Vom Buchdruck zum Social Web: Medien zwischen Subversion und Reproduktion – Von Benjamin Köhler

Von Benjamin Köhler Medienentwicklung (als technischer Wandel) und Veränderungen gesellschaftlicher Strukturen (als kultureller Wandel) bedingen sich immer wechselseitig (vgl. Ogburn 1957, Gillwald 2000), wobei neue soziale Praktiken und Techniken einen langen Weg des Aushandelns und Ausprobierens gehen (vgl. Jäckel 2005; … Weiterlesen

Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/5270

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Tagungsbericht zur ersten Digital Humanities Summer School Bern

Die (Inter-)Disziplin der digitalen Geisteswissenschaften (Digital Humanities) konturiert sich auch in der Schweiz immer deutlicher. Nach einer Reihe regionaler und nationaler Fachtagungen, erster Berufungen an Universitäten und eines ersten THATCamps – einer relativ informellen und stark partizipaitven Unconference –, das auch in die Nachbarländer und teilweise darüber hinaus ausstrahlte, fand vor wenigen Tagen mit der ersten Digital Humanities Summer School an der Universität Bern (26.-29. Juni 2013) ein weiterer bedeutender DH-Anlass statt. Wie das Lausanner THATCamp (2009) wurde die DH-Summer School durch ein bewährtes Konsortium aus Vertretern der Geschichtsplattformen infoclio.ch (als Hauptorganisator) und hist.net, des Vereins Geschichte und Informatik (also der Hausherren dieses Blogs), des DODIS-Editionsprojekts sowie von Forschenden der Universitäten Bern und Lausanne (LADHULDHLab) organisiert und durchgeführt. Dank eines attraktiven Programms mit Präsentatoren und Workshop-Leitern von internationalem Ruf waren die gut hundert Plätze im Frühjahr in kürzester Zeit an Teilnehmer aus zwanzig verschiedenen Ländern vergeben. 

Die viertägige Summer School begann am Mittowch, 26. Juni, mit einem Eröffnungsvortrag durch Ray Siemens, Universität Victoria CA und ADHO-Direktor, der das Verhältnis der Digital Humanities zu den hergebrachten Disziplinen und dem Spannungsfeld zwischen ihnen auszuleuchten versuchte, wobei seine wichtigsten Referenzpunkte Cathy Davidsons Begriff ‚Digital Humanities 2.0‘ und Willard McCartys ‚Methodological Commons‘ (ibi p. 118-119) waren. Erscheinen die Digital Humanities von aussen betrachtet verhältnismässig positivistisch geprägt, eröffnen sich aus der Innenperspektive vielerlei kritische Aspekte und unscharfe Grenzziehungen. Siemens plädiert dafür, den definitorischen Problemen nicht auszuweichen, da diesbezüglich eine gewisse Standfestigkeit notwendig sei, um die disziplinäre und interdisziplinäre Forschung voranzubringen.

Susan Schreibman, Trinity College Dublin, lieferte im nächsten Vortrag historischen Kontext zur Genese der Digital Humanities und den wechselnden Selbstverständnissen der Akteure, wobei sich der Bogen von Roberto Busas Lochkarten-basierter Thomas von Aquin-Konkordanz bis hin zu virtuellen Welten spannte, welche die Beantwortung ganz konkreter Fragestellungen ermöglichen sollen, letzteres veranschaulicht durch das laufende Easter Rising-Projekt und dessen virtuelles Strassenpanorama, das, situative Begebenheiten und das Potential der verwendeten Waffen berücksichtigend, Aufschluss über mögliche Opferzahlen während des Dubliner Osteraufstandes von 1916 geben soll. Die Anekdote des zunächst irrtümlicherweise online frei zugänglich gemachten Bandes ‚Digital Humanities‘, welche den Verkauf des Werks erst recht angekurbelt hat, ermöglichte einen interessanten Bezug zu den im Wandel begriffenen Publikationsmodellen und den damit einhergehenden Fragen nach wissenschaftlicher Anerkennung und in der Verlängerung zur viel diskutierten Wertfrage des ‚building and making‘ im Gegensatz zu ‚reading and critique‘. Durch sich verschiebende Gewichte und den postulierten ‚object life cycle‘ bzw. genereller durch die Bestrebungen zur langfristigen Kuration von Forschungsdatenbeständen deutet sich nach Schreibman eine gewisse Konvergenz der bis anhin disparaten Arbeitsfelder von Forschern und Dokumentalisten (Bibliothekaren, Archivaren) an.

Vermochten diese beiden einführenden Referate die Entwicklung und den gegenwärtigen Stand digitaler geisteswissenschaftlicher Forschung einigermassen abzustecken, blieb das inspirierende Moment vielleicht etwas hinter den Erwartungen zurück. Illustrieren lässt sich dies beispielsweise am (zu) verbreiteten Visualisierungstyp der Begriffswolke (word cloud, wordle; bisweilen auch als Vokuhilas des Internets bezeichnet), den Siemens wie Schreibman in ihren Präsentationen verwendeten, was aus dem Publikum prompt hinterfragt wurde und einer Diskussion über den Einsatz von Werkzeugen Weg bereitete, deren Mechanismen häufig nicht evident sind und die folglich Resultate verzerren können.

