Zorneszeichen und Endzeiterfahrungen: Die frühneuzeitliche Wahrnehmung von Naturphänomenen


Venustransit im Juni 2012, Aufnahme des Sonnenbeobachtungs-Satelliten SDO
Flickr, CC-BY NASA/SDO, AIA

Himmelserscheinungen haben schon immer eine gewisse Faszination auf Menschen ausgeübt. Eines der jüngsten Beispiele ist der am 6. Juni erfolgte Venustransit, der, wie im norwegischen Tromsø, bei idealem Wetter ein Massenpublikum anlockte. Mithilfe von Fernrohr oder gar mit bloßem Auge ließ sich beobachten, wie der Planet Venus vor der Sonne vorbeizog. Naturphänomene dieser Art lassen sich heutzutage bequem innerhalb der eigenen vier Wände verfolgen; schließlich erreichen derlei Medienereignisse via Fernsehen, Zeitung oder Internet ohne weiteres ein räumlich und zeitlich disperses Publikum. Der Zusammenhang zwischen Naturphänomen, Medium und Öffentlichkeit hat, mit Einschränkungen, auch für die Frühe Neuzeit seine Geltung: Zwar sind rational naturwissenschaftliche Deutungsmuster Produkte der Aufklärung und den frühneuzeitlichen Prophetien fremd. Neben vermeintlichem Blutregen, Geistererscheinungen usw. wurden Himmelszeichen als Zorneszeichen Gottes, als Zeichen für das nahende Weltende aufgefasst.  Aus diesem Grund fanden diese Themen auch ihren Niederschlag in den frühneuzeitlichen Massenmedien Flugblatt und Flugschrift im Zeitalter der Gutenberg-Galaxis. Bezeichnenderweise beinhaltet das erste nachgewiesene Flugblatt in schwedischer Sprache von 1573 einen Holzschnitt über einen Kometen. Eine weitere Druckschrift, die Sanfärdige Förskreckelige Nyia Tijdender von 1597, thematisiert einen Blut- und Schwefelregen, der sich in Stralsund ereignet haben soll.

Wo wurden derlei Schriften in Schweden gedruckt und publiziert? In beiden Fällen lassen sich Stockholmer Offizine als Druckorte nachweisen. Hierbei handelt es sich um die königliche Druckerei, die einzige auf schwedischsprachigem Territorium verbliebene zu jener Zeit, als Reichsgründer Gustav I. Vasa (1521/23–1560) im Zuge territorialstaatlicher Herrschaftsverdichtung und Reformation eine Monopolisierung der Informationskanäle betrieb und andere Druckereien daraufhin den Betrieb einstellen mussten. Zwar vollzogen Karl IX. (1604–1611) und Gustav II. Adolf (1611–1632) eine Kehrtwende in der Medienpolitik, “liberalisierten” und dezentralisierten den Buchdruck, was in kurzer Zeit zur Gründung mehrerer Druckereien im Lande führen sollte, Stockholm verblieb aber das publizistische Zentrum im Schwedischen Reich.

Wer waren die Rezipienten solcher Nachrichten bzw. waren diese einer breiten Öffentlichkeit zugänglich? Damit verbunden ist die Frage, auf welchem Wege die Übermittlung der Informationen vonstatten ging. Um eine Antwort auf diese Fragen zu finden, muss zunächst der Begriff “Öffentlichkeit” genauer bestimmt werden: Unter Öffentlichkeit wird heutzutage alles verstanden, was allgemein zugänglich ist, also öffentliche Plätze, Institutionen und Nachrichtenmedien, weshalb an diesen Orten und mittels dieser Informationskanäle entstehende Meinungen, Debatten und Diskurse ebenfalls der Öffentlichkeitssphäre angehören und sich von der staatlichen Gewalt abgrenzen. Paradoxerweise, so könnte man meinen, verdient eben jene staatlich-institutionelle Verfügungsgewalt die Zuschreibung “öffentlich”, da sie Dinge und Vorgänge beschreibt, die mit der Ausübung von Macht über eine größere Gruppe von Menschen in Zusammenhang steht. Um es zu verdeutlichen: Unter diesem Gesichtspunkt sind heutige demokratisch legitimierte, aber auch autokratische Entscheidungsträger wie auch vormoderne Herrscher als “öffentliche” Personen zu bezeichnen.

Heutige Erscheinungsformen von Öffentlichkeit uneingeschränkt auf vor- oder frühmoderne Zeiten zu projizieren, hieße jedoch, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. So waren die Akteure der Macht- und Bildungsöffentlichkeit im 16. und 17. Jahrhundert einem religiös-erzieherischen Ideal verpflichtet, das mit den Kommunikationsprozessen und -formen zu jener Zeit bei heutigen Betrachtern ein Stirnrunzeln hervorrufen würde. Ähnlich verhält es sich mit der  frühneuzeitlichen Informations-Öffentlichkeit. Zwar sind Informationen – damals wie heute – nicht per se öffentlich, sie müssen erst öffentlich gemacht werden, weshalb sich “der Grad an Öffentlichkeit einer Information [...] nach der Zahl der potentiellen Empfänger, nach dem Umfang des ‘Publikums’” richtet. Doch im Unterschied zur Gegenwart waren die Kommunikationskreise frühneuzeitlicher Herrschaftsräume aufgrund mangelnder bzw. ungleich verteilter Bildungsvoraussetzungen oder auch unterschiedlicher Ethnien der am Kommunikationsprozess Teilnehmenden völlig anders strukturiert.

