Der vorliegende Beitrag ist eine inhaltlich unwesentlich veränderte Version des auf dem TZM-Wor...
Der Herausgeber des ersten Buches in sorbischer Sprache: Zum 400. Todesjahr des Pfarrers Albin Moller
(von Peter Schurmann)
Albin Moller (1541/42–1618) ist in der Forschung als Theologe und vielseitiger humanistischer Gelehrter bekannt. Bibliografisch sind 118 Schriften unter seinem Namen erfasst.[1] Bei der Mehrzahl handelt es sich um Jahreskalender, in denen er auch astronomisch-astrologische Vorhersagen traf. Moller stand in Korrespondenz mit namhaften Gelehrten seiner Zeit, so unter anderem mit Johannes Kepler und Leonhard Thurneysser.
[...]
Ein “chinesisches” Porträt des Großen Kurfürsten und andere “Curiosa” [1685]
Unter den Ostasiatica-Digitalisaten der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz findet sich unter der Signatur Libri sin. 19-2 ein “[Konvolut aus Holzschnittabdrucken], 1685″, das fünf Blätter enthält: zwei Exemplare von 大和貨重武圖像, ein Blatt mit chinesischen Zahlen und zwei Exemplare des “ 往生淨土呢” [Gebet der Reinen Land Sekte für die zukünftigen Leben" zusammen mit Abbildungen von Männer- und Frauenkleidung.
大和貨重武圖像 [dàhéhuózhòngwǔ túxiàng] zeigt Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1620-1688), den Großen Kurfürsten – eine Abbildung, die (je nach Blickwinkel) zu den Zimelien oder zu den Kuriositäten gezählt werden kann:
Das (nicht unbedingt schmeichelhafte) Porträt ist mit chinesischen Schriftzeichen umrahmt.
Auf einem der beiden Exemplare dieses Drucks ist die Lesung der Schriftzeichen (in einer etwas merkwürdig anmutenden Transkription) angegeben, auf dem anderen fehlt sie.[1]
Interessanter ist das Blatt mit chinesischen Zahlen:
Das Blatt zeigt- in Spalten von rechts oben nach links unten zu lesen – chinesische Zahlen, neben den Schrifzeichen jeweils die Zahlen mit arabischen Ziffern und die Lesung.
In der Spalte ganz links unten findet sich die Datierung “1685″:
一 ye
千chum
六 lo
百 pe
八 pa xe
五 û
年 nien
1685 wäre eigentlich:
一千 | 六百 | 八十 | 五 | 年
yīqiān | lìubǎi | bāshí | wǔ | nián
1000 | 600 | 80 | 5 | Jahr
Bei “80″wird zwar korrekt “pa xe” [bā shí] transkribiert, allerdings ist nur das Schriftzeichen 八 [bā] gedruckt ist, nicht aber 十 [shí]. Dieses Schema zieht sich durch einen großen Teil der Liste: Ab “41″ fehlt das Schrifzeichen 十 [shí], ist aber in der Transkription berücksichtigt. Die einzige Ausnahme ist” 五十一 51 û xe ye”, hier ist das Schriftzeichen 十 [shí] abgedruckt und transkribiert.
Die Seite ist eine Art Probedruck für eine Seite der Sylloge Minutiarum Lexici Latino-Sinico-Characteristici[2] von Christian Mentzel (1622-1701) sein. In diesem wohl ältesten gedruckten europäischen Lexikon chinesischer Schriftzeichen[3] findet sich eine “Tabula, exhibens numeros Sinicos, Characteribus eorum cum pronunciatione Sinica & numeris Europæorum expressos“:
Der ‘Probedruck’ und die Buchseite zeigen eine der Möglichkeiten, wie im siebzehnten Jahrhundert chinesische Schriftzeichen in Bücher integriert wurden[4]: Man behandelte den Block wie ein Bild. Überschriften und Spaltenüberschriften wurden ‘normal’ mit beweglichen Lettern gesetzt, die Tabelle wurde als Bild eingefügt.
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- Zu dem Porträt: Weltwissen : 300 Jahre Wissenschaften in Berlin ; [eine Ausstellung im Rahmen des Berliner Wissenschaftsjahres 2010. ... anlässlich der gleichnamigen Ausstellung im Martin-Gropius-Bau, Berlin, 24.9.2010 - 9.1.2011]. Hrsg. von Jochen Hennig und Udo Andraschke. (München: HIrmer 2010) 101.
- Christianus Mentzelius: Sylloge Minutiarum Lexici Latino-Sinico-Characteristici : Observatione sedula ex Auctoribus & Lexicis Chinensium Characteristicis eruta, inque Specimen Primi Laboris ulterius exantlandi Erudito & Curioso Orbi exposita (Norimbergae 1685. Digitalisate → Bibliotheca Sinica 2.0.