UmstritteneBegriffswolken-300x223Claire Clivaz, Ray Siemens; Bild: Martin Grandjean

 

Elena Pierazzo, Kings College London, verband in ihrem Vortrag kommunikations- und texttheoretische Aspekte konzise mit den vielfältigen praktischen Herausforderungen, die digitale Editionsprojekte mit sich bringen. Ausgehend von der grundlegenden Unterscheidung der linguitischen Konstruktion (Text) vom physischen Objekt (Dokument) erörterte sie das editorische Spektrum, das von einfachen, evident gegliederten, neoplatonischen Texten über Leseausgaben, kritische Editionen und diplomatische Editionen hin zu dokumentnahen Faksimile-Editionen reicht. Seit mehreren Jahrzehnten kommt dabei besonders der materiellen Dimension von Texten grössere Bedeutung (critique génétique, material/new philology) zu, was die — ohnehin komplexe und konventionalisierte — editorische Praxis weiter ausdifferenziert hat. Mit dem Transfer der zugehörigen Editionsformen in den digitalen Raum stellen sich viele Fragen, deren wichtigste Pierazzo schlaglichtartig tangierte und mit zugleich illustrativen und beeindruckenden Beispielen veranschaulichte. Ihr eigener vor dem Hintergrund der Arbeit der TEI Manuscripts SIG entstandener Proust-Prototyp lässt den Leser durch die sequentielle Anzeige von Textpassagen beispielsweise gleichsam dem Autor bei der Entstehung des Texts über die Schultern blicken. Zur Sprache kam mehrfach auch die Position des Editors, dessen Textverständnis im Encoding manifest wird und dessen Rolle und Autorität gerade auch bei Crowdsourcing-Editionsprojekten definiert werden sollte. Zum Themenkreis digitaler Editionsformen vgl. aktuell und ausführlich Sahle (2013) und dann vor allem auch Pierazzos neues Werk zu digital scholarly editions, das in absehbarer Zeit verfügbar sein wird.

In seinem zweiten Vortrag, der sich mit der sozialen Wissenskonstruktion und -produktion (in den Literaturwissenschaften) befasste, äusserte Ray Siemens die These, dass grössere Datenmengen, beschleunigte Arbeitsweisen, unmittelbarere und dichtere Kommunikation sowie verstärkte Teilhabe des Publikums in der Datenerzeugung und im wissenschaftlichen Diskurs das Potential hätten, Forschungsfragen und Forschungsprozesse wesentlich zu beeinflussen. Anknüpfend an die Arbeit des Electronic Textual Cultures Lab (ETCL, U Victoria), und vor dem Hintergrund, dass Wissen in der Regel in chaotischen Strukturen und unter sehr unterschiedlichen Bedingungen entsteht, wobei gerade die informelle Forschungskommunikation bedeutsam ist, beschrieb Siemens eine Umdeutung der Rolle der Forschenden im digitalen Umfeld von didaktischen Autoritäten hin zu Wissensermöglichern (facilitators of knowledge). Kollaborative Werkzeuge, welche grundlegende Funktionen wie die Bereitstellung von Materialien, deren Annotation, Verzeichnung und Analyse ermöglichen — durch Siemens anhand einer Fülle von Beispielen dargelegt, etwa zur Honorierung freiwilliger Partizipation (Gamification), ergänzt durch eine hervorragende annotierte Bibliographie –, sind in diesem Kontext für die Wissensproduktion elementar. Wissen entsteht vor einem grösseren Publikum und durch mehr Akteure, seine Produktion verlagert sich im akademischen Kontext wie in anderen Bereichen (z.B. Journalismus) ausserhalb institutioneller Strukturen. Aus diesen Überlegungen leitet Siemens eine Reihe von Forderungen an zeitgenössische Forscher ab: Damit (Geistes-)Wissenschaftler die Entwicklung neuer Methodologien und Kommunikationsformen mitprägen können, müssen sie die Potenziale neuer Medien untersuchen, um sie bestmöglich zu verstehen, die Mechanismen kollaborativer Arbeitsinstrumente kennen, Grenzen ausloten, unterliegende Ideologien freilegen und einfache positivistische Ansätze in Frage stellen. Neben engagiertes Gestalten und Kreieren soll eine kritische Theorie treten, welche ethische und disziplinäre Standards ständig reflektiert.