Mittlerweile hat sich in der Geschichtswissenschaft zur Frühen Neuzeit die Verwendung des Plurals von Öffentlichkeit etabliert. In ihrer Studie zu den Öffentlichkeiten und zur öffentlichen Kommunikation im frühneuzeitlichen Herzogtum Preußen differenziert Esther Beate Körber die verschiedenen Öffentlichkeitsgrade von Informationen anhand eines Dreischichtenmodells. Sie trennt dabei analytisch zwischen “alles Volk”, “Sprachgemeinschaft” und “Lesewelt”. Den höchsten Öffentlichkeitsgrad erlangten demnach Informationen, die nicht sprachlich verschlüsselt waren, zu deren Verständnis einfache Erklärungen, Zeichen oder Bilder genügten und zu denen, in Anlehnung an Martin Luther, “alles Volk” Zugang hatte. Anders als es m.E. in den meisten modernen Nationalstaaten der Fall ist, waren Sprachgemeinschaft und Bevölkerung der frühneuzeitlichen, “zusammengewürfelten” Staaten nicht deckungsgleich. So existierten im eigentlichen Schweden (“egentliga Sverige”) neben den schwedisch- und finnischsprachigen Bevölkerungsteilen die im nördlichen Raum siedelnden indigenen Stämme der Samen; darüber hinaus zählten zum Schwedischen Reich die seit 1561 eroberten Territorien und mit ihnen die deutsch-, dänisch-, norwegisch-, russisch-, karelisch-, estnisch- und lettischsprachigen Einwohner. Der frühneuzeitliche Herrschaftsraum der schwedischen Krone war also von einer Sprachenvielfalt geprägt. Eine “Sprachgemeinschaft”, innerhalb derer mündliche und schriftliche Informationen in schwedischer Sprache und durch aktive Teilnahme auch von nicht Lesekundigen verbreitet werden konnte, existierte allenfalls in den traditionellen schwedischen Landschaften Götaland, Svealand und in den dünner besiedelten Gebieten Norrlands und Österlands. Diese Sprachgemeinschaft zeichnete sich durch öffentliche, i.d.R. mündliche Informationsvorgänge aus, wie sie sich auf allgemein zugänglichen Plätzen und öffentlichen Räumen, so auf dem Markt, in der Kirche, im Wirtshaus oder vor dem Rathaus oder der Amtsstube einer Gemeinde, ereigneten. Den geringsten Öffentlichkeitsgrad besaßen hingegen Informationen, die an die “Lesewelt” adressiert waren. Damit bezeichnet Körber ein Publikum aus Lesekundigen, vor allem aus regelmäßigen Lesern, die sich von Empfängern nichtsprachlicher und mündlicher Informationen durch Lektüre im “privaten” Umfeld abgrenzten und deren Teilnahme an “öffentlicher” Kommunikation räumlich weiter reichte als das unmittelbare soziale Umfeld. Die Herausbildung einer solchen “Lesewelt” war an zwei Bedingungen geknüpft: Zum einen setzt sie den Buchdruck voraus, auf dessen Grundlage sich Strukturen entwickelten, die regelmäßiges Lesen erst ermöglichten. Zum anderen brauchte es eine allgemeine Lesefähigkeit, die angesichts der Schul- und Bildungsverhältnisse in der Frühen Neuzeit allerdings mehr als fraglich erscheint und dieses Publikum auf die kleinste, am wenigsten öffentliche Schicht der Informations-Öffentlichkeit beschränkt.

Zwar war die Lesefähigkeit innerhalb der schwedischen Bevölkerung im europäischen Vergleich ausgesprochen verbreitet – sie soll bei Männern und Frauen um 1700 bei etwa 90 Prozent gelegen haben. Sie war das Resultat einer im Kirchengesetz von 1686 verankerten und von staatlicher Seite betriebenen, alle sozialen Schichten erfassenden Bildungskampagne, die darauf abzielte und den gemeinen Mann in die Pflicht nahm, Katechismus, Bibel und Psalmbuch im eigenen Haushalt zu rezipieren. Diese “Bildungsoffensive” vermittelte jedoch ein eher rudimentäres Leseverständnis. Komplexere politische und ökonomische Sachverhalte, wie sie etwa aus Zeitungen oder Messrelationen zu entnehmen waren, ließen sich unter diesen Gegebenheiten wohl nicht erschließen. Dies setzte einen höheren Bildungsgrad eines zahlungskräftigeren Publikums voraus, das sich auf einen Kreis aus adligen oder bürgerlichen Bediensteten und kirchlichen Würdenträgern auf zentralstaatlicher wie auch lokaler Ebene, ebenso Kaufleute und Gelehrte beschränkte.

In Schweden wurde die Kunst des Buchdrucks spätestens 1483 eingeführt, als die aus Magdeburg bzw. Hannover stammenden Typographen Bartholomeus Gothan († um 1494) und Johann Snell (* vor 1476; † nach 1519) in Stockholm erstmals kirchendienstliche Drucke publizierten. In der Folge entwickelte sich eine rege Drucktätigkeit. Ob der frühneuzeitliche Buchdruck als “Massenmedium” bezeichnet werden kann oder gar den Sehsinn stimulierte und diesen gegenüber den anderen Sinnen aufwertete, wie es in einigen Abhandlungen zur Kulturgeschichte postuliert wird, bleibt fraglich. Denn Lesen bedeutete bis ins 18. Jahrhundert vor allem lautes Vorsprechen, Hör- und Sehsinn wurden bei dieser Tätigkeit gleichermaßen beansprucht. Auch ist nicht der Buchdruck, vielmehr die Kirchenkanzel als das eigentliche “Massenmedium” dieser Epoche zu bezeichnen, was den Distributionsgrad von Informationen an ein Publikum via mündlicher Verlautbarung anbelangt. Es waren nicht nur religiöse Botschaften, die die Pastoren ihren Gemeinden während des sonn- und feiertäglichen Kirchgangs von der Kanzel abkündigten; die Predigten enthielten darüberhinaus obrigkeitliche Verordnungen und Mitteilungen über gegenwärtige Kriegs- und Friedensläufte wie auch das Herrscherhaus betreffend.

Nach diesem Exkurs kehre ich zurück zur Frage nach den Rezipienten dieser Flugbätter und wie die darin enthaltenen Informationen übermittelt wurden. Informationen konnten sowohl bildlich als auch schriftlich weitergegeben werden. Informationen aus Bildflugblättern ohne Text oder allenfalls mit schriftlichen Erläuterungen waren ohne besondere Bildungsvoraussetzungen erschließbar und erreichten ein Publikum, das über die Grenzen einer Sprachgemeinschaft hinausreichte. Auch als “illustriertes Flugblatt”, ein Flugblatt mit ausführlichem Text, diente das Bild den Analphabeten als vorrangige Informationsquelle. Hier verband der Text das illustrierte Flugblatt mit stärker schriftlich orientierten Informationsformen. Je stärker der Textteil aber die Aussage eines illustrierten Flugblattes dominierte, desto weniger richtete sich das Flugblatt an “alles Volk”, sondern an eine Sprachgemeinschaft oder “Lesewelt”. Unter diesem Gesichtspunkt besaßen textorientierte Flugblätter einen geringeren Öffentlichkeitsgrad als Bildflugblätter. Dennoch konnten die Rezipienten den Text aus illustrierten Flugblättern interessierten Zuhörern vorlesen, die schriftlich fixierten Informationen als Vorlage für die mündliche Weitergabe verwendet werden. Damit gestaltet sich eine klare Trennung zwischen  mündlicher und schriftlicher Weitergabe aber als äußerst schwierig. Denn mit zunehmender räumlicher und zeitlicher Entfernung konnten Nachrichteninhalte mitunter so stark variieren, dass sie alsbald als Gerücht nicht mehr ihrem Ursprung zuzuordnen waren – eine effektive Methode des gemeinen Mannes, sich sozialer Kontrolle zu entziehen. Dies führte bisweilen soweit, dass diese Gerüchte an anderen Orten zu anderen Zeiten nach dem Hörensagen womöglich erneut aufgeschrieben oder gar gedruckt wurden.

