Die Frühgeschichte sozialer Indikatoren in der EWG, 1973 – 1984

extract-1975-social_indicatorsEin Merkmal einiger bekannten Initiativen der EU seit 2000 ist die Festlegung und Erstellung von europaweiten „sozialen Indikatoren“. Diese sind harmonisierte Statistiken, mit denen die Umsetzung einiger im Vorfeld ausgehandelter Ziele – z.B. zur Armutsbekämpfung im Lisbon-Abkommen – überwacht werden soll. Auf dem letzten Treffen der Gruppe „Wohlfahrtstaat“ stellten wir (Anne Lammers und Alex Fenton) ein gemeinsames Working Paper vor, das die früheren Versuche Eurostats, zwischenstaatlich vergleichbare Indikatoren wirtschaftlichen Wohlstandes und sozialen Fortschritts zu entwickeln, in den Blick nimmt.

In der Soziologie zieht die Verwendung statistischer Indikatoren in Leistungsmanagement und Benchmarking zunehmende Aufmerksamkeit auf sich. Verschiedene AutorInnenhaben darauf hingewiesen, wie Indikatoren als scheinbar objektive oder zumindest auf „neutrale“ Konventionen beruhende Darstellungen des Sozialen dazu beitragen, ein gemeinsames Feld für soziales oder politisches Handeln zu schaffen. Die Schaffung solcher gemeinsamen Handlungsfelder mit ihren impliziten oder expliziten Zielen oder Sollwerten sowie die Vermessung und Verbreitung dieser Indikatoren soll die flexible Koordination unter unterschiedlichen Akteuren ermöglichen, wie z.

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Quelle: http://etatsocial.hypotheses.org/847

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Die Klangwelt des Ersten Weltkrieges

Oleg Alex Bachmann

»Der Laut des Geschosses ist ein anschwellendes und, wenn der Schuss über einen fortgeht, wieder abschwellendes Pfeifen, in dem der ei-Laut nicht zur Bildung gelangt. Große Geschosse nicht zu hoch über der eigenen Stellung lassen den Laut zum Rauschen anschwellen, ja zu einem Dröhnen der Luft, das einen metallischen Beiklang hat.«[1]

Was Robert Musil hier so anschaulich beschreibt, ist die unvergleichliche Klangwelt des Ersten Weltkrieges, mit der sich dieser maschinisierte Krieg von allen vorherigen unterschied.[2] Soldaten wie Musil, als Reserveoffizier in Südtirol und der italienisch-serbischen Front stationiert, beschrieben die apokalyptischen Hörerlebnisse des Trommelfeuers als „Krach wie beim Weltuntergang“, als „höllisches Konzert“, das selbst diejenigen, die den Anblick der Leichen und Zerstörungen ertragen konnten, in den Wahnsinn trieb.[3]

Bachmann_Haus unter Beschuss, Postkarte vom 6.1.16_PK_086_V
Aufnahme eines Hauses unter Beschuss, vermutlich am 06.01.1916 aufgenommen von A. Jaspers.

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Quelle: https://feldpost.hypotheses.org/389

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Dank dem Wachmann Nummer 261 – Zur Kennzeichnungspflicht von Polizisten im Wien des 19. Jahrhunderts

Die Kennzeichnungspflicht respektive Nummerierung von PolizistInnen zur Verhinderung von Übergriffen hat mich in den letzten Jahren wiederholt beschäftigt.1 Demnach ist mir bekannt, dass in Wien eine solche Nummerierung  bereits 1776 eingeführt wurde, damit das Beschwerdeführen vielleicht dadurch, weil der Mann von der Wache dem Beleidigten unbekannt wäre, nicht erschwert, oder unmöglich gemacht werde und daß dergestalt genug sein wird, anzuzeigen, man sei von dem sovielten Numero beleidiget worden.2; die sich daran anknüpfende Frage ist selbstredend, ob es in der Folge Konfliktsituationen gab, in denen die Angabe einer Nummer eine Rolle spielte.
Eine weitere Frage ist, wann und wie solche Formen der Identifizierung verschwanden, wann sie wieder aufgegriffen und von Neuem vorgeschlagen wurden. So scheint es, dass in Wien die Nummerierung der Polizeisoldaten Anfang des 19. Jahrhunderts nicht mehr vorhanden war; ein halbes Jahrhundert später stand das Thema wieder an der Tagesordnung: Gemäß der Literatur bestimmte die 1852 vorgeschriebene Adjustierung des Militär-Polizeiwachcorps, dass auf der Brustseite des Patrontaschenriemens die Nummer des Polizisten ersichtlich gemacht werden musste.3 Als im Kriegsjahr 1866 Prager und Brünner Militärpolizisten wegen des Heranrückens der Preußischen Truppen nach Wien berufen wurden, erregte das Militärwachkorps einigen, auch in der Presse artikulierten Unmut,4 was vielleicht zu einer mit 21. November 1868 datierten Entschließung führte, gemäß der die Infanterie-Abteilungen vorne ein Dienstnummernschild zu tragen hatten.5
1869 wurde schließlich beschlossen, an Stelle der Militär-Polizeiwache eine zivile Sicherheitswache einzuführen; die Frage deren Nummerierung wurde auch im Wiener Gemeinderat behandelt, wobei insbesondere der Gemeinderat Hügel als Befürworter eine Kennzeichnungspflicht hervortrat: Gemäß seiner in der Gemeinderatssitzung vom 13. Juli 1869 vorgebrachten Darstellung entspreche die Adjustierung der neuen Sicherheitswache nicht den Erwartungen, da die Kopfbedeckung derselben keine Nummer [trage] und man (…) deshalb in die Unmöglichkeit versetzt [sei], vorkommendenfalls auf einen Wachmann sich berufen zu können.

