Reisegeschichtliches Symposion in Limoges

Morgen breche ich gen Limoges auf und werde dort bei der Tagung Médiateurs et instances de médiation dans l’histoire du voyage zum Thema Les valets de place, vecteurs d’information pour les voyageurs en Europe, 1500 – 1900 referieren, schließlich sollen die Lohnlakaien auch in Frankreich Beachtung finden! Ich freue mich auch schon auf die Hausnummern von Raoul Hausmann, denn der in Wien 1886 geborene Dadaist lebte von 1944 bis zu seinem Tod 1971 in der Stadt an der Vienne.

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/1022374947/

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Advent, Advent: Der TextGrid-Adventskalender ist online

TG-xMAS-eule

Vom 1. bis zum 24. Dezember jeden Tag ein TextGrid-Türchen öffnen! Es darf gerätselt, erforscht, gelesen und hinter so manchem Türchen auch mitgemacht werden – rund um Eulen, Codes und geheime Short Cuts…

Zum Kalender: http://textgrid.de/home/adventskalender/

Wird der Kalender (z.B. in Firefox) nicht angezeigt, bitte hier entlang.

Großen Dank an Mathias Göbel und Hannes Riebl für die Umsetzung!

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=4368

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Datenschutz und Geschichtswissenschaften

An der infoclio-Tagung 'Datenschutz und Geschichtswissenschaften' wurde v.a. von Sacha Zala auf das Problem aufmerksam gemacht, dass zwar immer mehr Daten veröffentlicht werden, aber gleichzeitig der Zugriff darauf massiv eingeschränkt wird. Selbst Daten, welche offiziell der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden müssen (bspw. Bundesratsentscheide nach 30 Jahren), können im Archiv, aber nicht im Internet eingesehen werden. Dort sind sie noch immer geschützt.

Die aufgeworfenen Probleme zu Persönlichkeitschutz, Datenschutz und Forschungsfreiheit betreffen die Forschenden vor allem in der Heuristik. Wie sollen Datenbestände durchforstet werden? Wie kann man sicher sein, dass nicht doch ein Bestand aus irgendeinem (relevanten oder irrelevanten) Grund nicht digitalisiert zur Verfügung steht? Vielleicht digitalisiert wurde, aber hinter einer 'Zensurwand' steckt? Wie lange kann auf einen relevanten Bestand zugegriffen werden?

Der Fall vor dem EuGH bzgl. Google und das Recht auf Vergessen hat aufgezeigt, dass das Persönlichkeitsrecht als sehr hoch gewichtet wird. Der Aufschrei, dass damit 'Zensur' geübt wird und die Meinungs- und Pressefreiheit eingeschränkt wird, ist zu relativieren. Unerheblich davon, wie das Urteil umgesetzt wird oder werden kann, es muss jeder Person selbst überlassen sein, wie gläsern er sein will.

Hierzu scheint es sinnvoll zwischen einer 'ungerichteten' und einer 'gerichteten' Suche zu differenzieren:

  • Bei einer ungerichteten Suche werden mittels digitalen Suchmaschinen grosse/riesige Datenbestände über einen grossen Zeitraum durchsucht (Big Data). Beziehungen zwischen Daten können sehr einfach geknüpft werden. Persönlichkeitsprofile mit detaillierten Auskünften über den ganzen Lebenszeitraum sind erstellbar.
  • Bei einer gerichteten Suche wird bei bestimmten Institutionen in deren spezifischen (digitalen) Datenbanken, Archiven, Bibliotheken etc. gesucht. Die Suche benötigt ein Vorwissen, eine entsprechende Ausbildung und einen intellektuel hohen Beitrag. Auch hier sind Beziehungen zwischen Daten und ein Persönlichkeitsprofil erstellbar, aber mit einem viel grösseren Aufwand.

Es sei die These aufgestellt, dass bei Entscheiden für das Recht auf Vergessen vor allem gegen die Einfachheit der Erstellung von Persönlichkeitsprofilen votiert wurde. Das Fehlen des intellektuel hohen Beitrages (und damit der Reflexion über die vorhandenen Daten und die erstellten Verknüpfungen) ist meines Erachtens der Grund, warum 'Big Data Search' eingedämmt werden sollte, unerheblich der technischen Machbarkeit. Die bestehenden Daten sollen weiterhin zur Verfügung gestellt, aber dürfen nicht datenbestandsübergreifend durchsucht werden können - zumindest während einer klar definierten Sperrfrist. Es wäre damit zu hoffen, dass die veröffentlichten Datenbestände weiter zunehmen, damit für Forschende auch mehr Informationen zur Verfügung stehen, aber die Restriktionen wieder abnehmen werden.

Quelle: http://hsc.hypotheses.org/311

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(4) Einwanderungspolitik von 1713 bis 1786: Zwischen Inklusion und Exklusion

Unter Friedrich Wilhelm I. setzte sich zunehmend eine restriktive und allgemein gültige Judenpolitik durch, die durch Friedrich II. weitergeführt und verschärft wird. In den 1710er und 1720er Jahren gab es immer wieder verschärfte Verordnungen und neue Reglements, die sich aber regional sehr unterschieden, da es noch keine einheitliche Verwaltung mit einheitlichem Steuersystem gab (vgl. Stern 1962a, S. 39). Zur Erlangung von Privilegien mussten jüdische Familien immer wieder die eigene Nützlichkeit für den brandenburgisch-preußischen Staat unter Beweis stellen, die jüdischen Familien in einen permanenten Konkurrenzkampf untereinander führte. Friedrich Wilhelm I. kündigte immer wieder an, alle Juden ohne Schutzbrief, die bisher wegen ihrer Akzise sehr willkommen waren, ausweisen zu lassen und ab 1728 grundsätzlich keinen Schutzbrief mehr für die Mark Brandenburg auszustellen (vgl. Schenk 2010, S. 73). Sehr liberal blieb es hingegen noch in Preußen, das als ein wichtiges Transitland für jüdische Händler zwischen Russland, Litauen, Polen, England und Holland geschützt werden musste (vgl. Stern 1962a, S. 66f.). In Berlin wurde die Judenpolitik durch die Edikte von 1700 und 1714 geordnet, das viele Freiheiten gewährte, die allerdings 1730 wieder unterdrückt wurden. Weitere Abschiebungsversuche gab es nach 1735, als der jüdische Handel nach Missernten und einem allgemeinen Konjunktureinbruch durch geringe Nachfrage und steigende Preise teilweise zum Erliegen kam (vgl. Mittenzwei/Herzfeld 1988, S. 262, 256).

Der „Soldatenkönig“, der die Hofausgaben drastisch reduzierte und in das Heer und die Infrastruktur investierte, wollte auch die Judenpolitik vereinheitlichen: Das „General-Privilegium und Reglement“ vom 29. September 1730 sollte erstmalig versuchen für den gesamten Staat die jüdischen Lebensverhältnisse und Wirtschaftsmöglichkeiten neu zu ordnen, was allerdings als der Beginn eines langen Entwicklungsprozesses bis weit in die Regierungszeit Friedrich II. hinein zu verstehen ist und nicht in jeder Provinz sofort durchgesetzt werden konnte (vgl. Stern 1962a, S. 20; vgl. auch Rürup 1995, S. 27f. und Jersch-Wenzel/John 1990, S. 182ff.).

Eine Zäsur war die vermögensabhängige Übertragung des Schutzbriefs auf das erste Kind, die nur wohlhabenden Familien eine Zukunft in Brandenburg-Preußen sicherte und viele jüdische Familien in Existenzangst und Konkurrenz zu einander trieb. Außerdem sollten keine neuen Schutzbriefe mehr ausgestellt, die Anzahl der Juden im ganzen Staat begrenzt, der Handel wieder auf seltene oder Luxuswaren beschränkt und die Abgaben zusätzlich erhöht werden. Die seit 1674 bestehende solidarische Haftbarkeit für die Zahlung von Steuern und Schäden der jüdischen Gemeinden wurde auch auf fremde Juden ausgeweitet (vgl. Jersch-Wenzel/John 1990, S. 285). Das hatte zur Folge, dass die jüdischen Gemeinden daran interessiert waren, dass jüdische Einwanderer ein hohes Vermögen von mindestens 10.000 Reichstaler mitbrachten. Das Reglement führte zu zahlreichen Bittschriften und Beschwerden, sodass es in den Folgejahren einige Überarbeitungen erlebte, bis es unter Friedrich II. revidiert werden sollte. Insgesamt konnte die brandenburgisch-preußische Einwanderungspolitik bis 1740 das Land politisch und wirtschaftlich stabilisieren. Mit dem Regierungsantritt Friedrich II. wird die jüngere jüdische Geschichte in Brandenburg-Preußen rund 70 Jahre alt, sodass die Eingewanderten schon um eine 2. oder auch 3. Generation gewachsen sind und sich vielerorts jüdische Gemeinden etabliert haben.