Die Komposition der oben genannten und hier abgebildeten schwedischen Flugblätter gibt Auskunft über den Grad der Informations-Öffentlichkeit. In ihren Titeln werden explizit Übermittlungswege und Adressaten der Nachrichten genannt: ”Om then nyia stierno och cometa, som syntes Anno Domini 1572 i Novembris månat / scriffuit aff Georgio Busch Norinbergense på tydsko, boendes i Erfurt, och nu uthsatt på swensko” – ”Sanfärdige Förskreckelige Nyia Tijdender… Allom Christrognom vthi Swerige til warning och rättelse / aff Tydskone afffatt.” In beiden Fällen handelt es sich um Übersetzungen aus dem Deutschen. Die Flugblätter gelangten im Original nach Stockholm, wo sie ins Schwedische übersetzt und, nach erfolgter Imprimatur, von den königlichen Buchdruckern Amund Laurentzson 1573 bzw. von Andreas Gutterwitz im Jahr 1597 publiziert wurden. Sie waren an „christgläubige Leser“ bzw. an „alle christgläubigen Schweden“, wie es in dem illustrierten Flugblatt von 1597 heißt, gerichtet, ein nach damaligem reichskirchlichem Verständnis ausnahmslos orthodox protestantisches Publikum. Beide Flugblätter sind in erster Linie an ein Lesepublikum adressiert. In beiden Fällen handelt es sich um textorientierte Flugblätter. Bilder, wie sie allenfalls im Flugblatt von 1597 vorkommen, treten gegenüber der textlichen Gestaltung in den Hintergrund und spielen als Informationsträger eine marginale Rolle. Da die segmentären Botensysteme des 16. Jahrhunderts noch keine regelmäßige Übermittlung handschriftlicher und gedruckter Nachrichten zu leisten im Stande waren – ein staatlich organisiertes Postsystem in Schweden war erst seit 1636 im Aufbau begriffen –, zudem die Verbreitung von Flugblättern durch Buchhändler und Reisende okkasionell und punktuell erfolgte, ist davon auszugehen, dass der Informationsgehalt dieser Druckmedien größtenteils mündlich weiter verbreitet, der Öffentlichkeitsgrad dieser Medien von der Lesewelt auf die schwedische Sprachgemeinschaft erweitert wurde.

Wie aber ist zu erklären, dass bestimmte Nachrichtenmeldungen verbreitet wurden, andere aber nicht? Wie heutige Journalisten mussten auch die Nachrichtenspezialisten des 16. und 17. Jahrhunderts, also Buchdrucker, Buchhändler und Postmeister, eine Auswahl an Meldungen vornehmen. Allerdings herrschte damals kein Überfluss, eher ein Mangel an Informationen, worauf der begrenzte Umfang an Nachrichten in den Flugblättern schließen lässt. Die Nachrichtenspezialisten mussten sich daher in weitaus stärkerem Maße am Erwartungshorizont des Publikums orientieren als dies heute der Fall ist. Dies lässt sich am Nachrichtendruck selbst ablesen, wodurch er für die Leser interessant wurde. Die Auswahl- bzw. Bewertungskriterien der Nachrichten kommen für gewöhnlich schon im Flugblatttitel vor, etwa in den Sanfärdige Förskreckelige Nyia Tijdender von 1597 – “Wahrheit”, “Schrecken” und “Neuheit”. Es sind spezifisch werbende Eigenschaften einer Nachricht, die in der modernen Kommunikationswissenschaft als Nachrichtenfaktoren bezeichnet werden. Durch diese Nachrichtenfaktoren erhält die Meldung einen Nachrichtenwert, der die Wahrscheinlichkeit ihrer Verbreitung vergrößert.

Allerdings ist auch hier erneut davor zu warnen, moderne Vorstellungen über Nachrichtenfaktoren auf frühere Epochen zu übertragen. Um mit dem Bewertungskriterium “Neuheit” zu beginnen, bleibt festzuhalten, dass der Anspruch auf Aktualität einer Nachricht nur mit Einschränkung für das 16. und auch noch für 17. Jahrhundert gültig ist. Die “Neuheit” der Nachrichten ist zu relativieren, da zwischen dem berichteten Ereignis und seiner Veröffentlichung ein längerer Zeitraum liegen konnte. So wurde das Flugblatt, das in deutscher Sprache über einen Kometen im November 1572 berichtet, erst im folgenden Jahr ins Schwedische übersetzt und gedruckt. Zeitlich noch weiter zurück liegt ein Bericht über das Stockhomer Blutbad von 1520. Gustav Vasa ließ den Bericht mit dem Titel “Von der graüsamen Tyranieschen Myssehandelung, so Künig Christiern, des namens der ander von Dennmarck, jm Reich zu Sweden begangen hat” erst vier Jahre später im Druck veröffentlichen. Und bei dem Flugblatt von 1597 handelt es sich offenbar um einen Nachdruck von 1577. Daraus ließe sich thesenartig formulieren, dass der Nachdruck offenbar ein lohnenswertes Zusatzgeschäft für die Buchdrucker darstellte, mögliche Leser der Flugblätter offenbar keine hohen Ansprüche an die Schnelligkeit der Information stellten, die Nachricht an sich für den Leser offenbar wichtiger war als die Aktualität der Meldung. Dass solche Information eher als Wiedererinnerung an ein jüngst vergangenes Geschehen zu interpretieren sind, die Mitteilungen also über längere Zeit oder auch zeitlos gültig sein konnten, wird mit der Überlieferungssituation bzw. der Aufbewahrungsfrage der Druckschriften in Verbindung gebracht. So wurden Flugschriften mit voraussichtlich zeitloser Gültigkeit mit größerer Wahrscheinlichkeit aufbewahrt und gesammelt, z.B. als Wandschmuck verwendet, weil “zeitlose” Nachrichten interessanter oder wichtiger erschienen als beispielsweise Sensations-Flugblätter. Dies könnte ein Grund dafür sein, warum die mystische Publizistik in Schweden im 17. Jahrhundert gegenüber politischen Flugblättern nicht so richtig in Erscheinung trat.