- Rolf Winau: “Sylloge Minutiarum Lexici Latino-Sinici-Characteristici. Christian Mentzels kleins Lateinisches Lexikon.” In: Acta Historica Leopoldina 9 (1975) 463-472.
- S.d azu den Abschnitt “Nicht typographisch realisierte chinesische Zeichen in europäischen Büchern (16.-18. Jahrhundert) – ein Überblick” In: Georg Lehner: Der Druck chinesischer Zeichen in Europa. Entwicklungen im 19. Jahrhundert (Wiesbaden: Harrassowitz 2004) 11-20.
Reisefreiheit für die Fantasie: Eine Ausstellung über den DDR-Comic “Mosaik”
Die Kobolde Dig, Dag und Digedag brachten Generationen von DDR-Bürgern zum Lachen – und gingen dabei manchmal an die Grenzen des Erlaubten. Eine Ausstellung in der Berliner Dependance des Bonner Hauses der Geschichte widmet sich den knollennasigen Helden des DDR-Comics Mosaik.
Die Legionäre staunten nicht schlecht. Eben haben sie die Stadtmauern Roms noch gegen Angreifer gesichert, da tauchen am antiken Himmel seltsame Vögel auf: An adlerförmigen Fallschirmen segeln abtrünnige Kämpfer des verräterischen Julius Gallus auf die Verteidiger nieder. Die fliegenden Römer, die ihren fantasievollen Angriff auf den Seiten des DDR-Comics Mosaik starteten, ärgerten nicht nur die Verteidiger Roms, sondern auch die Zensoren. Anstoß erregte die Form der Fallschirme: Der römische Adler erinnere zu sehr an das Wappentier der verfeindeten Bundesrepublik.
Dass es sie überhaupt geben durfte, ist erstaunlich. Comics galten einst als Schmutz und Schund. In Ost wie West verbrannten Jugendschützer und Bildungskonservative die Hefte demonstrativ auf Scheiterhaufen. Galten Comics im Westen als Ursache von Jugendkriminalität und Verrohung, so sah man sie in der DDR als „Gift des Amerikanismus“ vor dem die sozialistische deutsche Jugend bewahrt werden musste. Heute füllt der „Schund“ von einst Museumsvitrinen. Eben erst zog eine Ausstellung im Berliner Tiergarten-Museum eine kritische Bilanz des im DDR-Comic vermittelten Geschichtsbildes, nun widmet sich die Berliner Dependance des Bonner Hauses der Geschichte in der Alten Schmiede der Kulturbrauerei mit 320 Original-Zeichnungen, Dokumenten, unveröffentlichten und zensierten Entwürfen den Digedags.
Das erste “Mosaik”-Heft erschien im Dezember 1955
© Tessloff-Verlag, Nürnberg
Erfunden hatte sie 1955 der Zeichner Hannes Hegen. Hinter diesem Pseudonym verbarg sich der 1925 geborene Sudetendeutsche Johannes Hegenbarth. Der gelernte Glasmaler hatte ein Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig abgebrochen, als er Anfang der Fünfziger begann, Karikaturen im Dienste der DDR-Propaganda zu zeichnen. Sein erfolgreichstes Projekt, die Mosaik-Hefte im FDJ-eigenen Verlag Junge Welt waren dagegen erstaunlich unpolitisch. Die drei Kobolde Dig, Dag und Digedag reisten darin durch ferne Welten und vergangene Epochen. Sie begleiteten den mittelalterlichen Ritter Runkel von Rübenstein auf Schatzsuche, trafen Piraten in der Südsee, waren in London und Paris und sogar im verfeindeten Amerika – und boten damit wenigstens der Fantasie ein Stück Reisefreiheit. Statt Comics waren allerdings „sozialistische Bildgeschichten“ gewünscht und so wichen die anfänglichen Sprechblasen bald Bildunterschriften, die mitunter gereimt daherkamen.
Das “Mosaik”-Team, 1962 (von vorn): Lona Rietschel, Horst Boche, Edith und Johannes Hegenbarth, Egon Reitzel, Manfred Kiedorf, Gisela Zimmermann, Lothar Dräger.