Am 17. April 1750 wurde durch Friedrich II. ein „Revidiertes General-Privilegium und Reglement, vor die Judenschaft im Königreiche, Preußen, der Chur- und Marck, Brandenburg, den Hertzogthümern, Magdeburg, Cleve, Hinter-Pommern, Crossen, Halberstadt, Minden, Camin und Moers; ingleichen den Graf- und Herrschaften Marck, Racensberg, Hohenstein, Tecklenburg, Lingen, Lauenburg und Bütau“ (zit. n. Stern 1971b, S. 236/Nr. 102) erlassen, aber auf Bitten der jüdischen Gemeinden, die damit Zeit für mögliche Änderungen gewinnen wollten, erst 1756 veröffentlicht. Dieses General-Privileg baute auf das Reglement von 1730 und den zahlreichen Kabinetsordren,  Bittschriften, Eingaben und Resolutionen der Jahre zuvor auf und wurde auch nach Erlass von zahlreichen Änderungsvorschlägen begleitet. Es wurde weiter nach ökonomischen Nutzen systematisiert und erhielt insbesondere nach dem 7-jährigen Krieg neue Zusatzbestimmungen, die weitere Sonderabgaben und Zwangsexporte von Waren forderten, und wurde erst durch das Emanzipationsedikt 1812 annulliert (vgl. Schenk 2010, S. 82ff.; vgl. auch Jersch-Wenzel 1978, S. 92 und Jersch-Wenzel/John 1990, S. 182ff.).

Die jüdische Existenz in Preußen wurde dazu von ihren Kapitalerträgen und ihrem ökonomischen Engagement abhängig gemacht und durch ein komplexes Abgabensystem bestimmt. So wurden alle jüdischen Familien in dem Reglement von 1750 je nach Privilegien in sozialen Klassen statistisch erfasst und als (1) generalpriviligiert, (2) ordentlich, (3) außerordentlich, (4) vergleitet, (5) geduldet oder (6) unvergleitet eingeordnet (vgl. Freund 1912, S. 26; ebenso Battenberg 2001, S. 45f. und Bruer 1991, S. 71f.). Generalprivilegien erhielten nur die kleine Schicht an kapitalkräftigen, ökonomisch wertvollen „Hofjuden“ der 1. Klasse, die den Hof oder das Heer versorgten und von fast allen Beschränkungen befreit waren. Schutzjuden der 2. Klasse hatten immerhin das Recht, ihr Schutzprivileg nach ihrem Tod auch auf die mögliche Witwe oder ihr erstes und zweites Kind zu übertragen. Schutzjuden der 3. Klasse waren dazu nicht befugt und durften nur bei Bedarf und gegen Zahlung von 1000 Reichstalern ihren Schutzbrief aufs ihr erstes Kind übertragen. Später hatten durch die Erhöhung von Abgaben nur noch Familien mit einem großen Einkommen oder mit einem Manufakturbetrieb überhaupt noch Chancen, ihren ordentlichen oder außerordentlichen Schutzbrief, auch auf ihre Kinder zu übertragen, was zu Spannungen innerhalb der jüdischen Gemeinden führte (vgl. Jersch-Wenzel 1978, S. 94, 149, 163). Jüdische Familien der Klasse 4 wurden toleriert und waren meist Gemeindeangestellte, wie Schulmeister oder Rabbiner. Geduldete Familien der Klasse 5 besaßen keinen Schutz und erhielten nur Bescheinigungen, die zeitlich begrenzt waren. Die Klasse 6 bildeten jüdische Familien ohne Schutzbrief, Geleit oder Duldung, sodass diese kein Recht auf Niederlassung besaßen und zur dauernden Wanderung gezwungen waren, wobei sie nur ungern von jüdischen Gemeinden aufgenommen wurden, da diese für sie hafteten. Oftmals werden Juden der Klasse 6 in der Literatur auch als „Betteljuden“ geführt, deren Anteil an der jüdischen Bevölkerung Battenberg für das Jahr 1750 mit 50 Prozent und 1780 sogar mit 90 Prozent angibt. (Vgl. Battenberg 2001, S. 114).

Wie zügig der soziale Abstieg sich beispielsweise vollziehen kann, zeigen Herzfeld anhand von Levin Joseph aus Spandau (vgl. Herzfeld 2001, S. 164ff.) und Schenk am Niedergang des Manasse Jacob aus Bernau (vgl. Schenk 2010, S. 175). Um ihre soziale Situation zu verbessern und Privilegien zu erhalten war für jüdische Familien immer wieder der Nachweis der eigenen (ökonomischen) Nützlichkeit für Preußen unabdingbar. Insbesondere auf den Export legte Friedrich II. sein Hauptaugenmerk und forderte somit einen verstärkten Handel nach Holland, Frankreich, Schweden, Spanien, Portugal, Kursachsen, Russland bis in die Türkei und vor allem in das wirtschaftlich unterentwickelte und innenpolitisch geschwächte Polen. Erlaubt war durch das Generalprivileg von 1750 der Handel mit Luxuswaren, Geldwechseln und Krediten, Immobilien, Manufaktur- und Gebrauchtwaren sowie Textilien, Vieh und Pferden. (Vgl. Freund 1912, S. 40; vgl. auch Battenberg 2001, S. 95)

Zwischen 1723 und 1813 machte die jüdische Erwerbsbevölkerung in Berlin im Handelsbereich 68 Prozent aus, während es in der Gesamtbevölkerung nur 7,4 Prozent waren.  Jüdische Männer waren dabei zu 47,5 Prozent im Warenhandel und zu 20,5 Prozent im Geldhandel tätig (vgl. Jersch-Wenzel/John 1990, S. 202ff.. Weitere 5,7 Prozent arbeiteten im Handwerk, 5,7 Prozent im Gewerbe und 14 Prozent im Privat- und Gemeindedienst).

Von ökonomischen Engagement hing somit die jüdische Zukunft in Preußen, aber auch die Zukunft für Preußen ab, denn kein „Staat hat die ökonomische Disziplinierung der Juden so systematisch betrieben und genutzt wie Preußen“ (Bruer 1991, S. 18).

 

Literatur

Battenberg, J. Friedrich (2001): Die Juden in Deutschland vom 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Enzyklopädie Deutscher Geschichte. Bd. 60. München.

Bruer, Albert A. (1991): Geschichte der Juden in Preussen (1750-1820). Frankfurt/Main.

Freund, Ismar (2012 [1912]): Die Emanzipation der Juden in Preußen. Bd. 2. Urkunden. Hildesheim.

Herzfeld, Erika (2001): Juden in Brandenburg-Preussen. Beiträge zu ihrer Geschichte im 17. und 18. Jahrhundert. Berlin.

Jersch-Wenzel, Stefi; John, Barbara (1990): Von Zuwanderern zu Einheimischen. Hugenotten, Juden, Böhmen, Polen in Berlin. Berlin.

Jersch-Wenzel, Stefi (1978): Juden und „Franzosen“ in der Wirtschaft des Raumes Berlin/Brandenburg zur Zeit des Merkantilismus. Einzelveröffentlichung der Historischen Kommission zu Berlin. Bd. 23. Berlin.

Mittenzwei, Ingrid, Herzfeld, Erika (1988): Brandenburg-Preußen 1648-1789. Das Zeitalter des Absolutismus in Text und Bild. Berlin.

Rürup, Reinhard (1995): Jüdische Geschichte in Berlin. Bilder und Dokumente. Berlin.

Schenk, Tobias (2010): Wegbereiter der Emanzipation? Studien zur Judenpolitik des „Aufgeklärten Absolutismus“ in Preußen (1763-1812). Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte. Bd. 39. Berlin.