Viele der zuvor anklingenden Implikationen der Erweiterung geisteswissenschaftlicher Disziplinen um neue Ansätze und Methoden auf theoretische, moralische und gesellschaftliche Belange bündelte David Berry, Swansea University, in einem dicht befrachteten Vortrag zu DH und Kulturkritik bzw. den Critical Digital Humanities. Auch er setzt bei der Definition und Abgrenzung des Feldes an, dabei er Stephen Ramsays DH-Typisierung aufnehmend, die der vorab praktisch orientierten und relativ institutionalisierten Community wie sie sich in den frühen 1990er Jahren unter dem Schlagwort Computing in the Humanities formierte (DH-Typus I), eine neuere weniger klar umrissene Bewegung entgegenstellt, deren Interessen breit gefächert sind und die mit bisweilen revolutionärer Gesinnung eine eigentliche Erneuerung der Geisteswissenschaften anstrebt (DH-Typus II; Medientheoretiker, Kulturkritiker, Digitalkünstler). Der Frage, was sich in der Konfiguration der geisteswissenschaftlichen Forschung wirklich verändert, näherte sich Berry aus den Perspektiven der Quantifizier- und Kalkulierbarkeit, der Organisation und des Beschleunigungspotenzials. Mit der Überhandnahme eines metrischen Paradigmas, das Hermeneutik durch Mathematik ersetzt und die Formalisierung der Forschung befördert, verändert sich auch der organisatorische Rahmen: Forschung wird projektbezogen betrieben und Administratoren und Projektleiter machen Professoren das Terrain streitig. Zugleich beschleunigt sich die Forschungstätigkeit durch effiziente Analyseformen, hochgradig responsive Kommunikationsmittel und eine in manchen Fällen ausbeuterische Arbeitsteilung. Vorwürfe, die Digital Humanities seien zuvörderst eine opportunistische und marktanbiedernde Ausrichtung der Forschung nach Kosten-Nutzen-Forderungen lassen sich nach Berry nicht kategorisch von der Hand weisen, gibt es doch deutliche Parallelen zwischen DH-Diskursen und Managementfloskeln. Näher betrachtet handle es sich aber um genuin geisteswissenschaftliche Betätigung, die keineswegs bewährte Forschungsprinzipien leichtfertig gegen die gerade angesagtesten Technologien und Ansätze eintauscht. Dafür, dass „digital“ in der politischen Ökonomie der Universitäten längst ein Schlüsselwort im Erschliessen neuer Geldquellen ist, gibt es jedoch zahllose Belege. Berry fordert zurecht mehr Anerkennung für die bereits geleistete kritische Arbeit und mehr Unterstützung für ihren Ausbau. Der möglicherweise resultierende Verlangsamungseffekt könne durchaus produktiv sein, indem die Forschung durch verstärkte Reflexion profitiere, gerade auch jenseits der Projektebene in der längerfristigen Perspektive.

Im Gegensatz zu Berrys übergreifendem Vortrag konzentrierte sich jener von Claire Lemercier, CNRS-Sciences Po, Paris, über Netzwerkanalyse auf eine spezifische Forschungsmethode, ohne es aber zu missen, Bezüge zu quantitativen Methodolgien zu schaffen. Im Vordergrund standen dabei nicht konkrete analytische Werkzeuge, sondern die formalen Möglichkeiten, Forschungsdaten einer Linse gleich aus verschiednen Winkeln und Distanzen zu untersuchen. Das Potential der Methode liege weniger in attraktiven Visualisierungen komplexer (und oftmals wenig aussagekräftiger) Netzwerke als in der Möglichkeit, vorhandene und fehlende Bezüge auf verschiedenen Ebenen zu betrachten und isolierte Effekte aufzuspüren. Der Forschungsprozess soll dabei von der Datensammlung in einem Archiv bis zur Publikation der Resultate von formalen Überlegungen begleitet werden, die es durch eine vorausschauende, der Dimensionalität bewusste Datensatzmodellierung erlauben, einengende Abhängigkeiten im weiteren Forschungsprozess zu vermeiden. Genaue Kenntnisse über den Aufbau eines Datensatzes und daraus abgeleitet mögliche interessante Fragestellungen beeinflussen die Auswahl des Analysewerkzeuges grundsätzlich. Der Netzwerkanalyse verwandte Methoden wie die geometrische Analyse, die multiple Korrespondenzanalyse, die Sequenzanalyse oder auch klassische deskriptive Statistik sind für manche Forschungszwecke besser geeignet als die soziale Netzwerkanalyse, die ihrerseits eigentlich eine Vielfalt von Spielarten umfasst. Die Netzwerk-Sichtweise kann in vielen Bereichen produktiv sein — als Netzwerke aufgefasst werden können Beziehungen unter und zwischen Personen und Organisationen aber auch historischen Ereignissen und Quellen oder linguistischen Einheiten –, um Korrelationen und Beziehungsmuster aufzudecken, sie sollte aber immer auch durch einen qualitativen Blickwinkel auf die Daten ergänzt werden.

Im letzten Vortrag der Summer School präsentierte Frédéric Kaplan, EPFL Lausanne, das kürzlich angelaufene Venice Time Machine-Projekt von EPFL und Universität Ca’Foscari (Digital Humanities Venice) und mithin seine Vision, durch effiziente Digitalisierung und Datenextrapolation vergangene Zeiten virtuell zu erschliessen und durch die Erkenntnisse wesentlich zu einer temporalen Kartografierung von Städten, Ländern und Kontinenten beizutragen. Erste Voraussetzung für die Kreation einer solchen ‚Zeitmaschine‘ ist die Anhäufung zuverlässiger Daten über die Vergangenheit. Wir verfügen nämlich über eine enorme Datendichte in der Gegenwart, die aber bereits für die vorhergehende Dekaden und mehr noch für vergangene Jahrhunderte sehr viel bescheidener ist. Im Venedig-Projekt sollen zu diesem Zweck im Verlauf der nächsten zehn Jahre rund 80 Laufkilometer Archivalien mit über 100 Millionen Dokumenten, die aus einem Zeitraum von über 1000 Jahren stammen und in verschiedenen Sprachen und Dialekten verfasst wurden, digitalisiert und interoperabel aufbereitet werden, so dass dereinst geschätzte 10 Milliarden ‚Ereignisse‘ (Datenpunkte, factlets) abgefragt werden können. Kaplan und sein Team sehen einer Vielzahl von Stolpersteinen entgegen, denen sie mit innovativen Methoden begegnen wollen: optimierte Scan-Roboter (Vision einer Abtastung der Information in geschlossenen Büchern), verbesserte Texterkennung durch Kontextwissen (analog der Spracherkennung), Nutzung der frei erhältlichen Mithilfe tausender motivierter Studenten gegen Akkreditierung von Kursleistungen in massive open online courses (MOOCs), graphbasierte semantische Informationsmodellierung (RDF), Extrapolation und Simulation fehlender Informationen. Der geisteswissenschaftlichen Forschungsdaten eigenen Ungenauigkeit und Unsicherheit soll durch die Zuweisung ‚fiktiver Räume‘, die in Aggregation Wahrscheinlichkeitsaussagen zulassen, begegnet werden, so dass unter einer Vielzahl potentiell möglicher Vergangenheiten die plausibelsten eruiert werden können. Es handelt sich zweifellos um ein hochinteressantes Projekt mit viel Potential für verschiedene Bereiche. Ob die angestrebte effiziente semantische Erschliessung aber in den nächsten Jahren Realität wird und zufriedenstellende Resultate liefern kann, vermag aus heutiger Warte jedoch gewisse Zweifel zu wecken.

