Aktendigitalisierung für Anfänger. Oder: Die kurze Geschichte einer rasanten technischen Entwicklung

Wie lange wird die Digitalisierung der „Deutschen Nachkriegskinder“-Studie dauern? Durch die schnellen technischen Entwicklungen muss diese Frage stets neu und besser beantwortet werden. Am 5. Juni habe ich zusammen mit einer studentischen Hilfskraft versucht genau das auf dem aktuellen Stand der verfügbaren Technik herauszufinden. Dabei gebe ich auch einen Rückblick auf die bisher bestehenden Möglichkeiten.
Erst wenige Tage vorher habe ich entdeckt, dass in der Universitätsbibliothek Bonn ein sehr hübscher und neuer Buchscanner steht, mit dem jeder kostenlose Scans auf USB-Stick anfertigen kann. Noch vor wenigen Jahren kostete in der gleichen Bibliothek ein rein digitaler Scan genau so viel wie der Ausdruck auf Papier! Glücklicherweise sind diese Zeiten vorbei. Wir haben daher einen Vormittag lang verschiedene Unterlagen gescannt, die Zeit gemessen, Workflows und Einstellungen optimiert und dokumentiert.

Scanner anno dazumal (2009)

Aber gehen wir noch mal kurz zurück ins Jahr 2009, als ich zum ersten Mal mit der Forschungsgruppe „Deutsche Nachkriegskinder – revisited“ in Berührung kam. Damals war ich noch selbst studentische Hilfskraft. In meinem Büro stand ein Scanner zur Verfügung, der per Parallelschnittstelle an den Arbeitsrechner angeschlossen war: ein Kodak i80. Dieser Flachbettscanner kostete seinerzeit wohl eine kleine vierstelllige Summe, war jedoch schon zu meinem Arbeitsbeginn nicht mehr auf dem Stand der Technik und furchtbar langsam. Jeder Scan dauerte damit mindestens eine Minute, vom Einlegen des Blatts bis zum fertigen Scan auf dem Rechner. Meistens dauerte es viel länger. Ein ganzes Archiv damit zu digitalisieren würde einen Menschen sehr viel Lebenszeit rauben.

Smartphone-Scanner (2012)

Seit der Verbreitung von Smartphones mit guten Kameras erschloss es sich mir nicht mehr über eine Minute auf einen Scan zu warten, wenn ich sofort ein digitales Abbild der Akte erhalten kann. 2012 entdeckte ich ein  Crowdfunding-Projekt für eine Box, die es ermöglichte mit dem iPhone zu scannen, ohne die Kamera wackelig in der Hand zu halten, teils sogar mit eingebauter Beleuchtung. Ich baute mir zum Testen so selbst einen kleinen Smartphone-Scan-Automaten. Heutzutage gibt es solche fertige Boxen für wenig Geld.

Problematisch beim Smartphone-Scannen ist die fehlende Nachbearbeitung. Bilder sind oft verzerrt sein, die Farben und Lichtverhältnisse nicht korrekt wiedergegeben oder die Bilder sind unscharf, was man erst auf dem großen Bildschirm erkennen kann. Doch mit neuen Apps, die das Foto mit Algorithmen zu einem perfekten Scan zuschneiden, Farben und Licht optimieren, ist all das kein Problem mehr.

Im Alltag benutze ich keinen Scanner mehr, sondern die Scanbot-App der Bonner Entwickler von doo. Die Papierränder werden automatisch erkannt und das Bild automatisch nach der Scharfstellung und Dokumenterkennung ausgelöst. Danach landet das Bild sofort und ebenfalls automatisch in meiner Dropbox. Also muss ich nur noch meine Kamera ausrichten und danach kann ich das Ergebnis auf meinem Rechner begutachten.

Automatische Dokumenterkennung
Nachbearbeitung und Upload

Natürlich ist die Qualität dieser Bilder sehr unterschiedlich und hängt trotz aller Algorithmen sehr von den externen Lichtverhältnissen ab. Manchmal wird das Bild auch verzerrt, weil man die Kamera nicht perfekt gerade über das Blatt Papier gehalten hat. Trotzdem, mit der Handykamera und einer optimierten App könnte ich in meinen Tests etwa alle 30 Sekunden einen akzeptablen Scan erstellen.