“Wahrheit” als Nachrichtenfaktor erscheint aus der heutigen Perspektive als selbstverständlich. Dagegen war es in der Frühen Neuzeit wohl keine Selbstverständlichkeit, “wahre” Nachrichten zu erhalten, da diese Tatsache explizit im Titel der Flugblätter hervorgehoben wurde. “Wahrheit” hieß zudem nicht in erster Linie ein mittels Zeugenschaft verbürgter Seinszustand, sondern war vor allem an kirchliche oder weltliche Obrigkeiten, deren Werte und Traditionen gebunden. In Zeiten unsicherer Kommunikationswege und Informationsübermittlung galt “Wahrheit” bzw. Authentizität als ein hohes Gut in der Informations-Öffentlichkeit, und dies schon lange vor Einführung des Buchdrucks, etwa in handgeschriebenen Nachrichtenbriefen der Diplomaten an ihre Auftraggeber. Der Buchdruck trug lediglich dazu bei, dass Informationen, die dem Wahrheitskriterium des Augenscheins verpflichtet waren, in großer Menge verbreitet und längere Zeit aufbewahrt werden konnten. Das gilt offenbar weniger für illustrierte Druckerzeugnisse. In ihnen ist kein besonderer Zwang zur genauen Darstellung optischer Sinneseindrücke festzustellen, im Gegenteil: Als Beispiel kann wiederum das Flugblatt von 1597 angeführt werden. Im Vordergrund des linken Bildes führen zwei Gestalten, vermutlich Frau und Mann, in ihren weiten Gewändern und gestenreicher Haltung einen Dialog. Die Person zur linken Seite zeigt dabei mit erhobenem Zeigefinger auf das Firmament mit seinen Himmelskörpern Sonne, Sterne und Halbmond. Im rechten Bild recken die beiden Personen nun auf der Erde kniend flehentlich ihre Hände empor. Über ihnen auf einem Bogen sitzend ist eine weitere irdische Gestalt abgebildet, flankiert von einer himmlischen Gestalt zur Linken mit ausgestrecktem Arm eine Trompete in ihrer Hand haltend. Hierbei handelt es sich wohl um Fama, Göttin des Gerüchts. Zur Rechten ist eine weitere himmlische Gestalt, ein Engel, abgebildet. Zwar zeigen die beiden Illustrationen gut erkennbare Vorgänge, deren prophetische-religiöse Botschaften mit ihren allegorischen und metaphorischen Andeutungen aber erst in Verbindung mit dem textlichen Inhalt nachvollziehbar werden.

Dagegen ist die Botschaft der in diesem Beispiel angeführten bildlichen Darstellung mit ihrer textlichen Beschreibung nahezu identisch: “Warschau / vom 1. Junii Man hat 14 Tage vor Ihr. Königl. Maj. von Schweden Ankunfft / zu Mitternacht 3 Lichter an dem Himmel gesehen / wie drey Sonnen (wie vorstehende Figur außweiset) Durch den mittelsten Circul haben sich 2 Ruhten präsentiret / in dem untersten 3 Creutze / welche 3 Creutze aber sich zuletzt gantz geleget haben / der oberste Circul ist nur halb gewesen. GOtt gebe daß es was Gutes bedeuten”. Hierbei handelt es sich um eine Nachricht der 51. Ausgabe der Revalschen Post-Zeitung vom 26. Juni 1702. Wie unschwer zu erkennen, erschien diese Zeitung in deutscher Sprache. Ihre Leser sind der (städtischen) Oberschicht der Deutsch-Balten der unter schwedischer Herrschaft stehenden Provinz Estland zuzuordnen, weshalb die Revalsche Post-Zeitung neben weiteren deutschsprachigen Avisen aus den Ostseeprovinzen als Teil der frühneuzeitlichen schwedischen Medienlandschaft hinzuzurechnen sind und als solcher in der schwedischen Pressegeschichte behandelt werden. Im Gegensatz zu den illustrierten oder auch textorientierten Flugblättern besaßen die Nachrichten der ersten periodisch erscheinenden Avisen m.E. “tagesaktuellen” Nachrichtenwert.

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts erschienen die Zeitungen einmal die Woche, seit der zweiten Jahrhunderthälfte durchschnittlich zweimal pro Woche und in Ausnahmefällen sogar täglich, je nach Schlagzahl der Postkurse. Das universale, die einzelnen staatlichen Postsysteme verbindende europäische Nachrichten- und Informationsnetzwerk bildete die strukturelle Grundlage insbesondere der “Post-Zeitungen”. Handschriftliche Korrespondenzen und Nachrichtenbriefe der Agenten, Spione und Diplomaten trafen bei den Postmeistern ein, wurden dort gesammelt, sortiert und nach Einsicht der entsprechenden Zensurbehörden für den Druck freigegeben. Aus diesem Grund war das Wahrheitskriterium der Nachrichten in den Avisen besonders ausgeprägt, galt doch ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Korrespondenten und Auftraggebern in der Macht-Öffentlichkeit als notwendiges Kapital im Dienste der Krone. Folglich war der Ton der Nachrichten in den Avisen betont sachlich, auch wenn in der Kriegsberichterstattung, etwa bei der Beschreibung des Feindes bisweilen propagandistische Konturen sichtbar wurden.

Der Nachrichtenfaktor “Schrecken” blieb somit im Informationsmedium Zeitung unterbelichtet, Berichte über Himmelsphänomene die Ausnahme. Diese blieben den Flugblättern vorbehalten, womit ein Zusammenhang zwischen Periodizität der Nachrichtenmedien und Häufigkeit von Katastrophenmeldungen verneint werden muss. Zwar war der Zwang zur Aktualität bereits in den Frühformen der modernen Zeitung gegeben, die “aufregende” Präsentation der Meldungen insbesondere  die der Regenbogenpresse gründet historisch auf dem Erscheinungsbild der Flugblätter.

 

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/338

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Neue Wände

So, jetzt bin ich doch in die neuen Wände eingezogen – und von außen hat sich gar nicht soviel geändert. Nur im Hintergrund hat sich einiges getan und wird sich hoffentlich in naher Zukunft noch einiges tun. Meine Vorstellung habe ich schon erneuert, einiges an Plänen habe ich auch schon im Kopf.

Aber nun erstmal der Historikertag 2012 in Mainz! Und ich freue mich über Besuch an meinem Plakat im Doktorandenforum (auch wenn ich eifrig die Sektionen besuchen werde und daher eher in den Pausen da anzutreffen bin).

