Ich dachte mir, ich beglücke Sie mal mit einem Artikel über einen Teil meiner täglichen Arbeit. Sie fragen sich nämlich sicher schon länger, was man als Philosophiehistoriker denn so eigentlich den ganzen Tag treibt. Die Texte von Platon und Aristoteles sind ja beispielsweise schon vorhanden und lediglich das dauernde Lesen mit einer Arbeitsstelle und regelmäßigem Gehalt honoriert zu bekommen, wäre zumindest erklärungsbedürftig. Ja, es gibt die Lehre als eine Hauptaufgabe, aber… …ich habe kürzlich einen Artikel in der Zeitschrift für philosophische Forschung, Band 72, … Die Arbeit als Philosophiehistoriker. Ein Beispiel. weiterlesen →
Wandernd die Zukunft gestalten – „Turnfahrten“ als identitätsstiftende Praktik der Berliner Turner (1811-1820)
Beitrag von Angela Heinemann, veröffentlicht am 01.03.2018 – geändert am 02.03.2018
Wandernd die Zukunft gestalten – „Turnfahrten“ als identitätsstiftende Praktik der Berliner Turner (1811-1820)
In heutiger Zeit, in der das Wandern zum allgemeinen Kulturgut gehört, ganze Landschaften zum Anziehungspunkt für Reisende und Pilger geworden sind, scheint es nur schwer vorstellbar, dass es vor 200 Jahren noch Seltenheitswert hatte, dass Menschen freiwillig wandernd ihre Umgebung erkundeten. Bildungsreisende, wie Johann Wolfgang von Goethe oder Johann Gottfried Seume[1] hatte es immer gegeben, sie blieben jedoch eine Ausnahme. Sie waren vornehmlich allein unterwegs, suchten in der Einsamkeit die Erkenntnis oder Ablenkung nach einer enttäuschten Liebe. Bei Pilgern hatte das Wandern einen religiösen Hintergrund.
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Um die Wurst – Zur Normalität von Preisabsprachen in Deutschland
von Markus Pohlmann
Ob Würstchen, Teewurst oder Schinken, ob offen an der Wursttheke oder verpackt in der Kühltruhe, den Ermittlungen des Kartellamtes zufolge haben sich Wursthersteller in Deutschland seit Jahrzehnten abgesprochen, um höhere Preise zu erzielen. Im sogenannten Atlantikkreis [1] sollen sich nach Angaben des Bundeskartellamtes 22 Wursthersteller sowie 33 verantwortlich handelnde Personen jahrelang über ihre Preisforderungen bei Brühwurst und Schinken gegenüber dem Lebensmittelhandel abgestimmt haben. Das Bundeskartellamt war durch eine anonyme Anzeige auf die Absprachen aufmerksam geworden und führte am 22.07.2009 an insgesamt 19 Standorten Durchsuchungen durch.
Von Tocotronic zu Selbstvergleichen mit autobiografischen Texten
von Lena Gumpert
Eigentlich möchte ich zu Hause nicht zu viel über meine Dissertation nachdenken. Das klappt eigentlich sehr gut, aber dann hörte ich neulich ein Statement von Dirk von Lowtzow im Radio. Er hatte dem Deutschlandfunk mit seinem Bandkollegen Jan Müller ein Interview zum neuen Album von Tocotronic gegeben (Link zum Interview, Link zum Song „Electric Guitar“, das Album trägt übrigens den Namen „Die Unendlichkeit“). Dieses wird als autobiografisch geprägt vermarktet, was den Interviewer Christoph Reimann veranlasste zu fragen, wie das damit zusammenpasse, dass Dirk von Lowtzow nicht das einzige Mitglied der Band sei. Der Sänger und Texter sprach daraufhin über die Ähnlichkeit der Erfahrungen verschiedener Bandmitglieder und dass er auf die Mitarbeit der Hörerinnen und Hörer hoffe. Wie eine solche Mitarbeit aussehen könne, fragte Christoph Reimann zurück, und bei von Lowtzows Antwort wurde ich wirklich aufmerksam:
„[I]ch glaube, es ist ein Wesensmerkmal von gelungenen Autobiografien oder autofiktionalen Texten, dass Leserinnen und Leser oder Hörerinnen und Hörer ihre eigenen Erinnerungen auf diese Texte oder auf die Songs mit projizieren, und deshalb ganz unwillkürlich eigentlich so eine Mitarbeit besteht. Mir zumindest geht das immer so, wenn ich autobiografische Bücher lese, beispielsweise, dass ich das Gefühl habe, ich gleiche das mit meinen eigenen Erinnerungen ab oder ich habe solche Erweckungserlebnisse oder kurze Gedankenblitze, wo ich sage: Ja, das ging mir ganz genauso.“
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Russland: „Hort alter europäischer Werte“?
von Christine Peters und Rebecca Moltmann
Im Oktober 2017 fand die Auftaktkonferenz „Practices of Comparing“ des SFB statt. Christine Peters (Doktorandin im TP B03) und Rebecca Moltmann (Referentin für Wissenschaftskommunikation im TP Ö) konnten Professor Alexander Martin (University of Notre Dame) für ein Gespräch über seinen Vortrag, das Vergleichen und den SFB gewinnen.
In seinem Vortrag sprach Alexander Martin über den Gebrauch transnationaler Vergleiche bei der Konstruktion der imperialen russischen Kultur. Dabei zeigte er unter anderem verschiedene Gemälde und zog in seiner Argumentation literarische Quellen heran (den Vortrag kann man hier nachhören).
