Über das Kommentieren in Wissenschaftsblogs

  Gastbeitrag von Mareike König Es wird viel lamentiert, wenn es um Kommentare bei geisteswissenschaftlichen Blogs geht: Meistens bleiben sie aus, so heißt es, und wenn doch mal jemand kommentiert, dann ist der Inhalt oder der Ton oder beides nicht recht. Entweder Regen oder Traufe, Schweigen im Walde oder umzingelt von Trollen, so scheinen sich die Alternativen gegenwärtig resümieren zu lassen. Das wird deswegen tragisch genommen, weil die Interaktion auf dem Blog mit der Leserschaft in Form von Kommentaren einen neuralgischen Punkt betreffen: Denn Bloggen ist nicht nur Publikation, Bloggen ist auch Kommunikation, genau wie Wissenschaft Publikation und Kommunikation ist. Daher, so eine These, die ich selbst teile, passen Blogs und Wissenschaft eigentlich so gut zueinander. Bleiben dann allerdings Kommentare aus, scheint den Wissenschaftsblogs eine ihrer Grundlegitimationen entzogen. Grund genug, sich dem Thema „Kommentare“ anzunehmen, auch wenn es derzeit mehr Fragen als Antworten gibt: Warum wird so wenig kommentiert? Liegt es an unserer deutschen Forschungskultur? Ist es in anderen Ländern anders? Liegt es an der Zurückhaltung, ja am Misstrauen der Geisteswissenschaftler gegenüber den neuen Medien während in anderen Disziplinen munter diskutiert wird? Wie kann man mehr Interaktivität auf den Blogs generieren? Können provokante Thesen zu Kommentaren anregen, so wie es hier vor kurzem durch den Beitrag von Lilian Landes „Versuchen Sie es doch erstmal mit einem Blog…“ der Fall war? Diese und weitere Fragen werden auf Tagungen und in Blogs gestellt und diskutiert, und auch im Januar 2013 auf der Tagung „Rezensieren – Kommentieren – Bloggen“ wird man sicherlich darüber sprechen. Man könnte aber auch zunächst fragen: Werden Kommentare nicht generell überschätzt? Und: Wird überhaupt so wenig kommentiert? In meinem Beitrag zum Open Peer Review-Buch „historyblogosphere“ von Eva Pfanzelter und Peter Haber habe ich die Anzahl der Blogpostings und die der Kommentare auf der französischen Blogplattform hypotheses.org gegenübergestellt: Das Ergebnis ist gar nicht so niederschmetternd: „Im Jahr 2008 erhielt jeder vierte Beitrag durchschnittlich einen Kommentar, im Jahr 2009 wurde jeder dritte Beitrag kommentiert, 2010 dann jeder zweite Beitrag.“ (Quelle) 2011 gibt es einen “Einbruch”, und nur noch jeder vierte Beitrag erhält statistisch gesehen einen Kommentar. Woran liegt das? Die Diskussion könnte sich in die sozialen Netze verlagert haben (Kommentar von Sebastian Gießmann bei historyblogosphere); das wäre dann ein Teil der „stillen Konversation“, über die ich im Beitrag ebenfalls schreibe: Denn nicht jede Kommunikation über einen Blog oder ein Blogposting findet auf dem Blog selbst statt. Oftmals wird auf Tagungen, in Mails, am Telefon oder in der realen Kaffeeküche über Blogbeiträge gesprochen. Manchmal sogar, selten, in Tageszeitungen [1]. Ein weiterer Grund für die Halbierung der Kommentarzahlen bei hypotheses.org im Jahr 2011 könnte sein, dass die Zahl der Postings zugenommen hat, die nur einen Veranstaltungskalender enthalten, womit Kommentare nicht herausgefordert werden (Vorschlag von Benoît Majerus bei historyblogosphere). Vielleicht wurden aber auch viele ältere Blogbeiträge ohne Kommentare von bereits bestehenden Blogs auf die Plattform migriert. Über die vier Jahre gerechnet ist jedenfalls der Schnitt mit einem Kommentar für ca. jedes dritte Posting gar nicht so schlecht. Interessant wären vergleichbare Zahlen aus anderen Ländern und Disziplinen. Wie dem auch sei: Dies sind Zahlen, die nichts über die Qualität der Kommentare aussagen. Dazu hat vor kurzem John Scalzi ein Blogpost veröffentlicht mit dem Titel: „How to be a good commenter“. Sein Beitrag hat bisher 176 Kommentare provoziert, was am Thema, am ohnehin gut eingeführten Blog (seit 1998!), wie auch an der Formulierung der Thesen liegen kann. Ein Luxusproblem, mag man denken, wenn sich jemand nicht mehr um die Anzahl, sondern um die Qualität der Kommentare auf seinem Blog sorgt. Vermutlich ist man da in den USA einfach weiter. Zehn Fragen soll man sich stellen, so Scalzi, bevor man ein Blogpost kommentiert. Tatsächlich sind es nicht zehn Fragen, sondern allenfalls sieben, einige Gedanken wiederholen sich. Regel Nummer 1 besagt, dass man nur kommentieren soll, wenn man auch etwas zu sagen hat. Schon da bin ich anderer Meinung und würde differenzieren. Ein schlichtes: “Danke für den Beitrag, den ich sehr gern gelesen habe”, ist aus meiner Sicht als Kommentar absolut gerechtfertigt. Daraus entspannt sich dann zwar keine inhaltliche Diskussion, aber ein Feedback ist es allemal, zumal eines, das erfreut. Die weiteren Fragen, die man sich vor dem Posten eines Kommentars stellen soll, lauten: Ist mein Kommentar zum Thema? Kann ich richtig argumentieren? Kann ich meine Meinung belegen? Schreibe ich in anständigem Ton? Will ich wirklich in eine Diskussion eintreten oder will ich diese nur gewinnen? Weiß ich, wann ich aufhören muss? Das ist sicherlich alles wünschenswert und in großen Teilen auch richtig, aber eben unrealistisch. Die Leser/innen von Scalzis Blog haben seine Vorschläge dann auch nicht berücksichtigt: „I have nothing to say and will defend to the death my right not to say it!”, lautet der dritte Kommentar, der zu einem Beitrag über (fehlenden) Humor in deutschen Wissenschaftsblogs überleiten könnte. Letztlich ist es mit den schriftlichen Kommentaren bei Blogbeiträgen nicht anders als mit mündlichen Diskussionsbeiträgen auf Tagungen: Einige sind sehr gut, andere off-topic; einige Diskutanten hören sich gerne selbst reden und wieder andere behaupten einfach irgendwas. Und manchmal herrscht einfach nur Schweigen. Das ist dann nicht das Schlechteste. [1] Twitter für Historiker, in: FAZ, 17.10.2012, S. N4.    

