Quelle: http://mws.hypotheses.org/1571
Am 29. und 30. November 2012 fand in der Geschäftsstelle der Max Weber Stiftung das Arbeitstreffen „digital humanities. Wissenschaftliche Datenbanken und Editionsprojekte“ statt. Zwar gibt es gibt noch keinen Königsweg, der in diesem weiten Bereich zu allen Zielen führt. Umso wichtiger sind Übergangsmöglichkeiten von einem Weg zum anderen.
Die Überlieferung von Worten ist das wertvollste Kulturgut überhaupt. Bauten und Bilder, Geschmeide, Melodien und Maschinen können uns nützen, uns freuen, uns staunen und schaudern lassen ‒ aber sie reden nie so zu uns wie Worte, von Mensch zu Mensch. Kein Wunder, dass wir gerade auch dieser Überlieferung digitale Dauer zu geben bestrebt sind, kein Wunder aber auch, dass bei der Ausführung des Vorhabens Schwierigkeiten begegnen. Lösungen solcher Schwierigkeiten war das Arbeitstreffen gewidmet, freilich mit Schwerpunktsetzung: Es ging um schriftliche Überlieferung und das Eingeben, Abspeichern, Aufbereiten und Anzeigen von zugehörigen Metadaten (im weiteren Sinn verstanden, worunter auch schon das Transkript zu einer Abbildung fällt). Und es war wirklich fesselnd zu sehen, wie vielfältige und ausgefeilte Lösungsansätze vorgestellt, gelegentlich auch ‒ freundlich und erfreulich lebhaft ‒ gegenübergestellt wurden und wie sie einander ergänzen oder befruchten konnten.
Aus einer Hölderlinhandschrift mit der im Titel angeführten Stelle. Die Transkription (d oder D oder …?) ist ein primär philologisches, nur sekundär technisches Problem. Dazu unten etwas. (Quelle: Württembergische Landesbibliothek Stuttgart: Hs. Homburg.G,2-7: Blatt 6v: Zeile 6. http://digital.wlb-stuttgart.de/purl/bsz346526833. Lizenz CC BY-NC-ND.)
FuD, vertreten von Marina Lemaire und Gisela Minn vom Trierer Kompetenzzentrum, zeigte sich als System mit einem erprobten Kern und einer Vielzahl von entwickelten oder in Entwicklung befindlichen Schnittstellen, um so gut wie alle Editionsschritte zu unterstützen ‒ von der kollaborativen Erfassung in einer MySQL-Datenbank der Uni Trier bis zur Veröffentlichung im Netz oder Druck ‒, aber auch den Wechsel hin zu anderen Systemen anbieten zu können. So gab Sebastian Felten vom DHI London einen interessanten Einblick ins Projekt „Pauper Letters and Petitions for Poor Relief in Germany and Great Britain, 1770 – 1914“ und wie dort sowohl FuD als auch das ‒ noch zu erwähnende ‒ DENQ zusammen genutzt werden, das eine zur Eingabe, das andere zur Anzeige im Netz.
BASYS-Invenio, vorgestellt von Thekla Kleinschmidt und Branimir Kolev vom Bundesarchiv, wurde und wird auf der Grundlage von Islandora entwickelt, um Archivalien in einem riesigen Gesamtbestand von einigen hundert Terabytes rasch finden und anzeigen zu können. Eingebaut ist eine sehr lesefreundliche Anzeige in Gestalt des Internet-Archive-Viewers, zudem mit einer maschinellen Texterkennung über Tesseract, was eine Suche im Text der jeweils angezeigten Abbildung ermöglicht. Bei den meisten Bundesarchivalien, gedruckt im 20. bis 21. Jahrhundert, zeitigt eine maschinelle Texterkennung gute Ergebnisse.
Peter Stadler stellte die Carl-Maria-von-Weber-Gesamtausgabe vor, die in bewunderungswürdig konsequenter und harmonischer Verbindung von philologischen Kardinaltugenden und modernen XML-Techniken erarbeitet wird: Mit Gründlichkeit und Genauigkeit und der echt philologischen Liebe zum Wort wird aus der sichtbaren Überlieferung, dem Bild, ein lesbarer, und zwar maschinenlesbarer Text, der bis zur Anzahl der Striche bei Unterstreichungen alles von der Überlieferung aufhebt, was irgendwie sinnunterscheidend sein könnte.
Ruth und Borries von dem Bussche vom Düsseldorfer Unternehmen Fafalter skizzierten dagegen eine Lösung auf der Grundlage von HTML5, das mit RDF-Annotation angereichert wird ‒ eine Verbindung von Sinn- und Gestaltebene, die früher gemieden wurde, jetzt aber im Verlagswesen und überhaupt im geschäftlichen Umfeld mehr und mehr Anklang findet. Auch, um Netzseiten mit mehr maschinenlesbarem Inhalt im Sinne des „semantic web“ zu erstellen, ist HTML5 mit RDF-Anzeichnung die fortgeschrittenste Lösung.
Charlotte Schubert von der Universität Leipzig führte eAQUA vor und machte anhand von Beispielen aus ihrer eigenen Forschung deutlich, welchen außerordentlichen Nutzen ein Korpus von diesem Umfang und Lemmatisierungsgrad, zudem versehen mit den Anzeigemöglichkeiten der Kookkurrenzanalyse und der raumzeitlichen Belegverteilung haben kann.
Torsten Schrade von der Digitalen Akademie Mainz stellte einen editorischen Arbeitsablauf vor, der von Ausgangsdokumenten in verschiedenen (und nicht immer günstigen) Formaten hin zum Content-Management-System Typo3 führt. Eine besondere Herausforderung ist im Fall des Beispielprojektes „Medieval Ashkenaz“ die Mischung hebräischer und deutscher Teile, also links- und rechtsläufiger Schriftrichtung, was in besonders schweren Fällen mit einem Zusammenspiel aus weicher Auszeichnung (mit <span dir=”rtl”> … </span>) und harten Steuerzeichen (U+202B für ‘ab hier linksläufig’ und U+202A für ‘ab hier rechtsläufig’) gelöst wird. Die Steuerzeichen werden elegant über das CSS, nämlich über eine an die Anzeichnung dir gebundene content-Eigenschaft eingefügt.
DENQ, vorgestellt von Jörg Hörnschemeyer (dem Entwickler) und Jan-Peter Grünewälder vom DHI Rom, ist ebenda entwickelt worden, also gleichsam innerhalb der Max Weber Stiftung. Ein Kernbestandteil ist die XML-Datenbank eXist. Gezeigt wurden eine Suche über mehrere Korpora, auch als Ähnlichkeitssuche auf der Grundlage des Lewenstein-Algorithmus, ferner die Anzeige von Belegen in räumlicher Verteilung, unterlegt mit einer geographischen Karte, sowie die Möglichkeit, die Abbildung eines Textes in Ausschnitte zu zerlegen, die im SVG-Format gespeichert und den je entsprechenden Textausschnitten zugeordnet werden können, was noch in Entwicklung ist. Es konnte aber bereits eine gerade für diese Aufgabe äußerst nützliche maschinelle Vorsegmentierung gezeigt werden, die schon erstaunlich gut war. Zur Dateneingabe sonst: In DENQ wurde oder wird für jedes gewünschte Format eine Überführung in eXist entwickelt. Unter anderem möglich ist die Nutzung eines vertrauten Editors wie Word, in dem dann über Formatvorlagen recht bequem eine semantische Auszeichnung bis auf die Ebene des Zeichens hinab vorgenommen werden kann. Es ist bewundernswert, wie viel Funktionalität und Flexibilität auf schmaler Personalbasis entwickelt und ermöglicht worden ist.
TextGrid, vorgestellt von Oliver Schmid von der Technischen Universität Darmstadt, ist vielleicht das komplexeste der vertretenen Systeme und bietet einen zumal gemessen am Projektalter großen Umfang an Funktionen sowie Teilprogrammen, die modular entwickelt und vom Nutzer modular eingebunden werden können. Die Eingabeumgebung, TextGridLab, funktioniert als reines Java-Programm ohne Installation (wenn das Java-Runtime-Environment auf dem Rechner installiert ist, was ja meist zutrifft) und auch offline. Das TextGridRep wiederum dient sowohl der gemeinsamen Arbeit an derselben Datenbank, als auch der Langzeitarchivierung und der Veröffentlichung im Netz mit Suchmöglichkeiten.