© Privatarchiv Lona Rietschel
Die Ausstellung zeichnet die Produktion der Hefte vom getippten Storyboard über erste Konturen bis zum Endprodukt nach. Die Bleistiftskizzen fertigte Hegenbarth meist selbst an. Doch es werden auch seine künstlerischen Partner gewürdigt, wie die spätere Ehefrau Edith Szafranski oder der österreichische Hintergrundzeichner Egon Reitzl. Charakteristisch waren die oft doppelseitigen Wimmelbilder von Gisela Zimmermann. Eine interaktive Computeranimation illustriert Vorstufen des Vierfarbdruckes, den die auf Noten spezialisierte Leipziger Traditionsdruckerei C.G. Röder besorgte. Wie erzürnte Briefe an die Abteilung Literatur und Buchwesen belegen, ärgerten die „greulichen Zeichnungen“ immer wieder die Verteidiger der Hochkultur.
Kleine Abweichungen entgingen den Zensoren, etwa eine Zeichnung des Berliner Stadtschlosses, das zum Zeitpunkt der Veröffentlichung schon längst gesprengt worden war. Ob man allerdings in eine Geschichte zur Entdeckung der Kartoffel einen kritischen Subtext zur Lebensmittelrationierung hineinlesen kann, möchte man bezweifeln – hier schießen die Ausstellungsmacher interpretatorisch etwas über das Ziel hinaus. Ebenso zweifelhaft dürfte die als Frage formulierte Wegbereiter-These sein, die suggeriert, die international erfolgreichen Asterix-Comics seien eine Nachahmung der ostdeutschen Digedags gewesen, die schon einige Jahre vor den Galliern mit Römern rauften.
Trotz Rekordauflagen von bis zu 660.000 Exemplaren pro Heft blieb die Reihe nicht nur in Zeiten von Papierknappheit Bückware. Oft waren gute Beziehungen zum Kioskverkäufer nötig. Die rare erste Nummer gilt heute als die Blaue Mauritius der DDR-Comicsammler. In Audio-Interviews berichten Fans, wie sie lernten, Papier zu restaurieren und handgefertigte Kopien in Umlauf brachten, um Lieferengpässe auszugleichen.
Das plötzliche Verschwinden der Digedags nach 223 Episoden hatte keine politischen Gründe. Nach Streitigkeiten über die personelle Ausstattung und die Zahl der Ausgaben brach Hegenbarth mit dem Verlag. Ab 1975 trieben in den Mosaik-Heften die bis heute existierenden Abrafaxe ihren Schabernack. Obwohl er sich selbst bei westlichen Vorlagen bedient hatte, strengte Hegenbarth einen Urheberrechtsprozess gegen den Verlag an, der mit einem Vergleich endete. Der Zeichner arbeitete frei weiter. Die erste Wechselausstellung im neuen Museum zum Alltag in der DDR ist daher als späte Würdigung des Zeichners zu verstehen. Sie beruht auf dem Vorlass Hegenbarths, einer Schenkung von 35 000 Objekten, die nun für die Forschung und den internationalen Leihverkehr archivalisch aufbereitet werden.
Zwar bricht die Ausstellung mit dem Klischee, der Alltag der DDR sei gänzlich ideologisch durchherrscht gewesen, doch will sie auch keine Ostalgie aufkommen lassen. Sie bietet dennoch nur das halbe Bild. Zur Geschichte des DDR-Comics gehört auch die Heftserie Atze, die von Ideologie und Propaganda nur so durchtränkt war. Dies dokumentiert die weniger aufwendig gestaltete, aber ideologiekritische Ausstellung „Atze und Mosaik“ des Literaturwissenschaftlers Thomas Kramer, die man bis zum 22. Juni im Kunstmuseum Dieselkraftwerk in Cottbus sehen konnte. Nicht alle Wege in die Comicgeschichte der DDR führen nach Rom.
“Dig, Dad, Digedag” – DDR-Comic Mosaik
Ausstellung im Museum Kulturbrauerei,
Knaackstr. 97, Berlin Prenzlauer Berg,
noch bis 3. August 2014,
Di-So 10-18,
Do 10-20 Uhr.
Eintritt frei.
(Dieser Text erschien zuerst im Feuilleton des Tagesspiegels vom 24. April 2014.)