Quelle: http://rkb.hypotheses.org/290

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Eine Datenbank für die verschwundene Kunst der DDR


Karl-Siegbert Rehberg nahm bei der Eröffnung der Dresden Summer School 2012 an der Podiumsdiskussion teil. Was in der stark theoritisierenden Diskussion unerwähnt blieb, war sein Projekt: Bildatlas “Kunst in der DDR”.

Innerhalb des Projektes wurden nicht nur die gerade eröffneten Ausstellungen in Weimar (Abschied von Ikarus; 19.10.2012-3.2.2012) Erfurt (Tischgespräch mit Luther. Christliche Bilder in einer atheistischen Welt; 21.10.2012-20.1.2013) und Gera (Schaffens(t)räume; 19.10.2012-3.2.2012) konzipiert, Kataloge geschrieben und ein Symposium organisiert, sondern ein digitales Verzeichnis von mehr als 20.000 Bildern und Objekten angelegt. Es handelt sich um Werke die in der DDR entstanden sind und nach 1990 weitestgehend aus den öffentlichen Räumen und aus den Museen verschwanden.

Die Datenbank gibt den Werken ihren Raum und ihre Aufgabe, als künstlerische Objekte und historische Zeugen zurück. Im Interview mit Fridtjof Harder hat Karl-Siegbert Rehberg die Vorzüge dieser digitalen Erfassung deutlich benannt. Neben der besseren Überschaubarkeit der sehr verstreuten, meist in Depots befindlichen Werke ermöglicht die Datenbank das Gegenüberstellen sowie das Entdecken neuer Zusammenhänge und Widersprüche der Werke und ihrer Künstler. Alle Aktivitäten des Projektes sowie der Bildatlas sind auf der Internetseite für jeden einsehbar. Ein wissenschafltiches Blog erleichtet die Kontaktaufnahme und konstruiert einen barrierefreien Besucherraum. Der Bildatlas “Kunst der DDR” greift den heutigen Museen vor, die oft nicht wissen, ob und wie sie ihre DDR Kunst präsentieren können oder wollen.

Weitere Informationen können dem Interview entnommen werden. Die Passage zur Bedeutung der digitalen Medien befindet sich unmittelbar am Ende. Das vollständige Interview liegt als PDF auf der Homepage des SFB 804. Der Besuch des Bildatlasses sei jedem ans Herz gelegt: http://www.bildatlas-ddr-kunst.de/index.php?pn=database

Quelle: http://dss.hypotheses.org/745

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Benedikt von Nursia: aktuelle Kommentare zur Vita (2012) und zur Regula Benedicti (2002)

     Die Benedikt von Nursia (ca. 480-560) zugeschriebene Regel, die unter Ludwig dem Frommen und seinem hierbei maßgeblichen Berater Benedikt von Aniane für alle Mönchsklöster im Frankenreich verbindlich wurde, war wohl wenigstens bis zum Aufkommen der Bettelorden im 13. Jahrhundert die verbreitetste Regel für Religiose, stellt sie doch auch für die Zisterzienser DIE normative Grundlage dar – oder wie es J.-B. van Damme einst ausdrückte: “Da ein Zisterzienser ein Benediktiner sein muss, will er ein Zisterzienser sein, sollte er im Jahr 1980, im Jubeljahr [...]

Quelle: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/891

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Die Macht der Kategorien – und ihre Anwendung bei Computerspielen

Als ich neulich im Supermarkt einen Becher Rübensirup kaufen wollte, fand ich ihn nicht an der gewohnten Stelle. Bislang konnte man ihn bei den Marmeladen finden. Aber jetzt? „Ach“, dachte ich, „das haben sie wohl aussortiert“. Wo sollte ich suchen? Mir fiel keine sinnvolle Abteilung ein. Als ich schließlich eine Verkäuferin fragte, schickte sie mich zum Regal mit den Backzutaten. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, ihn hier zu suchen. Mir ist kein Backrezept bekannt, in das diese Zutat gehört. Für mich gehört Rübensirup auf die Frühstückssemmel.

An diesem einfachen Beispiel kann man sehen, dass die Zuordnung zu einer Kategorie zu Schwierigkeiten führt, wenn nämlich der, der die Sache einordnet, ein anderes Konzept verfolgt und im Kopf hat, als der, der die Sache sucht.