Zwei vielleicht miteinander zusammenhängende Eindrücke vom Arbeitstreffen:
Erstens. Es gibt noch keinen Königsweg, der zu allen Zielen führt; umso wichtiger sind Übergangsmöglichkeiten von einem Weg zum anderen.
Zweitens. Gerade als Austauschformat ist XML noch immer und bis auf weiteres „die reine Lehre“, wie Gregor Horstkemper von der Bayerischen Staatsbibliothek in seiner Moderation scherzte. Andererseits wurden hin und wieder die Unzulänglichkeiten von XML in den Randbereichen seiner Verwendung deutlich: Wann immer man Geltungsbereiche auszeichnen will, die unterbrochen sind oder einander überlappen, also nicht in die hierarchische Verschachtelung von XML-Dokumenten passen, muss man zu Behelfen greifen, von denen keiner der Standard ist ‒ die TEI-Richtlinien stellen mehrere gleichberechtigt nebeneinander. Und schlimmer: Um die Behelfslösung einzulesen, etwa bei Abfragen, muss man einen eigenen Parser schreiben (adé Standardkonformität) oder auf Reguläre Ausdrücke zurückgreifen (was sonst als blankes Versagen bei der XML-Verarbeitung gilt) oder XPointer verwenden, was noch kaum umgesetzt und überdies mit einem Patent belastet ist, das bei Sun lag, jetzt also bei Oracle liegen müsste (vgl. http://www.w3.org/TR/xptr-framework/, http://www.w3.org/2002/06/xptr_IPR_summary.html). Oracle hat bekanntlich schon wegen eines anderen von Sun geerbten Patentes einen Rechtsstreit begonnen.
Dennoch: Stadler, Leiter der TEI-Interessengruppe „Correspondence“, hat XML mit pädagogischem Impetus hochgehalten: Geisteswissenschaftler sollen mit XML umgehen können, weil der Umgang mit Texten, Textstruktur und Textsemantik zum Kernbereich der Geisteswissenschaft gehört, weil die dabei anfallenden Entscheidungen auch nur der Fachwissenschaftler, kein hilfreich herbeieilender Techniker treffen kann und weil der Umgang mit XML auch gar nicht so schwierig ist wie die wirklich harten Probleme ‒ die sind bei einer Edition stets philologischer Natur. Wenn man von der XML-Frage verallgemeinernd absieht, wird der Impetus ein aufklärerischer: Es geht dann um den Ausgang des Geisteswissenschaftlers aus einer selbstverschuldeten Unmündigkeit, was Datenverarbeitung angeht. Besteht diese Unmündigkeit? Und ist sie selbstverschuldet ‒ aus denselben Ursachen, die Kants berühmter Aufsatz nennt? Hier liegt ein Problem, das unangenehmer ist als etwa das vergleichsweise harmlose Ansinnen, die Geisteswissenschaften im Social Web zu verankern.
Dr. Stefan Müller ist Referent für Datenbanken in der Geschäftsstelle der Max Weber Stiftung in Bonn, Redaktion Perspectivia.
Historische Überlieferung und ihre archäologische Glaubwürdigkeit
Archäologische Forschung beschäftigt sich mit den materiellen Hinterlassenschaften vergangener Kulturen. Es ist nun das Anliegen eines jeden Archäologen dabei so „interdisziplinär“ wie nur irgend möglich zu arbeiten. Als Mittelalterarchäologe greift man dabei naturgemäß zuerst zu den Schriftquellen. Das Heranziehen dieser Quellen ist aber an sich noch keine Interdisziplinarität, sondern erst das in Beziehung setzen von archäologischen Befunden mit der schriftlichen Überlieferung. Einer der Gründe für die geschichtsschreibende Aufgabe der Mittelalterarchäologie ist, dass es einen Grund gibt, warum sich das eine Schriftstück erhalten hat und das andere nicht, zudem sind sie nicht als Selbstzweck verfasst worden. So weit, so selbstverständlich.
Das Umfeld der Elisabethkirche in Marburg betreffend, interessiert mich als Bearbeiter natürlich die Überlieferung des Elisabeth-Hospitals, die Quellen zum Bau der Elisabethkirche und die Überlieferung des Deutschen Ordens in Marburg. Im Rahmen dieses Postes beschränken wir uns auf die Quellen zum „Elisabeth-Hospital“.[1]
Ein Teil der Schriften dazu ist im Zuge des Heiligsprechungs-Verfahrens entstanden. So eine Heiligsprechung ist ein geregeltes Verfahren, in dem geprüft wird, ob der/die potenzielle Heilige auch ein heiliges Leben geführt hat und ob auch genügend verbürgte Wunder auf sein/ihr Wirken zurückgehen. Papst Gregor IX hat noch zu Lebzeiten Elisabeths die Autorität, so ein Verfahren durchzuführen, auf sich und seine Nachfolger beschränkt. Was heißt, dass bei Elisabeths Heiligsprechung penibel auf die Einhaltung der Formalien geachtet wurde, was die Zahl und die Art der Urkunden und der anderen Schriftstücke erklärt.[2]
Bevor so ein Prozess aber in Gang kommt, muss jemand den Antrag auf Eröffnung des Verfahrens nach Rom schicken. In diesem Fall schickte Elisabeths Beichtvater und Mentor ein Schreiben nach Rom, dem noch eine Lebensbeschreibung Elisabeths, bekannt als summa vitae, und eine Zusammenstellung von 60 Wundern beigefügt wurde.[3] Papst Gregor IX ernannte daraufhin eine Kommission mit der Aufgabe, Zeugen von Wundern zu verhören, welche auf Elisabeth zurückzuführen seien. Als die „Untersuchungen“ abgeschlossen waren, wurde ein zweites „Antragspaket“ nach Rom geschickt, bestehend aus einem Anschreiben, der oben genannten „summa vitae“ und einem Wunderbericht, in dem die bereits bekannten 60 um 46 weitere Wunder ergänzt wurden. Mit diesem Antrag hätte das Verfahren in Rom seinen ganz normalen Gang nehmen können, hat es aber nicht. Konrad von Marburg, der Antragsteller, wurde in der Zwischenzeit ermordet. Also kommt der Prozess ins Stocken und muss neu aufgenommen werden. Es werden also neue Kommissare eingesetzt, die noch einmal das heiligmäßige Leben Elisabeths aufrollen und vier ehemalige Dienerinnen über ihre Kindheit, Ehe und ihr Leben im Marburger Hospital befragen. Dieses Protokoll ist zusammen mit einer wiederum ergänzten Wunderauflistung nach Rom geschickt worden und der Heiligsprechung konnte nichts mehr im Weg stehen.[4]
Damit ist die Quellenlage noch lange nicht vollständig dargelegt, aber das soll hier erst einmal genügen.
Summa vitae
Konrad erzählt darin, wie sie zunächst unterhalb der Wartburg ein Hospital gründete, in dem sie Kranke und Schwache aufnahm und wie sie während einer Hungersnot in Thüringen sogar all ihren Schmuck und ihre Gewänder verkaufen ließ zur Speisung der Armen. Nach dem Tod ihres Mannes ging sie gegen seinen Willen nach Marburg und: „Ibi in oppido construxit quoddam hospitale, infirmos et debiles recolligens.“ „Dort erbaute sie sich in der Stadt ein Hospital und gewährte darin Kranken und Schwachen Aufnahme.“[5] Von dem Bau selbst oder von seiner Baugestalt erfahren wird nichts, obwohl das den Archäologen brennend interessieren würde. Solche Informationen spielen in diesem Zusammenhang für den damaligen Verfasser einfach überhaupt keine Rolle.