Die sieben vielseitigen und interessanten Vorträge wurden durch zwölf Workshops und sieben Unconference-Sessionen ergänzt, die erfreulicherweise oftmals mit einem direkten Bezug zu den Vortragsthemen angeboten wurden und theoretische (Critical Digital Humanities, Zugänglichkeit und Quellenkritik digitaler/digitalisierter Quellen), disziplinäre (DH und die akademische Lehre) und methodische Belange (Datenaufbereitung, Textanalyse, digitale Editionen von Text und Musik, Visualisierungsmethoden, individuelle und kollektive Arbeitspraktiken) sowie deren Überschneidung (semantisch modellierte Forschungsumgebungen) vertieften. Aufgrund der begrenzten verfügbaren Zeit blieb es in vielen Workshops bei der Demonstration und Diskussion, vereinzelt konnten die Teilnehmer aber erfreulicherweise auch durchaus selber aktiv werden, etwa in den Workshops zu TEI-Editionen (E. Pierazzo), Textanalyse (S. Schreibman), Literaturverwaltung (N. Chachereau) oder Gephi-Visualisierungen (M. Grandjean). Für künftige Veranstaltungen sind diese Tutorien-ähnlichen Blöcke sicher sehr wünschenswert, vielleicht auch in ausgedehnter Form über mehrere Zeiteinheiten hinweg oder als eigenständige Hands-on-Tagesveranstaltungen.

Im Rahmen eines Project Slams stellten rund ein Drittel aller Teilnehmer in Kürzestpräsentationen ihre aktuelle Tätigkeit oder ihr hauptsächliches Forschungsinteresse vor, was eine grosse Bandbreite disziplinärer und thematischer Herkunft offenbarte, die sich zuvor schon in den Diskussionen angedeutet hatte. Mit einem ungezwungenen Diner, gemütlichen Abendstunden in der Bundesstadt, einem spontan organisierten Erfahrungs- und Hintergrundbericht von den Taksim Gezi-Park-Protesten in Istanbul durch zwei Teilnehmer und schliesslich einem Abschluss-Picknick, das aufgrund der Witterung leider nicht draussen durchgeführt werden konnte, bot die Summer School gute Gelegenheit, Kontakte zu knüpfen und Erfahrungen und Visionen zu teilen. Es bleibt zu hoffen, dass der ersten Digital Humanities Summer School in der Schweiz weitere folgen werden, woran dank der zunehmenden Verankerung der Digital Humanities auch hierzulande eigentlich kaum zu zweifeln ist. Mit der Ausrichtung der DH 2014 in Lausanne (6.-12. Juli) zeichnet sich für nächstes Jahr bereits ein hervorragender Anknüpfpunkt ab!

 

Cross-posting: http://blog.ahc-ch.ch/2013/07/tagungsbericht-zur-ersten-digital-humanities-summer-school-bern

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=1952

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„Die ganze Wahrheit“ im Blog des Jüdischen Museums Berlin

Immer mehr Museen in Deutschland entscheiden sich dazu, einzelne Ausstellungen[1], Veranstaltungen[2] oder ihren allgemeinen Museumsbetrieb mit einem Blog zu begleiten. Auch das Jüdische Museum in Berlin gibt im Blogerim – Aus dem Alltag des Jüdischen Museums Berlin einen Einblick in den … Weiterlesen

Quelle: http://musermeku.hypotheses.org/413

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Handschrift im Zeitalter der digitalen Reproduzierbarkeit

Für den 19. und 20. Juli ist ein Kolloquium zur „Handschrift im Zeitalter ihrer digitalen Reproduzierbarkeit“ an der Universität Trier angekündigt. Am Freitag wird Harald Wolter-von dem Knesebeck (Rheinsiche Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn) über Schrift und Bild in liturgischen Handschriften des frühen und hohen Mittelalters vortragen. Am Samstag wird Christine Jakobi-Mirwald einleitende Vorträge zur Entstehung des Handschrift und ihrer Reproduktion, Heinrich Dilly und den „natürlichen“ Maßstaß halten. Weitere Informationen finden sich auf den Seiten der Trierer Universität.

Quelle: http://scriptorium.hypotheses.org/303

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Was ist eine Randtypen-Tafel?

Die Frage schlug mir entgegen, als ich erzählte, was ich denn gerade so treibe. Unter Archäologen werden die verschiedensten Begriffe verwendet, die selbstverständlich erscheinen, aber nur für Archäologen selbstverständlich sind. Das betrifft manchmal auch Zusammensetzungen, die nur aus gebräuchlichen Wörtern bestehen, wie z. B.: Randtypen-Tafel.