Doch wie ist das überhaupt mit den Kategorien? Das Kategorisieren ist ein sehr starker Neuromechanismus, dem wir unterliegen, denn Dinge in Kategorien einzuteilen macht das Denken und Erkennen leichter. Unser Gehirn vereinfacht die Dinge, denn das ist eine Strategie, um möglichst effizient funktionieren zu können. Wir kämen zu nichts mehr, müssten wir jede Sache und jedes Ding einzeln betrachten und darüber nachdenken. Dinge in Kategorien einzuteilen vereinfacht also unser Leben und das hat folgende Gründe:

  • Es gibt Neuronen, in denen speziell bei der Verarbeitung von Kategorien Aktivität gemessen wurde. In Versuchen mit Affen konnte dies nachgewiesen werden. Das bedeutet, dass das Gehirn wesentliche Merkmale der wahrgenommenen Inhalte herausfiltert und sie als allgemeine und wichtige Information präsentiert. Dadurch wird eine kategoriale Präsentation von Reizen möglich, die die für das Gehirn aufwendige Arbeit, ständig Einzelheiten betrachten zu müssen, minimiert.
  • Außerdem verarbeitet unser Gehirn verschiedene Reize in verschiedenen Arealen. Bestimmte Gruppen von Neuronen verarbeiten senkrechte Kanten, andere Gruppen waagerechte, wieder andere Bewegung, noch andere Farbe etc. Das bedeutet nichts anderes, als dass Gruppen von Zellen jeweils eine bestimmte Kategorie von Reizen verarbeitet. Kategorien von Reizen treffen auf Kategorien von Neuronen.

So, wie es in unserem Gehirn ausschaut und zugeht, so haben wir unsere Umwelt aufgebaut und organisiert:

  1. Unsere Welt besteht aus Kategorien: Wir leben in einem Land, darin in einer Stadt, darin in einer Straße, hier in einem Haus, in einer Wohnung, die verschiedene Kategorien von Zimmern besitzt usw.
  2. Kategorien können eingebettet sein in Überkategorien oder sich in weitere Unterkategorien aufteilen. Die Beziehungen, die zwischen dem Geflecht von Kategorien entstehen, geben Orientierung und stellen Information zur Verfügung wo sich eine Sache in Bezug auf andere Sachen befindet. Welche Wege zurückgelegt werden müssen, um diese Sache zu finden. Das ist oft eine Art der räumlichen Orientierung – die wir als mentale Leistung ständig erbringen. Wenn ich einen Teelöffel brauche, dann suche ich ihn im Haus, in der Küche und dort in einer Schublade und nicht in der Garage.
  3. Der Computer mit all seinen Anwendungen fordert vom Benutzer räumliche Orientierung im virtuellen Raum. Hier ist die gleiche Orientierungsleistung zu vollbringen, wie in realen 3D-Welt. Die hier verwaltete Information liegt hauptsächlich in Kategorien vor, denn irgendwie muss man seine Daten wieder finden. Ob diese hierarchisch organisiert oder mit Tags versehen werden, ist dabei egal. Zum Wiederfinden benötigen wir ein Schlagwort, d.h. eine Kategorie.

Kategorienbildung bei Computerspielen

Wir Menschen teilen Dinge gerne in Kategorien ein. Das ist mit einem Lustgefühl verbunden. Spiele wie „Diamond Dash“ appellieren an unseren Mechanismus der Kategorienbildung und sprechen dieses Lustgefühl bei vielen Menschen mit einfachsten Mitteln an.

Die vom Spieler erforderliche Aktivität ist lediglich, dass eine Gruppe von mindestens drei gleichfarbigen „Juwelen“ angeklickt werden soll. Danach kommen neue Juwelen hinzu, wodurch sich die Anordnung der Juwelen ändert. Ist der Spieler nicht schnell genug, blinkt eine Gruppe auf, womit ihm signalisiert wird, darauf zu klicken.


Screenshot aus dem Spiel „Diamond Dash“. Dieses Spiel wird monatlich von
ca. 20 Mio. Spielern gespielt.

Während der Runden, die ich gespielt habe, ging es ausschließlich um die Kategorie „Farbe“. Ob auf einem höheren Level eine weitere Kategorie hinzukommt (die Spielsteine tragen Symbole), weiß ich nicht. Was im Spiel als Level bezeichnet wird, würde ich eine Spielrunde nennen, denn eine Steigerung des Schwierigkeitsgrades konnte ich nicht feststellen. Im Gegenteil: war ich längere Zeit nicht schnell genug, gab es irgendwann eine ultraleinfache Runde, bei der mir die passenden Gruppierungen quasi direkt vor den Mauszeiger fielen. Das Spiel macht eher den Anschein, den Spieler bei der Stange halten zu wollen; aber nicht mittels eines Schwierigkeitsgrades oder einer anderen nachvollziehbaren Logik, sondern algorithmisch berechneter Motivation.

Für alle, die den verschiedenen Social Games nichts abgewinnen können, hier ein Tipp: Schauen Sie doch einmal auf die ARTigo-Plattform. Dort gibt es bereits 5 Spiele, bei denen Sie etwas lernen und der Wissenschaft helfen können. Das ist doppelt sinnvoll genutzte Zeit.

Quelle: http://games.hypotheses.org/693

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Neueste Medien… und die Dissertation in Großbritannien

Noch sind sie keine ‘digital natives’, die Befragten der umfassenden Studie “Researchers of Tomorrow“. 2009 von der British Library und JISC, dem Joint Information Systems Committee in Auftrag gegeben, zeigt der 88-seitige Report die aktuelle Lage von Doktoranden im Vereinigten Königreich auf. Auch wenn manche Erkenntnis nicht einfach auf das deutsche Wissenschaftssystem übertragbar sein dürfte, gibt die Studie – an der über 17.000 Promovierende teilnahmen – doch in vielerlei Hinsicht zu denken.

