Die Archäologie ist ein Fach, das von der Presse gemocht wird. Meistens…Zumindest wenn ein Museumsneubau nicht Millionen von Euro verschlingt oder durch Ausgrabungen Parkplätze in der Innenstadt wegfallen. Der Begriff „Sensation“ ist bei den Schlagzeilen obligatorisch und wird nicht selten von den Archäologen gleich selbst benutzt, um die Bedeutung des Fundes oder Befundes zu unterstreichen. Presseleute scheinen aber regelrecht auszuflippen, wenn man einen Fund mit einer historischen Persönlichkeit in Verbindung bringen kann.
Kürzlich wurde heftig darüber spekuliert, ob denn das Grab Alexanders des Großen gefunden worden sei. Die zuständigen griechischen Archäologen hatten alle Mühe, diese Behauptungen zu dementieren. Um die Welt ging die Meldung trotzdem.
Begleitet von einer faszinierten Weltöffentlichkeit wurde vor ein paar Wochen das Grab der angeblichen Mona Lisa, Lisa Gherardini, in Florenz geöffnet.
Die Feuilletons waren entzückt von der Exhumierung Richards III in Leicester Anfang dieses Jahres und die beschauliche Schweiz schien Kopf zu stehen, als die angebliche Leiche Jürg Jenatschs, dem Graubündner Volkshelden des Dreißigjährigen Krieges, ausgegraben wurde.
Im letzten Jahr legte man in Duisburg im Rahmen einer Bauvoruntersuchung das Wohnhaus Gerhard Mercators frei, ausgerechnet zum 500. Jubiläum des Kartographen. Die Duisburger waren beglückt.
Zwei große Mittelalter-Ausstellungen in Mannheim und Magdeburg wurden mit Persönlichkeiten überschrieben, Benedikt von Nursia und Kaiser Otto dem Großen. In Erinnerung dürften noch die Ausgrabungen im Elternhaus Martin Luthers sein und nicht zuletzt befasst sich dieses Blog ja mit der Archäologie rund um das Hospital der Heiligen Elisabeth von Thüringen.
Dem geneigten Leser wird eine gewisse Häufung von archäologischen Pressemeldungen bezüglich berühmter Persönlichkeiten in den letzten zwei Jahren auffallen. Es sind Schlagzeilen, aber nicht hinter jeder Schlagzeile steckt eine Sensation und nicht hinter jeder Schlagzeile verbirgt sich Sensations-Hascherei. Das Bedürfnis nach öffentlicher Aufmerksamkeit haben alle diese Meldungen gemeinsam, aber ist das zu begrüßen oder zu verurteilen?
Die Aufmerksamkeit, die das angebliche Grab Alexanders des Großen erfuhr, bekam es wohl gänzlich gegen den Willen der vor Ort tätigen griechischen Ausgräber. Die Gerüchte wurden von Hobby-Experten über das Internet gestreut. Die Fragen, die sich mir stellen, sind: Warum meldet das die Deutsche Presse Agentur und warum stürzen sich unsere sogenannten Qualitätsmedien darauf?
Die Relevanz der Öffnung des Grabes der vermeintlichen Mona Lisa erschließt sich mir nicht. Auch die Aufmerksamkeit, die dieses kleine Gemälde genießt, verstehe ich nicht, aber da ich mit dieser Ansicht wohl eher in der Minderheit bin, erkläre ich mir diesen Rummel mit der mystischen Legendenbildung um die dargestellte junge Frau. Wenn man ihr Gesicht rekonstruiert, könnte man zum Beispiel herausfinden, ob Leonardo wirklich so gut malen konnte, wie man allgemein annimmt. Auch könnte eine DNA-Analyse feststellen, dass dieses seltsame Lächeln auf eine Krankheit zurückgeht.
Der Wirbel um die Ausgrabungen der sterblichen Überreste von Richard III und Jürg Jenatschs sind für mich hingegen etwas nachvollziehbarer. Es sind Personen der nationalen Geschichte, der DNA-Abgleich kann den ultimativen Beweis bringen, dass das der Mensch auch tatsächlich ist. Im Falle von Richard III konnte man den Nachweis führen, bei Jürg Jenatsch gab es widersprüchliche Resultate. Richard III bekam ein Gesicht rekonstruiert und die Engländer konnten einem Teil ihrer Geschichte wahrhaftig in die Augen blicken. Man könnte das als Sensations-Hascherei bezeichnen und anmerken, dass es aber für die Forschung an sich nichts bringt. Aber das ist zu kurz gedacht, denn der faszinierte Schauer, der mir bei diesem „In die Augen blicken“ den Rücken runter lief, ergriff bestimmt auch den ein oder anderen Schüler, Zeitungsleser oder Passanten an der Bushaltestelle. Ein „Blick in die Augen der Geschichte“ kann Interesse an Geschichte und Archäologie wecken und das ist an sich doch zu begrüßen.