Zunächst, was heißt hier Tafel? Tafeln werden für die Abgabe-Version bzw. für die Drucklegung einer archäologischen Arbeit angefertigt und sind ganzseitige Übersichten. In diesem Fall also eine ganzseitige grafische Übersicht von Randtypen. Das heißt, man erstellt eine typologische Übersicht von Rändern, in diesem Fall Ränder von Keramikgefäßen, die auf der Ausgrabung geborgen worden sind.

Typologische Übersicht bedeutet, dass das Fundgut nach bestimmten formalen Eigenschaften klassifiziert worden ist. Das ist die Voraussetzung für eine spätere Einordnung, Datierung etc.

Das ganze klappt bei Keramik besonders gut. Keramik gehört zu den am häufigsten geborgenen Materialien, weil sie zum Ersten sehr häufig hergestellt und benutzt wurde, zum Zweiten, weil sie sich unter fast allen Bedingungen im Boden erhält und zum Dritten, weil sie sehr schnell kaputt geht und nur bedingt reparierbar ist. 

Im Mittelalter sind Keramiken als Massenware von spezialisierten Handwerkern hergestellt worden und die Handwerker hatten ein bestimmtes Formen-Repertoire, das sich am Nutzen und am Zeitgeschmack orientiert.

Der Clou ist jetzt aber, dass diese Gefäße, wenn sie ausgegraben werden, in der Regel kaputt sind. Das heißt, in einem großen Haufen Keramik, der vor mir auf dem Tisch liegt, liegen Ränder, Böden, Henkel oder Tüllen einzeln und ohne Zusammenhang herum.

Foto: Maxi Platz

 

Deswegen muss ich mir einen Überblick verschaffen, welche Ränder oder Böden im Fundgut vorhanden sind. Da Archäologie eine Wissenschaft ist, muss ich den Nachweis darüber führen, also bilde ich sie ab.  Das reicht aber noch nicht, ich muss die Kriterien meiner Klassifikation erläutern, in dem ich den Scherben als Typ beschreibe.

Die Einordnung des Keramik-Spektrums erfolgt zu allererst in sogenannte Warenarten. (Dazu habe ich schon mal einen Post veröffentlicht.) Dann erfolgt eine Typologisierung der Randscherben, der Bodenscherben und der Angarnierungen (z.B. Henkel, Tüllen). Diese Beschreibung sollte einer gewissen Norm entsprechen, damit auch jede/r FachkollegIn etwas damit anfangen kann. Eine solche Richtschnur gibt unter anderem der „Leitfaden zur Keramik-Beschreibung“[1], ein Werk, das jede/r MittelalterarchäologIn kennt, benutzt (und nicht mit in den Urlaub nimmt).

Bei einer Ausgrabung, wie den Untersuchungen im Umfeld der Elisabethkirche, wurden Funde aus unterschiedlichen Zeitepochen geborgen. Die Vorlage der Keramik-Typologie dient zum einen dazu, Schichten, Befunde usw. zu datieren und einzuordnen, aber auch bisherige lokale Typologien zu ergänzen und/oder zu verifizieren. Bestimmt werden also zum Ersten die Warenarten, zum Zweiten die Randtypen, die Bodentypen, Angarnierungen, Deckel usw., zum Dritten das zu rekonstruierende Gefäßformenspektrum, also z. B. Töpfe, Schüsseln, Kannen, Becher oder Ofenkacheln.

Das wichtige ist jetzt aber, welche Typen kommen in welcher Zeitphase vor? Und was kann man daraus ableiten?

Zur Veranschaulichung: Ein paar Randtypen aus Marburg

 

Randtyp 1a        

Ausbiegender, leicht verdickter Rand mit leicht gerundeter nach außen geneigter Randleiste.

 Randtyp 1b                

Ausbiegender verdickter Rand mit gerundeter einwärts geneigter Randleiste und Innenkehle. Die Innenkehle kann dabei sehr deutlich ausgeprägt sein.

Randtyp 2a                

Ausbiegender leicht verdickter Rand mit leicht gekehlter einwärts geneigter Randleiste mit Innenkehle.

Randyp 3b                  

Steiler, nach außen leicht trichterförmig ausgezogener Rand mit gekehlter Mündung. (Becherkachel)

Umsetzung: Maxi Platz

Typen-Tafeln sind also grafisch aufgearbeitete Übersichten von Ergebnissen der Kleinfundauswertung. Sie veranschaulichen, dienen zur Beweisführung, aber auch als Vorlage für weitere archäologische Untersuchungen in der näheren Umgebung.

[1] I. Bauer/ W. Endres/ B. Kerkhoff-Hader/ R. Koch /H.-G. Stephan, Leitfaden zur Keramikbeschreibung (Mittelalter-Neuzeit). Terminolgie-Typologie-Technologien (Kallmünz/Opf. 1987)

Quelle: http://minuseinsebene.hypotheses.org/724

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Internationaler Forschungsförderpreis ausgeschrieben

ForschungsförderpreisHerausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Gastländern bzw. den Gastregionen der Institute der Max Weber Stiftung, die sich in vorbildlicher Weise um international ausgerichtete geistes-, sozial- und kulturwissenschaftliche Forschung verdient gemacht haben, auszuzeichnen -  das ist der Gedanke hinterm dem Internationalen Forschungsförderpreis. Die Max Weber Stiftung – Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland und das Historische Kolleg schreiben ihn in diesem Jahr zum zweiten Mal den aus.

