundlage für einen neuen Kooperationsvertrag bilden. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich sind im universitären und wissenschaftlichen Bereich überwiegend positiv zu bewerten. Seit einem Jahr ist Deutschland erstmals statistisch gesehen das von französischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern am meisten besuchte Land. Dies ist ein gutes Zeichen für den engen Austausch zwischen den beiden Communities (auch wenn im Gegenzug die Präsenz von deutschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in französischen Einrichtungen nicht vergleichbar ist). Das letzte Deutsch-Französische Forschungsforum in Berlin im Februar 2012 hat einen Maßnahmenplan mit fünf Schwerpunkten erarbeitet (Gesundheit: Pneumologie, Diabetesforschung, gemeinsame Patientenkohorten; grüne und weiße Biotechnologien; Umweltforschung; Europäisierung der Geisteswissenschaften; Grid Computing). Die sozio-kulturellen und wirtschaftlichen Implikationen von wissenschaftlichen Kooperationen zwischen Frankreich und Deutschland sind – gerade in diesen Gebieten – wohl erkannt. Darüber hinaus sind die Arbeit und die Funktion der Deutsch-Französischen Hochschule (DFH, Saarbrücken) positiv hervorzuheben: Sie bündelt 135 bi-nationale Studiengange mit 5.000 eingeschriebenen Studenten, 28 deutsch-französische Graduiertenkollegs sowie ca. 100 Workshops und Sommerschulen pro Jahr. Das Beherrschen der jeweils anderen Sprache bleibt jedoch immer noch ein Problem unter den Studierenden und den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Frankreich und Deutschland. Im Verhältnis zur strategischen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Bedeutung der Beziehungen zwischen beiden Ländern bleibt die Mobilität französischer Studentinnen und Studenten nach Deutschland (2011 ca. 5.800) und deutscher Studentinnen und Studenten nach Frankreich (2011 ca. 6.900) zudem zu gering.

Und wie sieht es speziell in der Geschichtswissenschaft aus?

Die Lage bei den Historikerinnen und Historikern ist verhältnismäßig gut. Es sei zunächst betont, dass zwischen deutschen und französischen Geschichtswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern immer ein Dialog bestanden hat. Man denke für die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg nur an eine Figur wie Marc Bloch. Durch Rezensionen, Übersetzungen, Veröffentlichungen und Tagungen, aber auch dank der Arbeit des Centre interdisciplinaire d’etudes et de recherche sur l’Allemagne (CIERA) Paris und des Deutschen Historischen Instituts Paris, des Centre Marc Bloch (CMB) in Berlin, des Institut francais d’histoire en Allemagne (IFHA) in Frankfurt a. M., des Deutsch-Französischen Instituts (DFI) in Ludwigsburg u. a., besteht ein intensiver und reger Austausch, der der Rolle der Geschichte in der gegenseitigen Wahrnehmung des Anderen seit über 100 Jahren Rechnung trägt. Sieben bi-nationale Studiengänge in der Geschichtswissenschaft an der DFH und gemeinsame Unternehmungen wie die des deutsch-französischen Geschichtsbuchs in drei Bänden oder die vom DHI Paris herausgegebene Reihe der Deutsch-französischen Geschichte in elf Bänden zeugen weiter davon. Die Leistung der Historikerinnen und Historiker beider Länder ist dabei aber nicht nur eine bilaterale. Vielmehr geht es auch darum, vergleichende und transfertragende Ansätze sowohl inhaltlich als auch methodologisch zu testen. Ferner werden Lehrer für die Abibac-Schulen ausgebildet, die Geschichte in der jeweils anderen Sprache unterrichten.

Welche Rolle kommt dabei dem Institut français d’histoire en Allemagne zu?

Das IFHA in Frankfurt a. M. und entsprechend das CMB in Berlin spielen in und für Deutschland, genau wie das DHI Paris und mit ihm das Deutsche Forum für Kunstgeschichte in Paris in und für Frankreich, durch die Rezeption und Ubersetzung von Werken und Fachbüchern sowie durch die Ausbildung und die Unterstützung der Mobilität von Studentinnen und Studenten sowie jungen Forscherinnen und Forschern eine zentrale Rolle. Die Institute sind Orte der Begegnung und des Austausches und tragen hierdurch entscheidend zur Verzahnung beider wissenschaftlicher Fachgesellschaften bei. Der Historikertag in Mainz (26.–28. September 2012) hat nicht zufällig Frankreich als Schwerpunktland gewählt. Die „Weimarer Rendez-vous mit der Geschichte“, nach dem Modell der „Rendez-vous de l’histoire“ in Blois, sind weitere wichtige Orte für Begegnungen und Gespräche. Auf diese Weise wird eine neue Generation von Historikerinnen und Historikern ausgebildet, die in den Universitäten und Forschungszentren dafür sorgen, dass gemeinsam eine deutsche, eine französische, aber auch und vor allem eine deutsch-französische sowie eine zunehmend globalisierte europäische Geschichte erarbeitet und geschrieben wird.