2006 zeigte das Historische Museum der Pfalz in Speyer eine kleine aber feine Ausstellung zu Heinrich IV, in der die Ergebnisse dreier verschiedener Gesichtsrekonstruktions-Methoden zu sehen waren. Anlässlich des 900 Todestages des Salierkaisers verband man Archäologie mit kriminaltechnischen Methoden, um diesen für die Besucher zu vergegenwärtigen. Allerdings beschränkte sich diese Ausstellung nicht darauf, sondern versuchte ein rundes Bild der Zeit und der Lebensumstände zu geben.[1]
Eher zufällig legte man im vergangenen Jahr in Duisburg das Wohnhaus Gerhard Mercators frei. Die archäologischen Grabungen waren im Zuge einer Bauvoruntersuchung nötig geworden. In der Stadt wurden sehr schnell Stimmen laut, die eine Rekonstruktion des erst 1924 abgebrochenen Hauses forderten und es begann eine öffentliche Debatte über die Art des Wiederaufbaus der Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Fund des Wohnhauses dieser historischen Persönlichkeit war in Duisburg Anlass über Stadtentwicklung, städtische Identitäten und den Verlust der eigenen Altstadt nachzudenken. MinusEinsEbene berichtete darüber. Hier, hier und hier.
Die beiden großen Mittelalter-Ausstellungen in Mannheim und Magdeburg 2012 wurden mit Benedikt von Nursia und Kaiser Otto I betitelt. Aber die Ausstellungen gingen beide stark über die Darstellung von Biographien hinaus. Benedikt, der als Gründungsvater des abendländischen Klosterwesens gilt, war nicht Objekt und Inhalt der Ausstellung, sondern die Geschichte des mittelalterlichen Klosterwesens in seinen Facetten.[2] Die Ausstellung in Magdeburg 2012 wurde anlässlich des 1100. Geburtstages Kaiser Otto des Großen veranstaltet, mit dem Magdeburg insbesondere verbunden ist. Aber auch hier beschäftigte sich die Ausstellung weniger mit der Person, sondern mit dem Kaisertum in Europa und seine Entwicklung von der Antike bis in die frühe Neuzeit.[3] Die historischen Persönlichkeiten stehen hier pars pro toto. Sie sind Anlass oder Stichwortgeber.
Ebenfalls Schlagzeilen machten die archäologischen Untersuchen im Elternhaus Martin Luthers. Ein Beitrag auf der Webseite des Projektes ist sogar mit „Lutherarchäologie“ überschrieben.
Das besondere bei diesem Projekt ist, dass um die Ausgrabungen im Lutherhaus in Mansfeld ein umfassendes und langjähriges Forschungsprojekt mit vielen Beteiligten und Kooperationen gestrickt wurde, dass das Leben und Arbeiten Luthers, seiner Angehörigen und der Menschen im Mitteldeutschland im Übergang von Spätmittelalter zur frühen Neuzeit untersucht.[4] Viele Ergebnisse sind bereits in die Ausstellung „Fundsache Luther“[5] eingebracht worden und weitere werden zum Lutherjahr 2017 präsentiert werden.
Alles in allem sehen wir, dass Archäologie historischer Persönlichkeiten Sensations-Hascherei sein kann, aber nicht sein muss.
Warum auch immer wecken die Namen historischer Persönlichkeiten das Interesse. Die gewonnene Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit kann man nutzen, um damit echte wissenschaftliche Inhalte zu präsentieren, wie im Falle der „Lutherarchäologie“, welche die Forschung ernsthaft voranbringt. Auch kann ein archäologischer Grabungsbefund eine gesellschaftliche Debatte auslösen, über eine städtische Entwicklung, wie in Duisburg. Man kann die Archäologie historischer Persönlichkeiten also nicht an sich verdammen oder begrüßen. Es kommt darauf an, was die Wissenschaftler und Kulturverantwortlichen daraus machen.
[1] Historisches Museum der Pfalz Speyer, Heinrich IV. Kaiser, Kämpfer, Gebannter. Herrschergestalt zwischen Kaiserkrone und Büßergewand (Speyer 2006)
[2] A. Wieczorek- G. Sitar (Hrsg.) Benedikt und die Welt der frühen Klöster (Regensburg 2012)
[3] M. Puhle- G. Köster (Hrsg.) Otto der Große und das Römische Reich. Kaisertum von der Antike zum Mittelalter. Ausstellungskatalog (Regensburg 2012)
[4] H. Meller (Hrsg.), Luther in Mansfeld. Forschungen am Elternhaus des Reformators. Archäologie in Sachsen-Anhalt Sonderband 6 (Halle 2007)
[5] H. Meller (Hrsg.), Fundsache Luther. Archäologen auf den Spuren des Reformators (Stuttgart 2007)
Quelle: http://minuseinsebene.hypotheses.org/764