Researchers of Tomorrow
Zunächst sind die jungen Forscherinnen und Forscher der “Generation Y” offenbar ausgefuchste Informationssucher. Auch bei der Nutzung neuester Medien sind die zwischen 1982 und 1994 Geborenen zur kritischen Einschätzung hinsichtlich des gefundenen Materials allemal in der Lage. Nahezu alle suchen dabei aber wohl weniger Primärquellen, als Sekundärmaterial wie wissenschaftliche Artikel, Bücher usw. Demgegenüber sind junge Sozial- und Kulturwissenschaftler offenbar extrem zurückhaltend in der Nutzung von Zeitungen, Archivmaterial und Statistiken. Der Report befürchtet, dass hier bereits eine Verschiebung gegenüber den vor zehn Jahren üblichen allgemeinen Standards eingesetzt hat und fordert hierzu mehr Untersuchungen.

Ungeduld kennzeichnet den Umgang mit dem Sekundärmaterial: Wenn ein Artikel aus einem E-Journal nicht verfügbar ist, arbeitet mehr als die Hälfte der Befragten notfalls mit dem Abstract oder dem, was Google leicht zugänglich macht. Alte Ordnungsorientierungen wie Verlage, Reihen etc. haben gegenüber den Suchmasken von Bibliothek und Suchmaschinen massiv an Bedeutung verloren. Die Mobilität zwischen verschiedenen physischen Bibliotheken hat abgenommen. Trotz aller Medienkompetenz sind für die Doktoranden die oftmals komplexen Abläufe, die zur Bereitstellung von Onlineressourcen durch Universitäten führen, nicht verständlich. Wenn das mal nicht für mehr Open Access spricht, und zwar in möglichst radikal einfacher Form… Offenbar führt auch der Wiedererkennungs- und Authentizitätseffekt von bereits publizierten Material dazu, dass man sich wenig auf “graues” Material stützt. Die Systemgrenzen wirken als Schere im Kopf, auch und gerade gegenüber netzbasierten Daten.

Überraschend ist auch ein weiteren Befund der Studie: Für die Arbeit an der Arbeit nutzen junge Forscher offenbar nicht “latest and greatest”-Technologie. Nur wenn neue Anwendungen leicht in die Forschungspraxis integriert werden können, werden sie auch benutzt. Das betrifft auch die Angebote in Sachen Web 2.0, die von Institutionen selber bereitgestellt und entwickelt werden. (Ich versuche mir, das in Deutschland vorzustellen: Stell’ Dir vor, es gibt Moodle oder spezielle Retrodigitalisierungen, aber kein Dissertierender nutzt sie.) Es gibt also in Großbritannien offenbar so etwas wie einen gravierenden Konservatismus.

Nutzung von Sozialen Medien zur Forschung in Großbritannien, 2009-2011

Nutzung von Sozialen Medien zur Forschung in Großbritannien, 2009-2011

Kann es daran liegen, dass das Einzelkämpfertum zu verbreitet ist? So teilt man die eigenen Ergebnisse nur im engsten Kreis und verzichtet auf breite Anschlusskommunikation, die ja z.B. mit einem eigenen Blog sehr leicht wäre. Zwar wollen immer mehr Forschende im Open Access publizieren, aber Renommier- und Glaubwürdigkeitsfragen hinsichtlich der entsprechenden Journale bremsen den Enthusiasmus stark. “Researchers of Tomorrow” ermutigt deshalb die Betreuerinnen und Betreuer dazu, wiederum die Doktorierenden zu ermutigen: Größere Offenheit und mehr Teilen sind die Devise. Was junge Forscherinnen und Forscher aber wirklich brauchen, ist der informelle direkte Austausch: nicht nur als Notlösung untereinander, sondern vor allem im Gespräch mit Professoren.

Die Entzauberung der vermeintlich schon “digital geborenen” Generation hat auch in Deutschland längst eingesetzt. Entscheidend ist für die Wissenschaft nicht ein naiver, journalistisch befeuerter Diskurshype um “digital natives” und “immigrants”. Dagegen lese man noch einmal als Antidot die ebenfalls im Bildungskontext entstandenen Artikel von Marc Prensky (2001: Teil 1/Teil 2). Viel eher scheinen die mittelfristigen Folgen des medienkulturellen Wandels strukturelle Änderungen in der Wissensproduktion mit sich zu bringen, die ohne Gegensteuern zum Problem werden können.

Nutzung von offenen Web-Technologien zur Forschung in Großbritannien, 2009-20111

Nutzung von offenen Web-Technologien zur Forschung in Großbritannien, 2009-20111

Warum sollte in der digitalen Welt die Forschung nicht vielfältiger werden können? Das Sprachproblem zwischen verschiedenen Generationen, das Prensky befürchtete, kann doch nicht ernsthaft die Ursache sein. Offenbar fehlt in Großbritannien allen Seiten Mut und Orientierung, um die vernetzte Welt richtig für sich zu nutzen.

Your media mix may vary, auch das gedruckte Buch spielt für die Humanities immer noch die Hauptrolle (hier eine aktuelle Einschätzung aus Österreich). Dass das Surfen im Netz für viele schnell mal zu einem Driften werden kann – geschenkt. Alarmierend sind hingegen die niedrigen Nutzungs- und Zufriedenheitsraten für die diversen Netztechnologien, mitsamt einer Tendenz zur Passivität. Die Wikipedia kommt noch am besten weg. So ist das halt mit dem Internet: Man bekommt nur das Netz, das man sich selber macht. Es wird offenbar an der Zeit, dass ein Blogportal wie hypotheses eine englische Dependance eröffnet. Oder kennt Ihr positive britische Beispiele, die einen nicht so verzweifeln lassen wie “Researchers of Tomorrow“? Dann aber fix her damit!

