Grabmal Pius’ II. in Sant’Andrea della Valle, Rom
(Foto: T. Y. Döring 2012)
1000 Worte Forschung: Dissertation (Mittelalterliche Geschichte) LMU München, abgeschlossen im Januar 2012
In der frühneuzeitlichen Forschung gilt es seit Winfried Schulzei als erwiesen, dass der Buchdruck im 16. Jahrhundert die Bildung einer politischen Öffentlichkeit und öffentlichen Meinung zum Türkenkrieg entscheidend förderte. Für die Zeit ab 1501 liegt dazu mit Carl Göllnersii Repertorium „Turcica“ außerdem ein grundlegendes Nachschlagewerk vor. Trotz der bemerkenswerten zeitlichen Koinzidenz zwischen der Eroberung Konstantinopels 1453 und der Erfindung des Drucks mit beweglichen Lettern ist der Zusammenhang von Türkenkrieg und Medienwandel im 15. Jahrhundert jedoch nur ansatzweise erforscht.iii
Meine Dissertation ging daher der Frage nach, ob die Beschäftigung mit dem osmanischen Feind bereits im 15. Jahrhundert in eine engere Verbindung zur Nutzung der neuen Drucktechnik gebracht werden kann, und wenn ja, wie sich ein solcher Zusammenhang in den ersten ca. 50 Jahren gestaltete.
Da eine Göllner vergleichbare Sammlung für das 15. Jahrhundert fehlte, habe ich zunächst die überlieferten Türkendrucke, die seit der Erfindung des Druckens mit beweglichen Lettern bis einschließlich zum Jahr 1500 in Europa erschienen sind, katalogisiert. Dieser Katalog umfasst 843 Ausgaben und macht eine Kernaussage meiner Arbeit augenfällig: Die große Anzahl an noch erhaltenen Druckausgaben und Exemplaren weist dem Türkenkrieg einen festen Platz in der politischen und gesellschaftlichen Diskussion des 15. Jahrhundert zu und lässt deutlich erkennen, über welches Medium die Türkenproblematik bald bevorzugt be- und verhandelt wurde.
Diesen Katalog habe ich unter rezeptions- und überlieferungsgeschichtlichen Fragestellungen ausgewertet und den Türkenkrieg als „Medienereignis“ im ersten halben Jahrhundert vor dem Umbruchsjahr 1500 verfolgt. Die rein zahlenmäßige Auswertung führte im Vergleich mit der gesamten Drucküberlieferung des 15. Jahrhunderts zu einer aufschlussreichen Beobachtung: Neben einer kontinuierlichen Druckproduktion zu den Türken zeigt die statistische Verteilung immer wieder Peaks, die die aktuelle militärische Situation spiegeln. Wichtige Ereignisse der osmanischen Expansion wurden unmittelbar im Druck reflektiert.
Türbe Mehmeds II. in Istanbul
(Foto: T. Y. Döring 2011)
Sie wurden zum Teil eines „Medienereignisses“ (gemacht), das den Krieg gegen die Türken mit Hilfe der neuen technischen Möglichkeiten aufbereitete. Ein Überblick über die Druckorte bestätigte die Vermutung, dass Druckereien im Reich nördlich der Alpen und in Italien, also in den Regionen, in denen der Türkenkreuzzug besonders fieberhaft propagiert wurde, verstärkt Türkendrucke produzierten. Die Verteilung der Sprachen, in denen die Drucke verfasst sind, korrespondiert mit einer Beobachtung zur Hauptproduzentin der Türkendrucke: Fast ¾ aller von mir gesammelten Turcica gehören zum Verwaltungsschrifttum der kirchlichen Hierarchie (Ablässe, Papstbullen, Breven, Steuermandate etc.) und sind daher auf Lateinisch verfasst. Nur ¼ entfällt auf andere Textgenera wie Türkenreden, Türkentraktate, aktuelle Berichterstattung zum Türkenkrieg und literarische Verarbeitungen der Türkengefahr – die Mehrzahl dieser Texte ist allerdings ebenfalls auf Lateinisch verfasst, nur wenig erschien auf Deutsch, Italienisch oder Französisch.
Die Ergebnisse der Statistik perspektivierte ich in vier exemplarischen Studien. Im Fokus standen dabei neben der spätmittelalterlichen Ablasspropaganda die Spannungsfelder Rhetorik, Politik und Druck, Krieg und Medien und Wissen und Medien. Ziel dieser Detailstudien war, Türkenschriften und Druck mit beweglichen Lettern im 15. Jahrhundert in eine sinnvolle Beziehung zueinander zu setzen. Es ging um die historisch-soziale Kontextualisierung der ersten Drucke, um ihre Beziehung zu Kriegsvorbereitung und Kriegspropaganda und um den Medienwandel unter Einbeziehung einer gesamteuropäischen Perspektive. Nach Heraklits Ausspruch vom Krieg als Vater aller Dinge unterzog ich den Türkenkrieg als Triebfeder technischer Innovation und kultureller Kommunikationsprozesse einer kritischen Beurteilung.
