Ausgestellt! – Völkerschauen in Hagenbecks Tierpark

Die Geschichte von „Hagenbecks Tierpark“ begann mit nur sechs Seehunden in einem Holzbottich. Heute ist die Anlage weit über die Grenzen Hamburgs hinaus bekannt. Seine Popularität erlangte der Park aber nicht nur durch die Zurschaustellung von Tieren. Ein Beitrag über die Faszination des Fremden und ausgestellte Exotik um jeden Preis. – Von Kimberley Ohlow

„Völkerschauen – das waren Schaustellungen mit Menschen fremder Kulturen, die den Zuschauern authentische Szenen aus ihrem Alltagsleben und folkloristische Darbietungen präsentierten. Die Darsteller wurden in den meisten Fällen für die Dauer von einigen Monaten engagiert und erhielten Verträge, die unter anderem einen Lohn und die Anzahl der Auftritte festlegten“,1 schreibt der Historiker Matthias Gretschel. Der Begriff „Völkerschau“ bezeichnet also eine öffentliche als Attraktion angelegte Zurschaustellung von Angehörigen eines fremden Volkes. Was zunächst nach einem geregelten Dienstleistungsverhältnis aussieht, beruhte häufig auf einem asymmetrischen Verhältnis der Beteiligten, das von kolonialen und letztendlich oft rassistischen Denkweisen geprägt war. Wirtschaftliche Interessen standen bei der Ausrichtung von Völkerschauen häufiger im Vordergrund als kulturvermittelnde und aufklärerische Aspekte.

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Quelle: http://www.hh-geschichten.uni-hamburg.de/?p=3089

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CfP: Künstlerischer und politischer Aktivismus (Arbeitstitel)

Call for Papers, PERIPHERIE, Ausgabe 144 (erscheint November 2016)

Im Heft 144 möchte sich die PERIPHERIE schwerpunktmäßig mit der Verschränkung von künstlerischem und politischem Aktivismus auseinandersetzen. Die Begegnung, das Zusammenspiel, die Vermischung von künstlerischer Aktion und sozialer Bewegung ist kein neues Phänomen.
Von Künstler_innen bzw. Bild- und Graphikexpert_innen gestaltete Transparente, Flugblätter, Plakate und Wandbilder geben politischen Inhalten eine ästhetische Form. Gleiches gilt auch für engagiertes Liedgut, Prosa, Lyrik, Graffiti, Film und Fotografie. Performative Konzepte wie das Theater der Unterdrückten stellen temporäre Aktionsräume im öffentlichen Raum her, die auf Missstände hinweisen und in denen mit alternativen Handlungsweisen experimentiert wird. Auf ähnliche Weise intervenieren Aktivist_innen der Kommunikationsguerilla, um Zonen zu produzieren, in denen Unsichtbares sichtbar wird. Auch die in den letzten Jahren populär gewordenen Urban-Gardening- oder Guerilla-Gardening-Projekte greifen unmittelbar in die Stadtgestaltung ein, schaffen neue soziale Handlungs- und Kommunikationsräume. Zugleich aber werden sie als Kunstform in das warenförmige Betriebssystem Kunst aufgenommen, beispielsweise auf der letzten documenta in Kassel.

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Quelle: https://kritischegeschichte.wordpress.com/2016/01/29/cfp-kuenstlerischer-und-politischer-aktivismus-arbeitstitel/

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An die Arbeit! Die ITH-Tagung diskutierte in Berlin über Arbeit und Nichtarbeit

Arbeit, Arbeitskämpfe, Arbeiterbewegung – seit dem 19. Jahrhundert sind dies zentrale Begriffe, die „soziale Frage“ oder „Arbeiterfrage“ wurde beantwortet durch Sozialreform wie Sozialismus und definierte damit neue Achsen politischen Denkens. Doch was ist eigentlich Arbeit? Diese Frage stellten sich Historikerinnen und Historiker auf der ITH, der „International Conference of Labour and Social History“, die vom 17-19. Dezember in Berlin stattfand.