Alle Abbildungen stehen wie der gesamte Studientext (PDF) unter CC-BY-NC-ND (The British Library and HEFCE 2012).

Quelle: http://gab.hypotheses.org/332

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Das Herz der Elisabeth in Nordfrankreich?

Reliquien spalten die Gesellschaft: die einen wissen nicht was Reliquien überhaupt sind, die anderen halten ihre Verehrung für einen morbiden Auswuchs katholischer Frömmigkeit und wieder andere reisen kilometerweit, um einmal den Arm, Kopf oder auch vertrocknete Innereien sehen zu können. Sie beten zu dem Heiligen und erhoffen sich Hilfe oder sehen  sie/ihn als spirituelles Vorbild an. Das Herz der Elisabeth liegt angeblich in Cambrai, Nordfrankreich. Im Rahmen einer Frankreichreise besuchte ich die Stadt, um das zu überprüfen.

Auch der Leichnam der heiligen Elisabeth ist nach ihrem Tode zerteilt worden,  ihr Körper ist nun auf der ganzen Welt verstreut und wird in vergoldeten Schreinen aufbewahrt. Die verwitwete Landgräfin starb im Alter von 25 Jahren 1231 in dem von ihr gegründeten Hospital in Marburg an der Lahn. Sie wurde bereits zu Lebzeiten als Heilige verehrt, was zu unglaublichen Szenen während ihrer Aufbahrung geführt haben soll. Die Menschen sollen sich regelrecht auf den Leichnam gestürzt haben. Sie rissen Stücke aus ihrem Leichentuch, schnitten Nägel, Haare und sogar die Ohren ab.[1] Bereits kurz nach ihrem Tod muss den Hinterbliebenen klar gewesen sein, hier lag eine Heilige und nun müssen die Maßnahmen für ihre offizielle Heiligsprechung eingeleitet werden.

Ich bin von dem Marburger Historiker Angus Fowler darauf hingewiesen worden, dass es in einer handschriftlichen Notiz heißt, dass das Herz der Elisabeth bereits 1232 nach Cambrai gekommen sei. Das wäre ein Jahr nach ihrem Tode und vier Jahre vor ihrer offiziellen Heiligsprechung durch den Papst.[2]  Bereits 1235 soll in der Kathedrale von Cambrai ein Altar der Heiligen Elisabeth worden sein, was die Existenz einer Reliquie voraussetzt. In Cambrai sind mehrere Reliquien der Heiligen Elisabeth in mindestens acht Schatzverzeichnissen aus den Jahren 1359, 1401, 1461, 1519, 1541, 1571, 1623 und 1670 aufgelistet. Darunter könnte auch das Herz gelistet sein, dass sich unter dem Begriff „Apfel“ verbergen könnte.[3]

Weiterhin ist zu bemerken, dass die Beziehungen zwischen den Landgrafen von Thüringen und den Herzögen von Brabant eng waren, so wurde Elisabeths älteste Tochter in dieses Haus eingeheiratet.

Während der Französischen Revolution wurde die Stadt schwer in Mitleidenschaft gezogen. Die Kathedrale von Cambrai wurde gebrandschatzt und abgerissen. Die meisten Reliquien wurden eingeschmolzen. Die Kathedralfunktion wurde auf die Klosterkirche Saint-Sepulchre übertragen. An der Stelle der Kathedrale steht heute ein Parkplatz. Laut örtlicher Überlieferung entging das Herz der Elisabeth der Zerstörung und wurde in einem Kupfergefäß in Form eines Herzes gebettet und in eine Nische auf der Rückseite des Hauptaltares eingelassen. Dieses Gefäß wurde 1990 aufgebrochen und gestohlen, die Reste des Elisabethherzes las man vom Boden auf und verbrachte es in ein neues kleines Herzreliquiar, das ich mir anschauen durfte.[4] Foto unten.

Die Geschichte der Herz-Reliquie hat zuletzt Frau Suzanne Frontier de la Messelière in ihrer Doktorarbeit zum Thema „Elisabeth de Hongrie. Biographie et Hagiographie“ an der Universität Freiburg/ Schweiz bearbeitet. Eine kurze Zusammenfassung findet sich auf dieser Internetseite.

Die Abschlussarbeit liegt meines Wissens noch nicht gedruckt vor.

Der Großteil des verstorben Körpers der heiligen Elisabeth dürfte bis zu ihrer Heiligsprechung 1235 in Marburg verblieben sein. Der Leichnam wurde präpariert, in dem man Fleisch und Knochen voneinander trennte und auch getrennt voneinander aufbewahrte. Der Kopf wurde als die wertvollste Reliquie wiederum gesondert aufbewahrt. Bei der feierlichen Erhebung war der Kaiser Friedrich II persönlich anwesend. Er nahm das Haupt und setzte ihm eine kostbare Krone auf, was damals als Zeichen der Demut begriffen wurde.[5]

Der Verbleib des verwesenden Fleisches in den nächsten Jahrhunderten ist unbekannt. Der Theologe Dickmann mutmaßt, dass es sich in dem bleiernen Kästchen, dass zwischen 1854 und 1861 aus einem Schacht unter dem heutigen Elisabethmausoleum heraufgehoben wurde, befinden könnte. Friedrich Lange, der zur damaligen Zeit die Restaurationsarbeiten leitete, beschrieb den Inhalt als „zu Klumpen verbackene Hostien“.[6] Die These ist als hypothetisch zu werten.