Stern, Selma (1971b): Der Preussische Staat und die Juden. Dritter Teil/Die Zeit Friedrichs des Großen. 2. Abteilung: Akten. Tübingen.

Stern, Selma (1962a): Der Preussische Staat und die Juden. Zweiter Teil/Die Zeit Friedrich Wilhelms I. 1. Abteilung: Darstellung. Tübingen.

Quelle: http://germanjews.hypotheses.org/46

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Klassiker der Geschichte ländlicher Gesellschaften, Episode 1

Heute: Josef Moosers "Ländliche Klassengesellschaft"

Vor sehr, sehr langer Zeit (zumindest kommt es mir so vor) habe ich hier einmal über Klassiker geschrieben – und warum das Lesen von Klassikern mehr ist, als nur einem (eingebildeten oder realen) Kanon hinterher zu hecheln. Auch wenn ich den Text von damals heute in der Form sicher nicht mehr schreiben würde, bleibe ich doch dabei: Klassiker Lesen hat einen Sinn. Es öffnet den Blick auf vergangene Diskussionen und schärft damit auch die Aufmerksamkeit für gegenwärtige Probleme.

Dies ist nun also die erste Folge einer losen Serie, in der ich Klassiker der Geschichte ländlicher Gesellschaften vorstellen werde. Damit schaffe ich selbst einen „Kanon“, einen Korpus von Texten, die ich für wichtig halte, wenn man sich mit der Geschichte ländlicher Gesellschaften in der Neuzeit auseinandersetzen will.

Josef Moosers Werk über die „Ländliche Klassengesellschaft“1 ist ganz sicher ein solcher Klassiker. Das Buch wird als Grundwissen über die Sozialgeschichte ländlicher Gesellschaften zumindest in der deutschen Diskussion stillschweigend oder explizit vorausgesetzt. Stefan Brakensiek hat vor einiger Zeit einen sehr lesenswerten Artikel über Rezeption und Aktualität des Werks veröffentlicht, auf den ich verweisen kann.2 Damit bin ich entlastet und kann kurz erklären, welche Punkte für mich in dem Buch wichtig und weiterführend sind:

1. Mooser war einer der ersten, die im deutschsprachigen Raum das Konzept der „peasant society“, das aus der Sozialanthropologie stammt, verwendet haben. Zu dem Konzept selbst schreibe ich noch mal genauer was, hier soll nun das reichen: Die bäuerliche Gesellschaft wird als Teilgesellschaft verstanden, die durch eigene Werte, Regeln und Mechanismen gekennzeichnet ist; durch Herrschaftsverhältnisse („mächtige Außenseiter“ wie Staat und Grundherrschaft) ist die Teilgesellschaft in größere Zusammenhänge eingebunden. Mooser greift das Konzept als heuristisches Werkzeug auf, trotz der Kritik, die er daran grundsätzlich übt (zu stark homogenisierend, Beziehungen zwischen den verschiedenen Teilgesellschaften werden systematisch unterschätzt). Denn die Idee der „peasant society“ ermöglicht es, die Eigenständigkeit ländlicher Gesellschaften zu analysieren, ohne dabei grundsätzlich von ihrer Rückständigkeit auszugehen – und da sind wir wieder bei der Problematik der „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“, über die ich neulich schrieb. Das Modell der „peasant society“ ist für Mooser ein Hilfsmittel, diesem Problem zu entkommen. Zwar ist meine Meinung, dass man sich damit mehr Schwierigkeiten einbrockt als vom Hals schafft, aber die Frage bleibt: Wie relationiere ich die ländliche zur „Gesamt“-Gesellschaft, die offenbar nach anderen Regeln spielte?

2. Über weite Strecken handelt es sich bei dem Buch um eine Sozialgeschichte der ländlichen Gesellschaft in den zwei untersuchten westfälischen Gebieten (Minden-Ravensberg und Paderborn). Vor allem im letzten Kapitel kommt Mooser aber auf die vielfältigen Prozesse der Politisierung zu sprechen, die im Vormärz und in der Revolution von 1848/49 eine Rolle spielten und die einen neuen Blick (also in den 1980ern) auf die Rolle der ländlichen Gesellschaften versprachen: Vor allem ist sehr einleuchtend, wie komplex das Ineinandergreifen von Konservatismus und Politisierung sich am Beispiel der untersuchten ländlichen Unterschichten darstellt. Mooser nennt die Haltung „reflektierten Traditionalismus“, um damit zu zeigen: Es handelte sich keineswegs um eine unpolitische Haltung der ländlichen Unterschichten bzw. der ländlichen Gesellschaften insgesamt, sondern im Gegenteil um eine hochpolitisierte Einstellung, die aber eben nicht demokratisch oder gar sozialistisch geprägt war, sondern konservativ-traditionalistisch, staatsnah und anti-bürgerlich. Der Traditionalismus der ländlichen Unterschichten war, so Mooser, keineswegs nur auf den Erhalt des Vorhandenen gerichtet, sondern hat auch utopische Anteile – es ging um die Neuschaffung von Institutionen, um der traditionalen moral economy (Mooser übersetzt den Begriff E.P. Thompsons mit „sittliche Ökonomie“) zum Durchbruch zu verhelfen. Dass in diesem Zusammenhang der Staat als Akteur angerufen wurde, ist auch ein Zeichen davon, dass ein rein lokaler Gesellschaftsbezug im 19. Jahrhundert nicht mehr funktionierte, weil sich gesellschaftlich etwas verändert hatte:

Mit der Aushöhlung der subsistenzorientierten Familienwirtschaft und der wachsenden Marktabhängigkeit der Einkommen entstand und erweiterte sich die politische Betroffenheit wie umgekehrt eine lebensnotwendige Angewiesenheit auf Politik. 3

Der Staat hatte also nicht nur seine Form und seine Wirkungen verändert (wie in vielen Theorien und Untersuchungen zum Staatsausbau im 19. Jahrhundert nachzulesen ist), sondern auch seine Adressierbarkeit.

Mooser weist also auf zwei bemerkenswerte Punkte hin: Erstens ist eine auf den ersten Blick „unpolitische“ oder „traditionale“ Positionierung möglicherweise hochpolitisch – es kommt darauf an, mit welchen Politikbegriffen man an die Untersuchung geht, und ob man (implizit oder explizit) Vorstellungen von „Fortschrittlichkeit“ zu Kriterien für Politisierung macht.

Zweitens: Im Anschluss an Mooser könnte man die These aufstellen: Der Wandel von Staatlichkeit hat auch etwas mit dem Wandel von Wahrnehmungen, Erwartungen und Ansprüchen nicht-staatlicher Akteure zu tun. Staatlichkeit und Politik sollten als (sich verändernde) Relationen untersucht werden.

Beide Hinweise sind – blickt man auf das Veröffentlichungsdatum des Buches – nun also keineswegs neu, aber ich sollte sie im Kopf behalten. Wir werden sehen, welche Ergebnisse ich damit für die Zeit nach 1848 zutage fördern kann.

  1. Mooser, Josef: Ländliche Klassengesellschaft 1770-1848. Bauern und Unterschichten, Landwirtschaft und Gewerbe im östlichen Westfalen, Göttingen 1984
  2. Brakensiek, Stefan: "Ländliche Klassengesellschaft. Eine Relektüre", in: Maeder, Pascal/Lüthi, Barbara/Mergel, Thomas (Hg.), Wozu noch Sozialgeschichte? Eine Disziplin im Umbruch. Festschrift für Josef Moser zum 65. Geburtstag, Göttingen 2012, S. 27-42
  3. Mooser, Klassengesellschaft, 365

Quelle: http://uegg.hypotheses.org/282

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Das Innere nach außen gekehrt

Alf Lockhart (Großbritannien, 1918)

Alf Lockhart (Großbritannien, 1918)

Alf Lockhart (Großbritannien, 1918). Press photo for exhibition „The Eyes of War“ in the German Historical Museum in Berlin

Das Deutsche Historische Museum in Berlin zeigt seit dem 1. Oktober 2014 Fotografien des Niederländers Martin Roemers. 2004 traf der Fotograf den britischen Kriegsveteranen Frederick Bentley, der im Jahre 1944 sein Augenlicht verlor, als er von einer Granate getroffen wurde. Berührt von diesem Schicksal, begann der Niederländer nach Personen zu suchen, die ähnliche Erfahrungen wie Bentley gemacht haben. Entstanden ist eine große Sammlung an Geschichten und Bildern aus den verschiedensten Ländern.