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Quelle: http://nummer.hypotheses.org/78

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Nochmals zum Erkenntniswert von Original-Dokumenten

Die Diskussion im Mittelalter-Blog zu Jan Keupps Beitrag über den “Mehrwert des Materiellen” ist ebenso spannend wie erhellend. Hier wird eine Grundfrage der historischen Erkenntnis berührt. Aus der Perspektive des praktischen Archivars möchte ich nach meinem letzten Blogpost noch ein Beispiel bringen: Man nehme ein Blatt Papier und falte es der Breite nach.
Auf diese Art wurden die telegrafischen Berichte deutscher Botschafter gefaltet, wenn sie Kaiser Wilhelm II. vorgelegt werden sollten. Der Text stand nämlich auf einem Folio-Bogen, für die Übermittlung an den Hof wurden aber Umschläge im Quart-Format (also halb so groß) benutzt. Der so entstandene Kniff im Papier ist unter Umständen der einzige Hinweis, dass ein Bericht dem Kaiser vorgelegt wurde (Meyer 1920: 68 f.). Eine Erkenntnis, die sehr relevant sein kann, wenn es etwa um die Rekonstruktion der Julikrise von 1914 geht.



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Quelle: http://aktenkunde.hypotheses.org/392

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»If you have to ask, you can’t afford it.« Pop als distinktiver intellektueller Selbstentwurf der 1980er Jahre

Diedrich Diederichsen und Rainald Goetz lesen am 16. Juni 1984 beim Festival “In der Hitze der Nacht” in der Markthalle Hamburg eigene Texte. Im Hintergrund ein Großbild von Michaela Melián. © Sabine Schwabroh 1984

Im Herbst 2007 beklagte Karl Heinz Bohrer, dass den Intellektuellen in Deutsch­land der Wille zur Macht fehle. Er diagnostizierte dem bundesrepublikanischen Bürgertum eine »kulturell und politisch schlaffe Bescheidenheit«1 und warf des­sen Geisteselite vor, sich selbst den Zugang zum politischen System zu versper­ren. Indirekt gab Diedrich Diederichsen trotz seiner dezidierten Anti-Bürgerlich­keit Bohrer im Herbst 2010 recht, als er zugab, dass seine intellektuelle Peer­group niemals an den »Elendsnummern« »Verantwortung« und »Kalkül« inte­ressiert gewesen sei. »Lyotards wahre Herren« zeichne ihr Außenseiterstatus aus, es handele sich bei ihnen um »experimentelle Maler, Popkünstler, Yippies und Eingesperrte«.2



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Quelle: http://pophistory.hypotheses.org/1841

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„WJl dw roʃlein varb ʃchreib‾(e)n od^(er) floriren ʃo nim d^(er) var= be als dw wilt vn‾(n)d reib ʃij auff aine‾(n) raine‾(n) ʃtain“

Mit diesen Worten beginnt das erste vollständige Rezept im sogenannten „Amberger Malerbüchlein“. Aus geschichtswissenschaftlicher Sicht fällt es schwer aus den verwendeten Zeichen und Schreibweisen heraus größeren Nutzen zu ziehen. Man ist eher auf die Erwähnung bestimmter Zutaten, Ereignisse, Personen oder Ähnlichem fokussiert.