Scannen mit dem Zeutschel zeta (2014)

Vor einem Jahr ist mir dann zum ersten Mal der Scanner der Firma Zeutschel bei Twitter über den Weg gelaufen. Ich war überrascht, dass eine Buchscanner-Firma mit sozialen Medien arbeitet. Um ehrlich zu sein, gibt es den Zeutschel zetal schon seit 2011 auf dem Markt. Doch erst eine Woche vor diesem Beitrag habe ich ihn dann endlich in der Bibliothek entdeckt und wollte ihn ausprobieren. Einen solchen Buchscanner kann man sich leider nicht selbst basteln und er liegt auch nicht im studentischen Budget. Umso schöner, dass die ULB Bonn ihn angeschafft hat.

Das Design des zeta erinnert ein wenig an Apple, zumindest ist es sehr hübsch für einen Buchscanner, die sonst eher funktionell gestaltet sind. Die einzige, aber dafür enorm störende Schwachstelle ist der Touchscreen, der leider nicht von Apple stammt. Das Betriebsystem ist Windows 7, das bekamen wir bei einem Absturz des Programms zu Gesicht. Wer  Multi-Touch-Gesten und eine funktionierende Bildschirmtastatur gewohnt ist, wird enttäuscht. Buchstaben muss man mehrfach drücken, die Tastatur hat keine Umlaute und das Anpassen des Scanbereichs ist nur nach mehrfachem Probieren zu nutzen, trotz Multitouchfähigkeit des Bildschirms ist das wirklich enttäuschend für so ein hochpreisiges Gerät.

Wenn man aber etwas mit dem zeta gearbeitet hat, merkt man, dass einige Algorithmen im Hintergrund die Arbeit des Buchscanners unbemerkt erleichtern. Finger, die das Blatt festhalten, werden aus dem Bild heraus gerechnet und es schien mir, als würde der Scanner eine Wahrscheinlichkeit berechnen, wo die nächste Buchseite ist, damit er die Zuschnitte nicht bei jedem Scan neu festlegen muss.

Die Scans kann man in den Formaten .jpg, .tif oder .pdf speichern, sie haben eine Auflösung von 300 dpi, unter gewissen Einstellungen auch bis zu 600 dpi. Bei PDF-Dateien besteht die Möglichkeit mehrerer Scans in eine Datei zu speichern (Multisite). Auch die Zuschnitte lassen sich per Einstellung optimieren (nur links, nur rechts, automatisch teilen oder nicht teilen).

Der Scanvorgang selbst ist wirklich sehr komfortabel und blitzschnell. Mit den Fingern fixiert man das Blatt, tippt sobald eine grüne LED leuchtet auf die Scanbuttons, die an mehreren Stellen ergonomisch erreichbar sind und kontrolliert danach das Ergebnis auf dem Touchscreen. Sobald der nächste Scan gestartet wird, wird das vorherige Bild auf dem USB-Stick gesichert. Nur beim letzten Scan muss man aufpassen, dass man das Speichern nicht vergisst, bevor man den USB-Stick entfernt.

Nachdem wir alle Einstellungen einmal ausprobiert haben und einen optimalen Workflow zu zweit entwickelten (einer sortiert die Aktenblätter, legt sie auf den Scanner und fixiert sie, der andere scannt, kontrolliert, korrigiert und löst den nächsten Scan aus), haben wir die Zeit gemessen, die wir brauchten um eine Beispielakte zu scannen. In einer Stunde konnten wir 184 Aktenseiten scannen. Die Konzentration lässt mit der Zeit etwas nach, dafür gibt es Übungseffekte, die den gesamten Vorgang beschleunigen.

Scanbeispiele

Hollerithschlüssel für den Lehrerbericht
Anleitung von 1953 zur Durchführung und Auswertung der psychologischen Untersuchungen
Akte für die Konstitutionsdaten
Akte für die psychologischen Untersuchungsergebnisse
Unterzeichentest

Ergebnis

Um die Dauer der gesamten Digitalisierung aller Akten abschätzen, müssen wir wissen, wie viele Aktenblätter es gibt. Im Schnitt sind etwa 100 Aktenblätter pro Akte enthalten. Insgesamt haben wir 4095 Akten wiedergefunden, was bedeutet, dass bis zu 409.500 Aktenblätter gescannt werden müssten.

Schätzung der notwendigen Arbeitsstunden zur Digitalisierung von 409.500 Aktenblätter mit klassischem Scanner, Smartphone und Buchscanner

Schätzung der Arbeitsstunden zur Digitalisierung von 409.500 Aktenblätter mit klassischem Scanner, Smartphone und Buchscanner

Nach meiner Schätzung sind also mit aktueller Technik für die Digitalisierung der Nachkriegskinder-Akten 4451 Arbeitsstunden nötig. Das errechnet sich aus 184 Aktenblätter, die pro Stunde mit zwei Personen gescannt werden können, bei einer Anzahl von 409.500 zu scannenden Aktenblätter.