Fascinating Margins. Towards a Cultural History of Annotation
Stadtbibliothek Trier, Stadtbibliothek Trier Hs. 1093/1694 [früher 1464] (Prudentius) fol1v
In the past twenty-five years, hundreds of Medieval manuscripts have lain in front of me in many libraries of the world, and my fascination (and love) for them has not diminished, on the contrary. My primary research topic, vernacular, medieval glosses, brought me to study intensively the life of the margins, interlinea and flyleaves of manuscripts and books– one could say to investigate their other, secondary and partially hidden life. In fact, during my research time at the Bodleian Library in Oxford, I had a nickname, “The Lady with the Lamp”, because of my sitting hours for hours, bending over manuscripts with a torch and a magnifying glass – preferably next to a window with natural light. Up to now, this is the best method for deciphering difficult marginal inscriptions, especially when they are not written with ink, but scratched with a dry point stylus in the parchment pages. Of course, one needs a lot of patience (and passion) for this sort of exercise, and it does have something of a Zen practice, bringing calm and a sense of timeless infinity in you.Marginalia in books became a genuine research topic for me, not only from the point of view of their importance for medieval philology – but as an essential cultural writing practice that we all know of and practice in our everyday life. In dealing with writing habits, apparently an almost natural compulsion or an urge to annotate can be noticed: C’est plus fort que soi, we just can’t help it. The French library scholar Daniel Ferrer characterizes this internal compulsion as a libido marginalium,[i] author Charles Simic points out „with which demonic obsession we cover the immaculate pages of our books with underlinings and scribblings“,[ii] and continues „Wheresoever I read, I of course need a pencil“.[iii]
A French speaking reader annotating Nietzsche (in French and German)
All in all, a larger book project emerged out of my interest in this topic, dealing with this special aspect of written culture through time, namely the writing and drawing of marginalia in texts and books. These annotations and other reading traces play a special role from the point of view of cultural and linguistic history, yet, up to now, they have not been analyzed in a greater context regarding their functional means as well as their textual and material tradition. On the one hand, these “paratexts” (Gérard Genette) belong to the rare witnesses of the historic and factual use and reception of books. Mark-ups in books help to answer the question by whom, when and why texts were read. Moreover, they uncover the process of knowledge acquisition and knowledge transmission throughout the ages. On the other hand, annotations are also closely linked to the materiality of the text, and a wide variety of layout strategies and inscription types can be identified. These will undergo further transformations following the medial change of letterpress printing and the digital world which will also result in the creation of new paratextual practices. My book project aims to study the cultural and historic dimension of annotating texts taking into account wide ranging interdisciplinary aspects. The typology of the wide variety of annotations which are in evidence since the Early Middle Ages will be analyzed. Furthermore, the annotations’ changes, transformations and tradition lines up to the modern digital age will be identified. The main focus of the research project lies on the diachronic analysis of the European tradition of annotations. However, the project will also draw a comparison between the European tradition and that of other written cultures, especially in Arabic and Asian areas.
A substantial corpus documenting annotation practices has already come together, and I hope to work on the project intensively in the next two years. Of course, I would be very grateful for further hints and thrilled about curious or unusual annotation practices my readers here have come across when reading or looking at manuscripts and books.
PS. After posting this blog I opened Twitter, and saw a cat walking through a manuscript (via @ttasovac, merci!)
Further reading:
Gérard Genette, Seuils, Paris 1987
Falko Klaes – Claudine Moulin, Wissensraum Glossen: Zur Erschließung der althochdeutschen Glossen zu Hrabanus Maurus, Archa Verbi 4 (2007) p. 68-89
Claudine Moulin, Zwischenzeichen. Die sprach- und kulturhistorische Bedeutung der Glossen, in: Rolf Bergmann und Stefanie Stricker (Hrsg.), Die althochdeutsche und altsächsische Glossographie. Ein Handbuch, Bd. 2, Berlin und New York: Walter de Gruyter 2009, p. 1658-1676
Claudine Moulin, Am Rande der Blätter. Gebrauchsspuren, Glossen und Annotationen in Handschriften und Büchern aus kulturhistorischer Perspektive, in: Autorenbibliotheken, Bibliothèques d’auteurs, Biblioteche d’autore, Bibliotecas d’autur, Quarto. Zeitschrift des Schweizerischen Literaturarchivs 30/31 (2010) p. 19-26
See also the Project “Kulturgeschichtliche Erschließung der volkssprachigen Glossenüberlieferung des Mittelalters“, Historisch-Kulturwissenschaftliches Forschungszentrum (HKFZ), University of Trier
and the Portal “Althochdeutsche und Altsächsische Glossen“, University of Bamberg.
[i] Introduction. «Un imperceptible trait de gomme de tragacanthe …», in: Paolo D’Iorio – Daniel Ferrer (Ed.), Bibliothèques d’écrivains, Paris: CNRS Éditions 2001, p. 13.
[ii] «mit welcher Besessenheit wir die makellosen Seiten unserer Bücher mit Unterstreichungen und Kritzeleien bedecken», in: «Was ich mit meinen Büchern tue», Frankfurter Allgemeine Zeitung, 213 (15. Oktober 2008), p. 33.
[iii] „Wo auch immer ich lese, brauche ich natürlich einen Bleistift.“, in: «Was ich mit meinen Büchern tue», Frankfurter Allgemeine Zeitung, 213 (15. Oktober 2008), p. 33.