Quelle: http://csarti.net/2012/09/neue-wande/

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Stadtarchiv Speyer@web.2.0. Aus der social-media-Praxis eines Kommunalarchivs

Entwurfsfassung (Vorabversion): Beitrag zur “Informationsveranstaltung: Social media – Chance oder Gefahr” (Deutscher Archivtag, Köln, 28.9. 2012).

Der Kurzbericht aus der Praxis des Stadtarchivs Speyer wird an dieser Stelle vorab (in ausformulierter Entwurfsfassung) veröffentlicht und zur Diskussion gestellt. Für Hinweise und Ergänzungen (gerne auch im Hinblick auf den 28.9.)  bin ich dankbar. Auf den Nachweis von Links wurde aus Zeitgründen verzichtet. Nach der Veranstaltung wird ergänzend die PPT veröffentlicht werden.  

 

Ich beginne meinen Praxisbericht zunächst mit einem Zitat:

Das Netz ist kein virtueller Raum. Es gehört zur Lebensrealität einer immer größer werdenden Gruppe von Menschen. Zu meiner kulturellen Identität gehört das Jazz-Konzert, der Besuch der Oper, ein gutes Computerspiel, Blogs und Twitter etc. Alle diese Komponenten sind ein Teil meiner gelebten Kulturwelt. Und diese Welt hat sich durch die digitalen Angebote massiv verändert. Nun bin ich kein „Digital Native“. Ich kenne eine Welt ohne Computer und Internet – und ich möchte auf keinen Fall dahin zurück. Bei allem Trash, bei all der Masse an Angeboten … – ich habe gelernt damit zu arbeiten … Wir brauchen die Kulturinstitutionen im Netz. Und die Kulturinstitutionen brauchen das Netz, um ihre eigene Realität weiter entwickeln zu können. … die kulturellen Inhalte und ihre Rezipienten sind bereits im Netz – es sind nur die Institutionen, die bis jetzt in der Breite noch nicht in der digitalen Welt angekommen sind. Christoph Deeg (Jahrbuch für Kulturpolitik 2011, S. 193f.; http://crocksberlin.wordpress.com)

Die sozialen Medien sind wenn man so will der aktuelle Stand des Internets und schon allein aufgrund ihrer Größe kaum noch zu ignorieren. Soviel steht fest und m.E. gilt das auch für Kulturgut verwahrende Einrichtungen wie Archive. Zahlreiche kleine und große Bibliotheken, auch viele Museen usw. machen uns mittlerweile vor, wie ein Einsatz der sozialen Medien auch im Archivwesen aussehen könnte. Gar nicht so wenige ausländische Archive und Archivverwaltungen im Web 2.0 unterwegs. Aus meiner Sicht im Vordergrund steht bei vielen Einrichtungen zunächst die Funktion als Mittel der Öffentlichkeitsarbeit, aber auch das „offene, transparentere“ Archiv erscheint wie ein Gebot der Stunde. Dazu gehört die direkte Kommunikation z.B. über Facebook oder Twitter, dazu könnte aber auch die „Kollaboration“ bei der Erschließung, Verschlagwortung oder Transkription ausgewählter Bestände und Archivalien zählen – eine ganze Reihe zumeist nichtdeutscher Archive (von den US-National archives angefangen und bis hin zu kleinen Einrichtungen und Projekten) macht uns vor, was in Sachen nutzergenerierter Erschließung möglich ist.

In meinem kurzen Bericht möchte ich jetzt die typischen Fragen und Argumente pro und contra nur am Rande streifen: Ja, die Zahl der Beitragsaufrufe, gemessen bei Facebook, ist für ein kleineres Archiv immens und überstieg in knapp 12 Monaten die Millionengrenze. Wir liegen bei aktuell knapp 680 Fans aus über 20 Staaten. Wir sind damit mit dem Stadtarchiv Amberg und dem ÖSTA nach Zahlen „führend“, was sich natürlich angesichts der immer noch kleinen Zahl deutschsprachiger Web 2.0-Archive wieder relativiert. Hinweisen möchte ich dabei allerdings auf das Stadtarchiv Linz am Rhein, das als Beispiel eines nebenamtlich betriebenen, gleichwohl digital sehr präsenten Archivs gelten kann. Weiter könnte man die Stadtarchive Heilbronn und Bielefeld erwähnen, die z.B. schwerpunktmäßig über Umbauten und Umzugsmaßnahmen berichten; dann das kleine Stadtarchiv Brilon, das mit einigem Erfolg „Fundstücke“ postet. Dass auch Archivare mit ihren privaten Accounts „Archivisches“ posten und eine Gruppe namens „Archivfragen“ existiert – das nur am Rande. Aber genug davon.

Wir holen das Netzpublikum dort ab, wo es mittels einer einfachen Internetseite nur noch teilweise abgeholt werden will. Bei Twitter stehen wir derzeit bei über 6.000 Kurznachrichten und haben über 400 Follower, die diese Nachrichten lesen und manchmal auch weiterverteilen. Die als PPT im Netz stehenden Vorträge aus der Arbeit des Archivs werden in der Regel mehrere Hundert mal angesehen, also um ein mehrfaches im Vergleich zum analogen Publikum; in Einzelfällen kommen wir auf mehrere Tausend Zugriffe. Ähnliches gilt für unsere derzeit knapp 20 Alben mit Fotosammlungen und kleinen virtuellen Präsentationen auf Flickr.

Nein, dies hat allerdings nicht dazu geführt, dass sich die Nutzerzahl im Lesesaal geradezu verdoppelt hätte. Die Zahl unserer Online-Kunden, Freunde und Follower hat sich aber vervielfacht, wenn man auf die bis Anfang 2011 bestehende eher kümmerliche Homepage zurückblickt. Wir sind gut vernetzt und werden wahrgenommen, in der Region und auch durchaus in der weiteren „Archivwelt“. Die Nachrichten und Informationen werden auch von Personen rezipiert, von denen man dies nicht erwarten würde (Stichwort „silver surfer“). Gleichzeitig ist der Arbeitsaufwand – und das ist eine oft gestellte Frage – relativ gering. Web 2.0 heißt bei uns: ein halbes Dutzend Anwendungen werden von 2-3 Mitarbeitern in der Regel ca. 2-3h pro Woche „bedient“. Wir beschränken uns nicht nur auf Facebook. Facebook ist bei weitem nicht optimal, stellt seine Nutzer aufgrund von Änderungen immer wieder vor neue Probleme und Fragen, technisch und auch rechtlich. Andererseits: es bietet ziemlich gute Optionen für die Online-Präsentation von Kultureinrichtungen.