Martina Wehrli-Johns macht in ihrem Artikel zur Summa vitae klar, dass dieser Bericht kein für sich stehender kurzer Lebensabriss Elisabeths darstellt sondern eine: „Sammlung von exempla aus der zeitgenössischen Bußliteratur, die, umgeformt zur Heiligenvita, gleichsam lehrbuchartig den Weg des Sünders zu seiner Rechtfertigung aufzeigt.“[6]
Der „Libellus“
Spannender wird es bei der Überlieferung des sogenannten „Libellus“. Er liegt uns in zwei Fassungen vor, einer kürzeren, welche die ältere darstellt und eine jüngere ausgeschmückte Variante. [7] Die beiden überlieferten Fassungen sind nicht Teil der Prozessakten gewesen, sondern für die Verbreitung gedachte Überarbeitungen. Der ursprüngliche Text war mutmaßlich ein klar strukturiertes Protokoll, das der Beweisaufnahme für das Heiligsprechungsverfahren gedient hat und ist uns nicht überliefert.[8] Der Unterschied zwischen der kürzeren und der längeren Version ist in der Beschreibung von Baulichkeiten besonders gut zu erkennen. Darauf machte bereits Lothar Vogel 2008 aufmerksam, als er diese Stelle hier aus der längeren Version zitierte:
“Aber nach der Bestattung ihres Gemahls kümmerte sich niemand um ihr Wohlergehen. So sah sie sich wieder in der früheren Not und Bettelarmut ausgesetzt, bis sie sich auf Geheiß von Magister Konrad nach Marburg begab. Wenn sie diese Stadt auch als Morgengabe von ihrem Gemahl erhalten hatte, so machten ihre Verwandten ihr doch durch ungerechtes und gehässiges Verhalten eine angemessene Lebensweise dort unmöglich. Notgedrungen siedelte sie daher in ein kleines Landgut über, wo sie – um keinem zur Last zu fallen – ein verfallenes Hofgebäude bezog. Darin nahm sie in Ermangelung eines wohnlicheren Platzes mit einem Raum unter der Treppe zu einer Kemenate vorlieb. Die Speisen, die sie sich beschaffen konnte, bereite sie mit ihrem Gesinde selbst zu. Unter der Sonnenglut, den stürmisch wehenden Winden und dem ihren Augen überaus lästigen Rauch litt sie in dem engen Raum zwar sehr, aber sie ertrug alles mit Freude und Dank gegen Gott, bis ihr in Marburg ein niedriges Häuschen aus Holz und Lehm erbaut worden war.“[9]
In der kürzeren Version geht Elisabeth nach Marburg und gründet ein Hospital. Das ist alles.
Offenbar ist hier die Beschreibung von Baulichkeiten, beziehungsweise die Beschreibung des jämmerlichen Wohnzustandes, ein hagiografisches Stilelement und nicht als Beschreibung einstiger Baulichkeiten anzusehen.
[1] Einen guten Quellenüberblick findet man bei: O.Reber, Die Gestaltung des Kultes weiblicher Heiliger im Spätmittelalter (Hersbruck 1963)
[2] J. Leinweber, Das kirchliche Heiligsprechungsverfahren bis zum Jahre 1234. Der Kanonisationsprozeß der hl. Elisabeth von Thüringen, in: Philips-Universität Marburg in Verbindung mit dem Hessischen Landesamt für geschichtliche Landeskunde (Hrsg.), Sankt Elisabeth. Fürstin Dienerin Heilige (Sigmaringen 1981) 128-136
[3] Editiert bei: A. Huyskens, Quellstudien zur Geschichte der Hl Elisabeth. Landgräfin von Thüringen (Marburg 1908) 151-239
[4] J. Leinweber, Das kirchliche Heiligsprechungsverfahren bis zum Jahre 1234. Der Kanonisationsprozeß der hl. Elisabeth von Thüringen, in: Philips-Universität Marburg in Verbindung mit dem Hessischen Landesamt für geschichtliche Landeskunde (Hrsg.), Sankt Elisabeth. Fürstin Dienerin Heilige (Sigmaringen 1981) 128-136
[5] E. Könsgen (Hrsg.), Caesarius von Heisterbach. Das Leben der heiligen Elisabeth und andere Zeugnisse, Veröff. Hist. Kommission Hessen 67,2 = Kleine Texte mit Übersetzungen 2 (Marburg 2007), 132-133 Übersetzung nach Könsgen
[6] M. Wehrli-Johnes, Armenfürsorge, Spitaldienst und neues Büßertum in den frühen Berichten über das Leben der heiligen Elisabeth, in: D. Blume- M. Werner, Elisabeth von Thüringen. Eine europäische Heilige (Petersberg 2007) 158
[7] L. Vogel, Der Libellus der vier Dienerinnen, in: Elisabeth von Thüringen und die neue Frömmigkeit in Europa. Kulturgeschichtliche Beiträge zum Mittelalter und der frühen Neuzeit 1 (Frankfurt 2008) 176 / In diesem Band, der eher der erbaulichen Elisabethliteratur zuzurechnen ist, ist eine Libellusübersetzung abgedruckt, in der die Ausschmückungen der längeren Version kursiv hervorgehoben sind: W.Nigg-W.Schamoni (Hrsg.), Elisabeth von Thüringen (Düsseldorf 1963) 69-107
[8] I.Würth, Die Aussagen der vier Dienerinnen im Kanonisationsverfahren Elisabeths von Thüringen (1235) und ihre Überlieferung im Libellus, in: Zeitschr. d. Vereins für Thüringische Gesch.59/60, 2006, 24-32
[9]Editiert bei: E. Könsgen (Hrsg.) Caesarius von Heisterbach. Das Leben der heiligen Elisabeth und andere Zeugnisse, Veröff. Hist. Kommission Hessen 67,2 = Kleine Texte mit Übersetzungen 2 (Marburg 2007), 161-163 Übersetzung nach Könsgen
Destroy when done: Ein Fallbeispiel aus der wissenschaftlichen Praxis über die Auswirkungen von Open Access auf misstrauische Menschen
Neue digitale Technologien und vor allem das Internet ermöglichen die freie Zirkulation und Verfügbarkeit von Wissen und Daten. Das herkömmliche Urheberrecht hält mit dieser Entwicklung nicht Schritt und der Ruf nach Open Access für wissenschaftliche Werke und andere Wissensbestände wird lauter. Die Zukunft verheißt eine globale Wissenschaft, in der Wissen nicht mehr monopolisiert werden kann, sondern allen Menschen an jedem Ort der Erde zugänglich ist. (Für eine postkoloniale Perspektive dazu siehe Artikel über library.nu.)
Diese Entwicklung stößt jedoch nicht bei allen Produzenten von wissenschaftlichen Arbeiten auf Zustimmung, sondern führt bei manchen zu Verfolgungswahn und völliger Abschottung von Wissen, wie ich bei der Jagd nach einer abgeschlossen jedoch unveröffentlichten Dissertation feststellen musste.
Meine Jagd begann mit dem Hinweis eines Mitarbeiters eines Oral History Archivs, dass in Kalifornien ein Historiker eine Dissertation verfasst hat, die sich mit dem Untersuchungsgegenstand meiner eigenen Dissertation beschäftigt. Aus Interesse an meiner Untersuchung und selbstverständlich auch, um eine Doppeldissertation zu vermeiden, musste ich diese Arbeit sehen. Da die Dissertation an einer amerikanischen Universität eingereicht wurde, führte mich mein erster Weg zu ProQuest, einem Internetportal, das fast alle amerikanischen Master-Abschlussarbeiten und Dissertationen auflistet und entweder zum Download oder Kauf anbietet. Die gesuchte Arbeit war auch dabei, jedoch war es weder möglich sie herunterzuladen noch zu kaufen, was mich verwunderte, da nur wenige Werke in dieser Weise eingeschränkt sind. Mein zweiter Versuch führte mich direkt zu der Homepage der University of Michigan, die ProQuest beheimatet und Dissertationen in gedruckter Form ausschließlich zum Kauf anbietet. Aber auch hier hatte ich keinen Erfolg. Mein dritter Anlauf war die Homepage der Universität, an der die Dissertation eingereicht worden war. Die Arbeit hier zu finden war kein Problem. In der Detailanzeige stand, dass die Arbeit 2009 eingereicht und 2011 veröffentlicht worden war. Ich atmete auf: Anfang 2012 sollte es also kein Problem sein, sie zu lesen. Der Link führte mich zu einer weiteren Seite, die aus einem einzigen Satz bestand: „The digital asset is restricted until July 2014. Please contact archives if you have any questions.“ Als vierten Versuch were ich somit meine E-Mail an das Archiv der Universität, die ich umgehend verfasste und auf die ich keine Antwort erhielt. Die weitere Suche brachte mich auf eine Seite, die nur durch das Login von Mitgliedern der Uni zugänglich ist. Durch Zufall machte ich die Bekanntschaft mit einem Studenten der Uni. Er loggte sich ein und hatte – richtig geraten – keinen Erfolg. Dies war der fünfte Streich. Als Nächstes versuchte ich, den Autor direkt zu kontaktieren. Auf meine E-Mails erhielt ich jedoch keine Reaktion. Alle Off-Site-Möglichkeiten hatte ich ausgeschöpft, also führte kein Weg daran vorbei, es selbst vor Ort zu versuchen – es gibt Schlimmeres, als nach Los Angeles fahren zu müssen.