Diese Zahlen sind nur grobe Schätzwerte und können sich durch Übung, bessere Workflows und bessere Technologien in kurzer Zeit wieder verändern. Nicht eingerechnet ist die Zeit für die Verschlagwortung und Anreicherung mit Metadaten, die vermutlich noch einmal das Doppelte der Zeit kosten wird.

Über Anregungen, Erfahrungen, Hinweise auf andere Artikel, best practices und Kommentare, aus denen wir mehr über Digitalisierung lernen können, würden wir uns freuen. Eine Einführung, die ich mir als nächstes genauer anschauen werde, ist die “Checkliste Digitalisierung”, die unter folgendem Link abgerufen werden kann:

http://dx.doi.org/10.12752/2.0.001.1

Ein weiterer Linktipp aus dem Archivamtblog: Marcus Stumpf, Digitalisierungsstrategien in Deutschland – Versuch einer Bestandsaufnahme, 8.5.2014: http://archivamt.hypotheses.org/668

Disclaimer: Es gibt keinen zu erklärenden Interessenkonflikt, da dieser Artikel aus privatem Interesse geschrieben wurde.

Quelle: http://zakunibonn.hypotheses.org/1119

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Commémorer la Grande Guerre cent après: 100 Jahre Erster Weltkrieg (Paris, 19.06.2014)

Bild: "The Battle of Vimy Ridge" (ca. 1918), kollorierte Fotodruck von Richard Jack | Library and Archives Canada, Reproduction reference no. C-000148/MIKAN IDno. 2837452 | Public Domain

Bild: “The Battle of Vimy Ridge” (ca. 1918), kollorierte Fotodruck von Richard Jack | Library and Archives Canada, Reproduction reference no. C-000148/MIKAN IDno. 2837452 | Public Domain

100 Jahre nach seinem Beginn ist der Erste Weltkrieg in den beteiligten Gesellschaften teilweise immer noch sehr präsent. Doch die Erinnerung an den Krieg ist weit davon entfernt, einheitlich zu sein. Die unterschiedlichen Beiträge der Zeitschrift, die dem Gedenken an den „Großen Krieg“ gewidmet sind, setzen sich aus internationaler Perspektive mit der derzeitigen Bedeutung der Erinnerung an 1914-18 auseinander.

Warum sind die Spuren des Konflikts im Sozialen und Politischen in Frankreich, Australien und Großbritannien so gegenwärtig, und warum sind sie, umgekehrt, in anderen Ländern wie Deutschland, Österreich oder den USA verwischt oder verdrängt?

Die Autoren beschäftigen sich mit dieser Frage, indem sie in ihre Überlegungen nicht nur die Erinnerungspolitiken von Staaten und territorialen Kollektiven, sondern auch das Gedenken in den Zivilgesellschaften einbeziehen. Durch diese Methode, angewandt auf 15 Länder weltweit, versucht, „Commémorer la Grande Guerre“ nationale Besonderheiten, aber auch grenz- und gruppenüberschreitende Erinnerungsräume hervorzuheben.

 

Programm:

Vorstellung der Zeitschrift “Matériaux pour l’histoire de notre temps“ (BDIC/ Association des amis de la BDIC) n° 113 und 114

Koordinatoren: Benjamin Gilles und Nicolas Offenstadt

Diskussionsrunde mit

  • Benjamin Gilles, Konservator der BDIC, Bibliothèque de documentation internationale contemporaine, Verantwortlich für die Drucksammlung und die digitale Sammlung;
  • Nicolas Offenstadt, Historiker an der Paris 1 Panthéon-Sorbonne,
  • Arndt Weinrich, Historiker am Deutschen Historischen Institut (s. r.),
  • Joseph Zimet, Direktor der Mission du Centenaire

 

Die Veranstaltung findet in Französischer Sprache am Donnerstag, den 19. Juni 2014 statt.

Veranstaltungsort- und beginn:  Goethe Institut Paris, 17 avenue d’Iéna, 75116 Paris;  19 Uhr,

Der Eintritt ist frei, um Reservierung wird dennoch gebeten (Tel. +33 1 44439230).