Ein Teil unseres „klassischen“ und ein erheblicher Teil des möglichen erweiterten Zielpublikums bewegt sich in Facebook. Das soziale Netzwerk zu ignorieren wäre, wie wenn man vor einigen Jahren das Internet als Ganzes boykottiert hätte.

Neben dem sozialen Netzwerk betreiben wir wie gesagt für das Stadtarchiv einen Twitter-Account, ebenso Auftritte bei Flickr und Slideshare; ebenso sind wir bei der Wikipedia. Dazu kommt ein kleines regionalgeschichtliches Blog, das über mehrere Monate befüllt wurde – es ging um das Bloggen eines Hausbuchs der Zeit um 1800. Für die Tagung „Offene Archive?“, die wir im November 2012 in Speyer veranstalten, nutzen wir ebenfalls ein Weblog: Archive 2.0 läuft als Blog unter dem Dach des deutschsprachigen geisteswissenschaftlichen Blogportals „hypotheses“. Eine Fortsetzung über die Tagung hinaus ist natürlich beabsichtigt. Ein gleichnamiger Twitter-Account dient der Verbreitung von Neuigkeiten.

Wir nutzen also derzeit noch kein institutionelles Blog für das Archiv. Ein frühes Beispiel hierfür wäre z.B. das nicht mit Archivalia zu verwechselnde Blog des Hochschularchivs Aachen, in jüngerer Zeit z.B. das Blog der Archive im Kreis Siegen-Wittgenstein (siwiarchiv). Ein Grund für die derzeitige Nichtnutzung bei uns ist sicherlich, dass wir uns nach der Web 2.0-Strategie der Stadt Speyer richten müssen, die eine Fokussierung auf die gängigen Anwendungen vorsieht. Ein Blog im „Hintergrund“, hinter Facebook & Co. ist allerdings durchaus überlegenswert und gerade Archive 2.0 zeigt, dass hier Potential vorhanden ist.

Daneben nutzen wir eine ganze Reihe weiterer Anwendungen und kleiner Programme, die man dem weiten Web 2.0-Kosmos zuordnen könnte. Vom kollaborativen Arbeiten a lá Dropbox, über Terminfindungen via Doodle bis hin zu Hilfsmitteln wie Tinyurl, Twitpic und Tweetdeck als „Dashboard“. Zu den Hilfsmitteln im weiteren Sinn zähle ich auch eine regelmäßige Nutzung von Digitalkamera und Smartphone – das Posten von Bildern peppt Nachrichten ungemein auf, das mobile Posten (Twittern – so etwa hier vom Archivtag) ist ebenfalls wichtig.

Wir sind als Teilprojekt eines Anfang 2011 gestarteten Web 2.0-Pilotprojekts der Stadtverwaltung Speyer online gegangen. Das Projekt ist nach einem guten Jahr abgeschlossen und als erfolgreich gewertet worden. Neben uns verfügt auch die Pressestelle der Stadt, die Tourist-Information und die Stadtbibliothek über Web 2.0-Auftritte. Zumeist steht eine Facebook-Fanpage im Mittelpunkt, das Profil der Stadt soll allerdings mit einer komplett neuen Gesamthomepage geschärft werden, d.h. es wird jetzt auch Sharing-Funktionen geben (zum Verbreiten von Neuigkeiten der Homepage); es wird auch explizite Hinweise geben zu den Auftritten der Stadt im Web 2.0 (und dann mit Videokanal usw.). Verwendet wird dabei eine Zwei-Klick-Lösung, auf die direkte Einbindung von sozialen Plugins wird verzichtet. Der Impressumpflicht ist derzeit wohl Genüge getan. Eine Dienstanweisung regelt seit einiger Zeit den Umgang der involvierten Mitarbeiter mit den sozialen Netzwerken – hierzu gibt es ja mittlerweile genügend Beispiele. Die datenschutzrechtliche Debatte um Facebook ist sicher dazu angetan, dass sich die Web 2.0-Arbeitsgruppe in Zukunft noch öfter treffen wird. Aus meiner Sicht ist der Graben zwischen kommunalen Öffentlichkeitsarbeitern und Kultureinrichtungen auf der einen Seite und den Datenschutzbeauftragten der Länder erheblich und schwer zu schließen.

 

Jetzt noch ein Blick auf Facebook und Twitter konkret. Was wird von uns ins Netz gestellt? Sicherlich nicht „alles“, wie manche vermuten. Facebook wird unter der Woche täglich mit ca. 2-3 Nachrichten befüllt. Wir haben denke ich eine ganz gute Mischung gefunden:

  • Da sind einerseits Fotos und Berichte über das, was sich gerade im Archiv „abspielt“ oder etwas beendet wurde. Das können Arbeiten im Magazin sein, neu ins Archiv geholte Abgaben, neu verzeichnete Bestände oder auch aktuelle Fotos von Vortragsabenden im Archiv. Ebenso findet sich vieles zum Jüdischen Museum in Speyer sowie zu den verschiedenen Gedenkstätten, da das Archiv hier eine koordinierende Funktion hat.
  • Dann bieten wir Hinweise auf eigene und fremde Veranstaltungen, Pressemitteilungen u.ä. (die wir ergänzend auf FB verbreiten)
  • Archivfachliche Informationen und generell die Interaktion mit anderen Archiven
  • Und schließlich kommen historische Fotos mit kurzen Erläuterungen sehr gut beim regionalen Publikum an. Von Einzelfotos (Straße, Kirche, Gebäude XY) über kleine Serien etwa zur Sportgeschichte bis hin zu größeren Zusammenstellungen mit Speyer-Bezug: Rheinhochwasser, Jahrhundertwinter 1929, 1. Weltkrieg (jeweils auch Flickr-Alben).

Vielleicht noch ein Wort zum Umgangston in den sozialen Medien: zu sehr amtlich klingende Verlautbarungen (Schließung, Aktentransporte) sollte man eher vermeiden. Zumindest sollten sie nicht im Zentrum des Auftritts stehen. Andererseits muss man nicht zwanghaft in der Kommunikation ins „Du“ verfallen. Es gibt Mittelwege wie eine Ansprache mit „Ihr“ und das gute alte „Sie“. Was die Verwendung von Fotos angeht: man sollte durchaus kreativ sein und nicht nur saubere Archivkartons und schön beleuchtete Magazine online stellen. Ein Foto mit einer blubbernden Kaffeemaschine kann sehr gut mit dem Hinweis, dass gerade eine Teambesprechung ist, verbunden werden.