Das Skelett dürfte nach ihrer Erhebung erst einmal in ihrem Hospital aufbewahrt worden sein. 1249 wurde sie schließlich in die neu errichtete Elisabethkirche überführt und kam in den 1270er Jahren in den goldenen Schrein in der Sakristei.

Bis zum Ende des Mittelalters sind immer wieder Teile des Skelettes entnommen worden. Überliefert ist zum Beispiel, dass Sophie eine Rippe ihrer verstorbenen Mutter bei sich gehabt haben soll, um darauf Schwüre abzunehmen. Ein Arm soll bereits kurz nach ihrem Tod ins Prämonstratenserinnenkloster Altenberg bei Wetzlar verbracht worden sein, wo ihre jüngste Tochter Gertrud dann Äbtissin war.[7] Über Umwege gelangte das Reliquiar in den Besitz der Fürsten zu Sayn-Wittgenstein. Er wird heute in der Schlosskapelle von Schloss Sayn bei Koblenz aufbewahrt.[8]

1539 entnahm der zum Protestantismus übergelaufene Landgraf Philipp von Hessen, genannt der Großmütige, die Gebeine seiner Ahnmutter aus dem Schrein. Die sterblichen Überreste wurden in einen Sack verpackt und ins Marburger Schloß gebracht.[9] Der großmütige Urenkel ließ verkünden er hätte der Knochen auf dem Friedhof beim Michelchen in Marburg verstreuen lassen, was ihm freilich niemand glaubte. Der Deutsche Orden forderte ihn immer wieder auf, die Reliquien zurückzugeben, aber auch das Eingreifen des Kaisers sollte nicht fruchten.[10] Während des Schmalkaldischen Krieges wurde Philipp 1547 in der Schlacht bei Mühlberg gefangengenommen. Der Deutsche Orden forderte die Herausgabe erneut, nur diesmal mit dem Zusatz des Kaisers, dass sich eine Rückgabe positiv auf die Dauer der Gefangenschaft auswirke.

Am 12.7.1548 wurden die Gebeine dem Deutschen Orden in Marburg ausgehändigt. Von dem Skelett waren noch der Kopf mit Kinn, 5 kleinere und größere Röhrenknochen, eine Rippe, zwei Schulterbeine und ein Breitknochen vorhanden.[11]

1588 bat der Deutschmeister Erzherzog Maximilian von Österreich den Marburger Landkomtur um die Herausgabe der Reliquien. Noch im selben Jahr wurden sie in das Wiener Klarissenenkloster verbracht. Als dieses 1782 aufgelöst wurde, kamen die verblieben Knochen ins Elisabetherinnenkloster in der Nähe von Wien, wo sie sich heute noch befinden.[12] Der Verbleib ist in Forschung umstritten.[13]

In der Elisabethkirche selbst befinden sich keine Reliquien der heiligen Elisabeth mehr. Die Körperteile Elisabeths von Thüringen sind auf der ganzen Welt verstreut, wobei nicht jede der verehrten Reliquien als echt einzustufen ist.

Das Herz der Elisabeth hat in der deutschsprachigen Forschung noch nicht die Beachtung gefunden, die es möglicherweise verdient hätte. Wenn die urkundliche Rückverfolgung eine Echtheit der Hinterlassenschaft wahrscheinlich macht, sollte das Herz der Elisabeth seinen Platz unter den wichtigsten Reliquien der Heiligen eingeräumt werden. Doch vorher müssen die Urkunden geprüft und alle Indizien abgewägt werden, um zu einem Ergebnis zu kommen.


Foto der Herzreliquie in Cambrai (Foto: Kai Thomas Platz)


[1] E. Könsgen (Hrsg.), Caesarius von Heisterbach. Das Leben der heiligen Elisabeth und andere Zeugnisse, Veröff. Hist. Kommission Hessen 67,2 = Kleine Texte mit Übersetzungen 2 (Marburg 2007) 190-191

[2]  Mit freundlichen Hinweis von Angus Fowler M.A. / A. Huyskens, Quellstudien zur Geschichte der Hl Elisabeth. Landgräfin von Thüringen (Marburg 1908) 33/ A. Fowler, Das Herz der Heiligen Elisabeth in Cambrai/Nord-Frankreich (Masch. Schriftl. Manuskript Marburg 2011)

[3] B. Delmaire, Nennung von Reliquien der hl. Elisabeth im Reliquien-Verzeichnis der Kathedrale von Cambrai, in: D. Blume- M. Werner, Elisabeth von Thüringen. Eine europäische Heilige Katalog (Petersberg 2007) 197-199

[4] B. Delmaire, Nennung von Reliquien der hl. Elisabeth im Reliquien-Verzeichnis der Kathedrale von Cambrai, in: D. Blume- M. Werner, Elisabeth von Thüringen. Eine europäische Heilige Katalog (Petersberg 2007) 197-199

[5] T. Franke, Zur Geschichte der Elisabethreliquien im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Philipps-Universität Marburg (Hrsg.), Sankt Elisabeth. Fürstin Dienerin Heilige. (Sigmaringen 1982) 167

[6] F. Dickmann, Das Schicksal der Reliquien Elisabeths, in: Journal of  Religious Culture 141, 2010, 4

[7] T. Franke, Zur Geschichte der Elisabethreliquien im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Philipps-Universität Marburg (Hrsg.), Sankt Elisabeth. Fürstin Dienerin Heilige. (Sigmaringen 1982) 168

[8] F. Dickmann, Das Schicksal der Reliquien Elisabeths, in: Journal of  Religious Culture 141, 2010, 5

[9] Th. Fuchs, Bericht über den Verbleib der Reliquien der hl. Elisabeth, in: D. Blume-M. Werner (Hrsg.), Elisabeth von Thüringen. Eine europäische Heilige. Katalog (Petersberg 2007) 462-463