Vor Ort wurde ich zunächst von einer Bibliothek zur nächsten geschickt. Letztendlich wurde mir die Telefonnummer des Archivs gegeben (bis jetzt hatte ich nur dessen Email-Adresse). Von dort wurde ich an die Abteilung Special Collections weitergeleitet. Hier schickte man mich zu einem weiteren Reference Desk. (Nach meiner Berechnung die Versuche sieben bis elf). Hier machte ich die Bekanntschaft von zwei Bibliothekarinnen, Kate und Mary, die, nachdem ich Ihnen mein Problem geschildert hatte, der Ehrgeiz ergriff, die Arbeit aufzuspüren. Sie riefen zunächst noch einmal im Archiv und bei den Spezial Collections an, wo ich schon vergeblich vorgesprochen hatte. Aber auch sie hatten keinen Erfolg. Respektsbezeugungen wurden dem Verfasser der gesuchten Dissertation von den Bibliothekarinnen entgegengebracht, denn er musste einigen Aufwand betrieben haben, um die Arbeit so gänzlich unzugänglich zu machen, selbst für Universitätsmitglieder und Angestellte der Bibliothek. Die Unmöglichkeit eine Arbeit zu finden, die als Dissertation an derselben Stelle eingereicht worden war, sorgte jedoch für Unmut bei den Bibliothekarinnen und sie waren gewillt, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um mir zu helfen. Sie empfanden es als Unverschämtheit und Heuchelei, eine wissenschaftliche Arbeit, für die jemandem ein Ph.D. verliehen worden war, der wissenschaftlichen Gemeinschaft vorzuenthalten. Schließlich handelte es sich um eine historische Arbeit und nicht um geheime CIA-Dokumente, merkte Kate an. Da bin ich mir allerdings nicht mehr sicher, wie das Ende der Geschichte zeigt. Dass dieses Versteckspiel überhaupt möglich war, erklärten sie mir, lag daran, dass die Universitätsbibliothek seit 2009 keine ausgedruckten Exemplare ihrer Dissertationen mehr aufbewahrt, sondern lediglich digitale Versionen. Eine Praxis, die zunehmend von amerikanischen Universitäten angewandt wird. Ein ausgedrucktes Exemplar hätte ich somit jederzeit vor Ort einsehen können. Die digitale Version ließ sich verstecken, selbst an der Universität. Wir hatten eine längere Diskussion über Open Access und den Wert von Wissenschaft. Im nächsten Anlauf wurde direkt das digitale Archiv kontaktiert, das für die Digitalisierung der Abschlussarbeiten zuständig ist. James, der Archivar, konnte dann nähere Einblicke in diesen Fall bieten. Generell wird Doktorand(inn)en die Möglichkeit gegeben, den Zugang zu ihrer Arbeit für zwei Jahre zu unterbinden. Dies erlaubt den Autor(inn)en, einen großen Verlag zu finden, der die Arbeit veröffentlicht, ohne dass die Ergebnisse bereits zugänglich sind. Unter bestimmten Voraussetzungen kann eine Verlängerung dieser Frist um weitere drei Jahre erreicht werden. Hierzu muss jedoch ein begründeter Antrag gestellt und vor einem Komitee verteidigt werden. In meinem Fall hat der Autor anscheinend argumentiert, dass nicht nur seine wissenschaftlichen Erkenntnisse geschützt werden müssten, sondern dass seine Arbeit auch als kreatives Werk besonderen Schutz verdient. Diese Argumentation ist reichlich absurd, da wissenschaftliche Arbeiten stets eine kreative Auseinandersetzung mit dem Untersuchungsgegenstand darstellen. Der Archivar des digitalen Archivs betonte, dass der Autor mit großem Getue (big stink) die Veröffentlichung 2011 verhindert hat. Er erklärte sich jedoch bereit, mir die Arbeit zur Verfügung zu stellen. Unter zwei Voraussetzungen: „Do not distribute. Destroy when done.“ Also doch CIA – ich fühlte mich an den Film Burn After Reading erinnert. Die Vorgabe wurde mir noch als persönliche Absicherung der Bibliothekarin („I do not want to get fired for this!“) als E-Mail zugeschickt.
Letztendlich habe ich die Arbeit nach einigen Anstrengungen also doch noch bekommen. Durch viel Beharrlichkeit, etwas Glück und vor allem dadurch, dass ich mich mit den Mitarbeiter(inne)n der Universität gut gestellt habe. Die ganze Angelegenheit erinnert mich an die Geschichten, die mir Kolleg(inn)en über Archive in Osteuropa erzählen, wo man erst die Archivare „befrienden“ muss, (wie soll das gehen, wenn sie nicht bei facebook sind?), bevor man die Möglichkeit erhält, an die gesuchten Archivalien zu kommen.
Die Digitalisierung führt offensichtlich bei einigen Wissenschaftler(inne)n zu Verfolgungswahn ungeahnten Ausmaßes, was sie dazu veranlasst, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um ihre Arbeit vor jeglichem Zugriff zu schützen. Gewissermaßen ist dies die Gegenbewegung zu Open Access. Die Erkenntnis ist, dass es unter bestimmten Umständen einfacher ist, ein digitales Dokument völlig von der Außenwelt abzuschotten, als ein gedrucktes Werk in einer Bibliothek oder einem Archiv. Es zeigt zudem, dass es nicht um die Existenz von Wissen geht, sondern um dessen Auffindbarkeit und Verfügbarkeit. Was sich nicht auffinden lässt, existiert nicht. Und ein Buch lässt sich mitunter leichter lokalisieren als eine Datei. Dies bedeutet keinesfalls, dass nicht auch gedruckte Dokumente verschwinden können. Dieser Effekt ist gerade für die Geschichtswissenschaft bedeutsam, die ihre Quellen deswegen auch Überreste nennt, was das notwendige Verschwinden von Dokumenten und Artefakten – und somit von Wissen – impliziert, um die Voraussetzungen zu schaffen, die Vergangenheit überhaupt in einer komplexitätsreduzierten und sprachlichen Form zu konstruieren. Für Arbeiten aus dem Jahr 2009 kommt dieser Schritt jedoch etwas zu früh.
Mein Hauptkritikpunkt ist allerdings nicht, dass jemand besorgt ist, um seine oder ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse gebracht zu werden und deswegen dass Internet meidet; sondern vielmehr, dass Doktorarbeiten gar nicht mehr in gedruckter Form verfügbar sind. Die Arbeit, die ich suchte, wurde 2009 abgeschlossen. Wäre sie wenige Monate zuvor – im Jahr 2008 – eingereicht worden, wäre ich heute ebenso wenig in der Lage gewesen, sie online zu beziehen. Ich hätte sie jedoch als gedrucktes Exemplar in der Universitätsbibliothek lesen können.
Um die hilfsbereiten Menschen auf meiner Suche nicht in Schwierigkeiten zu bringen, habe ich eindeutig zuordenbare Namen und Ortsangaben vermieden.