Jetzt abschließend noch ein Blick auf Twitter: Der Kurznachrichtendienst ist nicht nur einfach zu erlernen; er erlaubt vor allem, mit seinen Kurzblogs von maximal 140 Zeichen schnell und häufig an die Öffentlichkeit zu kommen und auf dem Laufenden zu bleiben. Wir informieren unsere Follower z.B. über geplante Vorträge und Veranstaltungen sowie allgemein gesprochen über die Tätigkeit und Arbeitsfelder des Archivs – also das, was gerade „eben“ im Archiv passiert. Auch das Bloggen von Tagungen gehört zu den Möglichkeiten, die wir gerne nutzen. Natürlich habe ich auch die Möglichkeit, Facebook-Posts analog auf Twitter erscheinen zu lassen, aber das sollte auch nicht die einzige Form des „Twitterns“ sein. Die Herstellung von Netzwerken, in unserem Fall neben Archiven und Bibliotheken auch mit vielen Kollegen, Historikern und Studenten, ist ebenfalls ein wichtiger Aspekt; gerade Twitter erscheint mir in vielem noch zielgruppenrelevanter als z.B. Facebook zu sein, auch wenn die typischen Spam-Follower etwas nerven. Nicht betonen muss ich, dass die Fachcommunity in Deutschland immer noch klein ist, was die Twitternutzung angeht. Man hat es also eher mit twitternden Bibliothekaren, Kulturmanagern, Historikern, Studenten und dazu auch vielen Kollegen in Europa und Übersee zu tun.

Ich komme zum Schluss: Viele Fragen sind in Sachen Web 2.0 noch nicht endgültig geklärt. Manche Schwächen und Modifizierungen einzelner Anwendungen müssen natürlich im Blick behalten werden, worauf ich ja bereits hingewiesen hatte. Aber wir können nicht mehr zurück, der digital-soziale „Tiger“ will geritten werden.

Ich habe versucht, einen kurzen Einblick in die Web 2.0-„Praxis“ des Stadtarchivs zu geben. Ein digital-soziales Archiv ist jedenfalls möglich und ich bin gespannt, was uns die Zukunft bringen wird. Eine komplette Ignorierung der sozialen Medien im Archivwesen und durch die Archivare zeugt jedenfalls von Realitätsverlust. Und das wäre bedauerlich.

Quelle: http://archive20.hypotheses.org/225

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Papierhaufen und Käseblatt

ungustiös geschwätziger Papierhaufen - durchaus treffende Charakterisierung der Zeit durch Max Goldt im 35-Jahre-Jubel-Falter; wobei Kurt Palms Statement auch was hat:

Mitte der 90er-Jahre habe ich den Falter einmal als „liberales Käseblatt“ bezeichnet. Seither hat sich viel verändert. Nur der Falter nicht. Da Prinzipienfestigkeit in Österreich aber bekanntlich eine eher seltene Eigenschaft ist, gratuliere ich dem Falter sehr herzlich.

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/156265834/

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Architektur in diktatorischen Systemen

Ist Architektur immer auch politisch? Und spiegelt sich das jeweilige politische System in den Bauten seiner Zeit? Im kommenden MONTAGSRADIO, Ausgabe 14/2012, sprechen wir mit Fritz Neumeyer, Professor für Architekturtheorie an der TU Berlin, über den Zusammenhang von Architektur und Ideologie und den heutigen Umgang mit historischen Gebäuden.

Quelle: http://www.montagsradio.de/2012/09/24/architektur-in-diktatorischen-systemen/

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Veröffentlichung: Personen identifizieren – Eine Geschichte von Störfallen

In der neuesten Ausgabe des Kriminologischen Journals ist gerade unser gemeinsamer Artikel Personen identifizieren – Eine Geschichte von Störfallen erschienen. Es handelt sich dabei um einen Kommentar zu Raul Gschreys künstlerischem Beitrag “Der typische Deutsche” oder “Automatisierte Erkennung erfordert indivduelle Charakteristika – sei durchschnittlich.”

Ausgehend von Gschreys Arbeit gehen wir in diesem Kommentar auf einige Aspekte der Geschichte und Entwicklung, Ausverhandlung und Implementierung von Identifizierungstechniken und ihrer Störfälle ein.

 

Gruber, Stephan/Meßner, Daniel/Musik, Christoph (2012): Personen identifizieren – Eine Geschichte von Störfallen. Kriminologisches Journal, Heft 3 (2012), S. 219-224.

Quelle: http://www.univie.ac.at/identifizierung/php/?p=4023

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Spannender Zettelkatalog über Reisende in Paris von 1495 bis 1933 in der Bibliothèque Historique de la Ville de Paris

von Carolin Pfister

Ein verborgener Schatz liegt in der Bibliothèque Historique de la Ville de Paris begraben: ein Zettelkatalog über Reisende in Paris von 1495 bis 1933. Bislang hat dieser Katalog laut den Aussagen des Bibliothekars Jean-François Dubos sehr wenig Aufmerksamkeit erfahren. Auch über die Entstehung des Katalogs weiß man nur sehr wenig. Wahrscheinlich wurde er in den 1920er Jahren angelegt. Möglicherweise wurde das Projekt von dem damaligen Direktor der Bibliothek, Marcel Poëte, initiiert, der sich sehr für die Geschichte der Stadt Paris interessierte. Letztlich weiß man aber nichts Genaueres über die Entstehungsgeschichte. Im Rahmen des Forschungsprojektes über Deutsche in Paris im 19. Jahrhundert von Dr. Mareike König wurde dieser Schatz nun wieder ausgegraben:

Der Zettelkatalog verzeichnet die publizierten Reiseberichte aller europäischen Reisenden in Paris und wurde sehr detailliert angelegt. Es gibt drei verschiedene Ordnungssysteme: Die Reiseberichte sind nach Jahren, nach Schlagwörtern und nach Berichten über die Umgebung von Paris geordnet. Insgesamt werden Reisende von 1495 bis 1933 erfasst, jedoch teilweise lückenhaft. Zudem wurden wahrscheinlich nur publizierte Werke erfasst und keine Manuskripte. Dadurch ergibt sich das Problem, das man nicht genau weiß, inwiefern der Katalog letztlich vollständig ist. Die ganze Sammlung umfasst etwa 88 Schubladen und befindet sich auf der Galerie, direkt über dem Empfang der Bibliothek.