Die Ausstellung umfasst 40 Porträts von Menschen aus Deutschland, Belgien, den Niederlanden, Großbritannien, der Ukraine und der ehemaligen Sowjetunion. Die Bilder zeigen Menschen, die während des Zweiten Weltkriegs als Jugendliche, junge Erwachsene und Soldaten ihr Augenlicht zum Teil oder ganz verloren haben. Begleitet werden die ca. ein Meter großen Aufnahmen von Interviews mit den gezeigten Personen, die ihre persönlichen Geschichten erzählen. So berichtet ein Mann aus Großbritannien von einem Freund, mit dem er gemeinsam einen verschütteten Keller nach interessanten Dingen durchsucht hatte. Dabei fanden die beiden eine Handgranate, die sie aber nicht als solche erkannten und damit spielten. Als der Junge wieder erwachte, hatte er zwei Wochen im Koma gelegen und sein Augenlicht verloren.

Jedes tragische Einzelschicksal berührt und hält einem einmal mehr die Sinnlosigkeit von Kriegen vor Augen. Auf der anderen Seite rufen die Darstellungen nicht nur Mitleid hervor, sondern zeugen von einer besonderen Stärke. So beschreiben die Betroffenen nicht nur ihren Leidensweg, sondern vielmehr ihre persönliche Art und Weise, mit einer solchen Behinderung umzugehen.

Sieglinde Bartelsen (Deutschland, 1930

Sieglinde Bartelsen (Deutschland, 1930). Press photo for exhibition „The Eyes of War“ in the German Historical Museum in Berlin

Dies wird auch durch die Präsentation der Sammlung bestärkt. Die Galerie ist mit schwarzen Wänden ausgekleidet, und auch die Aufsteller sind in dunkler Farbe gehalten. Die Porträts wurden in Schwarz-Weiß entwickelt. Jedoch sind sie auf einem weißen Untergrund angebracht, der sich wie ein Rahmen um die Fotografien schmiegt. Diese Darstellung gibt den Konsens der Ausstellung sehr gut wieder. Jedes einzelne Schicksal ist wichtig und erwähnenswert. Letztendlich werden aber all diese individuellen Geschichten zu einem Ganzen, weil sie trotz unterschiedlicher Nationalitäten das gleiche Schicksal eint. Martin Roemers verweist mit seiner Sammlung darauf, dass Bilder von äußerlich verletzten Menschen auch ihre innere Konstitution widerspiegeln können. Dies wird eindrucksvoll bestätigt, wenn man die Interviews neben den Bildern liest, wie Sieglinde Bartelsen, die trotz ihrer Einschränkung Näherin wurde und ihr eigenes Geld verdiente.

Zudem hat das Deutsche Historische Museum erstmals ein Leitsystem für Blinde und Sehbehinderte entwickelt und angelegt. So können die Besucher in Brailleschrift einen Einführungstext und auch die einzelnen Schicksale neben den Bildern lesen. Es gibt außerdem die Möglichkeit für Menschen ohne Augenlicht, an Führungen mit anschließender Diskussion teilzunehmen.

Ergänzend zu der Sammlung brachte der Hatje Cantz Verlag einen begleitenden Fotoband zur Ausstellung heraus, der jedoch nur noch einmal die Interview-Ausschnitte und die dazugehörigen Bilder zeigt, die ohnehin in der Ausstellung betrachtet werden können. So kann man die Bilder und ihre Geschichten nachlesen, erhält jedoch kaum neue Informationen zur Entstehung.

Norman Perry (Großbritannien, 1919).

Norman Perry (Großbritannien, 1919). Press photo for exhibition „The Eyes of War“ in the German Historical Museum in Berlin

Die Ausstellung läuft noch bis zum 4. Januar 2015 und ist besonders für jüngere Menschen einen Besuch wert. Denn sie zeigt am Beispiel tragischer Ereignisse, dass die vom Krieg betroffenen Menschen noch lange nach solchen Erlebnissen mit der Verarbeitung der Folgen beschäftigt sind. Erschreckend ist auch zu sehen, dass die Bilder ein heute sehr aktuelles Thema ansprechen. Man muss nur auf die Krisengebiete der Welt blicken und kann sich vorstellen, dass solche und noch schlimmere Ereignisse tagtäglich geschehen.

The Eyes of War – Fotografien von Martin Roemers
1. Oktober 2014 bis 4. Januar 2015
Deutsches Historisches Museum Berlin

Quelle: http://www.visual-history.de/2014/12/01/das-innere-nach-aussen-gekehrt/

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Hitler auf der Weinflasche. Zwischen Werbekniff und Verharmlosung

Janine Schemmer Mussolini, Stalin und Hitler „zieren“ Etiketten von Weinflaschen, die in Schaufenstern einiger italienischer Cafés und Geschäfte ausgestellt sind und manch vorübergehenden Passanten zum Stehenbleiben und Staunen bringen. Als ich italienischen Freunden gegenüber meinen Unmut vor allem über die … Weiterlesen

Quelle: http://netzwerk.hypotheses.org/2120

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China-News zur Plünderung und Zerstörung des ‚Sommerpalasts‘ im Herbst 1860

Die  Yùyuán 御园 [wörtl. "Kaiserliche Gärten"][1], die in Europa unter der Bezeichung 'Alter Sommerpalast' bekannt bekannt sind,  wurden ab Anfang des 18. Jahrhunderts errichtet. Zu der Anlage gehörte neben den Gärten eine kostbare Bibliothek.[2]

Yùyuán 御园

Yùyuán 御园 | Photographie: Georg Lehner

In der Endphase des so genannten 'Zweiten Opiumkriegs' wurden gefangen genommene französische und britische Abgesandte festgesetzt und gefoltert.  Als Vergeltungsmaßnahme wurden Paläste und Gärten von englischen und französischen Truppen geplündert und auf Befehl Lord Elgins die Yùyuán 御园 von englischen Truppen zerstört. Der französische Befehlshaber General Montauban, der sich persönlich bereichert hatte, verweigerte die Teilnahme an der Zerstörungsaktion.

Während die Plünderungen in Zeitungsberichten teilweise ausführlich geschildert wurden[3], wurde die Zerstörung des 'Alten Sommerpalasts' nur kurz erwähnt - so heißt es in Das Vaterland lapidar "Der Sommerpalast des Kaisers ist von den Engländern in Brand gesteckt worden."[4] Die in den Wiener Blättern abgedruckten Meldungen basierten mehrheitlich auf Berichten in englischen Zeitungen, die das Vorgehen als gerechtfertigte Maßnahme sahen - und bald Kritik äußerten, dass das Niederbrennen des 'Sommerpalasts' nur wenig Eindruck auf die chinesische Seite gemacht hätte.[5] Auch Robert Swinhoe (1836-1877), der als Übersetzer bei den Truppen war, beschrieb in seinen persönlichen Erinnerungen  Narrative of the North China Campaign of 1860 (1861) die Plünderungen und die Zerstörung und gibt auch Lord Elgins Sicht der Dinge breiten Raum. Robert Swinhoe: Narrative of the North China campaign of 1860 (London: Smith, Elder & Co. 1861) zur Plünderung  S. 305-312, zu Lord Elgins Gründen für die Zerstörung S. 326-328, zur Zerstörung S. 328-337 .Vgl. auch den Bericht "Die Plünderung des k. Sommerpalastes bei Peking durch die Alliirten im Jahre 1860". In: Militär-Zeitung Nr. 7 (22.1.1862) 53 f. und Nr. 8 (25.1.1862), 59 f. - basierend auf der Darstellung von Svinhoe.))

Im März 1865 wurden die Ereignisse in Běijīng 北京 noch einmal Thema, denn Charles Guillaume Marie Apollinaire-Antoine Cousin-Montauban, comte de Palikao (1796-1878) wurde im franzöischen Senat als Schwächling angegriffen. Montauban erläuterte ann seine Sicht der Dinge - die dann in den europäischen Medien breit diskutiert wurden.