Es ist evident geworden, dass sich das über den Gegner Sagbare offenbar auf den (Anti-)Türkendiskurs des 15. Jahrhunderts beschränkte, das heißt, auf die seit 1453 nachdrücklich behauptete Bedrohung ganz Europas durch die osmanischen Türken. Für die gedruckten Texte bedeutete das, dass die Propagierung des Türkenkriegs im Vordergrund stand. Ablässe, Ermahnungen zum Türkenkrieg, polemische Traktate, drastische Schilderungen aus dem Verlauf des Türkenkriegs, Briefe und Reden gegen die Türken gehörten bis 1500 zu den Hauptprodukten der europäischen Pressen. Die wenigen positiven Annäherungen turkophiler Autoren, wie Giovanni Mario Filelfos Heldenepos über Sultan Mehmed II. oder „aufgeklärtere“ Strategien wie das ambitionierte Koranübersetzungsprojekt des spanischen Kardinals Juan de Segovia, gelangten im 15. Jahrhundert nicht zum Druck. Produzenten wie Texte zeigen deutlich, dass der Türkendiskurs im 15. Jahrhundert durch sehr viel ältere religiöse Dynamiken bestimmt war, die auf die hochmittelalterlichen Kreuzzüge, das gelehrte Islambild der Scholastik und den Kampf gegen die Heterodoxie zurückgingen.
Blick in den Festungsgraben am Amboise-Tor, Rhodos-Stadt
(Foto: T. Y. Döring 2012)
Der Türkenkrieg im 15. Jahrhundert hielt sich nicht nur beständig als Thema der Politik – zu dem oft geforderten und lang verhandelten gesamteuropäischen Türkenkrieg ist es bekanntlich nie gekommen – sondern er hielt sich auch beständig im Druck. Während das Interesse von Druckern und Lesern an anderen politisch brisanten Themen wie etwa der Mainzer Stiftsfehde (1459 – 1463) mit der Beseitigung solcher Spannungen schnell erlahmte, war dem Türkenthema eine fast dauerhafte Aktualität beschieden. Das lag zum einen an den Entwicklungen der osmanischen Expansion, die immer wieder eine Konfrontation mit Europa herausforderten, was zu einem regelmäßigen Niederschlag in der Druckproduktion führte; das lag zum anderen aber auch daran, dass spätestens ab dem Krisenjahr 1480, in dem Sultan Mehmed II. nicht nur den Großmeistersitz der Johanniter auf Rhodos belagerte, sondern auch einen Brückenkopf in Unteritalien errichten konnte, auch ohne äußeren Anlass immer wieder Traktate zu den Türken im Druck herausgegeben wurden, die Türken sozusagen zum Objekt eines “klinischen” Interesses wurden.
Meine Arbeit an den Türkendrucken hat gezeigt, dass Türkenkrieg und Buchdruck zukünftig nicht mehr losgelöst von ihren Entwicklungslinien nach 1453, die den Weg zur Konstituierung neuer politisch-religiöser Öffentlichkeiten am Ende des Mittelalters weisen, betrachtet werden können. Denn nicht erst Reformation oder Bauernkrieg im 16. Jahrhundert erweiterten und perpetuierten die bekannten Formen mittelalterlicher Öffentlichkeit, sondern der Türkenkrieg des 15. Jahrhunderts. Abgeleitet vom Terminus der „reformatorischen Öffentlichkeit“ (Rainer Wohlfeil) müsste man wohl von einer „Türkenkriegsöffentlichkeit“ sprechen, die sich im komplexen Verband von politischer Situation, religiösen Strukturen und kulturellen Neuerungen am Ende des Mittelalters herauszubilden begann.
Karoline Dominika Döring, Türkenkrieg und Medienwandel im 15. Jahrhundert. Mit einem Katalog der Türkendrucke bis 1500 (Historische Studien 503), Husum 2013. ISBN 978-3-7868-1503-7
iWinfried Schulze, Reich und Türkengefahr im späten 16. Jahrhundert, Studien zu den politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen einer äußeren Bedrohung, München 1978.
iiCarl Göllner, Turcica. Die europäischen Türkendrucke des XVI. Jh., 3 Bde., Berlin/Bukarest 1961-1978.
iiiVgl. Falk Eisermann, ‘Das kain Babst teutsch zu schreiben phleg’: Päpstliches Schriftgut und Volkssprache im 15. Jahrhundert, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und Literatur 134 (2005), 461; Margaret Meserve, News from Negroponte: Politics, Popular Opinion, and Information Exchange in the First Decade of the Italian Press, in: Renaissance Quarterly 59 (2006), 440-480; Dies., Patronage and Propaganda at the First Paris Press: Guillaume Fichet and the First Edition of Bessarion’s Orations against the Turks, in: Papers of the Bibliographical Society of America 97 (2003), 521-588.
Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/1193