Die seit 1964 jährlich stattfindende „Linzer Konferenz“ der „HistorikerInnen der Arbeiter- und anderer sozialer Bewegungen“ musste wegen Renovierungsarbeiten ihren Tagungsort in Österreich räumen, fand aber im Wissenschaftszentrum Berlin am Reichpietschufer einen würdigen Ersatz. Die Straße ist benannt nach Max Reichpietsch, Anführer der Matrosenrevolte von 1917 und Märtyrer der Arbeiterbewegung. Doch war Reichpietsch Arbeiter? Vom Milieu her vielleicht, von der Profession wohl kaum – ein Zwangsdienst leistender Matrose produziert keinen Mehrwert, nackter Zwang „motiviert“ ihn zu seiner Tätigkeit.

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Quelle: https://kritischegeschichte.wordpress.com/2015/10/01/an-die-arbeit-die-ith-tagung-diskutierte-in-berlin-ueber-arbeit-und-nichtarbeit/

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Rundgang: Schuld und Sühne – Das koloniale Erbe Hamburgs

In Hamburg finden sich viele Spuren der kolonialen Vergangenheit. Die Stadt profitierte Jahrhundertelang von der Unterdrückung und Ausbeutung fremder Völker. Auf dem Weg zu einem kritischeren Umgang mit dem kolonialen Erbe geht nun auch der Senat einen wichtigen Schritt. – Von Kali Richter

Der Sandsteinbau streckt sich imposant in die Höhe, der Sonne und dem wolkenlosen Himmel entgegen. Er wirft einen langen Schatten auf den Rathausmarkt und die vielen Grüppchen, die sich vor dem Eingang sammeln. Achtzehn Menschen haben sich am Hamburger Rathaus zusammengefunden, um auf einem geführten Stadtrundgang mehr über die kolonialen Spuren im Zentrum ihrer Stadt zu erfahren.

Am Rathaus beginnt der Gang in die koloniale Geschichte Hamburgs / Foto: Kali Richter



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Quelle: http://www.hh-geschichten.uni-hamburg.de/?p=2186

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Rundgang: Schuld und Sühne – Das koloniale Erbe Hamburgs

In Hamburg finden sich viele Spuren der kolonialen Vergangenheit. Die Stadt profitierte Jahrhundertelang von der Unterdrückung und Ausbeutung fremder Völker. Auf dem Weg zu einem kritischeren Umgang mit dem kolonialen Erbe geht nun auch der Senat einen wichtigen Schritt. – Von Kali Richter

Der Sandsteinbau streckt sich imposant in die Höhe, der Sonne und dem wolkenlosen Himmel entgegen. Er wirft einen langen Schatten auf den Rathausmarkt und die vielen Grüppchen, die sich vor dem Eingang sammeln. Achtzehn Menschen haben sich am Hamburger Rathaus zusammengefunden, um auf einem geführten Stadtrundgang mehr über die kolonialen Spuren im Zentrum ihrer Stadt zu erfahren.

Am Rathaus beginnt der Gang in die koloniale Geschichte Hamburgs / Foto: Kali Richter



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Quelle: http://www.hh-geschichten.uni-hamburg.de/?p=2186

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Interview mit den Assoziation-A-Verlegern Rainer Wendling und Theo Bruns

Der Verlag Assoziation A gehört zu den wohl interessantesten linken Verlagen im deutschsprachigen Raum. Assoziation A sitzt in Berlin und Hamburg und gibt neben Romanen und Krimis vor allem Sachbücher zu Themen wie Antifaschismus, Widerstand, Exil, Migration, Geschichte der Linken, Theorie und Praxis sozialer Bewegungen heraus. Ein Interview mit den Verlegern Rainer Wendling (Berlin) und Theo Bruns (Hamburg) in der Zeitschruift Graswurzelrevolution.

Graswurzelrevolution (GWR): Euer Verlag sieht sich in der Tradition der antiautoritären und undogmatischen Protestbewegungen und wurzelt sozusagen in der 68er-Bewegung. Wie fing alles an?