Quelle: http://grandeguerre.hypotheses.org/1581

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IANUS-Ressourcen werden nun persistent refenziert

IANUS, das Forschungsdatenzentrum für die Archäologien und Altertumswissenschaften, hat eine technische Hürde beim Aufbau des Online-Archives erfolgreich gemeistert. Dank einer Kooperation mit da|ra erhalten ab sofort die wichtigsten Ergebnisse des Projektes, die über die Homepage von IANUS veröffentlicht werden, einen Digital Object Identifier (DOI). Damit können die elektronischen Ressourcen vergleichbar mit ISBN-Nummern dauerhaft und eineindeutig zitiert werden. Auch alle zukünftig bei IANUS archivierten Forschungsdaten werden einen solchen persistenten Identifikator erhalten.
IANUS ist ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes und vom Deutschen Archäologischen Institut koordiniertes Projekt, dessen Ziel der Aufbau eines nationalen Forschungsdatenzentrums für die Archäologien und Altertumswissenschaften in Deutschland ist.

http://www.ianus-fdz.de/news/73

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Quelle: http://dhd-blog.org/?p=3633

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Bilder aus dem besetzten Warschau (1941, September)

Bei der weiteren Bearbeitung der Fotos wurden vor kurzem diese Motive aus Warschau vom September 1941 gefunden – Marktplatz, Alter Markt, Schloßplatz, Straßenszenen… dazwischen sind immer wieder die Kriegszerstörungen der Stadt sichtbar. Auf der Rückseite der Fotos hat Karl Lutz jeweils das Motiv festgehalten, was den heutigen Bearbeitern natürlich die Identifizierung wesentlich erleichtert!

 

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Quelle: http://kriegsfoto.hypotheses.org/293

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Die Veröffentlichungsform der Zukunft? Mein Lösungsvorschlag: Ein Aufsatz in Baum- und Ebenenstruktur.


Vorbemerkung der Redaktion:

Wir verstehen dieses Blog gerade auch als Experimentierkasten für eine Mediävistik 2.0, also eine interdisziplinäre Mittelalterforschung unter Einbezug digitaler Medien. Daher freuen wir uns ganz besonders über diesen Beitrag von Christian Schwaderer, der einen Aufsatz zu einem historiographischen Thema des 11. Jahrhunderts in einer für die historische Mediävistik völlig ungewohnten Form präsentieren will. Leider erlaubt die Struktur von WordPress bisher keine direkte Einbindung seiner XHTML-Datei. Öffnen Sie also parallel zur Lektüre seiner unten stehenden Erläuterungen folgende Seite

Christian Schwaderer: Gab es eine hystoria Gebhards von Salzburg?

Wir fänden es sehr erfreulich, wenn sich eine lebhafte Diskussion in den Kommentaren zu diesem Blogpost und dem sicher ungewöhnlichen Aufsatz in Baumstruktur entspannen würde.

Die Idee

Eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts ist es, jedem und jeder genau die Information zu liefern, die er oder sie gerade braucht. Und zwar so schnell wie möglich.
In den Geisteswissenschaften ist es nach wie vor Usus, Ergebnisse in statischer Textform zu veröffentlichen. Dieses Medium – der statische Text als Buch und auf Papier – blickt auf eine jahrhundertelange Entwicklungsgeschichte zurück. Immer wieder wurde versucht, das Medium besser aufzubereiten und schneller erfassbar zu machen: So entstanden Inhaltsverzeichnisse, Zwischenüberschriften und Abstracts.
Nun ist es wieder an der Zeit, Neuerungen einzuführen.
Selbst ein auf klassische Weise gut strukturiertes Buch zwingt zum oft langwierigen Blättern und Überfliegen, wenn man sich nur für einen bestimmten Aspekt interessiert.
Wünschenswert wäre daher, dass Texte so kleinteilig gegliedert werden, dass Haupt- und Nebenpunkte klar erkennbar und ohne Zeitverlust zugänglich sind.
Hierbei müssen wir auf Möglichkeiten zurückgreifen, die uns das Papier nicht bietet, die elektronisch aber einfach umsetzbar sind.

Das alles soll das Lesen und Rezipieren einfacher und schneller machen, während es das Schreiben und Verfassen aufwendiger und fordernder macht.

Die Geisteswissenschaften verdienen ihre Daseinsberechtigung nicht zuletzt dadurch, dass sie kulturelle Zeugnisse, Informationsträger und Dokumente erschließen, auswerten und verfügbar machen.
Wie man die Möglichkeiten digitaler Medien konsequent ausschöpft, wie man Gedanken anders als in klassischer Fließtextform darstellen könnte, ist seit geraumer Zeit Gegenstand langer Diskussionen – aber den entscheidenden Impuls konnten die Geisteswissenschaften bislang nicht setzen,
Auch hier ergibt sich also ein Motivations- und Ansatzpunkt.
Persönlich formuliert: Wenn es dereinst hieße, die Mittelalterwissenschaft des frühen 21. Jahrhunderts habe zwar inhaltlich keine wesentlich neuen Ansätze hervorgebracht, aber die Art und Weise, wie Informationen in Textform gegossen und verarbeitet werden, grundlegend verändert – dann wäre zumindest ich äußerst zufrieden.