Montauban stellt den Brand zunächst als Unfall dar:

Man hat viel davon gesprochen, aber man hat nie genau erklärt, wie das Feuer entstanden war, und zwar aus dem Guten Grunde, weil diejenigen, welche davon sprachen, nicht dabie waren. Die Sache ging folgendermaßen zu: Neben dem Sommerpalaste befanden sich einige hölzerne Häuser, woselbst man einige unserer Waffengefährten gefangen hielt; man stieß dort auf neue Beweise von der grausamen Behandlungsweise unserer Kameraden. Man fand blutige Kleidungsstücke und erkannte in einem Zimmer die Leiche des unglücklichen "Times"-Correspondenten, welchen die Chinesen dorthin geworfen hatten, damit er von den Schweinen gefresen werde. Die Soldaten wollten diese Häuser als einen infamen Ort, der an die schrecklichsten Grausamkeiten erinnerte, verbrennen, und sie hatten recht. Aber die daranstoßenden Mauerwerke berührten den Sommerpalast; das Feuer ergriff denselben und erbrannte theilweise ab, aber nicht vollständig."[6]

Doch als die Engländer mehr vom grausamen Schicksal der Gefangenen erfahren hätten, wollten sie weiter Rache nehmen:

[...] der englische Obercommondant, General Grant, schrieb mir, um mir den Vorschlag zu machen, nach dem Palaste zurückzukehren, um die Züchtigung der Chinesen zu vervollstänigen. Ich hielt es für durchaus unnütz, an unshcädliche Gebäude Feuer zu legen, schrieb in diesem Sinne an den englischen Gesandten und an den General und lehnte meine Betheiligung an diesem Zerstörungswerke ab.[7]

Auch Lord Elgin[8] hätte sich mit diesem Ansinnen auch an den französischen Gesandten, Baron Gros[9], gewandt, der ähnlich wie Montauban geantwortet hätte.

Was war nun noch zu thun? Es handelte sich weder um eine kriegerische Operation, noch um einen politischen Act, und wir hatten keinen Grund, uns dem Vorgehen der Englädner zu widersetzen. [10]

Es handle sich dabe nicht um einen Akt der Schwäche, im Gegenteil, man hätte die Engländer davon abgehalten, in die Stadt einzudringen und den Kaiserpalast niederzubrennen.[11]

Während die Plünderungen nicht weiter kommentiert wurden, wurde das Niederbrennen des 'Sommerpalastes' bald kritischer gesehen, so heißt es etwa in der Militär-Zeitung im Rahmen der Berichterstattung über die "Dotationsfrage des Grafen von Palikao[12]" ganz klar:

Was die Zerstörung des Sommerpalastes anbelangt, so ist dieselbe eine That des Vandalismus gewesen, denn es war zu allen Zeiten unerhört, Städte oder Plätze der Plünderung und Vernichtung preiszugeben, welche nicht vertheidigt werden.[13]

  1. Die Anlage besteht aus drei Teilen: Yuánmíng Yuán 圓明園 [Garten der vollkommenen Klarheit], Chángchūn Yuán 長春園 [Garten des ewigen Frühlings] und Qǐchūn Yuán 綺春園 [Garten des schönen Frühlings].
  2. Zur Geschichte der Anlagen vgl. Zhang Shuang: Das Yuan Ming Yuan Ensemble. Der kaiserliche Park der „Vollkommenen Klarheit“ in Beijing. Zeitschichtkarten als Instrument der Gartendenkmalpflege, Diss., TU Berlin, 2004. (URN: urn:nbn:de:kobv:83-opus-4683); einführend auch: MIT - Visualizing Cultures: The Garden of Perfect Brightness 1 - The Yuanmingyuan as Imperial Paradise  1700-1860). Zur politischen Bedeutung der Ruinen s. Haiyan Lee: "The Ruins of Yuanmingyuan: Or, How to Enjoy a National Wound." In: Modern China 35.2 (March 2009) 155-190. DOI: 10.1177/0097700408326911 (Access via JSTOR.
  3. Einige Beispiele: Die Presse Nr. 319 (12.12.1860) 3 - Online: ANNO; Innsbrucker Nachrichten Nr. 290 (18.12.1860), 1-2 - Online: ANNO; Das Vaterland Nr. 93(19.12.1860) [3] (Bericht aus der 'China Mail') - Online: ANNO; Die Presse (Abendblatt) Nr. 322 (15.12.1860) [2]: "Die Einnahme von Peking" - Online: ANNO.
  4. Das Vaterland Nr. 101 (30.12.1860), [3] - Online: ANNO.
  5. Vgl. "Stimmen über den Friedensschluß mit China" in Die Presse Nr. 1 (1.1.1861) [3] - Online: ANNO; "Die Ereignisse in China" in Die Presse (Abendblatt) Nr. 2 (2.1.1861) [2] - Online: ANNO;
  6. Wiener Abendpost Nr. 60 (14.3.1865), 237 - Online: ANNO.
  7. Wiener Abendpost Nr. 60 (14.3.1865), 237 - Online: ANNO.
  8. D. i. James Bruce, 8th Earl of Elgin and 12th Earl of Kincardine (1811–1863).
  9. D. i. Jean-Baptiste Louis Gros (1793–1870).
  10. Wiener Abendpost Nr. 60 (14.3.1865), 237 - Online: ANNO.
  11. Wiener Abendpost Nr. 60 (14.3.1865), 237 - Online: ANNO.
  12. D.i. Montauban, der 18 - "Palikao" ist abgeleitet von der Bālǐqiáo 八里橋 [wörtlich "Acht-Meilen-Brücke"], wo englische und französische Truppen am 21. September 1860 die chinesischen Truppen besiegten und direkten Zugang zur Hauptstadt erlangten.
  13. Militärzeitung Nr. 24 (22.3.1862) 191 - Online: ANNO.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1918

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DH-Videoclip Adventskalender – Tür 1

Seit wir, das heißt DARIAH-DE und TextGrid Anfang April mit unserem eigenen YouTube Kanal zu Digital Humanities Themen an den Start gegangen sind, beobachte ich vergnügt, dass die Clips, die wir dort anbieten relativ gut angeklickt werden, also durchaus Interesse an Videos mit DH-Inhalten besteht. Neugierig wie ich bin, habe ich mich darauf hin umgesehen, wer sonst noch Vergleichbares anbietet und habe eine Fülle unterschiedlichster Videos rund um die DH gefunden – Projektvorstellungen, Portraits, Imagefilme, Interviews und eine Menge mehr. In der Vorweihnachtszeit lade ich nun alle interessierte Blog-Lesende ein, mich auf meinen Streifzügen durch die bunte YouTube-Welt zu begleiten und hier im Blog und parallel dazu auf dem DHd-Kanal jeden Tag ein anderes Video kennen zulernen.

Den Anfang macht heute das Video “Humanities Go Digital” des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft, in dem Prof. Gregory Crane, Universität Leipzig, die Rolle der Digital Humanities beleuchtet:

 

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=4334

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SCHLOSS BAU MEISTER. Andreas Schlüter und das barocke Berlin

Zur Ausstellung im Berliner Bode-Museum vom 4. April bis 24. August 2014

Von Caroline Mang und Julia Strobl (Wien)

Anlässlich des 300. Todesjahres von Andreas Schlüter (1659/60–1714) widmet das Bode-Museum auf der Berliner Museumsinsel dem Hofbildhauer und Archi­tekten des barocken Berlin eine Ausstellung, die vor allem sein Wirken am brandenburgisch-preußischen Hof fokussiert. Es ist dies nach 50 Jahren die zweite monographische Präsentation, wobei sich die Ge­dächtnisausstellung von 1964 vorwiegend dem bild­hauerischen Schaffen Schlüters näherte und es in den Kontext mit der Plastik seiner Zeit stellte.1 Der Wiederaufbau des nach Schlüters Plänen errichteten Berliner Stadtschlosses, der gerade nach Entwürfen des Archi­tekten Franco Stella unternommen wird, ist, so der Direktor der Skulpturensammlung am Bode-Museum Bernd Lindemann, aktuelles Motiv, sich insbesonde­re mit Andreas Schlüter als Baumeister auseinanderzusetzen. Der Kurator der Ausstellung Hans-Ulrich Kessler ist Herausgeber des umfangreichen Kata­logs Andreas Schlüter und das barocke Berlin sowie des ergänzenden Stadtführers Schlüter in Berlin, der die noch erhaltenen Werke und Bauten Schlüters im urbanen Raum erschließen soll.2