Theo Bruns: Der Verlag Assoziation A entstand im Jahr 2001 aus dem Zusammenschluss der Verlage Libertäre Assoziation A, Hamburg, und dem Verlag Schwarze Risse, Berlin.
Zwischen beiden Verlagen gab es bereits vorher eine langjährige Kooperation, aber sie hatten natürlich auch ihre eigene Geschichte und ein unterschiedliches Profil. Was den Hamburger Zweig angeht, so hat er eine lange Tradition, die bis in die frühen 1970er Jahre im Anschluss an die Jugend- und Studentenrevolte von 1968 zurückreicht.
In der Zerfallsphase des SDS entstanden aus seiner antiautoritären Strömung u.a. bundesweit selbstorganisierte und -verwaltete Buchhandelsprojekte und Verlage, die sich im Verband des linken Buchhandels (VLB) zusammenschlossen. In Hamburg wurden in dieser Zeit der Verlag Association mit „c“ – etwa zeitgleich die Edition Nautilus –, der Manifest-Buchladen und der Spartacus Buchvertrieb gegründet. Der Verlag Association war damals politisch in einem Spektrum zwischen Anarchismus, Rätekommunismus und Operaismus angesiedelt, publizierte aber auch eine Reihe zur politischen Ökologie und einige literarische Titel, u.a. von Upton Sinclair und Erich Fried.
Seine wohl bekannteste Publikation war „Friedlich in die Katastrophe“ von Holger Strohm, ein Buch, das zu einer Art „Bibel“ der Anti-AKW-Bewegung avancierte. Aufgrund einer abenteuerlichen Geschichte, die einen eigenen Beitrag wert wäre, ging der Verlag 1979 in Konkurs.
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Quelle: https://kritischegeschichte.wordpress.com/2015/03/15/interview-mit-den-assoziation-a-verlegern-rainer-wendling-und-theo-bruns/

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Neue Perspektiven auf (anti-)koloniale Gewalt in Mythen, Erinnerung und Praxis. Claire Mauss-Copeaux analysiert einen zentralen Wendepunkt des algerischen Unabhängigkeitskriegs (1954-1962)

Rezension zu: Claire Mauss-Copeaux, Algérie 20 août 1955. Insurrection, répression, massacres. Paris 2011.