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Insignia seu clenodia regis et regni Poloniae: Ältestes polnisches Wappenbuch jetzt online!
Am 11. Februar 2018 stellte die Pariser Nationalbibliothek einen Scan des Manuskripts Bibliotheque de l’Arsenal 1114 online, spezifiziert als „Recueil d’armoiries polonaises” und datiert auf das siebzehnte Jahrhundert (1601-1700). In Wirklichkeit handelt es sich um eine Kopie aus dem sechzehnten Jahrhundert, das älteste polnische Wappenbuch „Insignia seu clenodia regis et regni Poloniae”. Aus diesem Anlass werden hier einige Anmerkungen geboten, und zwar sowohl über die „Insignia“ selbst als auch…
Ein Hort für Schriftkultur
Die „Heidelberger Schriftstücke“ wechselten am 8. Februar ihre Szene; im Januar ging es durch dicke Tresortüren in den Keller, nun in die Bel Etage mit Parkett, Stuck und Kerzenlüstern. Wir sind zu Besuch im Kurpfälzischen Museum der Stadt Heidelberg. Museumsdirektor Frieder Hepp und Restauratorin Yvonne Stoldt zeigen Objekte aus dem graphischen Kabinett.
Auf dem Weg zum Großen Salon des Museums muss man sich ermahnen, den Beginn der Veranstaltung nicht dadurch zu verpassen, dass die Augen an einem der beeindruckenden Exponate hängen bleiben, die den Weg dorthin flankieren. Doch schließlich sind wir gekommen, um Teile der Museumssammlung zu sehen, die sonst im Depot lagern. „Museen sind Eisberge“, sagt Herr Hepp schmunzelnd, denn der größte Teil ihrer Sammlungen ist fast nie zu sehen. Pflegebedürftige und lichtempfindliche Objekte liegen gut geschützt im Depot.
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Abmarsch vom Niederrhein
Ende Oktober war auch das Ende der Feldzugssaison nahe. Die Kampfhandlungen wurden weniger, die Truppen machten sich so langsam auf den Weg in die Winterquartiere. So war es das übliche Verfahren, und so ähnlich war es auch im Herbst 1642 am Niederrhein. In den vergangenen Monaten hatten sich französisch-hessische Truppen mit den kaiserlichen und bayerischen Einheiten immer wieder heftige Kämpfe geliefert, auch wenn es zu keiner großen Schlacht gekommen war. Bereits im Oktober 1642 begannen jedoch die bayerischen Kontingente in Richtung Franken abzurücken – zum großen Verdruß Kurfürst Ferdinands von Köln, der sich von seinem eigenen Bruder im Stich gelassen fühlte: Aber der schwedische Vormarsch ließ Kurfürst Maximilian Schlimmes für die eigenen Territorien befürchten; Bayern benötigte die Truppen selbst.
In dieser Situation ist ein Schreiben einzuordnen, daß auf den 30. Oktober datiert ist, allerdings nach altem Kalender (Hessisches Staatsarchiv Darmstadt E8 A Nr. 182/1). Es ist anonym gehalten, gibt aber Köln als Ausstellungsort an: Was sehr plausibel ist, denn die Metropole am Rhein war schon damals eine Medienzentrale.
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Frühindustrielle Kinderarbeit im deutschen Raum. Gesellschaftliche Diskurse im Wandel der bürgerlichen Öffentlichkeit
Hine, Lewis W.: Bibb Mill No. 1 in Macon, Georgia (1909), in: Library of Congress Prints and Photographs Division Washington, D.C., USA
Ein Gastbeitrag von
Daniel Scherer
Für den Großteil der europäischen Bevölkerung spielt das gesellschaftliche Phänomen der Kinderarbeit keine große Rolle mehr im alltäglichen Leben. Durch das Jugendarbeitsschutzgesetz (JarbSchG) wird genau geregelt, inwieweit Kinder und Jugendliche leichte Arbeiten verrichten dürfen. Derartig klare und einheitliche Regelungen, durch die die Kinderarbeit in Deutschland konsequent einschränkt wurde, waren jedoch erst im Verlauf der vergangenen beiden Jahrhunderte in Kraft getreten.
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„Unser Friedrich“ – der 1. Europäer? Die Staufer in der populären Geschichtskultur seit den 1970er Jahren
1000 Worte Forschung: Laufendes Dissertationsprojekt an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau, Neuere, Neueste Geschichte
Die Erinnerung an die Staufer war vor allem im 19. und 20. Jahrhundert zentraler Bestandteil der deutschsprachigen Geschichtskultur. Diese Rezeptionen der Stauferzeit sind bereits ausführlich betrachtet worden, etwa mit der Analyse der Interpretation der staufischen Herrscher als tragisch gescheiterte Helden in den Dramen der Romantik oder der Einschreibung der Kyffhäusersage in den Kanon deutschen Kulturguts durch die Gebrüder Grimm. Auch die Deutungen der Reichsgründung 1871 als Vollendung des staufischen Vermächtnisses ist bereits gut erforscht. Und schlussendlich die Auslegung der Stauferherrschaft als ein germanisch-völkisches Reich durch die Nationalsozialisten, welche die Neuordnung Europas durch die deutsche Nation historisch begründete.
Mit der Niederlage des Zweiten Weltkriegs verschwanden appellative, nationale Berufungen auf die „eigene“ Geschichte aus dem öffentlichen Bewusstsein und die Staufer hatten als politisch-legitimierender Mythos ausgedient. Ihre Herrschaftszeit „wurde zur Vorgeschichte mit bestenfalls antiquarischem Interesse“.
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