Auf den einzelnen Karteikarten wird jeweils der Reisende mit Namen, soweit bekannt, verzeichnet. Daneben findet man den Titel des Reiseberichts und eventuelle bibliographische Angaben zur Publikation des Berichts sowie die Signatur. Darüber hinaus wird auf weiteren Karteikarten der Inhalt des Reiseberichts, mit Bezug auf Paris und Seitenangabe, geschildert:

      

Zu beachten ist, dass sich nicht alle Reiseberichte, die der Katalog erfasst, in der Bibliothèque Historique befinden. Die überwiegende Mehrheit der Reiseberichte befindet sich in der Bibliothèque Nationale de France. Außerdem muss immer die Signatur auf den jeweiligen Karteikarten mithilfe der Onlinekataloge der beiden Bibliotheken überprüft werden, da die Sammlung bereits sehr alt ist und die Signaturen möglicherweise nicht mehr aktuell sind. Ein Vorteil ist, dass viele Titel auch online bei Google Books oder Gallica zu finden sind.

Für Wissenschaftler, die sich für Reisende in Paris interessieren, ist der Katalog eine sehr gute Möglichkeit, einen Überblick über die Anzahl der Reisenden zu gewinnen. Darüber hinaus kann man erkennen, in welchen Jahren besonders viele Reisende in Paris waren und vor allem woher die Reisenden kamen. Besonders interessant sind die sehr guten Inhaltsangaben zu den Reiseberichten. Die Angaben beziehen sich lediglich auf Paris, d.h. alle Reiseberichte wurden auf ihren Bezug zu Paris hin untersucht, wodurch man rasch einen guten Überblick über die Themen der Berichte erlangt.

Abschließend merci beaucoup an Jean-François Dubos, der mir, so gut wie möglich, alle meine Fragen beantwortet hat!

Im Anhang eine Auflistung deutscher Reisender während des 18. Jahrhunderts.

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Alle Fotos wurden von Carolin Pfister aufgenommen.

Quelle: http://dhdhi.hypotheses.org/1228

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Nie wieder Kommunismus? Zur linken Kritik an Stalinismus und Realsozialismus

Ein Lesetipp.

Bis vor wenigen Jahren war in der aktivistischen Linken das Thema Stalinismus- bzw. DDR-Kritik toter als tot. Die antiautoritäre Linke verlor mit einigem Grund nicht viel Worte über den „Realsozialismus“, ist dieser doch Lichtjahre entfernt von einer nicht näher definierten, utopischen, herrschaftsfreien Gesellschaft („Auf Staat und Parlamente, habe ich noch nie vertraut“). Mit der Hinwendung zum Kommunismus-Begriff, den in den vergangenen Jahren größere Teile der radikalen Linken unternommen haben, wächst auch die Notwendigkeit und das Interesse daran, sich mit dem Wesen und der Genese des Stalinismus auseinanderzusetzen. Ein erster Höhepunkt war sicherlich Bini Adamczak’s Essay „gestern morgen“ aus dem Jahr 2007.

Und tatsächlich: In der Auseinandersetzung mit der autoritär gewendeten Revolution kann nur gewonnen werden, der Band der Gruppe INEX ist dafür ein gutes Beispiel. Die Entstehung des Bandes ist verbunden mit einer Reihe von Veranstaltungen, die sich zum Teil hier nachhören lassen, geht aber in seiner Breite (12 Aufsätze und eine Einleitung) weit darüber hinaus.

Der Band ist politisch auf der Höhe der Zeit sowohl wissenschaftlich als auch politisch.[bearbeitet 25.09.2012 nach Einwand P.B./Kommentar 1) Auch wenn im Folgenden nur einzelne erwähnt sind, habe ich alle Aufsätze samt Einleitung gelesen und nur bei einem einzigen Aufsatz keine rechte Lust gehabt, ihn zu Ende zu Lesen – das ist eine verdammt gute Quote. (Hier geht’s zum Inhaltsverzeichnis)

Für einen kenntnisreichen, hoch aktuellen und systematischen Überblick über den Stalinistischen Terror etwa ist der Aufsatz von Christoph Jünke („Schädelstätte des Sozialismus“) sehr zu empfehlen. Er geht nicht nur auf die Opferzahlen oder die berüchtigten Moskauer Prozesse ein, sondern gibt gleichzeitig Einschätzungen zum Charakter dieser Maßnahmen und schließlich auch zum Widerstand dagegen.

Der Beitrag von Hendrik Wallat belegt eindrücklich, was man schon immer geahnt oder zumindest gehofft hatte: Es gab von Anfang zeitgenössische linke und kommunistische Kritik am Bolschewismus – Analysen, die sich auch heute noch mit Gewinn lesen lassen. Einige wichtige Texte wurden von Wallat ausgegraben und samt ihres rätekommunistischen oder anarchistischen Kontextes vorgestellt.

Bini Adamzcak steuert einen Text zur „geschlechtlichen Emanzipation“ in der russischen Revolution bei („Hauptsache Nebenwiderspruch“). Er ist zum Teil erheiternd, zum Teil sehr spannend, auf jeden Fall aber perspektivenerweiternd. Im Grunde genommen präsentiert dieser Aufsatz zunächst ein sehr originelles Gesamtverständnis der russischen Revolution, bevor er zur Haupt/Nebenwiderspruchsfrage übergeht.

Es liegt an Konzept und Fragestellung des Bandes, dass sich auch die weiteren Aufsätze des Bandes auf Bolschewismus bzw. Staatssozialismus konzentrieren (z.B. der Beitrag der Gruppe paeris) und historisch nicht wirksam gewordene Alternativen (Anarchismus, Sozialrevolutionäre) entsprechend randständig bleiben. Deshalb erscheint mir die zum Teil recht harsche Kritik in dieser Hinsicht als ziemlich unangemessen.

Meckern kann man ja meistens, hier zum Beispiel darüber, dass nur Ulrike Breitsprecher es geschafft hat, auf andere Artikel innerhalb des Bandes zu verweisen. Die Verdienste dieses Bandes werden aber durch solche kleineren Unzulänglichkeiten nicht ernsthaft eingeschränkt.

Gruppe INEX (Hg:) Nie wieder Kommunismus? Zur linken Kritik an Stalinismus und Realsozialismus, Münster 2012.
232 Seiten, 14,80 Euros


Einsortiert unter:Arbeiterbewegung, Literatur

Quelle: http://kritischegeschichte.wordpress.com/2012/09/23/nie-wieder-kommunismus-zur-linken-kritik-an-stalinismus-und-realsozialismus/

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