Die Geburt Andreas Schlüters in Danzig um das Jahr 1660 wird in der kunsthistorischen Forschung inzwi­schen allgemein akzeptiert.3 Das vor allem von nieder­ländischen Künstlern der Renaissance und des Ma­nierismus geprägte Stadtbild wirkte, so darf vermutet werden, auf den jungen Bildhauer ein. Über seine Ausbildung ist wenig bekannt, erst seine Berufung an den Hof des polnischen Königs Jan III. Sobieski (reg. 1674–1696) nach Warschau im Jahr 1681 lässt ihn in seinem Wirken als Bauplastiker und Bildhauer fassbar werden.4 Durch die Tätigkeit unter den Architekten Tilman van Gameren und Augustyn Locci traf er noch vor seiner Berufung als Hofbildhauer nach Berlin auf die neuesten künstlerischen Strömungen aus den Nie­derlanden und Italien. Ab 1694 arbeitete Schlüter für den Kurfürsten Friedrich III. (reg. 1688–1713) am Aus­bau der Doppelstadt Berlin-Cölln zu einer barocken Königsmetropole.5 In diese Anfangszeit als Hofbild­hauer fallen auch seine Reisen nach Italien, Frankreich und die Niederlande, 1699 erfolgte schließlich die Er­nennung zum Schlossbaudirektor – ein Höhepunkt seiner Karriere als „Bildhauerarchitekt“. Nach dem Skandal um den drohenden Einsturz des Münzturms 1706 verlor er diese Position, führte aber in königli­chem Auftrag weiterhin plastische Werke aus. Eine neuerliche Anstellung als Hofbaumeister fand Schlü­ter erst wieder 1713 in St. Petersburg unter Zar Peter dem Großen, wo er allerdings schon wenige Monate nach seiner Ankunft verstarb.

Einem der prominentesten Werke Andreas Schlüters als Hofbildhauer, dem Reiterstandbild des Großen Kurfürsten begegnet man im Foyer des Bode-Muse­ums, wo es in Form einer Kopie – die Galvanoplastik wurde von Wilhelm von Bode in Auftrag gegeben – auf dem originalen Sockel platziert ist. Das ursprüng­liche Reiterstandbild Schlüters mit den dazugehörigen vier Sklavenfiguren, einst auf der Langen Brücke vor dem Stadtschloss der Hohenzollern (Abb. 1), befindet sich heute im Ehrenhof des Charlottenburger Schlos­ses. Im Verlauf der Ausstellung wird das Werk, für dessen Ausführung der Bronzegießer Johann Jacobi verantwortlich zeichnet, mehrfach aufgegriffen und in einen typengeschichtlichen Kontext gestellt. Die Du­alität des Reitermonuments, welches den Kurfürsten als kriegerischen Feldherren und als souveränen Herr­scher im Sinne der Adventus-Ikonographie darstellt, zeigt sich, wenn man sich ihm von unterschiedlichen Seiten her nähert, und bezeugt die Könnerschaft des Bildhauers.6 Weitere permanent im Bode-Museum befindliche Werke Schlüters – die Attikafiguren der Villa Kameke – begegnen dem Besucher im Gang, der zur eigentlichen Ausstellung führt.

1 Johann Georg Rosenberg: Das Reiterstandbild des Großen Kurfürsten auf der Langen Brücke mit dem Schloss, Kupferstich, Berlin, 1781 (bpk / Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Jörg P. Anders).

1 Johann Georg Rosenberg: Das Reiterstandbild des Großen Kurfürsten auf der Langen Brücke mit dem Schloss, Kupferstich, Berlin, 1781 (bpk / Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Jörg P. Anders).

Zu Beginn erfolgt eine anschauliche und überblicks­hafte Präsentation der kulturpolitischen Situation unter den brandenburgischen Kurfürsten im fort­geschrittenen 17. Jahrhundert, der „Weg zu Andreas Schlüter“. Bereits der große Kurfürst Friedrich Wil­helm (1640–1688) forcierte nach dem Dreißigjährigen Krieg die künstlerische und wissenschaftliche Ent­wicklung durch die Neuerrichtung der Kunstkammer sowie der Bibliothek. Unter seinem Nachfolger, dem Kurfürsten Friedrich III., ab 1701 König in Preußen, begann der repräsentative Ausbau Berlins zur kö­niglichen Residenzstadt. Er war es, der 1694 Andreas Schlüter aus Polen an den preußischen Hof berief, an dem familiär bedingt – der Kurfürst verbrachte seine Jugendzeit in Holland, zudem war seine Gattin Lui­se-Henriette Prinzessin von Oranien-Nassau – vor­zugsweise niederländische Kunst gesammelt wurde. Präsentiert werden Exponate namhafter Künstler, beispielsweise Werke der flämischen Bildhauer Fran­çois Duquesnoys, Artus Quellinus d. Ä. und François Dieussarts. Die hervorragende Qualität der bildhaue­rischen Arbeit des neuberufenen Hofbildhauers wird mittels einer Gegenüberstellung zweier Standbilder des Großen Kurfürsten demonstriert, indem Schlü­ters 1698 vom Bronzegießer Johann Jacobi gegosse­nes Standbild mit der Marmorstatue von Bartholo­meus Eggers, eines Werksstattmitarbeiters des Artus Quellinus, konfrontiert wird.

Obwohl das Anschauungsmaterial ergiebig ist und gut ausgewählt wurde, werden die vorgestellten Werke allzu selten in Bezug zu den Arbeiten Schlüters gesetzt und gerade in jenen ersten Räumen, die Schlüters An­kunft und die Situation in Berlin thematisieren, ver­misst vor allem die fachfremde Besucherin bzw. der fachfremde Besucher einleitende Begleittexte, ohne die sich der Kontext der präsentierten Werke kaum erschließt. An dieser Stelle erweist sich der begleitende Audioguide als unerlässlich. Einen zweiten zentralen Kritikpunkt bildet die Aussparung von Schlüters Lehr­jahren und Wirken in Polen – gleichwohl das Quellenmaterial zu der Frühzeit Schlüters spärlich ausfällt, wurde gerade in der neueren Forschungsliteratur seine Tätigkeit in Danzig und Warschau am königlichen Hof aufgearbeitet.7 Ein knapper, einführender Über­blick über die ersten 30 Lebensjahre Schlüters oder die künstlerische Situation in jenen Städten zu seiner Zeit wäre an dieser Stelle der Ausstellung durchaus wünschenswert gewesen. So aber bleibt die bildhau­erische und architekturpraktische Ausbildung des zukünftigen Berliner Schlossbaumeisters in Danzig, dem niederländisch geprägten Zentrum des Manieris­mus im Ostseeraum, unberücksichtigt. Dennoch kann hier auf den entsprechenden Beitrag Regina Deckers im Ausstellungskatalog verwiesen werden, der eben jene künstlerischen Anfänge Schlüters als Hofkünst­ler in Polen, seine Arbeit an der königlichen Kapelle in Danzig und seine Mitwirkung am Bauschmuck des Krasiński-Palastes beleuchtet.8 Überdies versuchte ein vom Institut für Kunstwissenschaft und historische Urbanistik an der TU Berlin und der Kunstgeschicht­lichen Gesellschaft zu Berlin vom 6. bis 7. Juli 2014 veranstaltetes internationales Kolloquium („Andreas Schlüter und das barocke Europa“), diesen fehlen­den Aspekt zu kompensieren, und widmete sich dem Thema aus einer ostmitteleuropäischen Perspektive. Allerdings konnten auch dort keine gesicherten neuen Werke oder Quellen vorgestellt werden, die die Früh­zeit Schlüters geklärt hätten.