Der Preis ist mit 30.000 Euro dotiert. Mit dem Preis verbunden ist die freibleibende Einladung zu einem Forschungsaufenthalt und zur Durchführung eines internationalen Kolloquiums am Historischen Kolleg in München. Nominierungsberechtigt sind Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer von Forschungseinrichtungen in Deutschland. Eigenbewerbungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den Gastländern der Auslandsinstitute der Max Weber Stiftung sind ebenfalls möglich. Preisträgerin des ersten Forschungsförderpreises ist die US-amerikanische Historikerin Isabel V. Hull. Sie wird im Januar und Februar 2014 am Historischen Kolleg forschen und dort vom 12.-14. Februar 2014 einen Workshop zum Thema „Das Völkerrecht im Ersten Weltkrieg“ durchführen.

Mehr Informationen gibt es unter: www.maxweberstiftung.de/foerderung/internationaler-forschungsfoerderpreis.html

Quelle: http://mws.hypotheses.org/3174

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Workshop: Gender meets Generation and Pop in Europe. Göttingen, 18.-19. Juli 2013

45er, 68er, 89er: Es sind vor allem die sogenannten politischen Generationen, die in der Historiographie zur deutschen Zeitgeschichte prägnant skizziert worden sind. Konstituiert werden sie – nach dem klassischen Konzept von Karl Mannheim – durch das Erleben einer tiefgreifenden gemeinsamen Umbrucherfahrung bestimmter Alterskohorten, manifestiert zumeist in Kriegen, Revolutionen oder anderen gewaltsamen und politisch aufgeladenen Ereignissen. Weitere Möglichkeiten des prägenden Einflusses auf die Bildung von Generationen, z.B. durch konsumtorische, mediale oder lebensweltliche Erfahrungen werden demgegenüber häufig ignoriert bzw. banalisiert.

Die bisherige Vernachlässigung von populär- und alltagskulturellen Erfahrungswelten zeitigt zudem deutliche Folgen für die Analyse geschlechterspezifischer Generationenbildungen. Die meisten Protagonisten generationeller Formierungen im politischen Raum sind männlich. Generationelle Erfahrungen und Deutungen von Frauen werden mit Ausnahme herausragender Politikerinnen hingegen ignoriert oder allenfalls unter die von Männern subsummiert. Die bisherige Blindheit von generationellen Konstruktionen gegenüber der Kategorie Geschlecht einerseits und der Populärkultur andererseits möchte der Workshop überwinden, indem gezielt danach gefragt wird, welche geschlechterspezifischen generationellen Deutungen mit dem Bereich der Populärkultur – hier Mode und Musik – in Europa zwischen 1950 und dem Jahr 2000 verbunden waren. Dieser Zeitraum wird ausgewählt, weil sich in ihm zum einen die Ausprägung und Kommerzialisierung der Rock- und Popmusik vollzog und zum anderen die Mode – erstmals unabhängig von sozialen Schichten und Stadt-Land-Unterschieden – als Teil einer weitgefächerten Konsumgüterindustrie zum bedeutsamen Distinktionsmittel zwischen den Generationen avancierte.

Donnerstag, 18. Juli 2013

13.00 Uhr
Begrüßung und Einführung
Prof. Dr. Dirk Schumann (Georg-August-Universität Göttingen)
PD Dr. Lu Seegers (Humboldt-Universität zu Berlin)

13.30 Uhr
Keynote
Geschlechterspezifik und Generation in Mode und Musik im 20. Jahrhundert.
Prof. Dr. Uta Poiger (History Department, Northeastern University Boston)

14.15 Uhr – 16.00 Uhr
Sektion 1: Populärkultur, Konsum und generationelle Stile

Von männlicher Politik zu gegendertem Konsum? – Skeptische Anmerkungen zum Bemühen, das Generationskonzept für die historische Forschung zu retten.
Prof. Dr. Kaspar Maase (Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft, Eberhard Karls Universität Tübingen).

Transnationale Subkultur? Gender und Generation als Probleme der Popgeschichte nach 1945.
Bodo Mrozek (Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam)

«Konservativ ist in!» Die „Lebenswelt der ‘anderen 68er’ im ‘Zeitalter der Uneleganz’.
Dr. Anna von der Goltz (History Department, Georgetown University)

16 Uhr – 16.30 Uhr Kaffeepause

16.30 Uhr – 18.15 Uhr
Sektion 2: Musik als Trigger für generationelle Verortungen

„Erst ma´ eins auf die Fresse’“ – Wut und Weiblichkeit in den frühen deutschen Punkszenen.
Henning Wellmann (Forschungsgruppe „Gefühlte Gemeinschaften“, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Berlin)

Girls in the Gang: Constructing Violence in Urban Space in Budapest in the 1960s.
Dr. Sándor Horváth (Historisches Institut, Akademie der Wissenschaften Ungarn, Budapest)

Ab 19.00 Uhr gemeinsames Abendessen

Freitag, 19. Juli 2013

9.00 – 12.15 Uhr
Sektion 3: „Generationen-Kleider“: Mode als generationelle Aneignung und Imagination im Ost-West-Vergleich

Gender als interdependente Kategorie? Sich kleiden in Mutter-Tochter-Beziehungen.
Nadine Wagener-Böck (Institut für Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie, Georg-August-Universität Göttingen)