Hier liegt die Chance einer sprachwissenschaftlichen, beziehungsweise sprachgeschichtlichen Untersuchung. Anhand von Buchstabenbefund, Wortwahl, Morphologie und anderer Kriterien lässt sich ein recht gutes Bild davon entwerfen, wann und wo ein Text entstanden ist. Im Fall dieses ersten Satzes ist es beispielsweise beachtenswert, dass der Schreiber verschiedene „ei“-Schreibungen nutzte. Eine Entstehung im bairischen Sprachraum lässt sich bereits hier feststellen. Dies verdeutlicht, dass die Voraussetzung für eine fruchtbare Arbeit mit mittelalterlichen Handschriften eine Transkription sein muss, die idealerweise auch sprachgeschichtlichen Ansprüchen genügt, also Dinge wie verschiedene Schreibungen desselben Lautes aufschlüsselt.



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Quelle: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/9721

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Johann van der Veecken, ein kurkölnischer Agent in Den Haag

Heute ein kurzer Hinweis in eigener Sache. Schon des öfteren habe ich über Themen berichtet, die einen Bezug zu Johann van der Veecken hatten. Das kam nicht von ungefähr, denn in den vergangenen Monaten habe ich mich intensiver mit ihm beschäftigt. Das Ergebnis ist jetzt im Druck nachzulesen:
„Nachrichten aus Den Haag. Johann van der Veecken als kurkölnischer Agent zur Zeit des Dreißigjährigen Kriegs“, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 217 (2014), S. 63-147.

Damit habe ich etwas abgearbeitet, was schon seit langen Jahren bei mir auf dem Schreibtisch lag – jedenfalls in den unteren Sedimentschichten. Denn bereits beim Schreiben der Dissertation war ich auf Veeckens Berichte gestoßen. Und sehr schnell ist mir seine Bedeutung klargeworden: ein Agent, ein Diplomat niederen Ranges also, der in Den Haag die Angelegenheiten des Kurfürsten von Köln wahrnimmt und gleichzeitig für die Informationsbeschaffung zuständig ist.

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Quelle: https://dkblog.hypotheses.org/662

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antikes, interkulturelles Kulturmanagement

Primaporta

Augustus von Prima Porta – Herrscher, Friedensbringer, Kulturvereiner

“Anknüpfungspunkt” ist eines meiner Lieblingswörter, wenn es darum geht, wissenschaftliche Sachverhalte zu vermitteln. Historische und archäologische Forschungsfragen sind oft so spezialisiert, dass ihre Bedeutung sich nicht aus sich und der Präsentation von fertigen Ergebnissen heraus erklärt. Will man sie verständlich darstellen, muss man an das Vorwissen und die Lebensrealität der Zielgruppe anknüpfen. Diese kann die breite Öffentlichkeit sein, aber ebenso kann es darum gehen, Fachwissen über den disziplinären Tellerrand hinaus in andere Bereiche zu übertragen. Kürzlich habe ich ein schönes Beispiel dafür entdeckt, bei dem Informationen zur Antike auf modernes Kulturmanagement und umgekehrt Theorien zu Stadtentwicklung und Creative Cities auf die Antike angewendet werden.

Eleonora Redaellia, assistant professor für Kulturpolitik, -planung und -management an der University of Oregon, hat in der letzten Ausgabe von Urban Geography den Artikel „Becoming a creative city: perspectives from Augustus’ Rome“ publiziert. Sie ist weder Althistorikerin noch Archäologin, aber leitet mit ihrer Expertise für kreative, partizipative Stadtentwicklung aus kulturellen Strategien des augusteischen Roms mögliche Handlungsweisen für moderne Prozesse hin zu Creative Cities ab.



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Quelle: http://kristinoswald.hypotheses.org/1656

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Kindeswohl und Regenbogenfamilien

Am 18. Juni 2015 hielt Christoph Niepel von der Uni Luxemburg einen Vortrag zum Thema Kindeswohl in LGBTQI-Familien. Hintergrund der Forschung ist, dass beim Thema Ehe für alle, Adoption durch nicht-heterosexuelle Eltern etc. immer wieder gesagt wird, man wüsste nicht, wie sich dies auf die Kinder, ihre Entwicklung, ihre Psyche und ihr soziales Leben auswirken würde. Das kann von homophoben Behauptungen (“Die Kinder werden dann selber homosexuell!”) bis hin zu vorgeschobenem Mitleid (“Diese armen Kinder werden doch dann gemobbt!”) reichen, oder sich selbst bei der Kanzlerin der Bildungsrepublik Deutschland als diffuses Bauchgefühl äußern.

Mir selbst sind in Trier in Diskussion mit Anhängern der AfD ähnliche Kommentare untergekommen: Vom irrelevanten “Die Kinder lernen dann nicht ihre Geschlechtsrollen!” über das xenophob-homophobe Double “Die Schwulen kaufen dann Kinder aus dem Ausland!

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Quelle: http://queerhist.hypotheses.org/97

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