Die Umsetzung – ein Lösungsvorschlag

Mein Lösungsvorschlag ist ein Text in Baum- und Ebenenstruktur: Das Dokument enthält viel mehr Zwischenüberschriften und viel mehr Gliederungsebenen als ein Werk klassischen Zuschnitts. Der Clou ist die Ein- und Ausblendbarkeit: Leser_innen können entweder ausblenden, was sie nicht interessiert, oder zunächst alles ausblenden und anschließend nur das einblenden, was sie tatsächlich lesen wollen.
Die einzelnen Ebenen sind durch Einrückung und immer dunklere Hintergrundfarben voneinander geschieden. Wichtiges steht auf höheren Ebenen, Unwichtigeres auf niedrigeren. So ist sofort erkennbar, was zentral ist und was eine (kleinteilige) Begründung der zentralen Punkte darstellt. Platz ist nicht kostbar.
Das Dokument beginnt mit einer klaren Überschrift und einem zweistufigen Abstract: zunächst in allerknappster Form, dann etwas detaillierter. Navigation und Übersicht werden durch zwei Leisten gewährleistet: Durch die Linkleiste links gelangt man zu den einzelnen Kapiteln (jeweilige Ebenen sind ein- und ausklappbar), die Statusleiste oben gibt an, in welchem Kapitel/Abschnitt sich der Mauszeiger gerade befindet. So ist die Orientierung im Dokument stets gewährleistet.
Der Zugriff kann ebenso über Indizes funktionieren. Das Personenverzeichnis funktioniert dabei ganz herkömmlich – mit einer Ausnahme: Statt Seitenzahlen stehen interne Links mit einem „Pfad“, der angibt, wo die jeweilige Person besprochen wird. Link und Pfad machen das Durchforsten des Registers gegenüber dem gedruckten Pendant deutlich schneller: Der Klick auf einen Link führt sofort zum gewünschten Ziel, der Pfad lässt oftmals erahnen, in welchem Kontext eine Person genannt wird. In den meisten Fällen kann eine Leserin hier schon entscheiden, ob die Stelle für ihre Frage überhaupt relevant ist.
Die Personenverlinkung im Text erspart lästiges Scrollen: Ein Klick auf eine Person im Text führt zum Index und damit zu allen anderen Erwähnungen desselben Menschen.
Das I-Tüpfelchen findet sich im Fazit: ein Prozentwert der subjektiven Sicherheit. Während man im Laufe einer geisteswissenschaftlichen Ausbildung nur allzu gut lernt, sich hinter Formulierungen zu verstecken, ist ein Autor durch diese Neuerung gezwungen, Farbe zu bekennen: Wie sicher bin ich mir, dass stimmt, was ich schriebe? Handelt es sich um pure Spekulation, die ich zur Diskussion stellen will? Bin ich überzeugt, wasserdichte Argumente geliefert zu haben? Der Prozentwert (und seine farbliche Visualisierung) soll zusätzlich zum Text hierüber eine klare Angabe machen und so den Lesenden ermöglichen, die vorgetragene These sofort einzuordnen.

Vorteile

  • Überschrift und Abstract machen sofort klar, worum es geht.

  • Hauptpunkt und wesentliche Thesen sind sofort erkennbar: Sie stehen auf der höchsten oder zweithöchsten Ebene.

  • Nebenpunkte können leicht angesteuert werden. Sie stehen nicht versteckt in den Fußnoten, sondern sind mit einer aussagekräftigen Überschrift versehen logisch in die Argumentation eingebettet.

  • Als unwichtig oder störend empfundene Abschnitte können ausgeblendet werden. Dann stören sie nicht mehr.

  • Die subjektive Sicherheit der These ist transparent.

Nachteil

Der Lesefluss: Die vielen Ebenenwechsel, die Zwischenüberschriften und die Links machen es schwer, das Dokument in einem Zug zur Gänze zu lesen. Der Text lässt sich nicht rezipieren wie ein Kriminalroman. Aber er lässt sich lesen, wie man quellenkritische Aufsätze normalerweise liest: Zuerst Übersicht verschaffen, dann (eventuell) Details sehr genau anschauen und zerpflücken.