Wie kaum ein anderes Thema der Zeitgeschichte sorgt der zwischen 1954 und 1962 um die Unabhängigkeit Algeriens geführte Krieg bis heute in Frankreich immer wieder für breite und oftmals hoch emotional geführte Debatten. Seit der algerischen Unabhängigkeit 1962 schlugen die miteinander in Konflikt stehenden Erinnerungen und Deutungen der beteiligten Akteure bzw. ihrer (zum Teil selbsternannten) Repräsentanten immer wieder hohe Wogen, die u.a. als »Krieg der Erinnerungen« bezeichnet wurden. Obgleich die algerischen Aufstände vom 20. August 1955 seit jeher Gegenstand intensiver Kontroversen waren und als eines der Schlüsselereignisse dieses Krieges gelten, hat es – anders als etwa im Fall des Putschs vom 13. Mai 1958 – vergleichsweise lange gedauert, bis eine Monographie sich dieses Ereignisses und seiner unmittelbaren Folgen annahm. Claire Mauss-Copeaux hat diese Lücke gefüllt, und um es vorwegzunehmen: Das Ergebnis, zu dem sie, aufbauend auf einem umfangreichen Fundus algerischer und französischer Archivalien und Zeitzeugenberichte kommt, ist in mehrfacher Hinsicht beeindruckend und als solches nicht nur Spezialisten französischer Kolonialgeschichte als besonders lesenswert zu empfehlen.
Zum historischen Kontext: Weniger als ein Jahr nach dem Beginn der algerischen Rebellion am 1. November 1954 war die Befreiungsfront Front de Libération Nationale (F.L.N.) bereits massiv angeschlagen. Seit Beginn des Jahres 1955 hatte die französische Armee dank ihrer ebenso technischen wie zahlenmäßigen Überlegenheit und ausgestattet mit weitreichenden Vollmachten der Regierung in Paris zahlreiche führende Aktivisten verhaftet oder getötet. Die Kommunikation zwischen den verschiedenen Zweigen der Organisation war entweder gestört oder unterbrochen. In dieser Situation entschied sich der für die Region um Constantine (Le Constantinois) Verantwortliche des F.L.N. Zighoud Youcef dafür, einen breiten Aufstand zu organisieren, der am zweiten Jahrestag der französischen Absetzung des marokkanischen Königs mit großer Unterstützung der lokalen algerischen Bevölkerung in mehreren Orten des Constantinois stattfand. Ziel war es, das symbolträchtige Datum zu nutzen, um durch Angriffe auf Institutionen des kolonialen Systems internationale Aufmerksamkeit zu erregen und die allgemeine Mobilisierung für den F.L.N. voranzutreiben (84-89). Die Bilanz der Toten an diesem Tag betrug 123. Damals und bis in die jüngste Vergangenheit wurden insbesondere die angeblich in Form von Massakern umgekommenen 71 Toten europäischer Herkunft vielfach als Rechtfertigung für die anschließenden »Vergeltungsmaßnahmen« gegenüber der algerischen Bevölkerung in der gesamten Region angeführt (123-125).
In ihrem ersten Teil macht Mauss-Copeaux die zentrale Rolle der Gewalt für die Existenz und die Stabilisierung des kolonialen Staates in Algerien deutlich. Sie stellt fest, dass in über hundert Jahren kolonialer Unterdrückung Gewalt nicht das einzige Kommunikations- und Herrschaftsmedium der Franzosen in Algerien war. Ungeachtet dessen diente Gewalt während der gesamten französischen Besatzung in jedem Fall offener Revolte oder Infragestellung der kolonialen Hierarchie als letztes Mittel zum Erhalt des status quo (14). So wird verständlich, dass es in Algerien nach den ersten vereinzelten Anschlägen, die auf den 1. November 1954 folgten, nicht erst der massiven Aufstände des 20. August 1955 bedurfte, um das gesamte Land in einen Kriegszustand zu versetzen. Dafür hatten bereits zuvor die Anweisungen der Armeeführung (vor allem das seit dem 1. Juli 1955 auf ganz Algerien angewendete Prinzip der »kollektiven Verantwortung«) wie auch die Einsatzpraxis von Berufssoldaten und Wehrdienstleistenden gesorgt (Erschießungen von Gefangenen bzw. Verdächtigen z.T. mit anschließender öffentlicher Zurschaustellung der Leichen, Vergewaltigungen und Folter) (61-63).
Die Teile zwei und drei des Buchs rekonstruieren die Aufstände in den verschiedenen Orten des Constantinois. Besonders eingehend werden El Alia und Aïn Abid untersucht, da dort die meisten Zivilisten ums Leben kamen, wobei insbesondere die Angriffe auf private Häuser und die Morde an Frauen und Kindern das französische Entsetzen erregten. In der damaligen kolonialen Propaganda und zum Teil bis heute fungieren diese Morde als »massacre de réference« und Ausweis einer unmenschlichen Tyrannei des F.L.N. mit dem sich jede Form der Vergeltung rechtfertigen ließ (123).