Quelle: http://fyg.hypotheses.org/29
Rezensieren als Prozess – Vom Ende des Einautorprinzips. Oder: Lobo und recensio.net
In seiner jüngsten Kolumne führt Sascha Lobo das mit der Insolvenz der FR soeben manifest gewordene Zeitungssterben auf einen generellen Rezeptionswandel zurück. Seine Theorie ist spannend und leuchtet unmittelbar ein (wobei ebendies immer die Ahnung nährt, dass eine Sache ganz so einfach denn doch nicht zu fassen sein wird, aber wohl das berühmte Körnchen Wahrheit transportiert). Laut Lobo befinden wir uns mitten in einer „sich selbst prozessualisierenden“ Gesellschaft. An die Stelle von Ergebnissen, etwa in Form von Artikeln, Büchern o.ä. tritt der öffentlich gemachte Entscheidungs- und Entwicklungsprozess. Informationen verflüssigen sich, weil sie vor ihrer Publikation in keine Form mehr gegossen werden und fragmenthaft bleiben. Mikroblogging wird zum flexibelsten aller Nachrichtenkanäle: Wenn es politisch ernst wird, verlässt man sich auf Twitter. Dabei ist der Trend zur Prozessualisierung nicht neu: Früher sorgte das Aufkommen der Tageszeitungen für einen Quantensprung; Artikel konnten binnen 24 Stunden vor aller Augen beantwortet werden. Das Tempo digitaler Medien aber ist schlichtweg nicht mehr steigerbar – also stellt sich das System um. Nachrichten und Diskussionen werden zum Puzzle – und alle puzzeln mit. Veränderte Produktionsgewohnheiten ändern Rezeptionsgewohnheiten und vice versa – am Ende der Kette stehen die Kaufgewohnheiten. Soweit Lobos Kolumne, sehr frei zusammengefasst.
Ich würde anfügen wollen, dass die beschriebene Entwicklung durch schwindendes Vertrauen in den „Experten“ beschleunigt wird. In den einen also, der ein Thema in einem dramaturgisch runden Artikel zur Gänze erfasst und zu objektivieren versteht. „Das Ende der Momentaufnahme“ stehe bevor, schreibt Lobo, und es lässt sich eventuell ergänzen, dass sich das nicht nur auf die zeitliche Dimension und das eben nicht mehr steigerbare Tempo bezieht, sondern auch auf die zwangsläufige Ausschnitthaftigkeit und Subjektivität des Einautorprinzips, dessen Akzeptanz schleichend zu Ende geht. Vorausgesetzt ist eine erhöhte Partizipationsbereitschaft beim Einzelnen, denn eine Synthese zu bilden aus all den verfügbaren Fragmenten, liegt anders als früher bei ihm, und je mehr das so ist, desto mehr wächst die Skepsis vor apodiktischen Aussagen (von Politikern, von Wissenschaftlern, vom Nachbarn).
Spannend finde ich für unseren Zusammenhang – die Geisteswissenschaften im Allgemeinen und die RKB-Tagung im Speziellen – die Übertragbarkeit auf das Konzept von recensio.net. Fast kam in mir das Gefühl auf, endlich eine Erklärung für unsere vor Jahren gefällte Entscheidung zu haben. Die Entscheidung nämlich, die bislang meistenteils eindimensionale (geschichts-)wissenschaftliche Buchrezension aufzubrechen: Das Web 2.0-Konzept von recensio.net versucht, ergänzend zur klassischen Rezension ein kommentarbasiertes, „lebendiges“ Rezensionsverfahren in die Wissenschaft zu tragen. Das ist nichts anderes als die Prozessualisierung eines bislang statischen Textgenres, dem seine Statik von der Alternativlosigkeit des Papiers in die Wiege gelegt wurde, denn methodisch betrachtet ist wohl kaum ein anderes wissenschaftliches Textgenre so gut geeignet für Fragmentisierung und Prozessualisierung wie die Rezension: Ziel ist Meinungsbildung und -austausch über Fachliteratur.
Kommentare sind in diesem Fall nicht ergänzender Teil des Bewertungsverfahrens, sie SIND das Bewertungsverfahren, ganz in Lobos Sinne, der eben nicht die Kommentarspalte unter dem weiterhin klassischen Artikel als Ausdruck von Prozessualisierung sieht, sondern den Live-Ticker, der den Artikel ersetzt. Und noch viel weniger als bei Blogs scheint mir dabei die Kommentarfrequenz entscheidend, die hier zuletzt angeregt diskutiert wurde – als Qualität und Intention des Kommentars. Geht es doch weniger darum, per Kommentar das Gegenüber von der eigenen Meinung zu überzeugen, als die eigene Meinung in ein im besten Sinne demokratisches Kaleidoskop einander ergänzender Meinungen einzufügen. Und das Ganze reiht sich dann ein in die gesamtgesellschaftliche Neigung zur Prozessualisierung…
Wieder Diskussionsstoff für Panel 3 der RKB-Tagung. Anmeldung läuft!
Quelle: http://rkb.hypotheses.org/349
Kulturelles Erbe online: Suchdienste und soziale Foren des Zentralamts für Denkmalpflege in Schweden
Ausgrabung bei Gödåker in Uppland, Schweden
Flickr Commons, Swedish National Heritage Board
Mal Hand aufs Herz: Was geht Ihnen bei dem Schlagwort “Geschichtswissenschaft im digitalen Zeitalter” und dem Nachdenken über online verfügbare Quellen als erstes durch den Kopf? Haben Sie zuerst an digitalisierte Textquellen gedacht wie ich auch? Das tun vermutlich die meisten Historikerinnen und Historiker – wir sind nun mal durch Studium und die eigene Forschung oft dahingehend geprägt worden. “Als Historiker arbeitet man mit Textquellen.” So oder ähnlich monolithisch werden viele das mal als Aussage mal gehört haben. Ich erinnere mich an einen Kurs im Geschichtsstudium, der sich dezidiert dem Bild als historische Quelle (und eben nicht als reine Illustration!) widmete. Das heißt nicht, dass Historiker für Artefakte blind sind, aber es gilt nicht unbedingt als kanonisiertes Verhalten, sich als Historiker/in mit materiellen Hinterlassenschaften hauptamtlich zu beschäftigen…
Könnte sich das dadurch ändern, dass es uns immer leichter gemacht wird, Bilder und zwar nicht nur digitalisierte Fotografien, sondern auch Abbildungen von dreidimensionalen Artefakten im Netz aufzufinden? Zunehmend werden auch historische Stätten, Denkmäler, Gebäude, Ausgrabungsfunde, aber auch in Museen verwahrte Objekte in Datenbanken eingespeist. Hier soll exemplarisch ein Blick auf einige solche Suchdienste in Schweden geworfen werden. Das Riksantikvarieämbetet (wörtlich übersetzt: Reichsantiquarenamt), das schwedische Zentralamt für Denkmalpflege also, ist gleich mit einer ganzen Reihe von verschiedenen Suchdiensten und Foren im Netz präsent. Aus der Vielzahl von Datenbanken sollen hier einige exemplarisch vorgestellt werden.
Da ist zum einen die Bilddatenbank Kulturmiljöbild (das versteht man wohl auch ohne Übersetzung), die über 100.000 Aufnahmen von Gebäuden, archäologischen Fundstätten und Kulturlandschaften verzeichnet, die man frei herunterladen und unter Nutzung einer Creative Commons-Lizenz bzw. wenn das Urheberrecht abgelaufen ist, dennoch unter Nennung der Quelle verwenden darf. Die Nutzung ist allerdings nur zu privaten und nichtkommerziellen (non-profit) Zwecken erlaubt. Der Hinweis, es handele sich bei den am Bildschirm einzusehenden und herunterladbaren Fotos um Versionen in niedriger Auflösung, erwies sich nach einer Stichprobe als nicht ganz korrekt: Vor allem Fotos neueren Datums sind tatsächlich mit niedrigeren Auflösungen (96 dpi) vorhanden, aber gerade historische Aufnahmen wie das hier eingebundene Bild (s.u.) sind hier mit 1100 dpi in druckfähigen Auflösungen vorhanden – nicht schlecht! Wo man es doch braucht, kann man für hochauflösende Versionen einen kostenpflichtigen Bestellservice nutzen und die Fotos als Abzüge oder in Dateiform erhalten.