Der technische Hintergrund

Das Baumstruktur-Dokument, das Sie sehen, ist ein automatisch erzeugtes Produkt. Das Original-Dokument, in dem der Aufsatz entstand, ist nicht technisch, sondern semantisch strukturiert und ausgezeichnet. Das bedeutet, einzelne Elemente werden vom Autor mit einer „Bedeutung“ versehen. Etwa: „Das ist ein Personenname!“
Als Format für das Original-Dokument dient die XML-TEI-Norm, ein Standard, der ursprünglich für die Dokumentenerschließung (bspw. Transkription und Edition historischer Quellen) konzipiert wurde, sich aber (mutatis mutandis) auch für die Erstellung neuer Texte eignet.
Aus einem solchermaßen strukturierten Dokument können sehr viele Ausgabeformate erzeugt werden. Nach vordefinierten Vorgaben (XSLT-Skript) wird so bspw. aus einem Personennamen ein Hyperlink.
Dafür, dass das Original-Dokument auch so strukturiert ist, dass sich problemlos die Baum- und Ebenenstruktur daraus erzeugen lässt, sorgt eine automatische Kontrolle schon während des Erstellens und Schreibens (Schematron). Falsche Elemente werden markiert und mit einer aussagekräftigen Fehlermeldung versehen. So können Verarbeitungsfehler größtenteils ausgeschlossen werden.
Das Ein- und Ausblenden der einzelnen Abschnitte oder Kapitel funktioniert mittels JavaScript.

Wenn Sie ein Dokument in diesem Format erstellen möchten

Ich würde mich sehr freuen, wenn das von mir vorgeschlagene Format aufgegriffen und weiterverwendet würde. Es bleibt abzuwarten, ob daraus eine eigene Reihe oder Online-Zeitschrift erwachsen wird.
Das Verfassen eines Textes in dem vorgeschlagenen Baumstruktur-Format ist ein klein wenig aufwendiger als etwa in Word oder OpenOffice, erfordert aber kein Informatikstudium.
Sie brauchen einen XML-Editor wie etwa Oxygen (womöglich über Ihre Universität bereits lizenziert) und ein grobes Verständnis des Aufbaus von XML-Dokumenten. Der Rest ist Learning-by-doing.
Weil die Entwicklung des hier vorgestellten Formats noch nicht abgeschlossen ist, kann es momentan noch keine detaillierte Dokumentation geben.
Wenden Sie sich bitte daher direkt an mich (christian.schwaderer@uni-tuebingen.de) und sagen Sie mir kurz, über welche Vorkenntnisse Sie verfügen. Ich werde Sie dann mit den nötigen Dateien und Informationen versorgen.

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/3893

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„Gastarbeiter“ im eigenen Land

Skarbit (in der Mitte) und seine Kollegen vor dem Westbahnhof in Budapest.

Visual History: ARCHIVSOMMER 2023
Die Erstveröffentlichung dieses Artikels erfolgte im Juni 2014

Eine Grundfrage der von Péter Korniss erstellten fotografischen Arbeiten war stets die nach den Möglichkeiten der transgenerationalen Weitervermittlung von Werten innerhalb einer Gemeinschaft. Geht die „alte Welt“, gehen die ländlichen Traditionen in unserer modernen Zeit unwiederbringlich verloren? Werden die Bräuche vom Neuen überlagert? Oder gibt es Spuren des Vergangenen, die erfolgreich mit in die Zukunft übernommen werden können? Bei der Beschäftigung mit Korniss‘ fotografischem Werk fällt auf, dass er im Zuge seiner Arbeit eine Bindung, teilweise sogar Freundschaften, zu den fotografierten Menschen aufbaute und dass er sie über längere Zeiträume hinweg begleitete.

Die ersten Bilder der hier vorgestellten Fotoreihe hat der Fotograf Ende der 1970er-Jahre aufgenommen. Das Konzept des Projekts entwickelte sich im Laufe der Arbeit, wobei zu Beginn keineswegs klar war, ob und in welcher Form das Ergebnis später präsentiert werden würde. „Der Gastarbeiter“ entstand im eigenen Auftrag.