Die Queen of Punk im Wunderland. Text-Gewebe im Werk Vivienne Westwoods.
Julia Hoffmann (DFG-Graduiertenkolleg Generationengeschichte, Georg-August-Universität Göttingen)

Kaffeepause

“Sowohl meine Oma als auch meine Mama nähten sich selbst die Kleider…”:
weibliches Nähen als generationsübergreifendes Überlebens- und Distinktionsmittel in der spätsowjetischen Konsumkultur .
Anna Tikhomirova (Abteilung Geschichtswissenschaften, Universität Bielefeld)

Zwischen Tradition und Beat. Junge Jugoslawinnen im Spannungsfeld neuer Körpererfahrung und alter Moral.
Nathalie Keigel, (Historisches Department, Universität Hamburg)

12.15 – 13.00 Uhr Mittagsimbiss

13.00 – 14.30 Uhr
Sektion 4: Generationelle Ästhetisierungen der Populärkultur in Europa

“For a Mother’s love”. Die Dialektik zwischen Melodrama und Generationen.
Vănia Morais (DFG-Graduiertenkolleg Generationengeschichte, Georg-August-Universität Göttingen)

„Ich sehe was, was Du nicht siehst und das ist anders!“ Alternative Lebensstile als habituelle Abgrenzung zur Elterngeneration in den 1970er Jahren in BRD und DDR.
Dr. Rebecca Menzel (Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam)

14.30 Uhr bis 15.30 Uhr
Schlussdiskussion

Veranstalter: DFG-Graduiertenkollegs 1083 “Generationengeschichte. Generationelle Dynamik und historischer Wandel im 19. und 20. Jahrhundert”, Georg-August-Universität Göttingen
Datum, Ort: 18.07.2013-19.07.2013, Göttingen, Heyne-Haus, Papendiek 16, 37073 Göttingen

Quelle: http://pophistory.hypotheses.org/971

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Neues Zentrum für digitale Geisteswissenschaften: Bündelung des Know-Hows in den Digital Humanities

http://www.bsb-muenchen.de/Aktuelles.3782+M53438458a9e.0.html Auch in den Geistes- und Kulturwissenschaften werden computerbasierte Verfahren und Werkzeuge immer wichtiger (“Digital Humanities”), etwa bei digitalen Editionen oder der quantitativen Text- und Datenanalyse. Die Bayerische Staatsbibliothek und die Bayerische Akademie der Wissenschaften bündeln in dem neuen Zentrum für digitale Geisteswissenschaften ihr Know-How in diesem Bereich.

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2013/07/4595/

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Fünf Fragen an… Élodie Lecuppre-Desjardin (Lille III)

Élodie Lecuppre-Desjardin im Studenteninterview

Élodie Lecuppre-Desjardin im Studenteninterview (Foto: T. Hiltmann)

Frau Lecuppre-Desjardin, herzlichen Dank, dass Sie sich im Rahmen dieser Veranstaltungsreihe Zeit für ein Interview nehmen. Wir würden Ihnen gerne einige mehr oder weniger persönliche Fragen bezüglich ihrer Erfahrungen als in Frankreich arbeitende Historikerin sowie zum Inhalt Ihrer Präsentation stellen.

Viele französische Absolventen der Geisteswissenschaften gehen nach dem Studium in den Schuldienst. Warum haben Sie sich für eine akademische Laufbahn entschieden?

Zunächst einmal schätze ich mich sehr glücklich, Beruf und Leidenschaft miteinander vereinen zu können. Ich kann mir jedoch auch Forschung nicht ohne Lehre vorstellen. Es wäre egoistisch, sich mit seiner wissenschaftlichen Arbeit zu isolieren und aus dem Erkenntnisgewinn nur eine persönliche Befriedigung zu ziehen. Der wichtigste Aspekt meines Berufs ist wohl die intellektuelle Herausforderung. Ich bin von Natur aus neugierig und als Historikerin vor allem fasziniert von der facettenreichen Gesellschaft des 14. und 15. Jahrhunderts, die oft als Übergangsgesellschaft verstanden wird. Vielleicht auch, weil ich zu den Menschen des ausgehenden Mittelalters eine professionelle Distanz habe. Zu dieser intellektuellen Herausforderung gehört aber auch der Austausch mit Studierenden, der mir für meine Forschung neue Perspektiven eröffnet. Es liegt in der Natur wissenschaftlicher Arbeit, sich in Details zu vertiefen. Erst die Konfrontation mit meinen Studenten zwingt mich, meine Ergebnisse auf verständliche Weise zu vermitteln. Auch wenn es sich paradox anhört, hilft mir dieser Vereinfachungsprozess persönlich weiter. Die Lehre ist mir also besonders wichtig. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Letztendlich habe ich mich ganz einfach aus meiner Leidenschaft für Geschichte für eine wissenschaftliche Karriere entschieden.

Sie sind Maître de conférences für mittelalterliche Geschichte in Lille. Lässt sich die Arbeit als Forscherin mit sehr hoher Lehrverpflichtung mit Privat- und Familienleben vereinbaren?