Schlüters erste große Aufgabe in Berlin war der Bauschmuck des Zeughauses. Präsentiert werden seine sog. Sterbenden Krieger (Abb. 2), ausdrucks­starke, als Schlusssteine konzipierte Kopftrophäen, die schon zur Entstehungszeit eine Übertragung in das Medium des Kupferstichs nach Federzeichnungen Teodor Lubienieckis erfuhren (Abb. 3). In der künst­lerischen Darstellung der Kopftrophäen werden, so Fritz-Eugen Keller, zwei Momente vereinigt.9 Die als Dreiergruppen angelegten Köpfe boten die Möglich­keit, die verschiedenen Lebensalter zu visualisieren, gleichzeitig kommt es in der Darstellung der Gesichter zu einer überaus realistischen Veranschaulichung un­terschiedlicher Passionen nach Charles Le Brun, der im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts Schemata ver­schiedenster Ausdrucksmöglichkeiten beschrieb und deren visuelle Umsetzung reglementierte. In der Aus­stellung werden die Zeughausmasken in den Kontext italienischer Vorbilder gestellt. Eine Kupferstichserie Giovanni Battista Galestruzzis zeigt die Fassadenma­lereien des frühen 16. Jahrhunderts von Polidoro da Caravaggio. Gian Lorenzo Berninis Medusenhaupt aus den kapitolinischen Museen – die wohl prominen­teste Leihgabe der Ausstellung – lenkt in der Mitte des Raumes den Blick unwillkürlich auf sich und weist den Werken Schlüters eine Nebenrolle zu. Die baudekora­tiven Arbeiten in Danzig und Warschau hinsichtlich ihrer Vorbildwirkung heranzuziehen, wäre, wie schon eingangs erwähnt, ein noch ausstehendes Desiderat zukünftiger Forschung. Schon die ältere Literatur ver­wies beispielsweise auf die dekorativen Medaillons am Schlüterhaus in Danzig, die das Konzept der sterben­den Kriegermasken antizipieren (Abb. 4).10

2 Andreas Schlüter: Kopftrophäe als Schlussstein an der Südfassade Hofes, Zeughaus, Berlin (Kretzschmar, Ulrike (Hg.): Das Berliner Zeughaus, München, Berlin u.a. 2006, S. 88).

3 Theodor Lubieniecki: Kopfkartusche in Ruinenlandschaft, Berlin, 1696–1700, Feder in Schwarz, 30,7 x 20 cm (Wien, Graphische Sammlung Albertina, Inv. 13119).

4 Hans Andreas Schlüter (?): Medaillon mit dem Kopf eines Kriegers, Fassade des sog. Schlüterhauses, Danzig/Gdańsk, um 1640 (Foto 1964, Kondziela/Fijałkowski 1965, wie Anm. 4, Abb. 48).

Einen größeren Part widmet die Ausstellung dem Schlüterschen Reiterstandbild des Großen Kurfürs­ten (Abb. 1), welches dem Urtyp des Reiterbildnisses, jenem Marc Aurels, axial gegenübergestellt wird und präsentationstechnisch seine Wirkung in der ihm ge­gebenen großen Räumlichkeit ausgezeichnet entfalten kann. Als Vorbild der Idee eines Reiterstandbildes als einem Brückenmonument wird auf das von Giambologna konzipierte Reiterstandbild des französischen Königs Heinrich IV. auf der Pont Neuf in Paris ver­wiesen, welches zudem die Sockelgestaltung mit den vier am Fuße des Denkmals platzierten Sklaven vor­wegnimmt. Interessant ist hier wiederum die Rolle des Bronzegießers Johann Jacobi, der eine grundlegende Vermittlerrolle innehatte. Nach seiner Mitarbeit am Guss des monumentalen Reiterstandbildes von Lud­wig XIV. 1692 in Paris (Entwurf François Girardon) wurde er nach Berlin berufen, um Schlüters Denkmal des Kurfürsten zu gießen. Die dynamisch-offensive Darstellung des Schlüterschen Reiterstandbilds, hier vor allem die Draperie des Gewandes, korrespon­diert eindeutig mit dem Wachsmodell für das Stand­bild des Alessandro Farnese von Francesco Mochi. Positiv hervorzuheben ist die gelungene kuratorische Konzeption, die Reiterstandbilder nicht nur in Form kleiner Modelle zu präsentieren, sondern mittels zeit­genössischer Gemälde und Stiche deren einstige Aufstellungssituation in den jeweiligen Residenzstädten zu vermitteln.

So wie das Reiterstandbild an der Langen Brücke ist auch die 1889 abgerissene Alte Post mit Fassaden­dekoration Schlüters aus dem Berliner Stadtbild verschwunden. Der Besucher vermisst hier zeitge­nössische Ansichten, lediglich ein kleinformatiges Gemälde dokumentiert die städtebauliche Lage un­mittelbar neben der Langen Brücke gegenüber dem Schloss. Die Fassade des Posthauses als größere Ge­samtansicht abzubilden, wäre insofern interessant ge­wesen, als sie in ihrer Konzeption mit den klassischen römischen Architekturformen bricht und, wie Guido Hinterkeuser feststellt, Anregungen von niederländi­scher und französischer Seite aufgreift.11 Ausgestellt werden insgesamt sechs von den acht noch erhaltenen dekorativen Tondi (Abb. 5), die oberhalb des Piano Nobile angebracht waren und unterschiedliche Tu­genden figurieren, wobei die Identifikation der unge­wöhnlichen Allegorien bis heute nicht schlüssig gelun­gen ist.12 Als Referenzrahmen für die ikonographische Inszenierung der Tugenden wird in der Ausstellung verallgemeinernd auf Cesare Ripas Iconologia ver­wiesen. Dagegen betont Hinterkeuser, dass sich meist keine Anhaltspunkte für die Identifizierung der Alle­gorien in den zeitgenössischen Ikonographietraktaten finden lassen.

5 Andreas Schlüter: Allegorie der Diskretion (?), Relieftondo von der Fassade der Alten Post, um 1703, Sandstein (SMB, Skulpturensammlung / Antje Voigt).

Mit der Präsentation der bronzenen Porträtbüste des Prinzen Friedrich II. von Hessen-Homburg wird in einem weiteren Nebenraum ein Werk Schlüters aus dem Jahr 1701 vorgestellt, dessen herausragende Qua­lität durch die Konfrontation mit zeitgenössischen Vergleichsbeispielen fassbar wird. Eine Bronzebüste des Landgrafen von Hessen-Kassel von dem flämi­schen Bildhauer Gabriel Grupello sowie eine Marmorskulptur des Architekten Jules Hardouin-Mansart von dem französischen Bildhauer Jean-Louis Lemoyne flankieren Schlüters meisterliche Darstellung des Prinzen von Hessen, die vollplastisch ausgestaltet auf Allansichtigkeit angelegt ist und sich stilistisch durch­aus mit der führenden französischen Porträtkunst des Hochbarock messen kann.

Erst in einem der letzten Ausstellungsräume wird ein­gelöst, was der Ausstellungstitel SCHLOSS BAU MEIS­TER verspricht: Der Fokus wird nun auf Schlüter als Baumeister des Berliner Schlosses gelegt.13 Zeitgleich mit der Krönung des Kurfürsten Friedrich III. zum König in Preußen wurde die zum Schlossplatz ausge­richtete Fassade durch Schlüter vollendet und bildete somit einen repräsentativen Rahmen für den bevor­stehenden Krönungseinzug. Das beinahe den kom­pletten Ausstellungsraum füllende Modell von Wolf­gang Schulz aus den 1980er-Jahren im Maßstab 1:100 verschafft den BesucherInnen einen anschaulichen Überblick über die einst bestehende Schlossanlage. Der Schlüter’sche Entwurf speist sich aus Anleihen der italienischen Hochrenaissance sowie des Hochbarocks in Rom. Auch französische Vorbilder wie der Umbau des Louvre, der ab 1661 als Prototyp des zeitgenössi­schen Schlossbaus bezeichnet werden kann, werden genannt.14 Neben den nicht ausgeführten Bernini- Entwürfen diente insbesondere auch die Ostfassaden­gestaltung durch den Architekten Claude Perrault als Anregung für Schlüters Hofportalanlagen. Die Fas­saden zum Schlossplatz hingegen lassen Reminiszen­zen an römische Stadtpaläste erkennen, deren Archi­tektur Schlüter, so Hinterkeuser, vor allem über den niederländischen Architekten Tilman van Gameren vermittelt bekam, der ihm derartige architektonische Formen am Krasiński-Palast in Warschau gleichsam vorexerzierte. Bei aller schlüssiger Auflistung von Vor­bildern für den Schlossumbau bleibt eine große Un­klarheit bestehen: der Weg Schlüters zum Architekten. In welchem Ausmaß der zunächst nur als Bildhauer und Bauplastiker tätige Künstler bereits im Zuge sei­ner Ausbildung in Polen architekturtheoretische und praktische Grundlagen des Bauwesens erlernte, wird nicht entschlüsselt. Die Auseinandersetzung mit der Position Andreas Schlüters als „Bildhauerarchitekt“, eine Doppelfertigkeit, die zu seiner Zeit durchaus kei­nen Einzelfall darstellt, scheint ein interessanter An­satz für die weitere Schlüter-Forschung zu sein.