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Quelle: https://visual-history.de/2023/08/16/gastarbeiter-im-eigenen-land/

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Péter Korniss

Zimmerdekorationen und Familienfotos in einem kleinen Dorf in der Region Máramaros/Maramureș in Rumänien. (Mănăstirea, Rumänien, 1997)

Visual History: ARCHIVSOMMER 2023
Die Erstveröffentlichung dieses Artikels erfolgte im Juni 2014

Péter Korniss, 1937 in Siebenbürgen (Klausenburg) geboren, zieht als Zwölfjähriger mit der Familie nach Budapest um. In der ungarischen Hauptstadt beginnt er nach dem Abitur ein Jurastudium, das er wegen seines Engagements während des Aufstands 1956 abbrechen muss. Das Universitätsverbot führt 1957 zu einer Neuorientierung und ersten Kontakten mit der Fotografie. Seit 1958 ist Korniss dann zunächst als Hilfsarbeiter bei der Fotografengenossenschaft „Fényszöv“ tätig, zwischen 1961 und 1991 arbeitet er sich bei der populären Frauenzeitschrift „Nők Lapja“ (Auflage 1981: 1.027.000 [1]) vom Assistenten zum Fotoreporter und schließlich zum Fotoredakteur hoch. Nach dem Systemwechsel in Ungarn 1989/1990 ist er für die Theater-Zeitschrift „Színház“ sowie als freier Fotograf tätig.

Péter Korniss engagiert sich seit den 1970er-Jahren in ungarischen und internationalen Beiräten, Gremien und als Jurymitglied bei Fotowettbewerben (z.B.

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Quelle: https://visual-history.de/2023/08/14/peter-korniss/

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Ö1: Aus dem Tagebuch des Wiener Hofbeamten Matthias Perth zur Zeit des Wiener Kongresses…

Schon seit einigen Monaten betreibt Andreas Kloner das Perth-Projekt, in dem er Tagebuchauszüge des Wiener Hofbeamten Matthias Perth (1788-1856) veröffentlicht. Nun hat er für Ö1 eine Radiosendung gestaltet, die kommenden Samstag ausgestrahlt wird (14.6.2014, 9:05-10:00).

Ankündigung:

"Lebe wohl, bester, wertester Freund!" -
Aus dem Tagebuch des Wiener Hofbeamten Matthias Perth zur Zeit des Wiener Kongresses 1814/15.
Nacherzählt von Andreas Kloner.

Im Jänner 1814 nimmt der Wiener Hofbeamte Matthias Perth Abschied von seinem besten Freund Karl von Obermayer, der mit seinem Regiment nach Frankreich aufbricht, um die Herrschaft Napoleons endgültig zu brechen. Als die anfängliche Briefflut Obermayers an seinen Freund ein jähes Ende findet, muss Matthias Perth das Schlimmste befürchten. Er bangt um die Gesundheit und das Leben seines Freundes.

Wenige Monate später, nachdem Napoleon auf die Insel Elba verbannt worden ist, beginnt der große Friedenskongress in Wien. Neben unzähligen Jagdausflügen und üppigen Ballveranstaltungen für die hohen Gäste wird auch politisch getagt. Im März 1815 überstürzen sich die Ereignisse: Napoleon kommt unvermutet von Elba zurück, der "Wiener Kongress" geht in seine Endrunde und Matthias Perth wird von einem völlig unerwarteten Schicksalsschlag getroffen.

Die Erlebnisse und Briefwechsel werden von Matthias Perth in seinem Tagebuch festgehalten. Andreas Kloner hat es gelesen und gibt die Geschichte einer innigen Freundschaft wieder, die sich vor 200 Jahren zugetragen hat.

Redaktion: Eva Roither
Schauspieler: Michael Dangl, Matthias Mamedof
Regie und Musik: Stefan Weber
Ton: Ralf Gabriel, Martin Leitner

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/894829249/

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Whitsun Break | Pfingstpause

 

Wegen des Pfingstfestes am vergangenen Wochenende erscheint in dieser Woche kein neuer Initialbeitrag. Die Kommentarfunktion bleibt aktiviert. | Because of Pentecost last weekend appears no new initial contribution today. The comment windows remain activated.

 

 

Abbildungsnachweis
Fresko Heiliger Geist (Amalfi, Basilica San Francesco) © Paul-Georg Meister / pixelio.de



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Quelle: http://public-history-weekly.oldenbourg-verlag.de/3-2015-18/whitsun-break-pfingstpause/

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Rückenkratzer und Zepter – und (doch kein) Kulturtransfer (II): Das ruyi-Zepter

Nach Bemerkungen zum Rückenkratzer[1] folgt nun Kulturgeschichtliches zum ruyi-Zepter.

Der Begriff ruyi 如意 bedeutet “nach Wunsch”.  Diese Bedeutung wurde im Buddhismus in der Bezeichnung mehrerer Objekte  verwendet: “Auch das Szepter, das der buddhistische Abt als Zeichen seiner Würde handhabt, wird ju i genannt, wohl als Symbol der alle Wünsche befriedigenden buddhistischen Lehre.”[2].