“Mirakelspel”. Historienspiel in Gamla Uppsala, Schweden
Aufnahme: Berit Wallenberg, 25.5.1931 (PD/gemeinfrei)
Aus der Sammlung “Kulturmiljöbild”, Riksantikvarieämbetet
Die Bildunterschrift enthält bereits sämtliche in die Datenbank eingepflegten Informationen, die – einigermaßen unbefriedigend, muss man sagen – spärlich sind. Welchen Anlass das Historienspiel hatte, wer die Akteure dieser Re-Enactment-Aktion waren, wie lange das Ganze dauerte etc. – das muss man auf anderen Wegen herausfinden. Eine Sammlung von 100 000 und bald wahrscheinlich noch mehr Bildern zu annotieren, wäre allerdings auch kaum leistbar. Die Suche kann als Volltextsuche, nach Objekten (über eine alphabetische Liste) und mit einer fortgeschrittenen Suchfunktion mit verschiedenen Filtern durchgeführt werden. Die Bildsammlung enthält nicht nur Fotografien vom Ende des 19. Jahrhunderts bis heute, sondern auch Postkarten, Zeichnungen und Druckerzeugnisse.
Eine sehr umfangreiche Datenbank ist Fornsök, in der Informationen über 1,7 Millionen (!) archäologische Fundstätten an nahezu 600 000 Orten vorliegen. Man kann sich hier über alles Mögliche vom Runenstein über Felszeichnungen, Hinrichtungsstätten, Schiffswracks und Grabstätten informieren.
Beispiel für eine Fornsök-Objektmaske
Eine Eingabe im Suchfenster führt zu einer Karte, auf der die für den jeweiligen Ort oder die gewählte Region in der Datenbank aufgeführten Fundorte eingezeichnet und anklickbar sind. Ausführliche Informationen zum jeweiligen Fund und der Geschichte seiner Entdeckung sind ebenso vorhanden wie Begleitmaterial, etwa ein Scan aus dem Arbeitsjournal des Grabungsleiters als PDF-Datei oder historische Fotografien oder Kunstwerke wie im Fall des hier abgebildeten Teils der mittelalterlichen Stadtmauer von Visby. Solche Abbildungen stammen dann oft aus der oben schon erwähnten Sammlung Kulturmiljöbild.
Mit der Datenbank Kringlawird ein kombinierter Suchdienst angeboten, der Informationen einer Vielzahl schwedischer Museen, Archive und Register enthält. Verzeichnet sind Angaben über historische Objekte und Fotografien aus den Sammlungen dieser Institutionen sowie über Gebäude und Fundstätten von kulturhistorischer Bedeutung. Die Kategorien für einen Sucheinstieg sind Objekte (derzeit knapp 1,87 Millionen an der Zahl), Fotografien (derzeit knapp 792 000), Orte (Baudenkmäler, Monumente, Kulturlandschaften, knapp 900 000), Dokumente (archivalische Quellen und Kataloge, knapp 432 000), Printmaterial (etwa 22 800) und Sammlungen verschiedener Provenienz (an die 42 900).
Einstiegsseite von Kringla
Umfangreiche Filter erlauben eine detaillierte Suche nach Materialart, thematischer Zuordnung, Lizenzarten, man kann in einzelnen Regionen Schwedens suchen, in bestimmten Jahrhunderten sowie nach der Institution, aus der die Objekte stammen. Natürlich kann man die Filter auch weglassen und in der gesamten Datenbank suchen. Neben der klassischen Freitextsuche kann man eine detaillierte Suchfunktion nutzen, entscheiden, ob nur Ergebnisse mit Bildern angezeigt werden und man kann sich die Treffer auf einer Karte anschauen. Die Menge an Einträgen ist beeindruckend, gerade auch die Vielfalt verschiedenartiger Gegenstände. Seit Anfang 2012 hat man zudem begonnen, die Nutzer stärker in den Ausbau der Datenbank einzubinden. Allerdings beschränkt sich dies auf die Möglichkeit, Objekte miteinander zu verknüpfen und Links auf Wikipedia-Artikel zu setzen.
Deutlich mehr Web 2.0 gibt es hingegen bei Platsr, dessen Schreibweise ja schon mal etwas an Flickr erinnert. Eigentlich müsste es Platser heißen, also Plätze oder Orte. Diese deutlich an andere social media angelehnte Seite soll von den Nutzern mit ihren Berichten und Erinnerungen an historische Orte und Ereignisse bestückt werden. Man bedient sich hier der Puzzle-Metapher, nach der ‘ganz gewöhnliche Menschen’ weitere Stücke zu dem großen Puzzle der gemeinsamen Geschichte hinzufügen. Dies geschieht in Form persönlicher Erzählungen, welche hier als gleichberechtigte Stimmen verstanden werden: Subjektive oder alternative Fassungen von Geschichte in Form von ‘kleinen Geschichten’ könnten das von der professionellen Forschung gezeichnete Bild bereichern. In einem einleitenden Video (leider nur auf Schwedisch vorhanden) wird diese Puzzle-Metapher graphisch umgesetzt und auch auf den Unterschied zu früheren Zeiten verwiesen (hier durch die Jahreszahl 1898 vertreten), in denen man eine entsprechende Ausbildung sowie Anstellung (und obendrein einen Schnurrbart!) brauchte, um mitzubestimmen, was über Geschichte niedergeschrieben wird. Heute könne jeder mitmachen, so eine Kernaussage.
Da auf Platsr aber auch etablierte Organisationen für die Pflege des kulturellen Erbes (Museen, Archive etc.) aktiv sein dürfen, können wir ein weiteres Mal eine Egalisierung zwischen ‘professionellen Akteuren’ und ‘Amateuren’ beobachten, wie dies auf diesem Blog schon einmal für ein norwegisches Projekt festgestellt wurde. Sowohl für Platsr als auch für Kringla liegen im Übrigen Anwendungen für Smartphones vor, bisher nur für das Android-Betriebssystem. So wird dann die Möglichkeit, die reichhaltigen Informationen der Datenbanken am jeweiligen historischen Ort selbst abzurufen, eröffnet.
Fazit: Die schwedischen Denkmalpfleger haben eine beeindruckende Vielfalt an Online-Aktivitäten entwickelt und bieten ein für jedermann frei zugängliches Informationsportal mit verschiedensten Suchzugriffen an. Allein die Zahl der verfügbaren Objekte erschlägt einen – in der Praxis hier den Überblick zu behalten, ist gar nicht so einfach, aber wie immer gilt: Wer weiß, wonach er sucht, kann hier fündig werden, ohne in der Informationsflut zu ertrinken. Von dem Engagement, dass hier für online verfügbare archäologische und historische Informationen betrieben wird, könnte man sich andernorts so manches Byte abschneiden…
Abschied von der Gymnasialbibliothek Stralsund, einst im Katharinenkloster untergebracht
Nicht selten pflegen protestantische Institutionen pietätvoll das Erbe monastischer Vorgänger. Die gotische Bausubstanz des Stralsunder Dominikanerklosters St. Katharina wurde wohl auch deshalb so eindrucksvoll bewahrt, weil im Jahr 1560 die neu gegründete Lateinschule in den westlichen Teil des Areals einzog (auch das Waisenhaus wurde hier untergebracht). Erinnert sei auch daran, dass die württembergischen protestantischen Klosterschulen die Architektur der katholischen Klöster weitgehend beibehielten. An erster Stelle ist natürlich das UNESCO-Weltkuturerbe Kloster Maulbronn zu nennen (im Hermann-Hesse-Gedenkjahr liegt der Hinweis auf die Seminaristen-Erzählung “Unterm Rad” nahe). [...]
Europa bauen?