Vor allem auf der Grundlage lokaler Quellen und den Berichten algerischer und europäischer Zeitzeugen gelingt es Mauss-Copeaux, eine neue Lesart des 20. August zu begründen. So gesteht sie zwar bei mindestens 42 der Morde den Tatbestand eines Massakers zu (126), entlarvt jedoch kursierende Horrorszenarien wie einen Mord mit einer Gabel und das Herausreißen eines Fötus aus dem Bauch einer Schwangeren als Gerüchte (158-159). Bezüglich der Verantwortung des F.L.N. für die Morde an europäischen Zivilisten gibt sich die Autorin skeptisch. Sie verweist darauf, dass der F.L.N. zumindest bis zu diesem Datum Angriffe auf europäische Zivilisten explizit verbot und es im Fall eines Schießbefehls auf Zivilisten an allen Orten des Aufstands zu Massakern hätte kommen müssen – nicht nur in El Alia und Aïn Abid. (91-93). Ohne den Anspruch zu erheben, eine vollständige Erklärung dieses »Rätsels« (134) liefern zu können, führt die Autorin die These an, dass die von Algeriern begangenen Massaker auf intensive lokale Spannungen zurückzuführen seien, die zwischen Algeriern und Europäern allgemein bestanden hätten, aber auch zwischen direkt involvierten Einzelpersonen. Hinzu seien situative Dynamiken gekommen, wie eine kurz zuvor erfolgte Denunziationen gegenüber den Kolonialbehörden, die Erschießung eines Algeriers durch einen Europäer auf offener Straße und der Umstand, dass die Häuser der europäischen Opfer unmittelbar neben den ursprünglich anvisierten Gebäuden lagen, die den kolonialen Staat repräsentierten. Auf der Basis dieser Argumentation erscheint es tatsächlich naheliegend, dass der Aufstand auf lokaler Ebene als Gelegenheit für individuelle Racheakte genutzt wurde (144).
Bis heute haben mehrere Überblickswerke französischer Historiker über den Algerienkrieg viele (zu einem großen Teil erfundene) Details der Morde an europäischen Zivilisten im Constantinois aufgeführt und die anschließenden Repressalien der Armee nur kursorisch behandelt. Ohne sie zu verschweigen, wurde der »Tod« von schätzungsweise 12 000 Algeriern oftmals vereinfacht als Konsequenz der vorherigen »Massaker« eingeordnet und damit abgehandelt (177-180). In dem vierten Teil ihrer Monographie zeigt Claire Mauss-Copeaux eindrucksvoll, dass auch diese Lesart revidiert oder zumindest ergänzt werden muss: Erst am 28. August 1955 wurde der eine Woche zuvor erteilte Befehl an die französischen Soldaten eine »schnelle und brutale Wiederherstellung der Ordnung« durchzuführen, dahingehend präzisiert, dass das Leben von Frauen und Kindern zu schonen sei (184-185). Bis dahin warfen Flugzeuge der französischen Armee über mehreren Dörfern des Constantinois Bomben und Napalm ab, Bodentruppen legten ganze Dörfer in Brand nachdem die Häuser zuvor von Panzerfahrzeugen unter schweren Beschuss genommen worden waren. Sogar ein Escorteur der Marine wurde eingesetzt, um das Umland der Küstenstadt Collo breitflächig zu bombardieren (190-192). Auf diese mehr oder weniger wahllos durchgeführten Aktionen kollektiver Bestrafung folgten planmäßige Verhaftungen und anschließende Massenerschießungen hunderter algerischer Männer und Jugendlicher, deren Leichen in Massengräbern verscharrt wurden. Angesichts der aktiven Verschleierung derartiger Verbrechen durch die französische Armee wird hier die Bedeutung des Zugangs der Oral History besonders deutlich: Nicht nur Archivmaterial und Fotos wurden systematisch zerstört (199). Auch die Körper der Hingerichteten sollten ausgelöscht werden. So wurden in Guelma nach einer Massenerschießung die Leichen algerischer »Verdächtiger« zur Unkenntlichmachung mehrfach von Kettenfahrzeugen überfahren und zerquetscht (220-225).
Dass die beschriebenen Exzesse des französischen Militärs vor allem Unbeteiligte treffen mussten und auch an Orten begangen wurden, an denen es keine Aufstände gegeben hatte, zeigt das ganze Ausmaß willkürlich eingesetzter Gewalt während des Kolonialkrieges. Entgegen einer bislang weit verbreiteten Interpretation sind die Aufstände des 20. August somit durchaus als Auslöser nicht aber als hinreichende Erklärung für die anschließenden Massaker zu verstehen. Deren systemischen Charakter macht nicht zuletzt der Umstand deutlich, dass die Regierung in Paris über das Vorgehen der Armee genauestens Bescheid wusste, aber weder eingriff noch Sanktionen verhängte (183-184). Claire Mauss-Copeaux hat hiermit ein für das differenzierte Verständnis des algerischen Unabhängigkeitskrieg essenzielles Werk vorgelegt. Dass die Autorin die Verwendung von Bezeichnungen der Gewalt durch die Akteure von damals und heute mehrfach diskutiert ohne jedoch selbst die Frage zu klären, was zum Beispiel unter »Massaker« verstanden werden soll, ist ihr in jedem Falle nachzusehen. Ihre durch Karten, Abbildungen und eine Vielzahl von Zitaten angereicherte Monographie hat nicht nur einen der entscheidenden Wendepunkte des algerischen Unabhängigkeitskrieges in ein neues Licht gerückt. Weit darüber hinaus werden auch Studien über koloniale Gewalt ebenso wie Oral History Projekte in diesem Buch Anknüpfungspunkte finden.