[10] F. Dickmann, Das Schicksal der Reliquien Elisabeths, in: Journal of  Religious Culture 141, 2010, 2

[11] Th.Fuchs, Der Landkomtur des Deutschen Ordens bestätigt die Rückgabe der Reliquien der heiligen Elisabeth, in: D. Blume-M. Werner (Hrsg.), Elisabeth von Thüringen. Eine europäische Heilige. Katalog (Petersberg 2007) 462-463

[12] F. Dickmann, Das Schicksal der Reliquien Elisabeths, in: Journal of  Religious Culture 141, 2010, 7

[13] U. Hussong, Im Namen der Elisabeth Nachleben und Jubiläumsfeiern in Marburg (Marburg 2007) 25

Quelle: http://minuseinsebene.hypotheses.org/162

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Sammelband: Europäische Geschichtskulturen um 1700

Anfang 2012 erschien beim Verlag De Gruyter der Band mit den Beiträgen einer 2010 in Wien gehaltenen Tagung zu Geschichtsschreibung und Geschichtsforschung in verschiedenen Ländern Europas in den Jahrzehnten um 1700, an der sowohl junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als auch namhafte Größen der Gelehrsamkeits- und der Ordensgeschichte aus Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien und den USA teilnahmen (Tagungsbericht). Nicht nur weil das Forschungsprojekt Monastische Aufklärung und die benediktinische Gelehrtenrepublik (angesiedelt am Institut für Geschichte der Universität Wien und am Institut für Österreichische Geschichtsforschung) die Veranstaltung ausrichtete, sondern [...]

Quelle: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/665

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Wer das lesen könnt … Zur (Un-)Brauchbarkeit heutiger E-Book-Reader für historische Literatur


E-Book-Reader mit Buchseite im Fraktursatz

Wer in einer historischen Wissenschaft forscht, kann sich heute einen großen Teil seiner Quellenliteratur in elektronischer Form an den eigenen Arbeitsplatz holen: dank Google Books (und einiger progressiver Bibliotheken) sind bereits mehrere Millionen gemeinfreier Bücher digitalisiert. Bei einer größeren Forschungsarbeit warten dann zehn-, vielleicht zwanzigtausend digitalisierte Buchseiten darauf, gesichtet, bewertet und in den relevanten Teilen gelesen zu werden. Doch welche Art von Lesegerät ist überhaupt geeignet, um historische Literatur in digitalisierter Form effizient studieren zu können? Gibt es solche Geräte überhaupt auf dem Markt?

Drei Grundanforderungen muss der Reader mindestens erfüllen: er muss erstens für ermüdungsarmes Lesen langer Texte geeignet sein, zweitens über ein ausreichend großes Display verfügen und drittens einen effizienten Umgang mit denjenigen Formaten bieten, in denen die Digitalisate historischer Bücher üblicherweise vorliegen. Der erste Punkt ist schnell geklärt: hintergrundbeleuchtete Bildschirme sind für stundenlanges Lesen ungeeignet. In Frage kommen daher nur E-Book-Reader mit reflektiven Displays (“elektronisches Papier”), die in Bezug auf Kontrast und Schärfe der Textdarstellung die Qualität bedruckten Papiers inzwischen nahezu erreichen (eInk Pearl).

Die zweite und dritte Anforderung ergibt sich aus dem Format, in dem historische Literatur üblicherweise als Digitalisat zur Verfügung gestellt wird: nämlich als Image-Daten, also Faksimiles, die man in der Regel im PDF-Format herunterladen kann. Im Gegensatz zu elektronischem Text, bei dem sich Zeilen- und Seitenumbruch im Lesegerät entsprechend der Displaygröße und der eingestellten Schriftart und Schriftgröße anpassen, zeigen diese Faksimile-Digitalisate den Text genau in der Form, in der er im Original gedruckt vorliegt. Notwendig sind daher E-Book-Reader mit großem Display, so dass der Text in Vollseitenansicht wenigstens bei mittelgroßen Büchern noch gut lesbar ist.

Bereits an dieser Stelle beginnt der Markt, extrem dünn zu werden: Bei meiner Recherche im Frühjahr dieses Jahres kam es mir vor, als würde zur bereits millionenfach vorhandenen „Software“ noch die geeignete Hardware fehlen. Lediglich drei Anbieter hatten überhaupt lieferbare Geräte mit der ausreichenden Größe von rund 10 Zoll im Portfolio: PocketBook mit den beiden Varianten Pro 902 und 903, Amazon (Kindle DX) und Onyx (Boox M90/M92). Zwei weitere Anbieter (iRex und EnTourage) sind nicht mehr am Markt; inzwischen ist der Hersteller Ectaco mit seinem JetBook Color hinzugekommen.

Um einmal ein Maß zu geben: Die 10-Zoll-Displays haben ein Format von rund 20 x 14 cm – dies ist etwas kleiner als DIN A5 und entspricht ungefähr dem klassischen Oktav-Buchformat, so dass die digitalisierten Seiten solcher Bücher in Originalgröße wiedergegeben werden können. Bei Groß-Oktav und größeren Buchformaten ist eine gute Lesbarkeit bestenfalls noch dann gegeben, wenn die Darstellung des Readers einen angepassten Zoom auf den Satzspiegel erlaubt.