Telse Först, Thorsten Logge: „Die Nationalisierung der Massen“, schrieb Thorsten Logge in seinem Beitrag „Mediale Leuchtfeuer im Nationsdiskurs“ vom 1. Juni 2012 an dieser Stelle, „ging einher mit und ist abhängig von der Entwicklung und Verbreitung der technischen Verbreitungsmedien. Sie … Weiterlesen
Über das Kommentieren in Wissenschaftsblogs
Gastbeitrag von Mareike König
Es wird viel lamentiert, wenn es um Kommentare bei geisteswissenschaftlichen Blogs geht: Meistens bleiben sie aus, so heißt es, und wenn doch mal jemand kommentiert, dann ist der Inhalt oder der Ton oder beides nicht recht. Entweder Regen oder Traufe, Schweigen im Walde oder umzingelt von Trollen, so scheinen sich die Alternativen gegenwärtig resümieren zu lassen. Das wird deswegen tragisch genommen, weil die Interaktion auf dem Blog mit der Leserschaft in Form von Kommentaren einen neuralgischen Punkt betreffen: Denn Bloggen ist nicht nur Publikation, Bloggen ist auch Kommunikation, genau wie Wissenschaft Publikation und Kommunikation ist. Daher, so eine These, die ich selbst teile, passen Blogs und Wissenschaft eigentlich so gut zueinander.
Bleiben dann allerdings Kommentare aus, scheint den Wissenschaftsblogs eine ihrer Grundlegitimationen entzogen. Grund genug, sich dem Thema „Kommentare“ anzunehmen, auch wenn es derzeit mehr Fragen als Antworten gibt: Warum wird so wenig kommentiert? Liegt es an unserer deutschen Forschungskultur? Ist es in anderen Ländern anders? Liegt es an der Zurückhaltung, ja am Misstrauen der Geisteswissenschaftler gegenüber den neuen Medien während in anderen Disziplinen munter diskutiert wird? Wie kann man mehr Interaktivität auf den Blogs generieren? Können provokante Thesen zu Kommentaren anregen, so wie es hier vor kurzem durch den Beitrag von Lilian Landes „Versuchen Sie es doch erstmal mit einem Blog…“ der Fall war? Diese und weitere Fragen werden auf Tagungen und in Blogs gestellt und diskutiert, und auch im Januar 2013 auf der Tagung „Rezensieren – Kommentieren – Bloggen“ wird man sicherlich darüber sprechen.
Man könnte aber auch zunächst fragen: Werden Kommentare nicht generell überschätzt? Und: Wird überhaupt so wenig kommentiert? In meinem Beitrag zum Open Peer Review-Buch „historyblogosphere“ von Eva Pfanzelter und Peter Haber habe ich die Anzahl der Blogpostings und die der Kommentare auf der französischen Blogplattform hypotheses.org gegenübergestellt: Das Ergebnis ist gar nicht so niederschmetternd: „Im Jahr 2008 erhielt jeder vierte Beitrag durchschnittlich einen Kommentar, im Jahr 2009 wurde jeder dritte Beitrag kommentiert, 2010 dann jeder zweite Beitrag.“ (Quelle)
2011 gibt es einen “Einbruch”, und nur noch jeder vierte Beitrag erhält statistisch gesehen einen Kommentar. Woran liegt das? Die Diskussion könnte sich in die sozialen Netze verlagert haben (Kommentar von Sebastian Gießmann bei historyblogosphere); das wäre dann ein Teil der „stillen Konversation“, über die ich im Beitrag ebenfalls schreibe: Denn nicht jede Kommunikation über einen Blog oder ein Blogposting findet auf dem Blog selbst statt. Oftmals wird auf Tagungen, in Mails, am Telefon oder in der realen Kaffeeküche über Blogbeiträge gesprochen. Manchmal sogar, selten, in Tageszeitungen [1].
Ein weiterer Grund für die Halbierung der Kommentarzahlen bei hypotheses.org im Jahr 2011 könnte sein, dass die Zahl der Postings zugenommen hat, die nur einen Veranstaltungskalender enthalten, womit Kommentare nicht herausgefordert werden (Vorschlag von Benoît Majerus bei historyblogosphere). Vielleicht wurden aber auch viele ältere Blogbeiträge ohne Kommentare von bereits bestehenden Blogs auf die Plattform migriert. Über die vier Jahre gerechnet ist jedenfalls der Schnitt mit einem Kommentar für ca. jedes dritte Posting gar nicht so schlecht. Interessant wären vergleichbare Zahlen aus anderen Ländern und Disziplinen.
Wie dem auch sei: Dies sind Zahlen, die nichts über die Qualität der Kommentare aussagen. Dazu hat vor kurzem John Scalzi ein Blogpost veröffentlicht mit dem Titel: „How to be a good commenter“. Sein Beitrag hat bisher 176 Kommentare provoziert, was am Thema, am ohnehin gut eingeführten Blog (seit 1998!), wie auch an der Formulierung der Thesen liegen kann. Ein Luxusproblem, mag man denken, wenn sich jemand nicht mehr um die Anzahl, sondern um die Qualität der Kommentare auf seinem Blog sorgt. Vermutlich ist man da in den USA einfach weiter.
Zehn Fragen soll man sich stellen, so Scalzi, bevor man ein Blogpost kommentiert. Tatsächlich sind es nicht zehn Fragen, sondern allenfalls sieben, einige Gedanken wiederholen sich. Regel Nummer 1 besagt, dass man nur kommentieren soll, wenn man auch etwas zu sagen hat. Schon da bin ich anderer Meinung und würde differenzieren. Ein schlichtes: “Danke für den Beitrag, den ich sehr gern gelesen habe”, ist aus meiner Sicht als Kommentar absolut gerechtfertigt. Daraus entspannt sich dann zwar keine inhaltliche Diskussion, aber ein Feedback ist es allemal, zumal eines, das erfreut.
Die weiteren Fragen, die man sich vor dem Posten eines Kommentars stellen soll, lauten: Ist mein Kommentar zum Thema? Kann ich richtig argumentieren? Kann ich meine Meinung belegen? Schreibe ich in anständigem Ton? Will ich wirklich in eine Diskussion eintreten oder will ich diese nur gewinnen? Weiß ich, wann ich aufhören muss?
Das ist sicherlich alles wünschenswert und in großen Teilen auch richtig, aber eben unrealistisch. Die Leser/innen von Scalzis Blog haben seine Vorschläge dann auch nicht berücksichtigt: „I have nothing to say and will defend to the death my right not to say it!”, lautet der dritte Kommentar, der zu einem Beitrag über (fehlenden) Humor in deutschen Wissenschaftsblogs überleiten könnte. Letztlich ist es mit den schriftlichen Kommentaren bei Blogbeiträgen nicht anders als mit mündlichen Diskussionsbeiträgen auf Tagungen: Einige sind sehr gut, andere off-topic; einige Diskutanten hören sich gerne selbst reden und wieder andere behaupten einfach irgendwas. Und manchmal herrscht einfach nur Schweigen. Das ist dann nicht das Schlechteste.
[1] Twitter für Historiker, in: FAZ, 17.10.2012, S. N4.
Quelle: http://rkb.hypotheses.org/290
Auf die Plätze, fertig, Blog! Junge Forscherinnen und Forscher bloggen die Dresden Summer School 2012
Seit Montag läuft die Dresden Summer School 2012 “Von der Vitrine zum Web 2.0 – Museen, Bibliotheken und Archive im digitalen Zeitalter”. Die Organisatoren begleiten die Veranstaltung nicht nur mit einem eigenen Blog, sie haben auch die insgesamt 24 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zum Auftakt von uns in der Software WordPress und den Grundlagen des Bloggens schulen lassen. Auf diese Weise können sie gleich in das Bloggeschehen eingreifen.
Bei der Schulung am Montag mischten sich Vorfreude und großes Interesse zunächst noch mit leiser Skepsis ob dieser neuen Form der Publikation, denn auch für den Großteil der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ist das Bloggen Neuland. Nach kurzer Zeit überwog jedoch ganz einfach der Spaß am Umgang mit dem neuen Medium und die notwendigen Grundlagen zur Erstellung eines Artikels waren im Handumdrehen gelernt.