Bild: Buchcover, Editions Payot & Rivages,

Quelle: http://gewalt.hypotheses.org/659

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Zum Tod von Stuart Hall (1932-2014)

Stuart Hall (1932-2014), Quelle: Wikimedia Commons

Gestern starb Stuart Hall, Medienwissenschaftler, postkolonialer Kulturkritiker, Historiker und Anti-Rassismus-Aktivist im Alter von 82 Jahren. Der Guardian veröffentlichte einen ausführlichen Nachruf plus einer Reihe von älteren Beiträgen und Interviews.

Neben einer Liste seiner Werke finden sich auf der englischen Wikipedia Links zu Interviews und Videomitschnitten seiner Vorlesungen.


Einsortiert unter:Biographie, Ereignis, Erinnerung, Geschichte, Historiker, Kolonialismus, Linke Debatte, Uncategorized

Quelle: https://kritischegeschichte.wordpress.com/2014/02/11/zum-tod-von-stuart-hall-1932-2014/

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Zum Tod von Stuart Hall (1932-2014)

Stuart Hall (1932-2014), Quelle: Wikimedia Commons

Gestern starb Stuart Hall, Medienwissenschaftler, postkolonialer Kulturkritiker, Historiker und Anti-Rassismus-Aktivist im Alter von 82 Jahren. Der Guardian veröffentlichte einen ausführlichen Nachruf plus einer Reihe von älteren Beiträgen und Interviews.

Neben einer Liste seiner Werke finden sich auf der englischen Wikipedia Links zu Interviews und Videomitschnitten seiner Vorlesungen.


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Von Paris nach Berlin – der Publikumserfolg der „rue du Caire“

Von Jan Maier

Fast 32 Millionen Menschen besuchten vom 6. Mai bis zum 31. Oktober 1889 die Weltausstellung in Paris. Auf der 96 Hektar großen Ausstellungsfläche befanden sich unter anderem ein sogenanntes „village nègre“ und die „rue du Caire“. Sieben Jahre später waren auf der Berliner Gewerbe-Ausstellung gleichzeitig eine „Kolonialausstellung“ sowie die „Sonderausstellung Kairo“ zu sehen. 7,4 Millionen Besucher strömten auf die mit 1,1 Millionen Quadratmetern bis dato größte Ausstellungsfläche Europas im Treptower Park, davon allein zwei Millionen auf die 60 000 Quadratmeter der Kolonialausstellung. Diese Sonderattraktionen in beiden Städten sind Zeugnisse Zurschaustellung kolonisierter Bevölkerungen, die einem bestimmten Muster folgten, das bei allen europäischen Kolonialausstellungen zu finden ist. Alice von Plato spricht bei der „rue du Caire“ von einem internationalen „Prototyp“, der die Grundlage für viele  weitere Ausstellungen wurde1.

Die Pariser „rue du Caire“ von 1889

Bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts begann eine Faszination für Ägypten bei den Weltausstellungen. Zeigte man 1867 noch eigene Exponate mit dem Wunsch sich als „unabhängige Nation mit eigenen, unverwechselbaren Traditionen“2 darzustellen, überwog in der „rue du Caire“ in Paris von 1889 der koloniale Gedanke. Neben den fast 400 „Einheimischen“, einer bunten Mischung aus Händlern, Gauklern und verschleierten Frauen, waren auch Kamele und Affen zu sehen. In den vermeintlichen exotischen Cafés der engen Straße sollten die Besucher „orientalische Luft schnuppern“ und Souvenirs kaufen. Man sollte sich wie auf einem Basar fühlen. Die Berliner „Sonderausstellung Kairo“ war fast identisch mit ihrem von Baumeister Gabriel Wohlgemuth und Schausteller Willy Möller aufgegriffenen Pariser Vorbild. Nur mit dem Nachbau der Cheops-Pyramide ging man noch einen Schritt weiter und übertraf das französische Original. Dabei hatten die beiden Bauherren die Idee, nicht aber die Nachbauten aus Paris übernommen3.

Die hier gezeigten Beispiele sind nach dem selben Schema aufgebaut: Zunächst sollte eine exotische Atmosphäre geschaffen werden, in der sich die Besucher zugleich fremd- und wohlfühlten. Gleichzeitig sollte man menschlichen „Exponaten“ zusehen, wie sie ihren anscheinend normalen Tagesabläufen folgten, lebten sie doch in ihrer „natürlichen“ Umgebung. Durch diese stark reduzierte Darstellung der vermeintlich typischen Lebensweise wurde das Entstehen von Stereotypen gegenüber den kolonialisierten Kulturen gefördert. In beiden Fällen handelte es sich um eine bewusste Inszenierung zur Rechtfertigung des imperialen Ausgreifens auf die Welt.