Dies wäre dann der dritte Punkt: ein nutzerfreundlicher Umgang mit PDF-Dokumenten. Amazons Kindle DX unterstützt PDF nur rudimentär, bei PocketBook (das leider kein Pearl-Display hat) ist er mittelprächtig, bei Onyx ist zumindest die Zoom-Funktionalität wohl die beste: es ist ein automatischer Randbeschnitt einstellbar, so dass die maximale Zoomstufe stets automatisch ermittelt werden kann und auch das Blättern von rechten zu linken Seiten nicht zu Ausschnittsverschiebungen in den Satzspiegel hinein führt. Der Teufel steckt aber auch bei dieser Lösung im Detail: etwa wenn Verschmutzungen, die Lagenangaben für den Buchbinder oder Annotationen außerhalb des Satzspiegels liegen. Stichwort Annotationen: Ein guter PDF-Reader muss auch die analogen Lektüretechniken wie Lesezeichen, Anstreichungen und Anmerkungen digital adäquat ersetzen. Beim Onyx Boox M92 ist dies dank Touch-Screen mit elektronischem Stift ganz ordentlich möglich; die Umsetzung des Anmerkungsexports ist jedoch noch verbesserungswürdig.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Sucht man einen 10-zolligen E-Book-Reader mit sehr gutem eInk-Display und ordentlicher PDF-Handhabbarkeit, kam zum Zeitpunkt meiner Recherche vor einigen Monaten genau ein Gerät in Frage – das zudem bei den allermeisten Händlern in Deutschland nicht erhältlich war. Ich ziehe daraus die Folgerung, dass es für Geräte dieser Art derzeit noch keinen ausreichend attraktiven Markt gibt.

Was heißt das nun für Bibliotheken? Immer mehr Einrichtungen forcieren die Digitalisierung ihrer Bestände, doch um die hardwaretechnischen Voraussetzungen der Benutzbarkeit dieser Digitalisate kümmert sich kaum ein Bibliothekar – in der Annahme, die Elektronikbranche werde für jeden Zweck schon geeignete Geräte anbieten. Eine derzeit eher naive Annahme, wie ich gezeigt habe. (Die möglicherweise auch daher rührt, dass Bibliothekare zwar viel Expertise im Erschließen, aber wenig Erfahrung im Lesen ihrer Bestände haben?) Doch sollen und können sich Bibliotheken hier engagieren? Oder wird es der Markt schon richten? Denkbar wären Public-Private Partnerships, in denen Uni-Bibliotheken mit Hardware-Unternehmen kooperieren. Mancherorts erhalten Studierende der naturwissenschaftlichen Fakultät zum 1. Semester einen iPad – sollte man nicht in Fächern wie Literaturwissenschaft „akademische E-Book-Reader“ zu etablieren versuchen?

Quelle: http://dss.hypotheses.org/682

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Ein Blog und sein Zeitparadoxon


Um Zeitparadoxien zu erleben, muss man nicht mit dem Raumschiff Voyager zu entfernten Galaxien fliegen, sondern es reicht aus, ein Blog zu betreiben: Ich blicke zurück und stelle fest, dass ich schon 6 Monate mit diesem Blog arbeite. Das halbe Jahr ist wenig Zeit, aber es fühlt sich irgendwie lange an. Ich bemerke einen Unterschied zwischen tatsächlich vergangener und gefühlter Zeit (so wie bei der Wettervorhersage mit den tatsächlichen und gefühlten Temperaturen).

Wie das kommt, habe ich in dem Buch „Gefühlte Zeit – Kleine Psychologie des Zeitempfindens“ von Marc Wittmann erfahren. Dabei gibt es zunächst einen Unterschied zwischen erlebter, wahrgenommener Zeit (dem Hier und Jetzt), und der Zeitspanne, die retrospektiv (also im Nachhinein) beurteilt wird. Also der Beurteilung des Hier und Jetzt, nachdem es vergangen ist.

Passiert um mich herum viel, dann vergeht die Zeit schnell und es ist kurzweilig. Im Nachhinein beurteilt wird diese Zeit als länger empfunden, weil viel Neues und Aufregendes durchlebt wurde.

Anders verhält es sich, wenn wenig passiert. Dann ist mir langweilig und die Zeit deeehnt sich; sie vergeht also langsam. Beurteile ich diese Dauer retrospektiv, scheint die Zeit aber schnell vergangen zu sein, weil nichts erlebt wurde.

Genau so geht es mir mit meinem Blog, für das ich einmal die Woche schreibe. Da bleibt man gedanklich bei der Sache. Die Beschäftigung mit der Materie – nah dran oder manchmal etwas entfernt davon – ist dabei ständig gegeben und hilft mir bei der Einkreisung des Themas, gerade in der Anfangsphase der Dissertation. Ohne Blog hätte ich mich kaum so intensiv damit beschäftigt.

Außerdem übt sich das Schreiben, was ich als sehr positiv empfinde. Und ich habe festgestellt, dass es mir Spaß macht! Ich kann nur empfehlen, sich an ein Blog zu wagen. Es macht zwar Arbeit, aber bereits nach einem halben Jahr kann ich für mich feststellen, dass sich dieser Einsatz lohnt.

Quelle: http://games.hypotheses.org/618

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Über 130 Handschriften der Vaticana aus der ehemaligen Lorscher Klosterbibliothek frei im Internet zugänglich

Die auf der Seite zur virtuellen Rekonstruktion der Bibliothek der Reichsabtei Lorsch Bibliotheca Laureshamensis einsehbaren Stücke sind fast alle Palatina-Handschriften, die im 17. Jahrhundert nach Rom entführt wurden. Der Universitätsbibliothek Heidelberg ist sehr zu danken, dass sie es erreicht hat, dass die von ihr im Vatikan digitalisierten Codices nun nicht mehr nur lokal in Heidelberg einsehbar sind. Vergleichbare virtuelle Rekonstruktionsprojekte zählt Archivalia auf.

Quelle: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/602

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