Lisa Kolb schritt dann als Erste der Gruppe zur Tat und postete ihren Beitrag „Aufbruch! Umbruch? Start der Dresden Summer School 2012“. Beim wissenschaftlichen Schreiben habe sie sich bisher immer viel Zeit genommen, nun aber habe sie einen Beitrag deutlich schneller „losgelassen“ und sei damit sehr zufrieden. Das Bloggen habe sie regelrecht angesteckt. Und noch einen Vorteil sieht sie: „Endlich einmal Schreiben ohne Fußnoten!“
Auch David Duindam gefällt die Möglichkeit, in informellerer Weise seine forschungsrelevanten Beobachtungen und Gedanken nach außen tragen zu können. Bisher habe er nicht gewusst, wie er das Medium Blog für sich nutzbar machen kann. Nun fasziniere ihn die Möglichkeit, ein Blog als eine Art öffentliches Notizbuch zu seinen Forschungen zu führen.
Ein Raum zur Entfaltung der Gedanken, zum ersten Formulieren und Festhalten von Überlegungen und Zwischenergebnissen, zur Sammlung von Links und anderen Notizen sowie zum Austausch mit Kollegen, dies sind alles Eigenschaften eines Blogs, die von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern als sehr positiv bewertet wurden. Mehrere beschäftigte jedoch, ob das Bloggen nicht der wissenschaftlichen Seriosität und damit dem Ruf schaden könnte. Allerdings überzeugte die von de.hypotheses.org geleistete Qualitätssicherung, die trotz lockereren Tonfalls auf wissenschaftliche Inhalte achtet.
Die Schulung war also in vielerlei Hinsicht ein voller Erfolg. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben nicht nur die Publikationsform Blog und das Portal de.hypotheses.org kennengelernt, sondern sich auch die notwendigen Grundlagen in WordPress angeeignet. Die Tipps und begleitenden Informationen waren schließlich sogar für erfahrene Blogger wie Sonja Ostendorf-Rupp interessant.
Bleibt nur noch den Teilnehmerinnen und Teilnehmern weiterhin eine spannende Zeit zu wünschen – wir freuen uns auf weitere Berichte und Gedanken zur Dresden Summer School 2012!
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Foto von Inger Brandt
“Wie willkommen ist der Nachwuchs?”
Einen frischen Blick auf neue Modelle der wissenschaftlichen Nachwuchsförderung verspricht ein jüngeres Buch, das standesgemäß als gedruckter Sammelband daherkommt. Herausgegeben von Jürgen Mittelstraß und Ulrich Rüdiger, fasst er die Beiträge der gleichnamigen Hamburger Tagung aus dem Herbst 2010 zusammen. Die von der Körber Stiftung zusammen mit dem Konstanzer Wissenschaftsforum ausgetragene Veranstaltung hat dabei durchaus gemischte Reaktionen provoziert. So schrieb Christian Dries anschließend auf sciencegarden, dass auch optimistische und ermutigende Beiträge nicht immer den Kontakt zur Realität aufrechterhalten konnten:
[D]er Durchschnittspromovend war auf der Tagung auch nicht auszumachen. Das Gros der Teilnehmer gehörte zu den Privilegierten, zur reichlich geförderten, gut informierten und bestens vernetzten Elite, die nach Auslandsaufenthalt und Promotion zielstrebig eine Juniorprofessur ergattert oder in lukrativen Forschungsprojekten und an international renommierten Instituten auf den eigenen Lehrstuhl hinarbeitet – oder selbst in jungen Jahren zum Wissenschaftspolitiker wird.
Wie viel ist davon nun im Buch zu spüren? Jürgen Mittelstraß eröffnet den Band mit dem gewohnten wissenschaftlichen Esprit, aber auch gehöriger Skepsis gegenüber einer Verschulung der Graduiertenausbildung. Verschulte Wege, so der Konstanzer Philosoph, führten nicht in die Wissenschaft, sondern in die Schule, in der das schon Gewusste vermittelt, nicht das Neue gefunden wird (14).
Neben der Gefahr von zu viel gut gemeinter, aber schlecht verschulender Unterstützung für Promovierende sehen sich vor allem Postdoktoranden und -doktorandinnen unsicheren Verhältnissen ausgesetzt. Dass hier teils fulminante Balanceakte notwendig sind, um soziale Absicherung und Familiengründung überhaupt zu ermöglichen, ist zwar unisono bekannt. Gleichzeitig bekennt sich etwa Walter Berka, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Österreichischen Forschungsgemeinschaft, zu den Folgen kontinuierlicher akademischer Leistungsbewertung: “Dauerhaftigkeit der Laufbahn und Arbeitsplatzsicherheit sind unter diesen Anforderungen zwei Gradienten, die sich erst im Zeitablauf, das heißt mit fortschreitender Bewährung, schneiden können.” (34)
Demgegenüber macht sich Julian Nida-Rümelin Gedanken um die Kreativität junger Hochbegabter im Zeitalter normierter Forschung. Seine an das Lesepublikum gerichtete Frage, ob unter den heutigen Bedingungen Albert Einstein oder Ludwig Wittgenstein eine Chance auf eine Professur in Deutschland hätten, trägt die latent skeptische Antwort schon in sich (62). Abhilfe verspricht unter anderem Wilhelm Krull, Generalsekretär der Volkswagenstiftung, durch gezieltes Fördern risikobehafteter, ‘transformativer Forschung’, die aufgrund ihres innovativen Gehalts in der ‘peer review’ scheitern könnte (66f.).
Konstanz 2011
Karoline Holländer und Gülay Ates stellen die Ergebnisse der ersten europaweiten Befragung unter jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vor. Nach der erfolgreichen Dissertation, so ein Befund der Eurodoc-Studie von 2008/2009, wird nur ein Drittel in der akademischen Forschung verbleiben. Allerdings streben mehr als zwei Drittel der Befragten eine Stelle in der universitären oder außeruniversitären Forschung an; lediglich ein Drittel bereitet sich auf andere Tätigkeiten vor (93). Das verwundert umso mehr, als die finanziellen Möglichkeiten während der Promotionszeit meist begrenzt sind. Nur bei der Hälfte reichen sie zur Deckung des Lebensunterhalts. 18,4 Prozent der Befragten sind auf Arbeitslosenunterstützung angewiesen.
“Wie willkommen ist der Nachwuchs?” fügt der Hamburger Tagung also weitere Kontrapunkte hinzu. Die weiteren Beiträge gehen durchaus differenziert an aktuelle Problemlagen heran — genannt seien “der ‘Postdoc’ als unbekanntes Wesen”, aber auch die internationale Qualifizierung. Neue Modelle, wie etwa das Konstanzer Zukunftskolleg, werden ebenfalls vorgestellt. Dass mit Albert Kümmel-Schnur gerade ein ehemaliger Konstanzer Juniorprofessor den packendsten Text liefert, sorgt wiederum für eine Relativierung.
Ohne die übliche Scheu vor persönlicher Haltung breitet Kümmel-Schnur die Realien aus, mit denen die erste Generation von Juniorprofessorinnen und -professoren zu kämpfen hatte. Sein Fazit ist ehrlich und fast schon ein wenig defätistisch: “Inzwischen rate ich Freundinnen, Freunden und Bekannten davon ab, eine Juniorprofessur anzutreten, wenn sie über eine Alternative verfügen.” (131) Kümmel-Schnurs Mut, damit an eine breite Öffentlichkeit zu gehen (Spiegel Online), gibt dem Buch unverhofft einen anderen wissenschaftspolitischen Imperativ an die Hand. Auch das Wissenschaftssystem, könnte man sagen, muss mit den Auswirkungen seiner eigenen Störungen rechnen. Ansonsten hört Nachwuchsforschung allzu oft auf, bevor sie ihre gesamtgesellschaftlichen Aufgaben erfüllen kann.
Jürgen Mittelstraß/Ulrich Rüdiger
Wie willkommen ist der wissenschaftliche Nachwuchs? Neue Modelle der wissenschaftlichen Nachwuchsförderung
Konstanz: UVK, 2011 (= Konstanzer Wissenschaftsforum, 4)
ISBN 978-3-87940-830-6
Quelle: http://gab.hypotheses.org/48