Wu Zetian 武則天, die einzige Frau, die in der Geschichte des kaiserlichen China auch formell die Herrschaft übernommen hatte (684-705), verwendete den Begriff ruyi 如意 auch als nianhao (Devise) für ein Jahr (692) ihrer Herrschaft.  Im Zusammenhang mit Wu Zetian und dem Begriff ruyi erwähnt Eberhard in seinem Lexikon chinesischer Symbole ein weiteres Detail:  “Der Liebhaber der berüchtigten Kaiserin Wu aus der T’ang-Dynastie wurde Ju-i chün [also ruyi jun 如意君] (‘Herr, dem alles nach Wunsch geht’) genannt, was sich zweifelsohne auf seine sexuellen Fähigkeiten bezog.”[3] Dieser “Stoff” rund um Xue Aocao 薛敖曹 und die Kaiserin erfuhr vermutlich im frühen 16. Jahrhundert in der “Geschichte vom Herrn, dem alles nach Wunsch geht” (Ruyi jun zhuan  如意君傳) seine literarische Verarbeitung.[4]

Das ruyi- oder Wunsch-Zepter  steht in keinerlei Zusammenhang mit herrscherlichen Insignien: es ist ein länglicher Gegenstand, meist aus Holz oder auch aus Bambus gefertigt, der Form nach gebogen und an einem Ende mit einem Kopf oder Knauf versehen.[5] Für luxuriösere Ausführungen griff man auf Materialien wie Jade, Elfenbein, Rhinozeroshorn[6], Koralle und Achat zurück, auch Gold, Silber, Porzellan und Kristall wurden dafür verwendet. Vom Kopf oder Knauf des ruyi sagt man bisweilen, dass er dem daoistischen Pilz der Unsterblichkeit (lingzhi 靈芝) nachempfunden wäre. [7] Daher wurden solche Stücke vor allem zur Zeit der Qing-Dynastie (1644-1911) bei Anlässen wie Geburtstagen oder Hochzeiten dem Kaiser präsentiert oder von diesem an ranghohe Beamte verschenkt.[8]

  1. Vgl. dazu übrigens auch Hochschule Ludwigshafen am Rhein/Ostasieninstitut Ostasienlexikon, Art. ‘Rückenkratzer’.
  2. Heinrich Hackmann: Erklärendes Wörterbuch zum chinesischen Buddhismus: chinesisch-Sanskrit-deutsch. Nach seinem handschriftlichen Nachlaß überarbeitet von Johannes Nobel. Herausgegeben von der Religionskundlichen Sammlung der Universität Marburg/Lahn, Lieferung 5 (Leiden: Brill, 1954) 288 (Art. “如意 Ju i.”).  Zum ruyi allgemein vgl. John Kieschnick: The Impact of Buddhism on Chinese Material Culture (Princeton 2003) 138-152 (‘The Ruyi Scepter’.
  3. Wolfram Eberhard: Lexikon chinesischer Symbole. Die Bildsprache der Chinesen (München, 5. Aufl. 1996) 311 (“Zepter”).
  4. Vgl. dazu Thomas Zimmer: Der chinesische Roman der ausgehenden Kaiserzeit. Bd. 2/1 (Geschichte der chinesischen Literatur, Bd. 2; München 2002) 415-417; Robert Hans von Gulik: Erotic Colour Prints of the Ming Period with an Essay on Chinese Sex Life from the Han to the Ch’ing Dynasty, B.C. 206 – A.D. 1644. Authorized reprint. With introductions by James Cahill, Wilt L. Idema and Sören Edgren. Vol. I (Leiden 2004) liii.
  5. Abbildungen eines Rotlack-ruyi: “Cinnabar lacquer ruyi sceptre” in Art World. Online resources for teaching and learning in World Art.
  6. Vgl. dazu auch Natasha Heller: “Why Has the Rhinoceros Come from the West? An Excursus into the Religious, Literary, and Environmental History of the Tang Dynasty.” Journal of the American Oriental Society 131,3 (2011) 358.
  7. Ronald G. Knapp, Michael Freeman: Things Chinese. Antiques – Crafts – Collectibles (Singapore 2011) 133. Weitere Beispiele für den reichen Symbolgehalt des Gegenstandes bietet Patricia Bjaaland Welch: Chinese Art. A Guide to Motifs and visual imagery (Singapore 2008) 259 (‘Scepter’).
  8. Vgl. dazu Lothar Ledderose (Hg.): Palastmuseum Peking. Schätze aus der Verbotenen Stadt (Frankfurt a. M. 1985) 133 (Kat.-Nr. 17) und ebd. Abb. 80).

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/1167

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