Ein Modell des Treppenhauses und Teile der Ausstattung des 1950 gesprengten Stadtschlosses, darunter originale Holztüren, Tapisserien oder das prunkvolle Silberbuffet aus dem ehemaligen Rittersaal, vermit­teln einen Eindruck von den Innenräumen des ba­rocken Schlosses, die im Zuge des Wiederaufbaus als Humboldtforum nicht wieder rekonstruiert werden – ein zentraler Kritikpunkt aktueller Auseinanderset­zungen.15

Schlüter scheiterte als Schlossbaumeister an der von höchster Stelle gewünschten Umgestaltung des Wasserturms in einen ca. 300 Fuß hohen Münzturm mit Glockenspiel, der ab 1702 an der Nordwestecke der Schlossanlage auf bereits bestehender Bausubstanz aufgerichtet wurde. Der labile und sandige Untergrund am Spreeufer verursachte statische Probleme und Risse am Bauwerk. Um den drohenden Einsturz ab­zuwenden, musste der Münzturm abgetragen werden. 1706 endete damit Schlüters Karriere als Hofarchitekt. Als Hofbildhauer blieb er weiter für die Hohenzollern tätig und schuf die als Pendants gedachten monumen­talen Prunksarkophage für das Königspaar Sophie Charlotte und Friedrich I. im Berliner Dom. In sei­nen letzten Berliner Jahren übernahm er Bauaufgaben privater Auftraggeber wie den technisch aufwändigen Einbau einer Kanzel in die Marienkirche oder seinen letzten Bau in Berlin, die Villa Kameke (Abb. 6).16

6 Andreas Schlüter: Villa Kameke, Berlin, Mittelrisalit Straßenseite, Foto vor 1945 (Wünsdorf, BLDAM, Messbildarchiv, in: AK Bode-Museum 2014, wie Anm. 2, Abb. XXII.4, S. 420).

Die berninesken Attikafiguren dieses bemerkenswer­ten Gartenpalais, das den Zweiten Weltkrieg nicht überdauerte, befinden sich permanent in der Samm­lung des Bode-Museums, im langen Gang nach dem Eingangsfoyer. Fast am Ende der Schlüter-Ausstellung vermittelt der Aufriss der Gartenfassade der Villa Ka­meke den BesucherInnen das Architekturcapriccio des reifen Bildhauerarchitekten.

Großformatige Fotografien der erhaltenen Schlüter­werke in Berlin laden abschließend ein, den vorhan­denen Spuren in der Stadt zu folgen. In Berlin Mitte befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft neben der stetig wachsenden Schlossbaustelle auch der Berli­ner Dom mit der königlichen Grablege, die Bauplastik des Zeughauses, die Kanzel der Marienkirche sowie die Gruftpforte zum Männlichgrabmal in der Nikolaikirche. Das Reiterstandbild des großen Kurfürsten hingegen hat seinen Platz im Ehrenhof des Charlottenburger Schlosses gefunden – weit ab von seinem ur­sprünglichen Bestimmungsort, der Langen Brücke, die einst zum Schloss der Hohenzollern führte.

Printversion: Frühneuzeit-Info 25, 2014, S. 304–310.

 

  1. Edith Fründt/Eva Mühlbächer (Hg.): Andreas Schlüter und die Plastik seiner Zeit. Eine Gedächtnisausstellung anläßlich der 250. Wiederkehr seines Todesjahres (AK Staatliche Museen zu Berlin, Skulpturen-Sammlung, Berlin, 1964), Berlin 1964.
  2. Hans-Ulrich Kessler (Hg.): Andreas Schlüter und das barocke Berlin (AK Bode-Museum, Skulpturensamm­lung und Museum für byzantinische Kunst, Berlin, 2014), Berlin: Hirmer 2014. Ders., Schlüter in Berlin. Stadtführer, Berlin: Hirmer 2014.
  3. Regina Deckers: Andreas Schlüter in Danzig und Polen, in: AK Bode-Museum 2014, S. 20–31, hier S. 20–21.
  4. Siehe vor allem: Henryk Kondziela / Wojciech Fijałkowski: Die künstlerische Tätigkeit Andreas Schlü­ters in Polen, in: Michelangelo heute. Sonderband der Wissenschaftlichen Zeitschrift der Humboldt-Uni­versität zu Berlin 14 (1965), S. 267–291. Guido Hinterkeuser: Ex oriente lux? – Andreas Schlüter und der pol­nische Anteil am Ausbau Berlins zur Königsmetropole, in: Małgorzata Omilanowska/Anna Straszewska (Hg.): Wanderungen (= Das gemeinsame Kulturerbe 2), War­schau: Instytut Sztuki Polskiej Akademii Nauk 2005, S. 27–41.
  5. Heinz Ladendorf: Andreas Schlüter. Baumeister und Bildhauer des preußischen Barock, Leipzig: Seemann 1997. Die neuaufgelegte Monographie von Ladendorf aus dem Jahr 1937 wird mit einem Kommentar von Hel­mut Bösch-Supan ergänzt, der den Originaltext unver­ändert belässt, jedoch den Werkkatalog vervollständigt und die Forschung seit 1945 hinzufügt.
  6. Auf jenen Kunstgriff Schlüters verweist auch Hans-Ul­rich Kessler. Hans-Ulrich Kessler: Das Reiterdenkmal des Grossen Kurfürsten, in: AK Bode-Museum 2014, S. 222–235, hier S. 230–231.
  7. Guido Hinterkeuser: Ad Nobilissimum SCHLVTERVM Gdanensem. Andreas Schlüter und seine Stellung in der deutschen und polnischen Kunstgeschichtsschreibung, in: Robert Born u.a. (Hg.): Die Kunsthistoriographien in Ostmitteleuropa und der nationale Diskurs (Hum­boldt-Schriften zur Kunst- und Bildgeschichte 1), Ber­lin: Mann 2004, S. 301–333.
  8. Deckers: Andreas Schlüter (wie Anm. 3).
  9. Fritz-Eugen Keller: Die Schlusssteine der Bögen am Erdgeschoss des Zeughauses. Andreas Schlüters Tri­umphhelme und Kopftrophäen besiegter Krieger – ein Hauptwerk nordeuropäischer Barockskulptur, in: AK Bode-Museum 2014, S. 136–151, hier S. 144–147.
  10. Georg Cuny: Danzigs Kunst und Kultur im 16. und 17. Jahrhundert. Danzigs Künstler mit besonderer Be­rücksichtigung der beiden Andreas Schlüter, Frank­furt am Main: Verlag Heinrich Keller 1910. Kondziela/ Fijałkowski: Die künstlerische Tätigkeit (wie Anm. 4).
  11. Guido Hinterkeuser: Andreas Schlüter und die Alte Post in Berlin, in: AK Bode-Museum 2014, S. 374–383, hier S. 377.
  12. Guido Hinterkeuser: Kat. XX.3–XX.8. Reliefs von der Fassade der Alten Post, in: AK Bode-Museum 2014, S. 386–390, hier S. 390.
  13. Wilhelm v. Boddien: So weit sind wir jetzt: Das Berli­ner Schloss-Humboldtforum ist im Bau, in: Förderver­ein Berliner Schloss e.V., URL: http://berliner-schloss. de/aktuelle-infos/wo-stehen-wir-heute-der-sachstand (21.07.2014).
  14. Guido Hinterkeuser: Andreas Schlüter und das Berliner Schloss: Die Architektur, in: AK Bode-Museum 2014, S. 258–272, hier S. 267–268.
  15. Jens Jessen: Ausstellung „Andreas Schlüter“. Kein Außen ohne das Innen, in: Die Zeit 17/2014, URL: http://www.zeit.de/2014/17/schlossbaumeister-andreas-schlueter (21.07.2014).
  16. Zur Sonderstellung der Villa Kameke und ihrer ar­chitektonischen Verwandtschaft mit Gartenpalais in Deutschland und Wien siehe Hellmut Lorenz: Andreas Schlüters Landhaus Kameke in Berlin, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte, 56, 2 (1993), S. 153–172.

Quelle: http://fnzinfo.hypotheses.org/167

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