Ähnlich war es auch im Pariser „village nègre“. Dort „lebten“ zirka 400 Menschen in Nachbauten von Hütten, die der Architektur der jeweiligen Stämme aus den französischen Kolonien nachempfunden waren. Umgekehrt zeigten die 1896 errichteten „Eingeborenendörfer“ in Berlin 103 Menschen aus den Kolonien des Deutschen Reichs (z.B. aus Kamerun und Togo). Daneben waren in beiden Ausstellungen kulturtypische Gegenstände und Häuser zu sehen. Das gemeinsame Prinzip bestand in der Nachahmung der Struktur eines afrikanischen Dorfes. In Paris spielte ferner die Idee des théâtre colonial eine Rolle, d.h. man wollte bei den Franzosen der Metropole einen Zuspruch zu den Kolonien auslösen, „zu einem Konsens über das empire gelangen“4. Ziel war also, „die Öffentlichkeit des Mutterlandes [Frankreich, J. Maier] zu verführen, indem man sie mit ‚ihren‘ weit entfernten Besitztümern vertraut machte“5. Neben der Kolonialpropaganda erfüllten die Sonderattraktionen in Berlin auch den Wunsch, der Gewerbe-Ausstellung einen internationalen Charakter zu verleihen.

Unterstützt wurde dies durch die mediale Präsenz der beiden Ausstellungen in der zeitgenössischen Presse. Trotz des Publikumserfolgs finden sich auch zeitgenössische kritische Stimmen zur Berliner Ausstellung. So zweifelte der Politiker Friedrich Naumann am Erfolg der Inszenierung von „Kairo“ und der „Kolonialausstellung“ und wirft ihr eine zu große Nähe zum Theater vor. Alfred Kerr, Theaterkritiker, äußerte ähnliche Bedenken zu „Kairo“, lobte diese in einem Brief vom 3. Mai 1896 jedoch als „sehr geistvolle[n] und […] anregende[n] Mumpitz.“6 Für die Kolonialausstellung dagegen konnte er sich überhaupt nicht begeistern.

Mit dem Ende der Gewerbe-Ausstellung  am 15. Oktober 1896 verschwanden die dort gezeigten Beispiele aber nicht aus Berlin. 1899 ging aus der Kolonialausstellung das Deutsche Kolonialmuseum hervor (bis 1915) und eine Replik der „Straße von Kairo“ befand sich 1904-1934 im Luna-Park, wo ebenfalls Senegalesen (1904) und Somali (1910) ausgestellt wurden.

Literatur

Volker Barth, Menschen versus Welt, Die Pariser Weltausstellung von 1867, Darmstadt 12007.

Pascal Blanchard, Sandrine Lemaire (Hg.), Culture coloniale 1871-1931, La France conquise par son Empire, Paris, 12003.

Alice von Plato, Präsentierte Geschichte, Ausstellungskultur und Massenpublikum im Frankreich des 19. Jahrhunderts, Frankfurt/New York 12001.

Ines Roman, Exotische Welten – Die Inszenierung Ägyptens in der Sonderausstellung „Kairo“ der Berliner Gewerbe-Ausstellung von 1896: http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/propylaeumdok/1114/1/Magisterarbeit_Ines_Roman.pdf (26.07.2013).

Günther Rühle (Hg.), Alfred Kerr, Wo liegt Berlin?, Briefe aus der Reichshauptstadt, Berlin 51998.

Abbildung

La rue du Caire. Avenue de Suffren: Champs-de-Mars von Brown University, Public Domain

  1. Alice von Plato, Präsentierte Geschichte, Ausstellungskultur und Massenpublikum im Frankreich des 19. Jahrhunderts, Frankfurt/New York 12001, S. 219, 224.
  2. Volker Barth, Menschen versus Welt, Die Pariser Weltausstellung von 1867, Darmstadt 12007, S. 246.
  3. Ines Roman, Exotische Welten – Die Inszenierung Ägyptens in der Sonderausstellung „Kairo“ der Berliner Gewerbe-Ausstellung von 1896, S. 47, 52.
  4. „[…] à établir un consensus sur l’empire“ (Pascal Blanchard, Sandrine Lemaire (Hg.), Culture coloniale 1871-1931, La France conquise par son Empire, Paris, 12003, S. 47.), übersetztes Zitat [J. Maier]
  5. „séduire le public métropolitain en le familiarisant avec ‚ses‘ possessions lointaines“ (Blanchard/Lemaire, 46), übersetztes Zitat [J. Maier]
  6. Günther Rühle (Hg.), Alfred Kerr, Wo liegt Berlin?, Briefe aus der Reichshauptstadt, Berlin 51998, S. 152.

Quelle: http://19jhdhip.hypotheses.org/1275

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