Sie sind Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des DHI Paris. Welche Rolle kommt dem Institut aus Ihrer Sicht in den Beziehungen zwischen den Historikerinnen und Historikern unserer beiden Länder zu?

Ich erwähnte bereits das langjährige Projekt einer Deutsch-französischen Geschichte in elf Bänden, das das DHI Paris entscheidend betreut und herausgibt. Darüber hinaus ist das Institut, im Besonderen seit fünf Jahren, ein zentraler Ort für den Dialog und das Gespräch zwischen jungen Forscherinnen und Forschern beider Länder, aber auch für die Ausbildung von Studentinnen und Studenten sowie Promovenden geworden. Durch seine hervorragende Bibliothek (110.000 Bücher und 420 Zeitschriften) wie auch seine vielfaltige Publikationspolitik, sowohl in Papierform als auch im elektronischen Format (Francia-Recensio, recensio.net, Digital Humanities, Trivium als deutschfranzösische Online-Zeitschrift für Geistes- und Sozialwissenschaften), schafft das DHI Paris dafür eine Grundlage. Durch die Organisation von Sprachkursen und Sommerschulen fordert das DHI Paris, oft in Kooperation mit anderen Institutionen, nicht zuletzt dem IFHA, die Qualifizierung von deutschen und französischen Historikerinnen und Historikern, die dann durch ihre dreifache Kompetenz – sprachlich, fachlich und interkulturell – in der Lage sein werden, diesen Austausch in den nächsten Jahrzehnten mitzutragen und zu gestalten. Thematische Forschungsprojekte wie etwa anlässlich des 1200. Todesstages von Karl dem Großen oder des 100. Jahrestages des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs, beide im Jahr 2014, konkretisieren und vertiefen diese Arbeit.

 

Die Teilnehmer/innen der Sommeruniversität “Conflict Studies und Neue Militärgeschichte” des DHI Paris und der université Paris-Sorbonne bei der Zeremonie zum Gedenken an die Gefallenen der Somme-Schlacht 1916 in La Boiselle, 1. Juli 2012.

Welche Veränderungen sehen Sie in der Arbeit des DHI Paris, und welche Möglichkeiten der Kooperation streben Sie zwischen dem DHI Paris und dem IFHA an?

Vieles wurde bereits in den letzten Jahren initiiert und unternommen. Dies gilt es fortzusetzen. Ein modernes, weltoffenes, innovatives Forschungsinstitut wie das DHI Paris muss weiterhin auf die vielfältige Verbreitung seines Wissens (Datenbanken, Online-Publikationen, digitalisierte Archive), auf die Ausbildung und die Qualifikation der jüngeren Generation (im Besonderen über eine engere Kooperation mit deutschen Universitäten und französischen Forschungsinstituten in Deutschland) sowie auf die Flexibilität und Offenheit für neue Bereiche, insbesondere in der politischen und anthropologischen Geschichte, setzen. Hierbei kommt der vergleichenden Perspektive, und vor allem dem europäischen Rahmen, eine besondere Bedeutung zu. Diese Perspektiven stehen auch im Zentrum eines gemeinsam vom IFHA, der Goethe-Universität Frankfurt und dem DHI Paris sowie der Maison des sciences de l’homme, dem CIERA in Paris und der Humboldt-Universität sowie dem CMB in Berlin konzipierten föderativen Netzwerks zum Thema „Europa (be)greifen: eine Herausforderung für die Geistes- und Sozialwissenschaften“. In Anbetracht der aktuellen Krise in Europa sind die Historiker dazu aufgefordert, ihren intellektuellen und wissenschaftlichen Beitrag zur Zukunft unseres Kontinents zu leisten. Hierbei können Frankreich und Deutschland immer wieder eine bahnbrechende Modellfunktion besitzen, für die das DHI Paris und das IFHA unter anderen eine zentrale Rolle spielen sollten.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte Stephan Geifes, Wissenschaftlicher Koordinator des DHI Paris.

 

Quelle: http://mws.hypotheses.org/1157

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