In Frankreich hat man als Maître de conférences sehr viel Sicherheit und auch Freiheit, da man verbeamtet ist und keiner direkten Kontrolle unterliegt. Trotzdem investiere ich extrem viel Zeit in die Erneuerung und Verbesserung meiner Lehrveranstaltungen. Zudem hat man als Wissenschaftlerin nie wirklich Feierabend, es gibt immer ein neues Werk oder einen wissenschaftlichen Artikel zu lesen. Man hört ja nie mit dem Denken auf. Ich habe das Glück, mit einem Mediävisten verheiratet zu sein, der das Wesen meiner Arbeit kennt und versteht. Wir haben zwei kleine Kinder und wenn ich um 17 Uhr nach Hause komme, bin ich bis abends natürlich ausschließlich für sie da, ab 21 Uhr sitze ich aber wieder am Schreibtisch. Hätte mein Mann nicht zufällig den gleichen Beruf und das damit verbundene Verständnis für meine Forschung, wäre das alles sicher unmöglich.

Wie sind Sie zu Ihrem Forschungsthema gekommen? Worauf beruht Ihre Faszination für Burgund?

Für mich ist Burgund ein interessantes „Labor“ politischer Erfahrungen, die Konzentration aller politischen Spielräume und Möglichkeiten der Menschen des 15. Jahrhunderts. Die Geschichte der Herzöge von Burgund zeigt, wie ich in meinem Vortrag erläutert habe, wie angreifbar die Idee des modernen Staates in Bezug auf das Mittelalter ist. An Burgund kann man das Durchspielen ganz verschiedener Modelle beobachten – das französischen Modell, das imperiale, das Modell des italienischen Stadtstaates und so weiter. Das Faszinierendste an Burgund sind für mich die vielen Brüche und Widersprüche und die Kultur, in der die politischen Kommunikation eine zentrale Rolle spielt. Anhand dieses einen Untersuchungsgegenstandes kann man den Machtapparat einer ganzen Epoche verstehen und nachvollziehen, wie Hof, Stadt oder auch Justiz in dieser Zeit funktionierten. Nicht zuletzt lässt sich die Problematik des Falls Burgund auch auf die heutige Zeit übertragen: Das Beispiel der EU zeigt, wie es Jürgen Habermas kürzlich angesprochen hat, wie schwierig vor dem Hintergrund der verschiedenen Sprachen, Kulturen und Geschichten noch immer die Konstruktion eines überregionalen Staatsgebildes ist.

Ziel Ihres Projektes ist die Habilitation. Welche Besonderheiten gibt es beim französischen Habilitationsprozess im Unterschied zum deutschen? In Frankreich bleibt man ja während seiner gesamten akademischen Karriere mehr oder weniger beim gleichen Thema. Das ist im deutschen Hochschulsystem ja nicht der Fall.

Voraussetzung für die französische Habilitation ist wie für die deutsche erst einmal die Promotion. In Frankreich muss man für die Habilitation dann aber insgesamt drei Werke präsentieren: eine Sammlung aufeinander aufbauender wissenschaftlicher Artikel, ein neuartiges Forschungsprojekt und zuletzt eine so genannte Égo-histoire, bei der man auf etwa hundert Seiten erläutert, wie und warum man Geschichte schreibt, was man unter Geschichtswissenschaft versteht und wie man sich seinen zukünftigen Beruf vorstellt. Eine Art Karriereplan also. Ich selbst forsche ja am Beispiel Burgunds vor allem zur politischen Kommunikation. Es machte Sinn, nach meiner Dissertation mit diesem Thema und im selben Stil weiterzuarbeiten. Es stimmt nämlich, dass man in Frankreich bei seinem thematischen Schwerpunkt bleibt, denn wenn man sich einmal für Wirtschaftsgeschichte, Kulturgeschichte oder Rechtsgeschichte entschieden hat, ist es schwierig, das noch einmal zu ändern. Trotzdem gibt es genug Abwechslung. So beschäftige ich mich ja am Beispiel Burgund zugleich mit urbaner Geschichte und der Geschichte von Staatlichkeit.

Können Sie abschließend erklären, warum die Idee des Staates in der französischen Mediävistik eine so große Rolle spielt?

Historiker erforschen ja immer auch ihre eigenen Wurzeln. In Frankreich hat das Nachdenken über den Zusammenhang zwischen Staat, Land, Nation und Region eine lange Tradition. Bei meiner Habilitation habe ich oft einen Satz zu Ende geschrieben und dann gedacht: „Nein, das geht nicht. Das ist zu teleologisch, zu französisch.“ Als französische Forscherin ist es besonders schwer, sich von dieser Denktradition der starken Staatsidee zu lösen. Dabei beschäftige ich mich ja auch mit Vergleichender Geschichte, bei der es außerordentlich wichtig ist, sein Untersuchungsobjekt kritisch zu reflektieren. Ebendiese Reflexion hilft dabei, sich vor Enthusiasmus, vor jeder überhöhten Emotionalität gegenüber seinem Untersuchungsgegenstand schützen.

Frau Lecuppre-Desjardin, wir bedanken uns für das Gespräch. 

Gespräch und Redaktion: Helena Kaschel
Unter Mitwirkung von Laura-Marie Krampe, Yannis Krone, Jan Pieper, Jörg Schlarb und Simon Siegemeyer.

Das Interview entstand im Rahmen der Lehrveranstaltung “Einführung in die französischsprachige Geschichtsforschung – aktuelle Tendenzen (Lektüre, Übersetzung, Diskussion mit französischen Gästen)”, welche die Vortragsreihe begleitet.

Informationen zu Élodie Lecuppre-Desjardin: hier
zur deutschsprachigen Zusammenfassung des Vortrags: hier

Quelle: http://jeunegen.hypotheses.org/840

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